Der Spenglersche Algebra Nihilator

Bam Lee

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Auf dem Weg vom Subway, einem kleinen Tanzschuppen im belgischen Viertel, in eine Privatwohnung, in die mich mein vor 2 Stunden neugewonnener Begleiter Marc führt, erzählt mir eben dieser Marc immer wieder, er würde niemals chemische Drogen nehmen. Er, ein szeniger Lockenkopf, der mir von Anfang an den Eindruck machte, es mit der Wahrheit nicht so genau zu nehmen, zum Teil, wie ich mir denke, einer Profilneurose wegen, erklärt mir, daß die Adresse, zu der er mich gerade führt, die einzige in diesem Viertel Kölns sei, an der man zu dieser frühen Stunde, es ist immerhin schon 7 Uhr morgens, noch, wie er es ausdrückt, einen Budenzauber veranstalten könne. Wir gehen, nachdem Marc so freundlich war, mir am Kiosk an der Zülpicher eine Flasche Blankenburger Mineralquelle auszugeben, die Straße entlang, als er mich auffordert stehenzubleiben. Wir seien angekommen, so Marc. Bis auf den sich im Hauseingang befindlichen Penner, kann ich noch keine Anzeichen eines vermeintlichen Budenzaubers in diesem Gebäude ausmachen, doch nachdem sich auf Marcs Klingeln hin die Haustüre öffnet, erhellt sich meine Stimmung. Ein junges Mädchen in knappem Outfit mit Pupillen wie Tellerminen öffnet die Türe und mustert uns mit einer Nervosität, die ich nur auf den Konsum einiger Lines zurückführen kann. Sie spricht davon, daß es üblich sei, niemanden zu ihr im Suff mitzuschleppen, richtet sich dabei an Marc. \"Der ist in Ordnung. Wir kommen gerade aus dem Subway.\", erklärt er.
Wie auf ein Codewort hin entspannt sich die Kleine und wirft mir einen wohlwollenden Blick zu, woraufhin ich mich höflich vorstelle und zusammen mit Marc aufgefordert werde, ihr zu folgen. Wir betreten eine Wohnung in der dritten Etage und ich staune nicht schlecht. Es ist mittlerweile 8:00 Uhr und nachdem ich durch den Flur den Raum, der wohl für gewöhnlich das Wohnzimmer ausmacht, betrete, erblickt mein geschultes Auge mindestens 25 wilde Leiber im Rythmus elektronischer Musik, welche mit einer irren Lautstärke aus 1,50 Meter hohen Lautsprechern schmettert. Ich erspähe durch das nassgeschwitzte, drogeneuphorisierte Volk hindurch an der Wand einen DJ, der gerade in dem sich hinter ihm befindlichen Plattenschrank herumfingert. Ich bin begeistert, die Musik schmeichelt meinem Ohr und ich dränge mich auf die improvisierte Tanzfläche, merke jedoch schnell, daß mein Körper nicht ganz einverstanden ist mit der Anstrengung, die ich ihm abzuringen gedenke. Ich hätte gerne eine Zeit teilgehabt an dem bizarren Treiben, das sich vor mir ausbreitet, doch meine letzte Line liegt schon mehrere Stunden zurück und ich verziehe mich in die Küche, wo ich mich auf eine kleine Bank setze. Ich bin zwar nicht mehr in der Lage, einen wilden Tanz hinzulegen, doch mein Geist ist durch die Einnahme der Amphe noch wach genug, Freude an der unsinnigen Diskussion, die mein Sitznachbar mit mir anfängt, zu entwickeln. Unser Thema, so bescheuert es auch klingen mag, ist die Infinitesimalrechnung und ihre metaphysische Bedeutung für die Wahrnehmung unserer Wirklichkeit. Nach ein paar Sätzen wird uns ziemlich schnell klar, daß wir, zumindest in diesem Augenblick, eine ähnliche Persönlichkeitsstruktur aufweisen und so verlegen wir uns, nachdem wir erfolglos versucht haben, einander verbal abzuziehen, darauf, die sporadisch in der Küche erscheinenden Menschen, wenn es mir auch schwerfällt sie gerade in meiner jetzigen Geistesverfassung als vollständige Menschen anzuerkennen, mit absolut hirnrissigen Fragen nach ihrer Schulbildung zu durchlöchern. Plötzlich erscheint ein junges Mädchen in zerissenen Strumpfhosen mit einer seltsamen Kopfbedeckung in der Küche. Der Hut, oder was auch immer sie da auf dem Kopf trägt, erinnert entfernt an einen ebensolchen, an den man links und rechts vom Kopf jeweils eine Bierbüchse anschließen kann, doch dort, wo sich die Plörre befinden sollte, erkenne ich nur eine Art Turbine, die schwaches, rötliches Licht abgibt. Nach näherer Betrachtung sehe ich ein paar Schlieren, die über den Turbinen herumwirbeln. Nach eingehender Betrachtung komme ich zu dem Schluß, daß es sich bei den Schlieren um Rauch, der von den Turbinen aufzusteigen scheint, handeln muß. Ich will natürlich sofort von ihr wissen, was das für ein komischer Apparat sei.
\"Das ist ein Spenglerscher Algebra Nihilator!\", entgegnet sie, macht eine kleine Pause, in der sie die Wirkung ihrer Worte in meinem Gesicht abzulesen versucht.
\"Du weißt, wer Spengler war?\" -
\"Der Untergang des Abendlandes.\" -
\"Bingo. Du erinnerst Dich an das Kapitel Vom Sinn der Zahlen? In dem Spengler von der Bewußtmachung der Zahl und schlußfolgernd des Raumes als Austritt aus der göttlichen Einheit, der Unendlichkeit der lebendigen Natur spricht.\" -
\"Ich hatte nicht im Geringsten damit gerechnet, gerade hier auf eine Verehrerin Spenglers zu treffen.\" -
\"Ich bin streng genommen keine Verehrerin Spenglers, sondern betrachte mich als eine Art Seelendoktor, Lanzenträgerin des ursprünglischen Menschentums. Mithilfe des Nihilators wird jede Möglichkeit, in einer zahlenhaften Natur zu denken, letztendlich jeder Gedanke, der in seiner Struktur formelhaft und analytisch mithilfe einer wie auch immer gearteten Größenordnung arbeitet, unmöglich gemacht, indem die Zahl, die Größenordnung als solches deinem Geist entzogen wird. Ich spreche vom ursprünglichen Geisteszustand des göttlichen Lebewesens, frei vom aufgesetzten Zensor, dem tückischen Wachbewußtsein, welches fatalerweise mit der Schärfe einer Rasierklinge die lebendige Natur, von der Goethe sprach, den göttlichen Geist, die Seele und alles sie Umgebende bis ins Metaphysische hinein zu verstehen, zu klassifizieren, zu entmystifizieren, in eine zahlenmäßige Gesetzmäßigkeit zu bringen, zu unterwerfen und somit vollständig und für alle Zeit zu vernichten versucht. Ich bin sozusagen das Mutterschaf, der Erebos Samen empfängt und sprießen läßt. Die Nyx der Neuzeit, wenn du so willst.\"
Sie war eindeutig übergeschnappt. Inzwischen hatte sie sich auf der Bank niedergelassen und fing an, weiter auf mich einzureden, während sie sich anschickte, den Spenglerschen Algebra Nihilator meinem Nachbarn anzulegen.
\"Im Übrigen bin ich nicht so verrückt, wie Du anhand meiner Reden glauben magst. Ich werde dir demonstrieren, was es bedeutet, die Zahl und alles der Bewußtwerdung der Zahl als solches folgende zu überwinden. Startklar Frankieboy?\"
Frankieboys Gesicht verwandelt sich in eine starre Maske, seine Augen sind weit aufgerissen, seine Zähne knirschen. Er scheint über das Maß hinaus erregt, sich stark auf das nun folgende zu konzentrieren. hergeben. Nyx vergewissert sich, den Apparat ordnungsgemäß an ihm festgeschnallt zu haben und drückt einen gelben Druckknopf, woraufhin ein hochfrequentes Ziepen sich seinen Weg durch die Küche bahnt. Ich muß unwillkürlich an eine Hundepfeife denken, während ich geradezu schockiert die Veränderungen in Frankieboys Gesichtsausdruck beobachte. Abwechselnd manifestieren sich in seiner Visage Zustände verzerrter Anspannung und absoluter Entspannung. Die Abstände zwischen diesen Vorgängen werden, Wehen gleich, immer kürzer, bis sie zu einem einzigartigen Zustand, den ich wie den Gesichtsausdruck eines Säuglings beschreiben möchte, zusammengeführt werden. In diesem Moment speit der Nihilator einen agressiven Ton aus, wie man ihn aus Quizshows gewohnt ist, bei denen sogenannte Buzzer eingesetzt werden. Unmittelbar darauf nimmt Nyx Frankieboy die Kopfbedeckung ab, woraufhin er wie eine gallertartige Masse von der Bank gleitet. Er liegt nun auf dem Küchenboden, aus seinen Ohren dringt Blut, doch sein Gesicht spiegelt für mich eine seelenvolle Zufriedenheit, wie ich sie bisher in der Tat nur auf den Gesichtern Neugeborener entdecken konnte. Zwischendurch gibt er schmatzende Geräusche von sich. Doch plötzlich reißt er die Augen auf, bringt seinen Körper in die Vertikale und beginnt lauthals zu lachen. Ein Lachen, wie ich es noch nie zuvor in meinem Leben gehört habe. Ich bekomme es mit der Angst zu tun, muß den sich in mir regenden Fluchtreflex im Zaum halten, will ich doch diesem außergewöhnlichen Spektakel bis zum noch offenen Ende beiwohnen. Plötzlich stellt Frankieboy sein Lachen ein und beginnt mit obertonreicher Stimme, dem Gesang buddhstischer Mönche nicht unähnlich, in einer mir vollkommen unverständlichen Sprache, eine Art Mantra zu sprechen, wobei er bestimmte Silben in einer Art und Weise mit seiner Gestik unterstreicht, daß man meint er befände sich tausende von Metern über dem Erdboden in freiem Fall. Ich kann seine Performance nicht recht einschätzen, aber es erinnert mich an eine Fernsehdokumentation über primitive Völker, die ich vor einiger Zeit gesehen habe. Ich lasse meinen Blick von ihm ab, und wende mich verwirrt an Nyx:
\"Wie lange...\" -
\"...dauert dieser Zustand an?, fällt sie mir ins Wort. \"Das ist unterschiedlich. Es kommt auf verschiedene Faktoren an. Bis ins Detail konnte ich es noch nicht untersuchen, aber ich vermute, daß der Bildungsstand und die mathematischen Kenntnisse dabei einen gewissen Ausschlag geben. Was die Art und Weise des Flashs betrifft, neigen fast alle Menschen der westlichen Hemisphäre nach der Auslöschung des Zahlenbewußtseins zu einem ähnlichen Verhalten wie unser Frankieboy es hier veranschaulicht.\" -
\"Und was hat man davon bitteschön? Ich meine, außer daß man sich lächerlich macht?\" -
\"Probier es selbst aus!!\"
Doch ich erhebe mich und verlasse fluchtartig die Wohnung, während sie noch ein paar Worte mehr durch den Raum ruft:
\"Der einzige Sinn, die einzige Absicht und das einzige Geheimnis Christi ist nicht, das Leben zu verstehen oder es zu formen oder zu verändern oder sogar es zu lieben, sondern von seinem unvergänglichen Wesen zu trinken.\"
 

Haarkranz

Mitglied
Spengler Algebra Nihilator

Hallo Bam Lee,

Ich hätte gerne so einen abgedrehten Algebra Nihilator, natürlich ohne Oswald, in der Schule gehabt.
Sonst ist das eine herrlich bekloppte Geschichte. Überarbeite das Ding, sind einige Wiederholungen und anderer Kleinkram drin. Sonst sag ich weiter so! Halleluja! Haarkranz
 



 
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