Der Maurer

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Hallo Trunzun,

In fünf Duetten - zehn (kurzen!) Versen - etwas rüberzubringen, ist, denke ich, nicht einfach. Da müssen schon prägnante Wörter her, von denen möglichst viele ein Fenster zu einer Szene öffnen vor dem geistigen Auge des Lesers.

Aber schon nach dem ersten Durchlesen schien es mir wie eine Szene aus einem Krimi zu sein. Der Erzähler hebt nicht etwa einen kleinen Graben aus, sondern ein kleines Grab. Was zunächst als Grausamkeit interpretiert wird, entpuppt sich in Vers 10 als Schwäche, begründet in der Fehlannahme, die geschlagenen (seelischen) Wunden könnten ausschließlich durch ein weiteres Verbrechen geschlossen werden. Es ist dieselbe Einstellung, die in der Legitimierung der Todesstrafe ihren Ausdruck findet (wie du mir..., so ich dir... - aber doppelt und dreifach!)

Mit Ausnahme der ersten beiden Verse ist der gesamte Text eine "Ansprache" an die zu bestrafende Person, die von Abscheu, Kaltblütigkeit (einzementieren anstatt einfach nur zu verscharren), aber auch seelischem Schmerz zeugt. Negation ist oft vertreten durch Wörter wie "nur", "Keiner", "keinen".

"Nur der Tod schließt meine Wunden" ist der einzige Vers, der auf ein schlimmes Verbrechen anspielt, was sich auch in der Heftigkeit der Ansprache darstellt. Ansonsten kann der Leser die Wut und den Schmerz nicht nachvollziehen und keine wirkliche "Sympathie" für den Erzähler entwickeln, denn er kennt ihn nicht.

Ein Beispiel Sol Steins (Guru des "Creative Writing"):
"Harry springt von der Brücke" - niemand interessiert's.
Aber:
"Harry Belafonte springt von der Brücke" - das bewegt den Leser, da er den Sänger kennt.

Er möchte mehr über den Fall wissen, nicht nur über den Racheakt. Ansonsten ist der Text etwas, das nicht wirklich gefangennimmt, was eine Grundvoraussetzung für einen guten Text ist.

Der Erzähler (oder das Opfer) führt dem Opfer (oder dem Täter) ausführlich vor Augen, was ihn erwartet. Das erreichst du mit Worten, die für extreme Erfahrungen stehen: (Lebendig) "eingemauert", "ersticken", "Weinen", "Tod". Dabei führt ihn sein Rachegefühl zu Feststellungen, die nicht stimmen:
"...interessiert hier wirklich keinen." Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Passant, der nichts über den Fall weiß, einem dumpfen Rufen und Weinen nicht neugierig nachgehen würde. Wenn ein Mann auf dem Bahnsteig angegriffen wird, greift keiner ein. Schließlich ist man in der Öffentlichkeit und könnte zur Zielscheibe werden (der Täter, der Medien, des Papierkrams). Aber abseits - mit Neugierde...?

Man sagt, Autoren dürften über die Feinheiten menschlicher Abgründe schreiben, auch aus der Sicht von abscheulichen Meuchelmördern. Denn es sei ja lediglich Fiktion.

Ich persönlich halte das für gefährlich, denn es ist Nahrung für Gedanken. Genauso wie der alltägliche Krimi - in der Literatur wie im Fernsehen. Der Tod ist auf einmal nichts Schlimmes mehr, nur noch ein Element in der Handlung. Wo sind die Trauernden, wo ist der Schmerz der Angehörigen des Opfers, oder auch des hingerichteten Täters?

Gewalt erzeugt Gegengewalt.
Und Liebe erzeugt Liebe.
Blutrache ist Schwäche.
Gnade ungeheure Stärke.

Sind wir nun böse, wenn wir Böses tun
oder tun wir Böses, weil wir böse sind?

Was du geschrieben hast, beschreibt ein Problem, das den Menschen seit Anbeginn seiner Existenz stets begleitet hat. Angefangen bei Kain und Abel über die alten Kulturen, die Neuzeit bis in unsere "Zukunft" hinein. Totschlag scheint so etwas wie ein menschliches Grundbedürfnis zu sein (zumindest in geheimen Gedanken).

Ich finde, du hast das nachvollziehbar rübergebracht!

Liebe Grüße
Markus


P.S. Ich schick dir mal ein Vampirgedicht von ähnlicher Gesinnung
 



 
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