Der wahre Dichter

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Vera-Lena

Mitglied
Der wahre Dichter

Es sang die Wachtel auf der Alm
von einem grünen Schachtelhalm,
auf dem sie einst beseelt gesessen,
wo war das nur, sie hat’s vergessen.

Ein Wissenschaftler, ihm tat’s leid,
sang ihr ein Lied aus jener Zeit,
als riesengroß die Schachthalmbäume
bewuchsen weite Alpenräume,
und wie sie alle dann verkümmert.
Das Wachtelherzchen ward zertrümmert,
das Vöglein endete sein Lied
aus Liebeskummer, es verschied.

Die Wahrheit macht nicht immer Mut.
Ein Dichter ist von andrem Blut,
wenn’s sein muss, lügt er wunderbar,
denn was sich reimt, ist schließlich wahr.
 

aboreas

Mitglied
Ein Textarbeits-Lob

Ein Wissenschaftler und eine Wachtel tauschen sich quasi singend über Schachtelhalme aus. Das Ganze endet in einem Liebeskummerdrama...
Na ja, wie heißt doch die Po-Ente: Im Reim steckt die Wahrheit.

Ein Gedicht, dass sich selbst bestätigt.

Hm! Sollte man womöglich Ausreden/Flunkereien nur noch gereimt zum Besten geben...
 

george

Mitglied
Liebe Vera-Lena,

dieser Text setzt sich mit der philosophischen Frage der Verantwortung des Wissenschaftlers auseinander. Deiner fühlt sich der Wahrheit verpflichtet, was aber indirekt zum Tod einer Wachtel führt. So wird dieser gutwillige Wissenschaftler schuldig; unschuldig natürlich. Das klassische Thema der griechischen Tragödie, das hier meisterhaft umgesetzt ist.

Offenbar handelt es bei dem Wissenschaftler um einen, der mit einer Art Nierensteinzerntrümmerer seine Erkenntnisse verbreitet (es könnte sich um einen starken Ultraschallsender handeln), der das kleine Wachtelherz zerstört. Oh hätte er doch wenigstens eine handy-Frequenz benutzt! Dann wäre alles gutgegangen bei der Informationsübermittelung. Aber genau in diesen kleinen Nachlässigkeiten liegt die Grenze zwischen Naturwissenschaftler und Ingenieur. Hier gibt es einen bedauerlichen Kollateral-Schaden. Das hast du fein und subtil herausgearbeitet.

Es ist alles drin in diesem Text: Liebe, Natur, Geschichte, Gesang, Umweltzerstörung, Technikangst, Chancen der Technik und der Dichter als Retter des Reimes und der Welt.

Als eine Träne vergießender Wissenschaftler grüßt
Jürgen
 

Vera-Lena

Mitglied
sich selbst

Lieber aboreas,

"ein Text, der sich selbst bestätigt", genauso wollte ich das haben, und Du bestätigst mit jetzt, dass es auch so geglückt ist. Danke!!!

Dir einen kummerfreien wunderschönen Frühlingstag!:)
Liebe Grüße von Vera-Lena
 

Vera-Lena

Mitglied
Handy

Lieber Jürgen,

ich denke eine niedrigere Frequenz hätte auch nichts genützt. Der arme Wissenschaftler, der ja schließlich etwas Aufbauendes leisten wollte (wie oft ging da der Schuss schon nach hinten los), war bestimmt zutiefst betrübt, aber dass Du nun auch gleich eine Träne zerdrücken musst, habe ich wirklich nicht gewollt.;)

Der Dichter als Retter der Welt, das wird sich erst herausstellen müssen, mir scheint da eine gehörige Portion Schlitzohrigkeit vorhanden zu sein.

Sollte er sich aber eines Tages als Visionär entpuppen, dann besteht wieder Hoffnung, aber weniger wegen des Reimes.
Sonst müsstest Du ja alle Deine zukünftigen Vorlesungen in Reimen abhalten und wegen der dadurch vermehrt einschläfernden Wirkung (ich meine das jetzt bezogen auf alle Wissenschaftler) immer einen Kurzzeitwecker dabei haben.
Darum weiterhin frohes Schaffen gewissenhaft aber trotzdem mit eine prise Humor.:)

Herzlich grüßend Vera-Lena
 

Rudolfus

Mitglied
Es sind nicht Lügen, was die Dichter dichten,
Es sind Vergnügen, die sie an uns richten!

Die Wissenschaft treibt Wachtelmord
Nicht nur an jenem Alpenort,
Auch in den Anden, in Peru,
An allen Orten, in Peru
Verrichtet sie ihr übles Werk
Ubd trägt die "Wahrheit" übern Berg.
Sie haben die Wahrheit mit Löffeln gegessen
Und sind auf Aufklärung ganz versessen.
Dabei ist morgen, was sie sagen,
Der Schnee von gestern. Sie verjagen
Die eigne Meinung ganz und gar
Und grad das Gegenteil ist wahr.

Wenn Dichter "lügen" sagen sie
Die Wahrheit voller Phantasie.

Danke für Deine schönen Zeilen

Gruß

Rudolfus
 

Vera-Lena

Mitglied
Die Großen

Lieber Rudolfus,

Du sprichst hier von den ganz großen Geistern, den wirklichen Visionären, die uns wahre Botschaften, innerhalb von Geschichten und Märchen verpackt, mitteilen.

So kann man diesen Text natürlich auch sehen.
Ich hatte eher an die "Lügenbarone" zB Münchhausen gedacht, der ja allerdings auf übertriebene Weise auch noch Wahrheiten vermittelt z.B. dass man sich am eigenen Zopf aus dem Sumpf ziehen kann.

Wie auch immer...
Ich danke Dir herzlich für Deine Antwort.:)
Ein schönes Wochennde wünscht Dir Vera-Lena
 

Rudolfus

Mitglied
Liebe Vera-Lena

Nicht nur die Höhenkamm-Literaten mischen Tatsachen und Fantasie zu höherer Wahrheit namens "Dichtung und Wahrheit", auch Kinder, Narren und Schelme sagen die Wahrheit durch eine "Lügenblume".
Leider ist mir eine Zeile doppelt hineingerutscht!

Wochenendgrüße

Rudofus
 



 
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