Das Totem

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Jarolep

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Die Küche war penibel sauber aufgeräumt.Die bleierne Lautlosigkeit hing im Raum. Der einzige Ton - das dumpfe Pochen in ihrem Kopf - verriet Sonja, dass ihr Herz tief in ihrem Körper beharrlich weitermachte, den Weg beschritt, von dem es wusste, dass an seinem Ende der Tod wartete.

Ein Tropfen löste sich vom alten Wasserhahn und fiel in die Spüle. Der Edelstahl notierte seine Ankunft mit einem hohlen Seufzer. Sonja sah auf. Die schmutzige verfilzte Watte schien sich nun auf alle Gegenstände zu legen. Vermutlich war es das Neonlicht. Die blassen Strahlen malten an Tellern, Töpfen und dem Fruchtkorb seltsame Schimmelblumen und verwandelten alle Farben in ein graues Nichts.

Sonja saß schon lange in dieser leeren Küche eines leeren Hauses und starrte auf den Fleck, der sich in das helle Holz des Tisches gefressen hatte. Es wurde Zeit zu gehen, sich ins Bett zu legen und der Macht der wirren Träume zu beugen. Sie konnte nicht aufstehen, hatte keine Kraft dazu. Und…sie wartete.

Sonja fuhr mit beiden Händen übers Gesicht. Dünne Hände, dünne Haut - ausgedorrt. Sie legte die Hände wieder auf den Tisch und schloss die Augen. Wünsche, Träume, Hoffnungen – es gab sie nicht mehr. Die schwachen Schatten ihrer Erinnerungen an die Zeit, als sie noch lachen konnte, schwebten vor ihr wie die Fetzen eines herbstlichen Nebels, wie der Schwarm der Geistervögel ließen sie sich nieder und schreckten wieder davon.

Etwas berührte sanft ihre Hand, als hätte ein schüchterner Windhauch eine kleine Feder auf ihre Haut gelegt. Ein schmerzlich angenehmes Gefühl, kalt und warm zugleich, breitete sich von der Stelle aus. Ein schwacher Widerschein eines Lächelns zeichnete sich auf Sonjas Lippen. Das Warten hatte sich gelohnt.

Langsam öffnete sie die Augen und blickte auf ihre Hand. Unter der Haut schimmerten die bläulichen Adern hervor, vereint in einem verborgenen Muster.
Es hat bereits ihr Handgelenk erreicht. Fasziniert betrachtete Sonja dieses uralte Wesen, das mühsam ihre Hand aufkroch. Langsam und stumm, unscheinbar, wie die Welt, in der es lebte.

Sonja kannte diese Welt. Vor vielen Jahren, in einer Nacht, deren düstere Macht die schlafende Erde beherrschte und alle Erinnerungen an das Sonnenlicht erloschen waren, betrat sie zum ersten Mal den Pfad, der sie in das Reich der allumfassenden Finsternis führte. Dorthin, wo die Sinne bedeutungslos und das ewige Wissen, das Sonja zuteil wurde, frei von menschlicher Unvollkommenheit waren.

Seitdem saß sie immer öfter regungslos da und wartete, bis einer von ihnen kam und ihr die Pforte in das Anderseits aufstieß. Sonja kannte viele dieser Art. Die Furcht und der Ekel der Menschen waren ihr Schicksal. Sie starben den qualvollen Tod oder kehrten in ihre Dunkelheit zurück, aus der sie kamen. Ohne das vollbracht zu haben, für was sie bestimmt wurden: warnen und weisen. Sie kamen wieder und wieder, kämpfend, aufstrebend. Sie schienen unsterblich zu sein, ja, sie waren unsterblich. Und sie herrschten über das Universum, von dem die Menschen in ihrer wissenslosen Überheblichkeit glaubten, es würde ihnen gehören.

Aufmerksam verfolgte Sonja das scheinbar sinnlose Tun der Kreatur, schließlich hob sie zögernd die andere Hand und umschrieb damit eine absteigende Spirale. Nun hielt sie etwas zwischen den Fingern. Sie zog vorsichtig an dem unsichtbaren Faden, das Wesen löste sich von ihrer Hand. Ein letztes Mal lächelte Sonja ihm zu. Dann setzte sie die Spinne, die an einem christallenen Faden hing, behutsam auf den Tisch, machte das Licht aus und ging.
 

sohalt

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Ich mag diesen Text wegen Sätzen wie diesen:
Der Edelstahl notierte seine Ankunft mit einem hohlen Seufzer.
Du bist gut mit den Formulierungen, sie sind präzis, sie bringen die Stimmung gut rüber, sie sagen viel und deshalb scheint mir manchmal fast, du vertraust ihnen zu wenig. Du müsstest sie viel weniger durch Ergänzungen stützen und Erklärungen nachschieben.

ZB:
..,trist, trostlos.
Wenn etwas trostlos ist wird es in der Regel auch nicht allzu heiter sein, trist ist da nicht wirklich notwendig.
Und gleich im nächsten Satz: Und es war still.
Na, in einem Raum, in dem bleierne Lautlosigkeit hängt, wird's nicht allzu laut zugehn.

Nicht, dass das häufig wäre in deinem Text. Aber bis auf solche Sachen ist dieses Kleinod wirklich eine ausgesprochen runde Sache, drum sag ich's trotzdem.

Ab dem Absatz mit den dunklen Mächten wär's mir fast eine Spur zu pathetisch,düster-dumpf bedeutungsschwanger geworden, was im krassen Widerspruch stände zu den klaren Schilderungen zu Beginn, aber durch die Auflösung mit der Spinne wird auch dieser Teil genial.

Sehr überzeugend!

lg
sohal
 



 
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