Hallo Hans,
ich freue mich besonders, dass du dich mit meinem Text auseinandergesetzt hast, zumal du eine gewisse Mitverantwortung dafür trägst. Ja
, denn dein großartig zu lesender
Leser hat mich inspiriert, zumindest, was die Grundidee (Ich=Du?) angeht.
Zu deinen Anmerkungen (wobei sich sicher einiges schon im Dialog mit Lord Nelson erklärt):
Es ist natürlich so, dass das Spiegelmotiv immer wieder gern genommen wird, aber eben immer in anderen Zusammenhängen. Jimi Hendrix sah nur sich im Spiegel; durch das Zerschlagen machte er den Blick auf die ganze Welt frei und konnte sich dadurch auf sein Ziel konzentrieren: "I am searching for my love to be". Das ICH in meinen Text sieht sich nicht im Spiegel, nur die Kontur, den Schein von sich selbst, mit dem es sich nicht identifizieren kann. Solange der Schein gewahrt bleibt, kann das ICH sich aber nicht von dem DU befreien. Da das ICH (Gefühle, Seele, Bewusstsein) eben nicht gespiegelt wird, habe ich als Titel "Dein Bild im Spiegel" gewählt.
Hinter Schneewittchens Kristall verbirgt sich der gläserne Sarg, in dem Schneewittchen (ICH, Gefühle, ...) scheintot gebannt ist. Ich finde schon, das Bild sieht aus, wie eingemeißelt, weil Schneewittchen ja unter der Scheibe liegt. Und das Ganze ist nur passiert, weil die Stiefmutter ihre Eitelkeit durch Befragung des Spiegels (Konventionen, Zwänge, ...) befriedigt hat.
Den Begriff
synergetische Einheit fand ich ganz passend, da ein gleißender Lichtschein auf einem Spiegel das Bild etwas verschwommen aussehen lässt (ähnlich wie eine Fatamorgana); das Bild wirkt zusammen mit dem Licht, verschmilzt zu einer Einheit. Der Betrachter ist geblendet. Und
Synergie ist ja auch nicht wirklich ein Modewort, inzwischen schon eher üblicher Sprachgebrauch. Aber um ehrlich zu sein, habe ich darüber auch nicht nachgedacht, auch nicht woher das Wort kommt (altgriechisch oder nicht), sondern nur wohin es führt. Das Zusammenspiel der Zeilen in der Strophe ist dieses: Das DU treibt den schönen Schein an die Spitze (Zenit), das Bild geht immer mehr unter darin, verschmilzt mit dem Schein, das ICH ist in dieser verschwommenen Scheinwelt (Fatamorganas Kristall) gefangen und geblendet von der Eitelkeit.
Ja, die Inkonzinnität, der nicht wechselnde Begriff des Kristalls, ist Absicht, da das Thema immer dasselbe ist, die Beleuchtung/Bildschärfe sich aber ändert/entwickelt und damit den Kristall anders wirken lässt; daher das wechselnde, an die Lichtverhältnisse angepasste Genitivattribut, was letztlich auch den Interpretationsspielraum erweitert.
Katarakts Kristall ist der trübe Kristall im Schein der Dämmerung. (Katarakt = Linsentrübung, den Wasserfall meinte ich nicht) Daher auch "Ich bin betrübt." Das ICH wird in der Dunkelheit, wenn der Schein nicht mehr wirken kann, das Bild (DU) nicht mehr sichtbar ist, der Spiegel verhüllt ist vom Schrein, endlich frei, das bewusste ICH kommt zum Vorschein, die inneren Werte entfalten sich, was den Spiegel sinnbildlich in unzählige Kristallsplitter zerspringen lässt.
…das waren so meine Gedanken, als ich schieb.
Liebe Grüße
Helga