Dialoge in der Straßenbahn

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ein Dialog in einer Straßenbahn. Zwei Personen sitzen auf nebeneinander liegenden Plätzen, Person A am Fensterplatz, Person B am Gang.

1.Dialog:

Person A: "Entschuldigen Sie, steigen Sie aus?"
Person B: "Nein!, einen Moment." B steht auf, lässt A durch.
Person B erkennt (fast unabhängig davon, was oder wie Person A fragt, dass A aussteigen will und handelt adäquat. Die Frage kann auch nur als Geste gestellt sein. In jedem Fall erkennen die betroffenen Personen die Bedeutung des Sprechaktes.

2. Dialog

Person A: "Entschuldigen Sie, steigen Sie aus?"
Person B: "Ja, wir haben aber noch etwas Zeit!" Beide bleiben noch einen Augenblick sitzen und stehen in der Nähe der Haltestelle auf. Weil es weniger Zeit beansprucht, wenn beide zusammen aussteigen, können beide noch etwas sitzen bleiben, sofern A nichts dagegen hat.
3. Dialog:

Person A: "Entschuldigen Sie, steigen Sie aus?"
Person B: "Nein!" (bleibt sitzen) Diese Form zeigt das Verständnis als Antwort auf eine ja/nein-Frage. Person B handelt (unter den angegebenen Bedingungen) ausgesprochen inadäquat und unhöflich, obwohl es eine wahre Antwort ist.


Die Antworten in den Situationen 1 und 2 sind angepasst und richtig, die in Dialog 3 ist es nicht. Sprechakte sind also mehr als nur Wissenserwerb, sie enthalten Aufforderungen zum Handeln.

Jeder Dialog im Gespräch enthält eine sprachliche Form, ein Ziel, eine Wirkung und einen Inhalt.

Der eigentliche Inhalt kann sich dabei von dem wörtlichen Inhalt stark unterscheiden. Wenn der wörtliche Inhalt zählte, so wäre Dialog 3 angemessen. Er ist der einzige, bei dem B richtig reagiert.

Und doch ist er falsch.

Auffällig ist, dass hier in den Beispielen jeder Dialog mit einem Anfang beginnt, der für sich allein schon vollständg reichen würde in der angegebenen Situation. "Entschuldigen Sie ..." ist zusammen mit der entsprechenden Geste völlig ausreichend. Alles zusammen ist eine ausgesprochen höfliche Form in den Dialogen 1 und 2.

Bereits die Geste reicht meist ebenfalls, soweit sie bemerkt wird, ist aber unhöflich.

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Was als höflich und adäquat empfunden wird, ist kulturell abhängig.

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In der Leselupe gibt es ebenfalls Dialoge, hier könnte man von Schreibakten reden. Sie haben ähnliche Funktionen und einen ähnlichen AUfbau. Es geht um dieselben vier Punkte:

Die sprachliche Form, das Ziel, die Wirkung und den eigentlichen Inhalt.

Der eigentliche Inhalt weicht oft vom scheinbaren sehr stark ab. Ihn zu erkennen und zu gestalten ist eine wesentliche Teilaufgabe der Textarbeit.


Siehe auch:
http://de.wikipedia.org/wiki/Sprechakt
 



 
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