Der falsche Mann

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Cafard

Mitglied
Ein Mann trinkt eine Tasse Kaffee, im Gespräch mit sich selbst. Der Kaffee schmeckt ihm gut, seine Gedanken schmecken ihm nicht - und jetzt?

Er hat gut geschlafen, die Aufgaben des Tages sind erledigt, nichts stört. Überhaupt eine gute Zeit gerade, vieles läuft in seine Richtung, fast ein arrogantes Gefühl. Zur Abwechslung mal nicht schlecht. In den letzten Jahren war vieles Stückwerk geblieben. Angefangenes verlor sich, beim Entgegengehen, in der Andeutung.

Spielerisches Probieren mit Attraktionen hier und da. Immer wieder die Chancen des Lebens suchend, um zu spüren, dass es sie gibt. Um sich nicht tot zu fühlen, sondern lebendiger als das. Immer mehr davon, um ja nicht zu leiden, an irgendeiner Einsamkeit. Ja nicht mutlos sein, sondern mittendrin im Geflitter der Geschlechter, sich liebend stellend.

So sitzt er jetzt da und rührt in seinem Kaffee. Rührt sein Leben um, den Zucker und den anregenden Stoff, der ihn trieb. Am Löffel klebt das, was ihm leid tut. Die unschönen Wiederholungen leichtfertig hergestellter Nähe, die Momente fahriger Versprechen. Vage Gebilde scheinbaren Fühlens, Stoffwechsel nur.

Elegant nippt er an der weißen Tasse, mit jedem Schluck ziehen halbversunkene Bilder in seinen Kopf. Die Bilder von den Abschieden in trauriger Schönheit, selbst die gelangen ihm in gekonnter Manier. Keine Vorwürfe an ihn, keine Anklagen. Souverän schälte er sich aus der quälenden Situation, mit würdig scheinenden Sätzen, von Angesicht zu Angesicht, selbst dafür wurde er noch gemocht.

Das Aroma des starken, süßen Kaffees macht ihn zufrieden. Aber wie falsch und verlogen der Geschmack seiner verkommenen Worte. Er könne dies nicht und das nicht. Wie schade aber auch. Was wollte er denn überhaupt bei dem Inneren eines anderen Menschen?

Er kratzt in den krustigen Resten auf dem schmalen Boden der kleinen Tasse herum. Dieser erschlichene Frieden in seinen Beziehungen widerte ihn an. Ist die wahre Schönheit nicht die Konfrontation zwischen den Menschen? Mit klugen Manövern war er nahenden Unwettern ausgewichen. In meisterlicher Voraussicht.

Die Kellnerin räumt ab. Mit den Fragen an sich selbst lässt sie ihn gerne allein. Sollte er sich zu sehr bemitleiden, bringt sie ihm was zum Abtöten, einen wirklich guten Wein, auch darin war er geschmackvoll geübt.

Sie hatte auch was mit ihm, für kurze Zeit. Aber lange noch verspürte sie diese unbestimmte Wut. Gegen seine eklig klugen Sätze, jene perfekt verschleiernden Netze. Erst Tage später zu durchschauen, als immer gleiche Varianten des Versteckens vor der beschissenen Wahrheit. Beschissen, weil er sie genau kannte, weil er sie kunstvoll verhüllte, beschissen, weil man das auch merken könnte.

Das würde ihr nicht wieder passieren. Lieber beißt sie sich auf die Lippen, wenn ein ähnlich interessanter Mund sich ihr nähern wird, lieber schlägt sie kurz drauf.

Beim Rausgehen schaut er sie an, auch jetzt gelingt ihm ein sicheres Lächeln. Jedoch weiß er nicht mehr, was ihm sicher ist. Er hat nur verloren, nie etwas Bleibendes gewonnen, vielleicht jetzt den brennenden Weg zu sich selbst.

Draußen regnet es, er bleibt stehen, bis er durchnässt ist, er kann doch so nicht weitergehen.
 
G

Gelöschtes Mitglied 14278

Gast
Hallo Cafard,

Überlegungen bei einer Tasse Kaffee – sehr gekonnt ausgeführt. Der Stil gefällt mir gut, da gibt es nichts zu meckern.

Nur zwei Kleinigkeiten:
Angefangenes verlor sich, beim Entgegengehen, in der Andeutung.
Dieser Satz leuchtet mir nicht ganz ein: Wer geht hier wem entgegen?
Sollte er sich zu sehr bemitleiden, bringt sie ihm was zum Abtöten, einen wirklich guten Wein, auch darin war er geschmackvoll geübt.
Müsste es hier nicht heißen: [blue]ist[/blue] er … geübt , denn er ist es ja hoffentlich noch.

Wie gesagt, Kleinigkeiten.

Gruß Ciconia
 

Cafard

Mitglied
Hm, was hab ich da gedacht und geschrieben und gemeint... angefangene Gefühle und deren Andeutung verloren sich im experimentellen Entgegengehen des Zusammenseins... irgendwie so.

Und aus dem "war er geübt" könnte man sicherlich ein "ist er geübt" machen, eben weil sein bis dahin gepflegter Geschmack bis in die Situation und noch weiter andauert, da haben sich Rückschau und Istzeit gebissen, ich sehe es ein.

Ansonsten: Merci Ciconia, freut mich!
 

APO

Mitglied
Moin Cafard,

Die Sprache deines Textes gefällt mir sehr. Fast lyrisch kommt sie daher. Die Story an sich hingegen bleibt für mich zu nebulös, zu wenig konkret, warum sitzt da einer und macht sich so schwere Gedanken, obwohl es ihm doch gut geht, wie die Eingangssätze nahelegen? Das ist alles zu sehr nur angedeutet. Die Story versteckt sich hinter der Sprache, muss sie aber gar nicht, wenn sie so gut ist, wie dein Formulierungdvermögen;-)

Gruß von APO
 

Cafard

Mitglied
Ja APO, die Story versteckt sich wie der Mann in der Story sich versteckt, und wie soll ich sagen, der Typ richtet sich ein in seinem gut ausgestatteten Gehege, er fühlte sich bislang einigermaßen wohl darin, oder anders ausgedrückt, es geht ihm noch nicht schlecht genug, aus rein menschlicher Sicht betrachtet.

Ob ich das gewuppt bekomme, aus der kleinen Story eine größere zu machen, ob meine Disziplin dazu reicht, ich hege Zweifel, aber du hast mich angestoßen, danke dir.
 

MarkoMarko

Verbotenes Mitglied
Hi Cafard,

mir gefällt dein Text gut. Natürlich ist er nicht leicht und flüssig zu lesen, aber das muss er nicht sein. Das ist dein Schreibstil und mir gefällt er. Allerdings muss ich sagen , dass es Stellen gibt, die schwer zu verstehen sind und eine sehr lange Geschichte in diesem Stil etwas mühsam zu lesen wäre (für mich zumindest) - die Textlänge ist sehr gut so!

Hier einige Sachen, die mir aufgefallen sind:

Ein Mann trinkt eine Tasse Kaffee, im Gespräch mit sich selbst. Der Kaffee schmeckt ihm gut, seine Gedanken schmecken ihm nicht - und jetzt?
gefällt mir sehr gut als Einleitung, vor allem der Reim.


Um sich nicht tot zu fühlen, sondern lebendiger als das
Lebendiger als was? Lebendiger als der Tod? Das macht nicht so viel Sinn für mich. ich würde deswegen das ''als das'' weglassen.

Vage Gebilde scheinbaren Fühlens, Stoffwechsel nur.
Ich würde eventuell das ''Stoffwechsel nur'' weglassen. Mich stört es beim Durchlesen weil ich nicht hinter den Sinn komme.

Was wollte er denn überhaupt bei dem Inneren eines anderen Menschen?
Auch diese Formulierung finde ich nicht so gelungen. Man versteht zwar, dass es um Beziehung und Partner geht (oder? :) ) aber man muss zwei mal nachlesen.

Ich hoffe, ich konnte dir damit helfen oder Anregungen geben. Wie gesagt, dein Text gefällt mir gut insgesamt! 7.5/10 Punkten

VG Marko
 

Cafard

Mitglied
Danke Marko für das Interesse, ich weiß schon, dass in dem Text ein paar kryptische Stellen eingewoben sind, aber wenn man dem Erzähler gegenüber wohlwollend ist, könnte man dies als unterstützendes Mittel werten, unterstützend bei der Typisierung des Protagonisten, dessen Gedanken und Sprache eben oft so verlärend sind, andernfalls müsste man dem Erzähler mangelnde Präzision ankreiden, das stimmt schon, nun, es ist Geschmacksache...
 
U

USch

Gast
Hallo Cafard,
ein rundum guter Text, literarisch und auch inhaltlich bestens nachzuvollziehen. Man könnte glauben, du weist genau wovon du schreibst. Das kann nur ein Mann, der sich selbst reflektiert :)
LG USch
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Feine Miniatur - ich hatte zwei Assoziationen, die vielleicht nicht passen, sind aber meine: Wieso bedient die Kellnerin ihn noch - wieso schüttet sie ihm den Kaffee nicht einfach ins Gesicht?!
Ich weiß, geht nicht, passt nicht zum Text, aber fiel mir so ein.
:)

Gern gelesen, lg Doc
 

Jo Phantasie

Mitglied
Kurzgeschichte? Lyrik ja! Der auktoriale Erzähler weiß nicht viel mehr, als der Protagonist auch, trinkt sozusagen seinen Kaffee.
Einen Höhepunkt, auf den alles zusteuert, sehe ich nicht, man bleibt durchgängig mit dem „Sinn seines Lebens“, beschäftigt. Melancholieanfälligkeit? Das hat allerdings Atmosphäre! Die geht zwar nicht unter die Haut, trägt jedoch ein unbestimmtes Potenzial der Fremdvergiftung in sich.

Ja, wieder einmal eine Story, bei dem man froh ist, den Protagonisten auch nicht als Kollegen oder Nachbarn zu haben. Das ist gelungen!
 

Sabina

Mitglied
Innenschau

Gut lesbar, auch rein optisch wegen der genau richtig dosierten Absätze.

Das Thema der bilanzierenden Innenschau finde ich sehr anschaulich präsentiert.

Sehr treffend der Satz

"Ist die wahre Schönheit nicht die Konfrontation zwischen den Menschen?"

Ja, Auseinandersetzung und eventuell auch Streit erzeugt Reibung und somit Wärme. Und das hat sehr viel mit wahrer Schönheit zu tun, denn das ist Leben pur.

Auch das Resümee berührt mich:

"vielleicht jetzt den brennenden Weg zu sich selbst."

Habe die Geschichte sehr gern gelesen!
 

AliasI

Mitglied
sehr gut, aber...

die geschichte ist wie ein monolog angelegt. und bis du die kellnerin eingebracht hast, fand ich sie vorzüglich. die kellnerin ist ein bruch, ich würde sie enfach weglassen.
vielleicht kann der protagonist in ihrem blick erkennen, dass sie unter seinem verhalten leiden musste. fände ich besser. aber wie gesagt: fein geschrieben, bis auf die kellnerin. ;-)
lieben gruß an dich
 



 
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