Der Geburtstagsbesuch

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Maribu

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Der Geburtstagsbesuch

Es war kurz nach zehn Uhr als es klingelte.
So früh erwartete sie noch niemanden. Die Nachbarn hatte sie nachmittags zum Kaffee eingeladen. Ihre Tochter und ihr Schwiegersohn waren beide berufstätig und hatten sich erst für den frühen Abend angekündigt.
Vorsichtshalber löste sie nicht die Kette und blickte durch den Türspalt auf einen Mann im Rentenalter, den sie nicht kannte.
"Mein Name ist Burmeister. Sie müssen keine Angst haben, Frau Heitmann!" Er lachte. "Ich bin aus dem Kirchenvorstand und soll Ihnen noch persönlich alles Gute wünschen."
Sie ließ ihn herein und ging mit ihm ins Wohnzimmer, wo sie ihm den Sessel anbot und sagte: "Ich gehe kurz in die Küche und werde Kaffee aufbrühen."
Es ist ein typischer "Alte-Leute-Haushalt", stellte er fest. Die Couchgarnitur war bestimmt noch die zweite ihres Lebens. Der rote Veloursstoff war ausgeblichen und ziemlich abgewetzt. Die Polsterung des Sessels derart ausgeleiert, dass er Schwierigkeiten hatte, wieder hochzukommen. Ein wuchtiger Schrank in dunkler Eiche mit Vitrinenteil nahm die hintere Zimmerwand ein. In der Mitte des unteren Teils war eine Nische ausgefüllt mit Büchern. Einige Klassiker mit Lederrücken, getrennt durch Duden und Bibel, von Hartcover- und Taschenbüchern. Die Heilige Schrift stand ausgerechnet neben
"Fifty Shades of Grey"!
Vor den Büchern waren vier eingerahmte Fotografien platziert.
Ein Junge in verschiedenen Altersstufen vom Säugling bis ungefähr zum zehnten Lebensjahr.
Als sie mit einem Tablett zurückkam, versank er wieder im Sessel und sagte: "Das ist bestimmt Ihr Enkel!"
Frau Heitmann winkte nur ab, als wollte sie sagen: 'Erwähnen Sie ihn nicht!' Schweigend schenkte sie Kaffee ein und schob den Teller mit den Keksen an seine Seite.
Er fühlte sich verpflichtet zu sagen: "Das wäre nicht nötig gewesen! Ich wollte ja nur noch im Namen der Gemeinde persönlich gratulieren."
"Ja, das ist eine nette Geste, Herr Burmeister, aber wenn ich ehrlich bin, vermisse ich den Blumenstrauß!"
Er tat etwas verlegen. "Ja, das stimmt! Unserer Gemeinde geht es finanziell schlecht. Gerade unser Bezirk hatte letztes Jahr wieder sehr viele Kirchenaustritte. Deshalb beschränken wir uns auf die Anzeige in unserem monatlichen Gemeindebrief. Normalerweise nur für runde Geburtstage." Und jetzt schmunzelnd: "Bei Ihnen haben wir eine Ausnahme gemacht. Der fünfundsiebzigste ist natürlich auch ein besonderer!"
"Ja, da haben Sie recht! Mein Mann ist vor sechs Jahren, kurz vor seinem 69. Geburtstag, gestorben. Ich kam vom Einkaufen. Der Sessel, in dem Sie sitzen, war sein Platz. Er saß da wie immer, die Zigarre halb herunter geglimmt noch im Mund, und bewegte sich nicht. Im Fernsehen lief gerade eine Kochsendung." Sie machte eine kurze Pause. "Tödlicher Herzinfarkt, obwohl er nie über Herzbeschwerden geklagt hat."
Das ist die Konsequenz, wenn man die Polsterung durchsitzt und vor Langeweile eine Zigarre nach der anderen qualmt, dachte er und antwortete: "Eigentlich ein schöner, friedlicher Tod ohne langes Leiden, aber für Sie sicherlich erst mal ein Schock!"
"Ja, aber meine Tochter und mein Schwiegersohn haben mich aufgefangen und wieder aufgebaut."
"Die kommen doch bestimmt mit Ihrem Enkelkind heute noch zu Besuch."
"Ohne Enkelkind!", antwortete sie energisch."Von dem habe ich gestern eine Ansichtskarte mit Geburtstagsgruß aus Freiburg bekommen."
Herr Burmeister lachte. "Da fehlen dann die Anschluss-Fotografien auf Ihrem Schrank."
Sie winkte wieder ab. "Seit über einem Jahr hat er mich nicht besucht. Als er vor drei Monaten bei seinen Eltern war, hatte er angeblich keine Zeit. Er musste unbedingt Klassenkameraden wiedertreffen."
"Was macht er in Freiburg?"
"Er studiert Wirtschaftsinformatik."
"Wenn er damit durch ist, wird er auch wieder Zeit für seine Oma haben", tröstete Herr Burmeister.
Er trank seine Tasse leer und sagte: "Ich will Sie nicht länger aufhalten. Vielleicht kommt gleich der nächste Besuch."
Sie standen auf. Frau Heitmann nahm aus einem Schrankfach eine Zigarrenkiste, die mit einem roten Einweckgummi beringt war, und drückte sie Herrn Burmeister in die Hand. "Jede Woche habe ich da zwei Euro für ihn reingelegt. Es müssen inzwischen über einhundert sein. Wenn er nicht kommt, hat er sie auch nicht verdient! Nehmen Sie sie mit, wo es unserer Kirchengemeinde so schlecht geht."
Er verzog das Gesicht. "Es tut mir leid, dass ich da unbewusst einen wunden Punkt getroffen habe! Ich kann das Geld, das für Ihren Enkelsohn gedacht war, eigentlich nicht annehmen!"
"Doch! Betrachten Sie es als Spende für einen sozialen Zweck!"
Er klemmte sich die Kiste unter den Arm und gab ihr die Hand.
"Auf Wiedersehen und vielen Dank!"
Als er draußen war, musste er schmunzeln. Trotz Sympathie und Mitgefühl für Frau Heitmann hatte er keine Gewissensbisse. Wegen seines kleinen Einkommens konnte er das Geld gut gebrauchen. Sie sprach ja selbst von einem sozialen Zweck!
Morgen oder Übermorgen - er musste im Gemeindebrief noch mal nachschlagen - stand ein 80igster Geburtstag an. Vielleicht könnte er auch dort mit der Mitleidsmasche der verarmten Gemeinde seine Rente "aufstocken"?! Übermütig schüttelte er die Kiste und genoss das Geräusch der scheppernden Münzen.
 

Carmen Engel

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Hallo Maribu,

habe mit Interesse Deine KG gelesen. Solche Maschen werden ja leider immer wieder abgezogen. Das Thema finde ich daher gut gewählt.
Für die Umsetzung hätte ich mir noch ein bisschen mehr Biss gewünscht.
Lass die alte Dame doch noch verbitterter sein. Das verschärft den Konflikt.
z.B. hier:
"Ohne Enkelkind!", antwortete sie energisch.
Wie wär´s mit "schnaubte sie"?

Oder auch so:
Sie winkte wieder ab. "Seit über einem Jahr hat er mich nicht besucht.

Ihr Zeigefinder fuhr in die Luft. "Seit über einem Jahr hat er mich nicht besucht."

Abgesehen davon machst Du nach dem Anfang einen Perspektivwechsel, der mich verwirrt hat. Zuerst erzählst Du aus der Perspektive der alten Dame. Dann wechselst Du in die von Herrn Burmeister und bleibst den Text über bei seiner. Da solltest Du Dich für eine Perspektive entscheiden und diese konsequent den ganzen Text umsetzen.

Viele Grüße
Carmen
 

Blumenberg

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Hallo Maribu,

ich habe deine Geschichte gelesen und hätte ein paar Anmerkungen. Zunächst teile ich die Einschätzung meiner Vorrednerin, was den Perspektivwechsel betrifft, den würde ich ebenfalls weglassen.

Daneben sind mir ein paar sprachliche Kleinigkeiten aufgefallen, die ich persönlich anders machen würde. Vielleicht helfen die Hinweise ja ein wenig weiter.

"Es ist ein typischer "Alte-Leute-Haushalt", stellte er fest."

Ich an dieser Stelle nicht so sehr erzählen, lass es doch den Leser selbst festellen, dazu reicht die Beschreibung des Zimmers völlig aus.. Mein Vorschlag. "Er sah sich im Zimmer um, ein typischer Alte-Leut-Haushalt...usw.

"Tödlicher Herzinfarkt, obwohl er nie über Herzbeschwerden geklagt hat."

Hier würde ich das tödlich streichen, da ja vorher schon klar ist, dass der Mann gestorben ist.

"Vielleicht kommt gleich der nächste Besuch."

Warum vielleicht? Passt hier Wahrscheinlich als Vermutung nicht besser?

"sozialen Zweck!"

Die umgangssprachlichere Redewendung heißt eher guter Zweck oder?

Die Wendung am Schluss finde ich ganz nett und ein bisschen böse. Was mich zu Beginn etwas stört ist die Fifty Shades of Grey Erwähnung, die dient in meinen Augen nicht wirklich einem Zweck in der Geschichte. Zum einen ist das schon zu häufig benutzt um ein bisschen Peinlichkeit zu streuen. Außerdem ist das in meinen Augen auch kein Buch was sich dazu besonders gut eignet. Im prüden Amerika war das vielleicht ein Schocker, hier hat es lediglich den Verkauf von Kabelbindern im Baumarkt angekurbelt, ohne zu schockieren.

Beste Grüße

Blumenberg
 

Maribu

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Hallo Carmen,

danke für Deinen Kommentar!
Ja, das mit der "Verschärfung" ist Geschmackssache; für mich war die alte Dame nicht so verbittert, sie sah es nur realistisch.

Was die Perspektive angeht, meine ich, es als "Erzähler"
herübergebracht zu haben, der die beiden in einen Dialog bringt.

Lieben Gruß
Maribu (der)
 

Maribu

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Hallo Blumenberg,

auch Dir vielen Dank für die Kritik!

Wegen des "Perspektivwechsels" habe ich ja schon Carmen
geantwortet. Der setzt gerade dadurch ein, dass er das feststellt:
"Es ist ein typischer 'Alte-Leute-Haushalt' Danach erfolgt dann die Begründung.
"Tödlicher Herzinfarkt" ist direkte Rede; in der man alles sagen darf!
'Sozialer Zweck' passt in diesem Fall, weil die alte Dame an Kindergarten, Altenbetreuung oder an einen Basar gedacht hat.

'Fifty Shades of Grey' neben der Bibel würde mir persönlich ein wenig makaber vorkommen.

Lieben Gruß
Maribu
 

Blumenberg

Mitglied
Hallo Maribu,

dass die Nebeneinanderstellung der Bibel und Fifty Schades of Grey etwas, wie du schreibst, makabres hat, sei dir zugestanden. Meine Kritik zielte, das ist vielleicht etwas untergegangen, auch eher darauf, dass du diese Nebeneinanderstellung prominent vornimmst, sie aber innerhalb deines Textes überhaupt keine Funktion erfüllt. Du erzählst das einfach und dann gehts mit etwas anderen weiter.
Verständlich wäre die Erwähnung, wenn sie für die Geschichte irgendeine Rolle spielen würde, wie zum Beispiel das dies alten Dame auffällt und sie dem Mann das Geld gibt, weil sie will, dass er möglichst schnell wieder geht...oder das der vermeintliche Kirchenangestelltes, die Beobachtung zur Ablenkung einsetzt, da die alte Dame ihm eine unangenehme Frage gestellt hat oder Misstrauen gegenüber seiner Person erkennen lässt. Aber einfach so in den Raum gestellt halte ich sie für ziemlich überflüssig und auch nicht zur Geschichte passend.

Beste Grüße

Blumenberg
 

Maribu

Mitglied
Hallo Blumenberg,
danke, dass du noch einmal darauf zurückgekommen bist!

Ja, was soll ich dazu sagen? Dass ist deine Meinung und die werde ich akzeptieren.

Lieben Gruß
Maribu
 



 
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