Die Kaluzkin-Mission

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Mazirian

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Noch eine Verspätete zur Schreibaufgabe "Fremde Sitten"



Die Kaluzkin-Mission


"Tststs ... warum machst du so was auch nur? Das hast du jetzt davon", Mutter Kohlkopf stemmte die fleischigen Arme in die Seiten und schüttelte missbilligend den Kopf. Die ganze Nacht lang hatte sich ihr Ältester immer wieder übergeben und praktisch sein Innerstes nach außen gekehrt - seit er von dieser blödsinnigen Mannesprobe zurückgekehrt war.
Sie hatte es gleich gewusst: Es konnte nichts Gescheites dabei heraus kommen, wenn man einen Halbwüchsigen einfach für sieben Tage in die Wälder schickte. Sieben Tage, an denen er nichts essen und kaum schlafen durfte. Nur damit er sich hinterher in seinem Heißhunger das erstbeste Essbare in den Schlund stopfte und so seinen Erwachsenennamen bekam.
Wäre es nicht viel praktischer, einfach eine schöne Feier zu veranstalten und dabei den Jungen ihre Namen zu geben, anstatt sie so zu quälen? Natürlich wäre es das!
"Lass nur, Mutter, es geht schon wieder", röchelte der Junge, aber seine Augen schauten wie aus Wolfshöhlen heraus und seine Nase glich einem spitzen Stück Kreide.
"Na, ich bin gespannt, was dein Vater sagt, wenn er nach Hause kommt", sie schnaufte unwillig. "Wahrscheinlich ist er sogar noch stolz darauf."
Als hätte es nur dieser Erwähnung bedurft, wurde die Felldecke vor dem Eingang zur Seite gezogen und der alte Drei Kohlköpfe trat ein. Er trat hinter seine Frau und gab ihr einen Kuss in den Nacken und einen Klaps auf den Hintern. Dann schaute er über ihre Schulter und sah seinen ältesten Sohn auf dem Bett liegen.
"Aha, unser Großer ist zurück. Was hat er denn? Geht's ihm nicht gut?"
"Frag ihn doch selbst. Vielleicht liegt's ja daran, dass er jetzt ein Mann ist und einen Namen hat", versetzte Mutter Kohlkopf schnippisch. "Jedenfalls hat er die ganze Nacht gewürgt wie ein Reiher und ist von einer Ohnmacht in die andere gefallen."
Drei Kohlköpfe zog die Brauen hoch.
"Na ja, er hat immerhin sieben Tage nichts gegessen und kaum geschlafen. Ich weiß noch, als ich mir damals meinen Namen geholt habe, hab ich drei Tage lang im Delirium gelegen und meine eigene Familie nicht mehr erkannt. Sie mussten mich ans Bett fesseln, weil ich eine Kohlvergiftung hatte und zu toben anfing ..."
"Ach hör schon auf. Ihr Männer mit euren blöden Zeremonien. Was soll einer davon haben, wenn er eine Woche lang nichts isst - außer dass er krank wird", Mutter Kohlkopf machte eine wegwerfende Handbewegung und wandte sich wieder dem Suppenkessel zu, der zischelnd und blubbernd über der Feuerstelle schwang.
Drei Kohlköpfe warf seinem Sohn ein verschwörerisches Lächeln zu und setzte sich zu ihm auf die Bettkante.
"Lass sie nur brummeln. Die Hauptsache ist, dass du jetzt ein richtiger Mann bist."
Der Junge nickte und lächelte tapfer.
"Du ... hast dir doch einen Namen erworben - oder?", fragte Drei Kohlköpfe und sah seinem Sohn forschend ins Gesicht.
"Ja, Vater", wisperte der Junge.
"Und wie lautet er?"
Trotz seiner Blässe stieg dem Jungen die Schamröte ins Gesicht.
"Fau ... Fauler Fisch".
Drei Kohlköpfe schaute verdutzt, dann aber nickte er bedächtig.
"Ah, jetzt verstehe ich ...".
"Ich hab's nicht mehr länger ausgehalten, ich hatte so einen Hunger ... und da lag dieser tote Fisch am Bachufer ...", versuchte der Junge zu erklären.
Sein Vater legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter.
"Lass nur. Es ist überhaupt nichts auszusetzen an diesem Namen. Er ist so gut wie jeder andere, wenn nicht noch besser. Ich sage dir: Ich bin stolz darauf, einen Sohn zu haben, der den Namen Fauler Fisch trägt.
Stell dir vor, du hättest mir einen Namen wie Fliegender Fisch genannt, das wäre ein Unglück gewesen, denn dann hätte ich dich jetzt töten müssen. Du weißt ja, alle Wesen, die in der Luft fliegen können sind heilig und dürfen nicht angerührt, geschmäht oder gar gegessen werden. Nein, nein, Fauler Fisch ist ein wirklich guter Name."
Der Junge ließ sich aufs Bett zurück sinken, ein glückliches Lächeln schimmerte in seinen glasigen Augen.
"Danke Vater."
Drei Kohlköpfe zog seinem Sohn fürsorglich die Felldecke bis unters Kinn.
"Du bist jetzt ein richtiger Mann. Du darfst Branntwein trinken, den Mädchen die Schürzenbänder aufziehen und mit auf die Jagd gehen. Also sieh zu, dass du wieder auf die Beine kommst und mitmachen kannst", er rubbelte seinem Sohn liebevoll über den Hinterkopf. "Aber jetzt muss ich wieder nach draußen gehen. Die Späher haben Zeichen am Himmel gesehen. Es sieht fast so aus, als kehrten unsere Brüder von den Sternen zu uns zurück ... und da sie fliegen können, sollten wir sie mit größter Ehrerbietung empfangen ..."

***

Wir waren mal wieder mit einem Sonderauftrag unterwegs, diesmal allerdings in geänderter Besetzung. Günther hatte nämlich den Job endgültig aufgeben und zu Hause bleiben müssen. Mit seiner Nachtblindheit war es in letzter Zeit immer schlimmer geworden. Nachtblindheit aber ist für einen Navigator ein K.o.-Kriterium, denn draußen im All herrscht nun einmal ewige Nacht.
Als Ersatz für ihn hatten wir Hermie dabei, die kleine Rothaarige, die in der Prospektorenkantine auf Kokabango immer den Nachtisch ausgegeben hatte. Eigentlich hieß sie Hermine und hatte von Navigation keine Ahnung. Aber sie sah gut aus und besaß einen ausgeprägten Sinn für's Praktische. Außerdem war Bob heimlich in sie verliebt und hatte sie schon immer mal mit "auf Tour" nehmen wollen.
Damit wir die ISIS trotzdem halbwegs navigieren konnten, hatten wir noch einen ausgemusterten Navigator von der Handelsflotte dabei. Einen freundlichen alten Burschen mit guten Manieren, der nicht viel redete und seinen Job mit ruhiger Hand erledigte. Er hieß Ismael, aber seinen Nachnamen hatte ich schon wieder vergessen.
Unser Auftrag war ziemlich einfach: Vor einigen Monaten hatte die AURORA, ein Forschungskreuzer unter Käpt'n Fangeisen, einen erdähnlichen Planeten entdeckt, den seine Bewohner Kaluzkin nannten. Da die AURORA aber nicht viel Zeit hatte, konnte sie nicht viel mehr in Erfahrung bringen, als dass die Eingeborenen eben wie Menschen aussahen und sich wie Menschen benahmen. Selbst die Pflanzen und Tiere dort sahen angeblich so aus wie auf der Erde. Die Vermutung lag nahe, dass es sich um einen jener terrageformten Planeten handelte, auf denen man kleine Kolonien angesiedelt hatte und die in irgendeinem Krieg vergessen worden waren.
Unser Job war es nun, mit diesen Eingeborenen Verträge abzuschließen, bevor die Zlyrkhs uns zuvorkamen, die ihre langen Nasen in alles reinsteckten, was sie nichts anging. Eine einfache Sache, wie es schien, denn mit Menschen kannten wir uns aus. Außerdem hatten die Leute von der AURORA auch noch eine Translatorkassette mit der dortigen Sprache erstellt.
So waren wir nicht sehr aufgeregt, als vor uns die blaugrüne Kugel Kaluzkins im Raum auftauchte. Ismael bohrte die ISIS gelassen durch die Atmosphäre und setzte sie in unmittelbarer Nähe des Dorfes auf, bei dem auch die AURORA gelandet war.
Wahrscheinlich hatten die Eingeborenen schon von weitem unseren Kondensstreifen gesehen, denn als wir aus der Schleuse stiegen, waren sie bereits zu Hunderten um unser Schiff versammelt und begrüßten uns mit lautem Jubel, indem sie rhythmisch ihre Speere und Keulen schwangen und Sprechgesänge anstimmten. Große struppige Hunde sprangen schwanzwedelnd um die Landestützen herum, und quiekende Kinder leckten begeistert an den Eiskrusten, die sich auf den Heckflossen der ISIS gebildet hatten.
"Das wird leicht. Die Jungs von der AURORA scheinen einen mächtig guten Eindruck hinterlassen zu haben", freute sich Bob und winkte grinsend in die Runde, nicht ohne den ältesten Erstkontaktwitz der Welt zum hundertsten Mal zum Besten zu geben: "Hey, wir kommen in Frieden, bringt uns zu eurem Häuptling!"
Natürlich lachte niemand mehr darüber, aber die Masse der Eingeborenen teilte sich und durch die entstehende Gasse kam eine Gruppe von fünf Kaluzkinern auf uns zu. Sie als Abordnung zu erkennen war nicht schwer, denn die Pelze die sie trugen sahen wesentlich teurer aus, als die der übrigen Dorfbewohner. Außerdem waren sie alle schon in fortgeschrittenem Alter und bemühten sich sichtlich um einen würdevollen Gesichtsausdruck.
"Wirf den Translator an, Bob", flüsterte ich, "es wird ernst."
Ein paar Schritte vor uns blieben die Fünf stehen und rammten ihre Speere gleichzeitig auf den Boden. Der Vorderste von ihnen fing mit lauter Stimme an zu sprechen:
"Das Volk von Kaluzkin ist glücklich, seine fliegenden Brüder von den Sternen erneut begrüßen zu dürfen. Um euch die gebührende Ehre zu erweisen, stehen vor euch die fünf höchst geachteten Männer dieses Dorfes. Ich selbst bin Gelbe Rübe, der Häuptling dieses Dorfes.
Sagt, lebt mein alter Freund, Käpt'n Fangeisen noch? Geht es ihm gut?"
"Er lebt und ist guter Dinge", erwiderte ich herzlich, obwohl Fangeisen schon seit Wochen Patrouillendienst schieben musste und sich dabei zu Tode langweilte.
"Dann wünsche ich mir, dass auch wir gute Freunde sein werden", fuhr Gelbe Rübe fort. "Sag mir deinen Namen und die deiner Leute."
Ich nahm Haltung an, holte tief Luft und sagte:
"Also, ich bin Bob Vogel, der Häuptling dieses Schiffs, die schöne Frau dort heißt Hermine Schwan, und Kurt Storch dort bringt euch die Grüße der Erdregier..."

Man bekam nie heraus, ob es eine falsch verstandene Geste war, eine Fehlfunktion des Übersetzungsgeräts oder eine Massenpsychose der Dorfbewohner. Tatsache ist, dass die Crew der ISIS sich plötzlich einer Horde amoklaufender Kaluzkianer gegenübersah und sich nur noch mit knapper Not in die Landefähre flüchten konnte.
Bis zur Aufklärung der näheren Umstände wurden alle weiteren Missionen nach Kaluzkin vorläufig abgesagt.



(c) 2004 Achim Hildebrand
 

endlich

Mitglied
Hallo!

Lustige Geschichte!
Ein bisschen kann man es ahnen, worauf es hinauslaufen soll.

Vielleicht hätten sie nicht alle vier einen entsprechenden Namen gebraucht ...

Zwei Fehler sind mir aufgefallen:

... Also sie[red]h[/red] zu, dass du wieder auf die Beine kommst und mitmachen kannst ...

... So waren wir nicht sehr aufgeregt, als [red][strike]wir[/strike][/red] vor [red]uns[/red] die blaugrüne Kugel Kaluzkins im Raum auftauchte. ...

Und wer sind die Zlyrkhs?

Viele Grüße
endlich
 

Mazirian

Mitglied
Hi endlich,

vielen Dank für deinen Kommentar. Hab's schon korrigiert.
Ja, ich hab ziemlich massiv angedeutet, wo's drauf ankommt. War mir aber nicht sicher, ob es so allgemein bekannt ist, wo die Indianer ihre Namen her bekommen.
Dass alle 4 einen entsprechenden Namen haben ist die reine Lust an der größtmöglichen Katastrophe ;-). Hat aber auch einen dramaturgischen Grund. Wenn's nur einer gewesen wäre, wärs vielleicht nur ein schlimmer Tritt ins Fettnäpfchen geworden. Man hätte auch den Schluss so schreiben können, dass sich mit jeder Namensnennung der Volkszorn steigert - vom zornigen Gemurmel, bis zur Steinigung.
Die Zlyrkhs sind Aliens und sowas wie die "hässlichen Immobilienmakler" in der Umgebung, in der die Geschichte spielt.
Freut mich dass es dir gefallen hat.

schöne Grüße
Achim
 

jon

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Teammitglied
Auch wenn's weh tut:

Gewohnt souverän erzählt – aber irgendwie war an der Stelle, wo die Namen erwähnt wurden, bei mir die Luft raus. Wie wäre es denn, wenn man den ganzen "Menschen-Absatz" (durch eine Erzähl-Abstand-Wechsel Stil-Spannung reinbringt und) radikal eindampft auf etwas wie:

Als die Besetzung der ISIS das Dorf betrat, war noch alles Ordnung. Offenbar hatten ihre Vorgänger einen guten Eindruck bei den Einheimischen hinterlassen, denn das Dorfoberhaupt fand salbungsvolle Worte, als es die drei Menschen begrüßte und sich und die Seinen vorstellte. Auch der Captain der ISIS senkte also bedeutungsschwanger seine Stimme und wandte sich, große Gesten vollführend den Betreffenden zu, als die Namen seiner Crewmitglieder nannte: "Dies ist Ismael Finck, der Lenker unseres Schiffes. Kurt Storch kommt als Beauftragter der Erd-Regierung zu Euch. Meine Name ist Bob Vogel, ich…"
Man bekam nie heraus, ob es eine der Gesten war, das Übersetzungsgerät eine Fehlfunktion hatte oder ob die Dorfbewohner einfach einen Koller bekommen hatten: Die ISIS-Besatzung konnte sich vor den wütenden Kaluzkinaern zwar mit Müh und Not in ihre Fähre retten. Alle weiteren Kaluzkin-Missionen wurden sicherheitshalber erstmal abgesagt.
 

Mazirian

Mitglied
Re: Auch wenn's weh tut:

Hallo Ulrike,

nee, hat nicht wehgetan :cool:

geht ja auch in die Richtung, in der oben schon gedacht wurde. Ich glaube auch, es ist die stärkere Lösung, den Schlusseffekt nicht so "outzusourcen" und werd deinen Vorschlag mit einarbeiten (wenn auch nicht ganz so radikal kurz)
Aber bitte, bitte - wenigstens der Häuptling darf doch seinen Namen sagen ... gell? ... oder?

lieben Gruß
Achim
 



 
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