Der Schusterhammer - aus der Sicht eines Mordwerkzeugs

emaku

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Der Schusterhammer – Aus der Sicht eines Mordwerkzeugs

Ich bin ein Hammer . Ich war der Hammer des Schusters, der Schusterhammer meines Meisters, des Schustermeisters Anton Trost, der mit dem großen Herzen und der breiten Schulter für die Kümmernisse aller, die ihn ständig für sich in Anspruch nahmen, sich bei ihm ausheulten, ihm ungefragt ihre ach so furchtbaren Leiden berichteten, immerfort seine Zeit stahlen, so, dass er oft nachts noch arbeiten musste, und ihn obendrein noch anpumpten. Er gab ihnen alles, was sie verlangten, seine Zeit, seine Kraft, sein Geld, eben alles... Frauen, Kundinnen aus der Nachbarschaft, die Ehemänner und Kinder der Kundinnen - es hatte sich herumgesprochen: Meister Trost kümmert sich um alle! Das war mir schon lange ein Dorn im Auge. Ich bekam ja meist alles mit. Ich war seine rechte Hand bzw. lag in seiner rechten Hand und hing dann oft untätig zwischen seinen Fingern herum, weil ihn mal wieder jemand von der Arbeit abhielt. Nachts galt es dann Akkordarbeit zu leisten, dann konnte es nicht schnell genug gehen. Mir machte das ja nichts aus, aber mein Meister würde das nicht mehr lange aushalten, dachte ich und befürchtete das Schlimmste: irgendwann würde er tot umfallen, einfach aufhören zu leben - und was wäre dann aus mir geworden? Meine besten Zeiten waren schon längst vorbei, ich hatte nur noch Liebhaberwert - insbesondere für Meister Trost. Wenn er nicht mehr sein würde, würde ich mit Sicherheit auf dem Schrott oder im Schmelzofen landen, falls mich der Hausmeister noch fachgerecht entsorgen sollte. All diese Vorstellungen entfachten Zorngefühle, ohnmächtige Wut bei mir. Aber was konnte ich tun, wie könnte sich dieses Schicksal abwenden lassen? Ich bin doch nur ein Werkzeug, ein wirksames, wenn man mich recht zu nutzen weiß und ein gefährliches dazu, wenn man Schlimmes mit mir im Schilde führen oder zumindest allzu unachtsam mit mir umgehen sollte. Aber es muss immer jemand da sein, der mich führt, leider - sonst hätte ich damals schon längst etwas unternommen.

Aber eines Tages geschah etwas unvermutetes, da spielte mir das Schicksal in die Hand - oder vielmehr, es bediente sich meiner, um das Blatt doch noch zu wenden...
Mein Meister saß wie jeden Tag auf seinem Schusterhocker in der Werkstatt. Er hatte mich gerade aus der Hand gelegt, um den fertig gearbeiteten Schuh in das Regal hinter seinem Arbeitsplatz zu stellen und bemerkte nicht, dass sich jemand an der Eingangstür zu schaffen machte. Noch war der Laden nicht geöffnet, es war früh am Morgen. Die Glocke war noch nicht im Betrieb. Und als der Eindringling es geschafft hatte, unbemerkt vom Meister in den Raum zu schlüpfen, hatte er mich auch schon erblickt, gepackt und hoch über des Meisters Kopf erhoben und ließ mich niedersausen, ein- , zwei- dreimal, bis Meister Trost zusammenbrach und blutüberströmt am Boden liegen blieb. Das alles ging so schnell, dass der Alte kaum die Gelegenheit hatte, einen Schrei auszustoßen. Ein kehliger Laut gurgelte nur schwach aus seinem Hals. Im nächsten Moment rann schon das Blut aus seinem Mund - und es war totenstill im Raum... Der Mörder verharrte für einen Moment ins seiner Haltung, scheinbar unschlüssig, was er als nächstes tun wollte. Dann besann er sich und schaute sich suchend um - also war er ein Dieb, ein Raubmörder? Was hoffte er nur, hier vorzufinden, welche verborgenen Schätze? Hatte der Meister Geheimnisse, sogar vor mir? Aber nein, der Mörder hatte nur einen Lappen gesucht, den nahm er von der Werkbank, um mich damit zu säubern, das Blut von meiner Spitze zu wischen. Gleich würde er mich vorsichtig wieder zurücklegen und alle restlichen Spuren hinter sich beseitigen? Wiederum nein! Er legte mich nicht zurück. Er zog eine Plastiktüte aus seiner Jackentasche, steckte mich hinein und - nahm mich mit! Wohin würde er mich bringen? So aufregend, wie dieser Tag begonnen hatte, schien er sich fortzusetzen - für mich. Des Meisters Tage waren beendet und mich hatte das Schicksal rasant aus meinem Alltagstrott gerissen. Aber meine Begeisterung hielt sich vorerst in Grenzen - noch wusste ich nicht, was aus mir werden würde, wohin mich des Meisters Mörder bringen wollte... Mit einem Ruck wurde ich plötzlich aus meinen Gedanken gerissen - ich flog in hohem Bogen mitsamt der Tüte durch die Luft, so etwas hatte ich noch nie erlebt! Aber ich bin kein leichtes Werkzeug. Die Erdanziehung beendete den Freiflug abrupt und bevor ich mich auf irgend etwas einstellen konnte, prallte ich auf - aber der Schlag war relativ sanft gewesen, und außerdem lag ich noch immer nicht am Boden - ich sank, jawohl - ich war im Wasser gelandet, in irgendeinem Gewässer und ich sank... und lande dann sanft auf dem Grund. Die Tüte hatte mich gleich freigegeben und nun lag ich dort unten am Grund dieses Gewässers, umgeben von trüber Brühe, durch die ich nichts mehr erkenne konnte... und im selben Moment wurde mir klar, was das bedeutete: der Mörder hatte mich weggeworfen, einfach entsorgt, an einem für Hämmer und erst recht für Schusterhämmer ganz und gar unüblichen Ort. Und ich wusste auch, was das bedeutete: Ich war zu jahrzehntelangem Nichtstun und Stillschweigen verdammt! Ich würde mir selbst beim Rost ansetzen zugucken und meine Abenteuerlust bitterlich bereuen. Aber hatte ich eine Möglichkeit gehabt, mein Schicksal zu wenden? Wie war das gewesen mit meiner Rolle als Mordwerkzeug - hatte ich mich nicht besonders schwer gemacht, und mich - unmerklich für den Mörder - in die beste Position gebracht, um mein bestes zu dieser Tat beizutragen? Hätte ich dem Mörder nicht entgleiten können - er war ja aufgeregt genug, vielleicht hätte es mich nur eine Kleinigkeit an Kraftaufwand gekostet, ihm sein Vorhaben zu erschweren oder gar zu verhindern? Würde ich die nächsten 50 Jahre darüber nachzudenken haben, wie große meine Mitschuld war? Aber ich hatte mehr Glück als Verstand. Es waren höchstens drei Tage vergangen, da erblickte ich wieder einen Menschen: es war ein Taucher, der mich fand und wieder an die Oberfläche brachte. Es war der Teich im Stadtpark, wie ich jetzt erkennen konnte. Der Mörder hatte mich wohl von der Fußgängerbrücke geworfen. Dort standen jetzt einige Männer und schienen sich zu freuen, mich zu sehen. "Jetzt haben wir ihn!" rief einer und ich dachte erst, sie meinen mich. Aber ihren Reden zufolge - sie hatten mich in einen Wagen verfrachtet und fuhren mit mir durch die Stadt - meinte sie wohl den Mörder, den sie bereits verdächtigten und in Untersuchungshaft genommen hatten. Von nun an ging es bergauf mit mir. Was jetzt auf mich zukam - in meinen wildesten Zukunftsvisionen hätte ich mir das kaum erträumen können! Ich lernte neue Schauplätze des Lebens kennen, die Menschen, Kommissariat, Labor, Gerichtssaal, Asservatenkammer nannten. Ich brauchte nicht mehr arbeiten und es war trotzdem nicht langweilig. Immer wieder andere Menschen nahmen mich vorsichtig zur Hand und begutachteten mich, untersuchten mich, schrieben Abhandlungen über mich - Ich war zum Mittelpunkt, zum Hauptbeweisstück eines Kriminalfalles geworden! Noch nie hatte ich so viel Aufmerksamkeit erregt und ich musste aufpassen, dass mir das nicht zu Kopfe stieg. Ich blieb ein wenig misstrauisch - irgendwann würde der Fall ja abgeschlossen, der Mörder verurteilt sein. Was würde dann aber mit mir geschehen?
Ja - meine Lieben, ihr seht, ich hätte mir keine Sorgen mehr machen brauchen, jetzt bin ich hier, einer von euch und wir gehören zu den wenigen Auserwählten unter Alltagsgegenständen, denen eine ganz außerordentliche Ehre zuteil wird: jeder von uns präsentiert einen ungewöhnlichen Fall der Kriminalgeschichte und in dieser Eigenschaft liege ich als Ausstellungsstück hinter dem Glas einer Vitrine und kann mich jeden Tag aufs Neue erfreuen über das Interesse, das mir die Besucher entgegenbringen. Ich bin mir dabei durchaus bewusst, dass es nicht meine Spezies an sich ist, die Aufmerksamkeit erregt - ich bin ja nach wie vor ein gewöhnlicher Schusterhammer - aber meine Geschichte, meine Rolle als Mordwerkzeug, die erhob mich über meine Art und bescherte mir dieses außergewöhnliche Schicksal...
"Jetzt mal halblang", knurrte die schwere Bronzestatue vom Sockel an der gegenüberliegenden Wand... "Ja, gib nicht so an", zischelte der perlmuttbesetzte Damenrevolver aus dem Waffenschrank in der Ecke und der Chor der Stiletts aus dem Nebenraum fiel ein "Angeber, Angeber!" Das Hackebeil neben ihm flüsterte im schließlich zu "Nimm dich lieber nicht so wichtig, weißt du, was wir anderen alle schon erlebt haben? Da würde dir hören und sehen vergehen! Erzähl mir lieber den Rest der Geschichte, hast du denn noch herausbekommen, warum der Schuster ermordet wurde?" Der Schusterhammer wurde kleinlaut und flüsterte zurück, so dass die anderen ihn nicht hören konnten: "Es war eigentlich nur ein Versehen, der Mörder hatte sich in der Adresse geirrt. Es geschah wohl aus Rache, ein blindwütiger Eifersüchtiger, der eigentlich den Inhaber des Nachbarladens, den Flickschneider Leichtfuß umnieten wollte - Pech gehabt, mein Meister. Und mich, sein Werkzeug, hat man dazu missbraucht!" Man hätte denken können, es klebe noch ein bisschen Blut an seiner scharfen Spitze, aber wir wissen es jetzt besser: Schämen tut er sich jetzt, endlich, dieser Schusterhammer!
 

Chinasky

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Hi emaku!
Die Story fängt sehr, sehr gut an. Die ersten Sätze erinnerten mich aus irgendeinem Grund, den ich nicht genauer erläutern kann, an die Geschichten E.T.A.Hoffmanns, vielleicht, weil ein Schusterhammer ja ein Werkzeug vergangener Tage ist... Der Schustermeister, der seine Arbeitstage mit Seelsorge verbringt und am Abend gegen die Uhr anhämmern muß, ist eine schöne Idee, man meint ihn aus irgendwelchen Märchen oder fantastischen Geschichten zu kennen und doch ist er neu. Leider hält der Inspirationsschwung der ersten zwei Absätze nach meinem Empfinden nicht an, spätestens nach dem Mord erscheint mir die Geschichte nur noch ausgeführt, ihr fehlt das Lebendige und Seltsame des Anfanges. Wie der Hammer da im Wasser liegt und sich seine Gedanken macht über seine rostige Zukunft – naja, genaugenommen interessiert mich das nicht, denn es ist schwer, sich mit einem Metallstück zu identifizieren. Das hätte stark gekürzt werden können, ebenso wie das Prozedere nach dem Auffinden.
Die mißgünstigen Kommentare der anderen Mordwerkzeuge sind nocheinmal eine wirklich gute und originelle Idee. Allerdings merkt der Leser an dieser Stelle, daß also die ganze Geschichte ein Bericht für Pistole & Co war – und überdenkt im Nachhinein, ob für so eine „Angeber-Geschichte“ das bislang Gelesene konsistent war. Dies scheint mir nicht so.

Störend wirken für mich – neben ein paar Tippfehlern – zwei, drei Zeit- und Perspektivwechsel, die den Lesefluß unterbrechen, und auch die nachgeschobene Erläuterung des Verwechslungsmordes braucht nicht zu sein. Ja sie zerstört sogar das Schicksalhafte des Mordes, verkleinert ihn sozusagen. Also keine Pointe, sondern überflüssiges Ausplaudern... Die Spannung ist doch ziemlich raus, ein Ende mit dem „Angeber!“, daß dem Hammer von einem anderen Mordwerkzeug zugeworfen wird, wäre wesentlich pointierter und offener/befremdlicher (im positiven Sinne) gewesen als der Satz mit dem Blut.
Vielleicht schreibst Du die Geschichte nochmal? Denn die Anfangsidee ist wirklich gut und originell!
 

emaku

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Hallo Chinaski!
Vielen Dank für Deine konstruktive Kritik! - Im Grunde habe ich das selbst schon "irgendwie" gespürt, dass der Text Mängel hat, in diesem Fall zu lang geraten ist bzw. über seine Längen an Qualität verloren hat. - Vielleicht habe ich auch einfach (noch) nicht den "langen Atem" für längere Texte... Wie auch immer,ich werde daran arbeiten, vielleicht auch diesen Text noch einmal verfassen. Nochmals Danke!!! - emaku -
 



 
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