Der Geduldsfaden

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Anonym

Gast
Du kannst eine Geschichte erzählen, die sich tagtäglich zuträgt oder du kannst eine Geschichte erzählen, die sich nicht tagtäglich zuträgt. Woher du aber die Annahmen nimmst, welche der Geschichten tagtäglicher Natur sind und welche Geschichten es nicht sind, das überlässt das Leben dir. Oder sagen wir es genauer. Es ist deine Sicht der Dinge, wie du das Leben in seinem tagtäglichen Fluss interpretierst. Du kannst Geschichten, die den Charakter von Alltäglichkeit tragen, ausblenden, indem du dir suggerierst, es gäbe solche Tage nicht. Oder du nimmst es einfach hin, dass es die Alltäglichkeit genauso wie das Besondere gibt und lässt dich darauf ein, was letztlich hervorbricht.

Das Kino war überfüllt, deswegen schickte mich die Kassenfrau mit einem Hinweis der kommenden Aufführungen fort. Dabei hatte sie eine lächelnde Miene aufgezogen, die mich glauben lassen sollte, was sie sagte.

Als ich ein paar Schritte gegangen war, glaubte ich ihr kein Wort mehr. Doch inzwischen hatte sich die Traube um das Kassenschalterloch vor der Frau so weit verdichtet, dass es mir unmöglich geworden war, ihr meinen Unglauben zum Ausdruck zu bringen. Stattdessen schimpfte ich sie in Gedanken eine Lügnerin, was mir sehr gut tat, denn es war die einzige Wahrheit, die ich hier gelten lassen konnte. Auf offener Straße hatte man mich zurückgewiesen, obwohl ich gemeint hatte, dass diese weltliche Niedertracht mir gegenüber sein Ende gefunden hatte. Doch in Form dieser Frau hatte alles wiederum seinen Anfang genommen und in mir stieg die Wut auf.

Sie hatte dieses Lächeln dazu benutzt, mich ruhig zu stellen, denn sicherlich hatte sie vermutet, dass ich einer dieser Rebellen war, die sich nichts bieten ließen. Diese Frau hatte den Auftrag, sich meinen Wünschen zu widersetzen wie es auch in anderen Situationen meines Lebens eingetreten war. Statt Biologie studierte ich das Fach der Geologie - man hatte mich bereits in der Schulzeit darin bestärkt, der Käfergeschichte endlich abzuschwören, denn ich hatte vergessen, wie es war, allein zu sein. Meine Zimmerwände füllten selbstgebaute Holzkästchen, in denen sich in verschiedenen Größen die Kartoffelkäfer von zehn Sommern aneinanderreihten. Als man mir jedoch meine einseitige Beschäftigung antrug, begann ich das Zweifeln, bis mich schließlich das Gelächter der anderen in die leblose Welt der Steine führte.

Ich deutete die Absage der Frau am Kinoschalter als Angriff und beschwerte mich mittels eines eingeschriebenen Briefes zwei Tage darauf. Tagein und tagaus hatte ich morgens am Fenster gestanden, um dem Briefboten dabei zuzusehen, ob er an meinem Hause Halt machte oder aber weiterfuhr. Letzteres trug sich nun seit mehr als vier Wochen zu und ich musste annehmen, dass mir eine Antwort versagt bleibt. In schlaflosen Nächten widerfuhr mir nicht selten der Gedanke, dass ich mich in der Anschrift geirrt hatte, obwohl ich mehrmals vor der Absendung meines Schreibens an jenem Kino vorbeigelaufen war, um zu prüfen, in welcher Straße und mit welcher Hausnummer das Kino verzeichnet war.

Dass man mir keine Antwort hatte zukommen lassen, wertete ich schließlich nach langer Zeit des Wartens als erneuten Angriff auf meine Person. Eine Person, die sich zur Wehr setzte, denn ich war mir einfach sicher gewesen, dass man hätte eine Lösung des Problems herbeiführen können an jenem Abend, als man mich fortschickte. Noch viel immenser beschäftigte mich die Tatsache der Täuschung, die mir zuteil wurde, als die Frau am Schalter mich lächelnd nach Hause geschickt hatte.

Ich war schließlich nicht ohne Grund an diesem Tage zum Kino gelaufen. Nicht umsonst hatte ich mich willentlich für einen Kinobesuch entschieden. Doch nichts anderes war geschehen, als dass man meinen Willen anzweifelte und mich nicht zuletzt meiner Vorstellungen beraubte, der des Kinos als auch der meines Innersten.

Ich schreibe an einem zweiten Brief, den ich persönlich vortragen werde. Er wird jene Ungerechtigkeit zum Erliegen bringen, die ich keinem Menschen dieser Welt zumuten würde. Ich feile an den Worten und ich feile an der Aufmachung meines Anliegens, denn eines ist gewiss. Man wird mich erhören, daran besteht kein Zweifel.

Du kannst eine Geschichte erzählen, die zweifellos an der Realität vorbeigeht. Du kannst eine Geschichte erzählen, die zweifellos die Realität widerspiegelt. Die Deutung von Fakten überlasse nicht dem Zufall.
 
D

Denschie

Gast
hallo a.,
irgendwie hatte ich mir nach dem vorwort mehr
erhofft. tut mir leid, aber es ist nicht
ansatzweise spannend, wenn auch flüssig erzählt.
vielleicht zu hoch für mich.
lg, denschie
 

Anonym

Gast
Hoi Denschie,

was letztlich bleibt, ist ganz dem Leser überlassen.

Danke Dir fürs Lesen.

PS.: Im Übrigen fällst Du mir hier in der Leselupe auf. In positiver Weise, weil hindurchschimmert, dass Du ehrlich bist. Das freut und ist von Bedeutung.
 
D

Denschie

Gast
hey a., ich meinte das "vielleicht zu hoch für
mich" auch ernsthaft und nicht als floskel.
tatsächlich könnte ich mir vorstellen, dass dein
text assoziationen auslöst, für die mir gerade
das nötige wissen fehlt.

danke für dein nettes p.s.!

vg, denschie
 
G

Gelöschtes Mitglied 4259

Gast
Sehr schöner Text! Vom Grundgestus her natürlich Kafka. Aber trotzdem kein Plagiat.

LG

P.
 



 
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