Der Sarg aus Nerz

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Anonym

Gast
„Ich will einen Sarg aus Nerz.“ sagte er und stieß eine Rauchwolke in die Luft.
„Aus Nerz?“
Die Rauchwolke blieb im Raum stehen. „Ja, aus Nerz.“ Er zog an seiner Zigarette. Sein linker Arm hing lässig herunter, mit der rechten Hand malte er sich ein Bild in die Luft. „Und die Hülle aus Porzellan.“
„Nerz ist aber sehr teuer.“ gab Friedrich zu bedenken.
Ohne Friedrich anzusehen entgegnete der Mann, gerade im Studentenalter: „Das ist egal. Das heißt, das macht es noch besser.“ Erneut zog er an seiner Kippe. Die grauen Schleier erhoben sich, krochen an der Decke entlang. „Wenigstens mein Tod soll was kosten.“
Friedrich schwieg. Er löste seinen Blick von seinem Freund, kickte eine leere Weißblechdose, die in der Mitte einen Knick hatte, durch das Zimmer. Sie knallte an den Heizkörper und fiel auf den Teppichboden.
"Aber die Tiere? Tun sie dir nicht leid?" fragte Friedrich vorsichtig.
Morris Augen wurden zu Schlitzen, in seinem Blick mischten sich Zynismus und Freude. Er winkte ab. "Ich will nicht alleine sterben." Zudem gefiel ihm die Vorstellung, seine Verwandten müssten nach seinem Tod die Geldbeutel leeren. „Wenigstens mein Tod soll was kosten...“ sagte er mehr für sich selbst.

Friedrich konnte den Zustand seines Freundes nicht einordnen, was ihn unsicher machte. Nahm Morris ihn wahr?
Friedrich räusperte sich. Gerade wollte er vorschlagen sich die Beine zu vertreten, an die frische Luft zu gehen – er ging davon aus, dass Morris seit Tagen nicht mehr vor der Tür war. Er wirkte blaß und sein Kühlschrank war leer. Sicher hatte er seit einigen Tagen nichts gegessen.
Außerdem hatte Friedrich beim Hochkommen den überfüllten Briefkasten gesehen – warum hatte er ihn nicht geleert? Er war nicht abgeschlossen...
Er setze gerade an, etwas zu sagen, da raunte Morris: „Kurz bevor ich sterbe, bestelle ich den Sarg. Natürlich den teuersten!“ Wieder sah er Friedrich dabei nicht an. „Somit wäre auch die Qual der Wahl behoben.“ Er zog an seiner Zigarette. „Hauptsache er ist teuer. Und aus Nerz.“ Er hustete den Qualm aus.
Friedrich räusperte sich erneut. „Sollen wir etwas an die frische Luft?“ fragte er. Er wollte sicher und bestimmt klingen, musste sich jedoch eingestehen, dass seine dünne Stimme nicht sehr überzeugend klang. Er fühlte sich wie bei seinem ersten Referat, das er in der sechsten Klasse vor seinen zweiundzwanzig Mitschülern halten musste: Unsicher, angespannt, nervös und auf eine gewisse Weise leer.
Sein trockener Hals hinderte ihn jedoch, die Gedanken weiter zu führen. Wieder räusperte er sich.

Verwirrt sah Morris ihn an. So hatte er seinen Freund noch nie angeguckt. Seine Lippen lächelten nicht, in einen Augen lag keine Freundlichkeit, aber es war auch keine Furcht, Wut oder gar Hass der sie erfüllte. Friedrich spürte eine Gänsehaut über seinen Rücken kriechen.
„Was hast du gesagt?“ fragte Morris – seine Augen schimmerten, eine für Friedrich durchsichtige Schleimhaut hatte sie überzogen, doch Morris schien nichts zu sehen. Wie ein Blinder, sah er Friedrich an.
„Ich dachte, es wäre gut, mal raus zu gehen.“
Morris wandte sein Blick ab und zog an seiner Zigarette. Gleich würde er sie in seinem Glasaschenbecher ausdrücken. „Es wäre gut, raus zu gehen...“ wiederholte er Friedrichs Worte in einem Ton der ausdrückte, dass er Friedrichs Vorschlag lächerlich fand. Dabei stieß er graue Wolken in den Raum.

Angst um Morris, Wut und Unsicherheit nahmen mehr und mehr Besitz von Friedrich. Was war aus seinem Freund, aus seinem besten Freund, geworden? Wo war die Leichtigkeit, der Humor, die Vertrautheit geblieben?
Friedrich hatte in Morris immer einen elf- oder zwölfjährigen Jungen gesehen, der nichts als Blödsinn und Albereien im Kopf hatte. Mit ihm hatte er sich zwanzig Jahre jünger gefühlt. Was hatten sie schon zusammen durchgemacht und erlebt...?
Aber jetzt?
Ein weißer Schleier zog über das Gesicht des hageren Mannes. Die Kleider waren verrutscht, die Arme und Hände hingen so schlapp hinunter – es hätte die Hand eines Toten sein können.
Friedrich erschrak bei diesem Gedanken.
„Ich mach dir nen Vorschlag.“ riss Morris Friedrich aus seinen Gedanken. Die letzte Zigarette lag ausgedrückt im Aschenbecher, eine neue fischte er gerade aus seiner Jackentasche, die um die Lehne des schwarzen Ledersessels in dem er saß gehängt war. Zum ersten Mal seit seinem Besuch hatte Friedrich den Eindruck, Morris sähe ihn wirklich an. „Wir gehen zusammen raus...“
„Ja, los! Sag ich schon die ganze Zeit. Komm!“
Doch Friedrich merkte, dass Morris noch nicht fertig war. Unbewegt saß er in seinem Sessel. Die Zigarette angezündet hing er an: „und besorgen uns was.“ Er kniff die Augen zusammen, grinste.
„Hast du denn Geld?“
Morris grinste triumphierend, nickte. „Ich hab was für Notfälle gespart.“
„Ist das denn ein Notfall?“ Seine Stimme klang ruhig. Morris antwortete nicht. Er stand auf und schlurfte in den Flur. Es war dunkel, er hatte die Glühbirnen aus den Lampen genommen. Ich fragte nicht danach.

Es war dunkel draußen. Und kalt. Friedrich zog seine Ärmel über die Hände und seine Schultern an den Kopf. Morris führte Friedrich zum Bahnhof. Er mochte die „Heimat der Heimatlosen“, wie er ihn immer nannte. Hier fühlte er sich wohl.
Sie stiegen die Treppen hinab und liefen unter den Gleisen entlang. Es stank nach Pisse. Alte Männer saßen an den Fließwänden soffen, schliefen, sangen und stritten sich. Eine leere Flasche rollte über den glatten Boden.
Vor dem Bahnhofsklo machte Morris Halt. „Warte hier.“ sagte er zu Friedrich und verschwand, ohne eine Antwort abzuwarten, hinter der roten Tür.
Friedrich lehnte sich an die Fließenwand und starrte an die Decke.
Er wartete.

Es knallte. Ein Schuss.
Friedrichs Herz schlug schnell. Seine Hand zitterte.
Er sah nach rechts und links. Außer den alten Säufern war niemand zu sehen.
Friedrich lief los, in gemäßigtem Schritt, so wie er mit Morris gekommen war. Er verließ den Bahnhof und übergab sich über einem Mülleimer am Busbahnhof.
 

george

Mitglied
Klassetext.

Eine Kleinigkeit. Kannst du den folgenden Satz noch umstellen? Der Relativsatz bezieht sich in der jetzigen Form auf das Zimmer, du meinst mit Sicherheit, dass die Dose einen Knick hat ..

"kickte eine leere Weißblechdose durch das Zimmer, die in der Mitte einen Knick hatte. "

Zum Beispiel:

"kickte eine leere Weißblechdose, die einen Knick ..., durch das Zimmer."

Grüße
Jürgen
 

Anonym

Gast
Vielen Dank für deine Antwort und dein Lob!

Habe den Satz umgestellt.
 

Inu

Mitglied
Der Titel hat mich gereizt. Und die Geschichte hat mich nicht enttäuscht. Berührend in der schnörkellosen Art, wie Du erzählst.

LG
Inu
 
M

Melusine

Gast
Reizvoll, aber schlampig. A., falls du noch daran interessiert bist (ist ja ein älterer Text) - ich würde an deiner Stelle noch mal gründlich drübergehen.

Im Übrigen nicht so ganz mein Geschmack; erinnert mich zu sehr an "Fin de siècle" (Schnitzler, Hofmannsthal etc.) .

LG Mel
 
S

Seelenblume

Gast
Mir gefällt der Text. Spannend aufgebaut, nicht zu platt, wirft eine Menge Fragen auf, was den Hintergrund der beiden angeht... plastisch- das fällt mir noch dazu ein.
See.
 
G

Gelöschtes Mitglied 4259

Gast
Ich schließe mich Mel. an: großer, großer Bedarf an Überarbeitung...
Das Milieu selber scheint der Autor mehr aus einem Roman zu kennen. Ich sage jetzt allerdings nicht, an welchen ich denke und wie ich diesen einschätze.

P.
 



 
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