Die Kunst zu lieben

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Anonym

Gast
Seine Augenbraue zieht sich befremdlich hinauf, als er die Türe öffnet und jeden anderen Menschen erwartet hätte – nur mich nicht. Keine zwei Sekunden verstreichen, bevor er zu grinsen beginnt und zugleich mit dem Kopf schüttelt, wobei er jeglichen Zweifel verscheuchen mag, der meine Anwesenheit anbelangt.
„Was willst du hier? Verschwinde endlich...!“ Und bevor er ausgesprochen hat, macht er Anstalten dazu die Türe wieder zu schließen, doch die Unbändigkeit meines sonst so paralysierten Wesens drängt sich dazwischen. Du warst derjenige, der mich als ein schönes Kind bezeichnete und ich kann das liebliche Lächeln in all seiner Leichtigkeit auf meinen Lippen spüren, als er verwundert einhält und mich zwei Schritte auf sich zukommen lässt. Flüchtige Illusionen einer Anbetung überschütten sein Gemüt mitsamt einem Vollrausch Hormonen; keine Angst, ich sorge dafür, dass sich der Stau baldmöglichst auflöst.
Noch immer im Irrsinn der letzten 24 Stunden gefangen, hebt sich meine Hand und streicht mechanisch über seine nicht sauber rasierte Wange. Eine wahre Genugtuung entflammt in meinem Inneren, als sich seine Pupillen mit dem Rest seiner verdorbenen Augen weiten; eine Einladung hinein in die Tiefen der Hölle, deren Feuer mich wie Sturmböen umfängt und jeder Zentimeter vernarbte Haut bestätigt mein gedankliches Vorhaben. Hinter mir schlägt die Wohnungstüre zu; seine Körperhaltung demonstriert begierende Vorfreude, als er sich von meiner ansehnlichen Gestalt durch den Flur leiten lässt.
Während der vergangenen Jahre habe ich so extremes Leid erfahren, dass dieses die Grundlage jeglicher Apathie bildete, die mir als Sockel nun den Aufstieg ermöglicht. Ich kann es förmlich hören, das nahende Knistern in der Luft, die Kollision der unsichtbaren Teilchen beim Blick in den Himmel. Kleiner, winziger; Atome, und ein jedes wispert mir zu im Vorüberfliegen, toleriert meine kranken Phantasien als Ausgeburt einer schlichten Gerechtigkeit.
„Ich habe sehr lange nachgedacht...“ Wir sind in der Küche angekommen; erneut etwas mehr Distanz zwischen uns, die er noch zu überwinden versucht, als ich den Kopf schief lege und in mir nichts mehr finden kann, was an Schmerz oder gar Trauer erinnert. Du hast mir all das genommen, es aus mir hinausgedroschen und dich dafür im Eigenlob erstickt. Gütiger, gütiger Mann, warum hast du niemals gelernt dich zu benehmen?
Selbst jetzt ist Perversion in all deiner Gestik eingraviert, gestützt von Brutalität und Komplexen, derer du dir nicht im Entferntesten bewusst bist. Becircend strecken sich die Finger meiner einen Hand nach ihm aus, tippeln über den feinen Stoff des Hemdes, auf dem ich weitaus andere Körperflüssigkeiten schon kleben sah als Schweiß. Den Zustand aus der Erinnerung möchte ich abermals herstellen; je tiefer ich seine Miene studiere, je weiter ich lächeln muss, je langsamer meine andere Hand hinter meinem Rücken die Schublade aufzieht...
„Du hast also nachgedacht.“ Automatisch tritt er näher an mich heran; mein Arm muss sich anwinkeln, um an Ort und Stelle zu verweilen und ich kann die Kälte seiner Finger nachempfinden, als sie unmittelbar davor sind sich durch die Kleidung in meine Haut zu ätzen. Die abartigste Unschuld überhaupt klimpert mit den Lidern und fährt fort: „Worüber? Doch nicht etwa über mich?!“
Die Wonne der Vorfreude lässt seinen Blick hinab blitzen und in meinen Ausschnitt blinzeln; mein Zustand gewehrt ein Nicken, strahlt von Zufriedenheit, als ich den Griff fest umschließe und die andere Hand in seinen Nacken wandern lasse. Er verlangt mir einen kaum merklichen Druck ab, um ihn zu mir zu führen und die zirkulierende Atemluft von uns vermengt sich, als ich beinahe seine Lippen berühre.
„Nur über dich... immer nur, seit sehr vielen Jahren... das beste wird sein, wenn es hier und jetzt geschieht...“
Gestank von Zigarettenrauch und Alkohol dringt als eine Zweitrangigkeit in mich hinein, je länger wir in unserer Position verharren und ich in meinem Hirn die Gedankenströme malmend nachempfinden kann. Es sind zu viele, als dass sie dort Platz hätten und doch verschaffen sie eine solch klare Denkstruktur wie ich sie in meinem ganzen Leben noch nicht erfahren habe. In meinem Sichtfeld tanzen die Botenstoffe und blinken Nervenzellen voller Überanstrengung, deren Schwindel mich in die Knie zwingen will.
„Oh und was sollte jetzt und hier geschehen?“
Sag, dass du es willst! Flehe darum, es mit mir treiben zu dürfen. Bete mich an in meiner Gestalt und sehne dich in aller Herrlichkeit nach meiner Macht. Augen können so vielsagend sein und doch erreichen all seine Botschaft bei mir nichts, sondern schwinden durch meine Knochen, mein Fleisch und meine einst vorhandene Seele wie ein Windstoß durch einen leeren Raum. In Zeitlupe beobachte ich sein Vorwärtsstreben und kralle meine Finger urplötzlich mit aller aufbringbaren Gewalt in seinen Nacken; lasse seine Visage in Schmerz ertrinken darüber und muss doch unverändert dreinschauen.
„Hier und jetzt... ist der richtige Moment für dich zu sterben...“
Das aller erste Mal bin ich es, die Furcht durch deine Eingeweide hetzt und nicht in Tränen aufgelöst das Weite sucht. Heute bin ich nicht mehr das kleine Mädchen, hinter dem du her warst wie hinter einem Stück Vieh und das eigentlich die Freundin deines Sohnes ist. In mir verzehrt sich alles nach dem süßen Duft seines neu ausgetretenen Angstschweißes, als ich kalkuliert das große Messer hinter meinem Rücken hervorhole, aushole und es seitlich in seine Körpermasse steche.
Zu schade dass meinen Ohren sein Aufstöhnen entgeht; ich nur die Effekte der Verletzung in dem überfallenden Gräuel seines bestürzten Antlitz ausmache und langsam das Messer wieder hervorziehe. Ja, schau hin, wie es rot aus dir quellt. Und im gleichen Moment lasse ich von seinem widerwärtigen Körper ab, sodass er seine letzte Stütze verliert und wie ein erlegtes Tier am Boden aufprallt. Die Hände hilfesuchend und unbeholfen auf die Wunde gepresst, entrinnt seiner heiseren Stimme Schrecken: „Was... was tust du...?“
Im Affekt gehe ich leicht in die Knie und verschenke das einzige, was mein ermordetes Ich noch zu bieten hat: ein anhaltendes Lächeln, bei dem ich langsam spreche. „Was tust du? ...Das ist eine schöne Frage... ich hab’ irgendwann aufgehört zu zählen, wie oft ich sie dir gerne gestellt und Antwort bekommen hätte...“
Die Faszination des Rotes auf der enormen Klinge fesselt mich, als ich das Küchengerät im Licht des faden Nachmittags drehe und erleichtert vermerke, dass sein Blut keine Ähnlichkeit mit dem seines Sohnes hat.
Doch das entsetzte Stöhnen seines wuchtigen Leibes stört mich in meiner Konzentration; lässt mich sein gar so hässliches Gesicht betrachten, aus dem die Funken des Lebens entschwinden. Luftteilchen, macht ihnen Platz, schallt meine glückliche Bitte wider.
„Ruf... ruf einen Krankenwagen... tu-tu es...!“
Mein Kopf schüttelt sich verneinend. „Es erfüllt mich mit Freude dir zuzusehen...“
„Ich bin nicht an seinem... Tod schuld...“
Ich lache über Naivität und Komik des Verbrechers und es ist ein so leichtes Gefühl, dass ich kaum genug davon bekommen kann. „Du bist der einzig Schuldige an seinem Tod... und weißt du, was ich tun könnte?“ Meine Hand lässt das scharfe Messer elegant kreisen, während ich fortflüstere: „Ich könnte dir die Augen ausstechen... oder dein Gehirn hinausschneiden... letzteres wäre natürlich besser, auch wenn dann nur noch ich das Vergnügen habe mit an zusehen, wie ein wirklich kranker Mensch im Kopfe ausschaut.“
Mehrere Schweißperlchen gleiten von seiner Stirn über die stämmigen Wangen und das breite Kinn. Der Widerspruch ist ihm im Halse stecken geblieben aus der Befürchtung heraus, dass ich es dann erst recht tue.
„Dummkopf,“ sage ich stattdessen amüsiert, „ich schneide dir natürlich den Schwanz ab!“
Seine unersättliche Blässe ist urkomisch und ich muss erneut die Mundwinkel höher ziehen. Verdient hätte er es, fraglos. Verdient dafür den wundervollsten Menschen, den ich jemals kennen gelernt habe, systematisch in den Abgrund getrieben zu haben. Verdient dafür, das begnadeteste Talent einfach aus dem Leben gezwungen und mir bloß eine Unmenge Kunstwerke hinterlassen zu haben.
„Dein Sohn würde das sicherlich gerne sehen... damit er nach einer Vorlage zeichnen könnte...“
„Bitte...“ Das schwächliche Flehen verpufft in meinem Starren aus Unerbittlichkeit, bei dem ich mich weiter über ihn beuge.
„Ich weiß, dass du’s getan hast... du hast ihn gevögelt... mit beinahe 50 Jahren einen gerade mal 15-Jährigen... Aber du hast dir nicht ein einziges Mal wirklich eines seiner wundervollen Bilder angesehen...“ Aus meinem Erinnerungsvermögen hallen all die Beschimpfungen, die er stattdessen austeilte und das abscheuliche Weinen eines Kindes vergeht in den zerreißenden Lauten des Papiers. Irgendwann habe ich damit aufgehört Schnipsel aus dem Müll zu fischen und die einst perfekten Werke wieder zusammen zu fügen.
„Du weißt nicht, dass er ein Genie war. Und selbst mit deinem verdorbenen Blut könnte er noch ein traumhaftes Meisterwerk erschaffen.“
Zur Unterstützung lege ich die zweite Hand um den Griff des Messers und setze die Spitze auf der Brust des Mannes auf, für den Kunst nur ein verkorkster Weg des Lebens und dessen Verschwendung ist. Der trockenen Kehle entschwindet undefinierbares Ächzen, als ich mich ruckartig aufrichte und so mehr Druck in die Hände hinableite.
„Einen gar ganz gewöhnlichen Tod sollst du sterben... ich sorge dafür, dass du den rechten Ruf erlangst...“
Das leichte Rosa der Lippen ist hinweggespült von dem zutage tretenden Blut, welches der Reflex aufwärts scheucht. Das ist ja wahrhaftig Angst, die mir bis zu seinem letzten Atemzug unerhörte Erregung beschert. Im Rücken machen sich die Küchenschränke bemerkbar, als ich mich gegen diese lehne und mitverfolge, wie das austretende Meer Ringelrein mit dem gekachelten Boden spielt. Und mir wird bewusst, was Vergeltung bedeutet, als ich den Kopf in den Nacken lege und an all die unbeschreiblich schönen Bilder denke, die mir mein Freund schenkte.
 



 
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