Die Bräutigamseiche

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Anonym

Gast
Die Bräutigamseiche

Sehnsüchtig juckt meine Kopfhaut als ich den Bericht im TV verfolge. Keine Läuse im Genick, aber vielleicht ein Mann in Reichweite?
Letzte Hoffnung für mein 40 Jahre altes, gut durchblutetes Herz. Ich setze mich hin und schreibe an diesen Baum für Übriggebliebene und Abenteurer. Ich möchte mich gern zu Letzteren zählen.
Die Adresse habe ich, Bräutigamseiche in Eutin. Die Reporterin hat versichert, dass jeder Brief von der Postbotin des Ortes, in das Astloch der Eiche versenkt wird. Ordnungsgemäß.
Der Andrang von einsamen und neugierigen Menschen ist enorm.
Für mich ist der Weg dorthin zu weit, also setze ich mich in die Küche und beschreibe meine Person. Ja ich gebe einiges von mit preis. In Eutin bin ich unbekannt.
Der Brief mit Spucke und auch mit Hoffnung wird verklebt und landet im nahen Briefkasten.
Kaum ist er meinen Händen entschwunden, werde ich unsicher. Oder nervös? Wer wird mir antworten? Auch ein Übriggebliebener, oder der Mann auf den ich die letzten vielleicht 10 Jahre wartete?
Den ich nicht im Supermarkt am Gefrierfach, oder beim Kontoüberzug in der Sparkasse traf?
Auch mein Schornsteinfeger war nicht auf mein Knie gerutscht.
Unter all der Schwärze strahlte sein fröhliches Gesicht, das ich offen anhimmelte.
Der Pizzafahrer roch gut, war aber mindestens 20 Jahre zu jung und der Apothekenbringdienst war von der Gicht geplagt.
Selbst beim Kastanienfest klettete sich kein Genießer an meinen Brustkorb.
Aus Frust streichelte ich dem Elefanten die rauhe Haut. Der winkte mir wenigstens mit seinen Ohren nach.
Mit Kontaktanzeigen hörte ich auf, als mein Schwager mir antwortete und als ich 24 mal von Heirat träumte und nach dem Treffen mit Alpträume ins Bett kroch.
Einem Mann hätte ich fast eine Pizza vorgekaut denn er trug nur noch seinen rechten Kuchenzahn. Da konnte mein Helfersyndrom kaum widerstehen.
Ein anderer Mann schnüffelte mit seiner riesigen Nase lieber anderen Frauen hinterher.
Doch nun ist es Sommer und ich renne jeden Morgen mit nervösen Magen zu meinen Briefkasten und schaue.
Der Brief kommt.
Etwa 2 Wochen und 5 graue Haare später. Ich mag ihn nicht öffnen. Der Umschlag sieht gut aus. Verheißungsvoll. Ein rotgestreifter Leuchtturm prangt in der Mitte.
Ich liebe Leuchttürme, vielleicht eine verwandte Seele?
Das Briefpapier ist genauso schön. Der Herr stellt sich vor. Er ist Krebs. Einsiedlerkrebs?
Irgendwo habe ich gelesen Steinbock und Krebs ergeben das perfekte Paar.
Doch will ich Perfektion, oder lieber Spaß, romantische einfallsreich Liebe und verrückte Gedanken verwirklichen?
Er schreibt kurz. Ich bin enttäuscht. Fällt ihm nicht mehr ein?
Eine halbe Seite, ich hatte 4 Seiten gefüllt. Ja, das ist der pedantische Steinbock.
Er hat leider nur 2 Seiten erwischt, als er auf der Leiter stand und das Astloch durchwühlte.
Doch welche Seiten? Hoffentlich hielt er die wichtigsten Seiten in seinen Händen, wo ich ehrlich meine Figur beschrieb.
Nicht das er sein hübsches Briefpapier opferte weil er dachte die A. aus Hannover sei eine Gazelle.
Er selbst beschreibt sich als schlank, ganz ohne Bauch. Da werde ich schon skeptisch.
Soll ich ihm schnell ein Telegramm schicken in dem ich mich als Kasten denn als Sanduhr bezeichnen muss?
Nö! Der Mann wohnt im Schwabenländle. Also warum sollte ich ihn unnötig beunruhigen wo doch erst seine Frau mit einem anderen Mann durchbrannte. Der hat einen Mähdrescher, der Neue. Das ist schon etwas anderes als von einer 186cm großen Fastnachtshexe im Antiken Auto kutschiert zu werden.

Ich werde ihn bald treffen, jetzt wo der Winter im Anmarsch ist. Er möchte seine Eltern an der deutschen Nordseeküste besuchen und ich eigne mich als Übernachtungsstützpunkt.
Natürlich reisen seine Vögel auch mit.
Ich hoffe ich werde vom Hocker gerissen und werde meine entzückende Nase mal wieder in rosarote Wolken stecken um mit ihm und seinen Vögeln in ein aufregendes Beziehungsleben zu rauschen.
Wenn nicht, dann nehme ich Stift und Papier zur Hand, warum nicht? Die Anschrift lautet Bräutigamseiche Eutin.
 



 
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