Die Kurzzeit-Therapie

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Maribu

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Die Kurzzeit-Therapie

Wie Köhler auf die Idee gekommen war, freiwillig in diese Klinik zu gehen, war ihm nicht bewusst. Vielleicht war es eine Art Fernsteuerung gewesen, um zu erkennen, wie gesund er eigentlich war.
Er erinnerte sich an einen Spruch seiner Mutter: 'Du kannst dich drehen und wenden wie du willst, alles im Leben ist Schicksal!' Damals hatte er sie ausgelacht.

Das Zimmer musste er sich mit einem Mann teilen, der bestimmt zwanzig Jahre älter als er war. Zur Abneigung gegen Zwei-Bett-Zimmer mit einem fremden Menschen kam hinzu, dass dieser wortkarg war, so dass es nicht zu einem Gespräch kam.
Nachdem an den ersten beiden Tagen außer gemeinsamer Medikamenten-Einnahme, in der Schlange stehend und unter Aufsicht, und den vier Mahlzeiten nichts weiter angeboten wurde, stand die wöchentliche 'Mittwochsrunde' auf dem Terminplan.
Ein Stuhlkreis mit zwölf Personen im Uhrzeigersinn beginnend, wie er morgens beim Frühstück von einer Frau aus dem Nebenzimmer aufgeklärt wurde. Die Leitung hatte die junge Ärztin Dr. Schweder.
Er setzte sich so hin, dass er als Letzter ankommen würde.
Mit einigen Mitpatienten hatte er sich auf dem Gang oder während der Mahlzeiten unterhalten können, andere waren gar nicht in der Lage dazu gewesen oder gaben Antworten, die nicht zu seinen Fragen gepasst hatten.
"So, als Letzter ist nun Herr Köhler dran, der heute das erste Mal dabei ist", stellte Frau Doktor ihn mit einem schwachen Lächeln vor. "Wie geht es Ihnen? Und was halten Sie von unserer Therapiestunde? Tat sie Ihnen gut und macht es Mut, von den Erfolgen dieser Menschen gehört zu haben?"
Bevor er antwortete, blickte er erstmal in die Runde. Bei einigen konnte er ein gewisses Interesse erkennen.
"Sie sprechen von Erfolg? Ja, den kann ich feststellen! Seitdem ich hier bin, es sind ja erst drei Tage, geht es mir von Tag zu Tag besser! Und nachdem ich eben intensiv zugehört habe, fühle ich mich hervorragend und voller Energie, dass Sie mich festhalten sollten, damit ich nicht durch das vergitterte Fenster springe!"
Die Ärztin zeigte keine Regung. Zwei oder drei lächelten, die anderen blickten apathisch vor sich hin. "Und von Ihrer Runde halte ich gar nichts! Einige sind schon ein Vierteljahr oder länger hier. Niemand hat von einer Gesundung oder Hoffnung auf baldige Entlassung gesprochen. Und Sie scheinen zufrieden zu sein, wenn jemand als Erfolg vermeldet, dass er anstatt fünfzehn Tabletten am Tag jetzt nur noch dreizehn schlucken muss! Einer strahlte und war glücklich, dass er nach vier Tagen endlich wieder Stuhlgang hatte! Das sind beachtliche Fortschritte und ..."
"Sie können sich Ihren Zynismus ersparen!", funkte Dr. Schweder dazwischen und blickte ihn zornig an. "Wir beenden sofort die Runde. Ich lass mir von Ihnen nicht meinen Kurs kaputtmachen! Ich erwarte Sie um neunzehn Uhr im Besprechungszimmer!"

Fünf Minuten nach sieben klopfte er an die Tür. Sie war allein und saß hinter einem der drei Schreibtische und blickte auf die Armbanduhr. "Pünktlich können Sie auch nicht sein! Sie haben hier doch Langeweile und keinerlei Verpflichtungen! Ist das nicht mal zu schaffen?!"
Köhler grinste nur. Sie verzog keine Miene. "Das lass ich mir bei unserer nächsten Runde nicht noch mal bieten!"
"Brauchen Sie auch nicht, weil es ein nächstes Mal für mich nicht gibt!"
"Wie soll ich das verstehen?"
"Wie ich das gesagt habe, dass ich nicht mehr daran teilnehme!"
"Das werden wir ja sehen!"
"Ja! Ich habe nur die Wahrheit gesagt! Was meinen Sie, wenn hier mal ein Fernsehteam vorbeikommen würde und diese mit Psychopharmakon vollgepumpten bedauernswerten Menschen filmt, wenn sie mit ihren deprimierten Gesichtern und hängenden Schultern hier ´rumschleichen?! - Wann sollen die hier jemals gesund herauskommen?!"
Sie lachte hysterisch. "Und das können ausgerechnet Sie beurteilen?! Ich habe vorhin ein Fax von Ihrem Arzt bekommen, es ist ein Auszug aus Ihrer Krankenakte."
"Wieso das? Gilt die ärztliche Schweigepflicht nicht für Bekloppte?!"
"Nicht von Arzt zu Arzt, wo Sie sich bei uns in Behandlung begeben haben! Er hat die Diagnose 'Manisch-Depressiv' gestellt. Unter Fachleuten nennt man das eine bipolare Störung. Die Hauptursache sieht er eher in der Kindheit als in Ihrer zerrütteten Ehe."
"Das ist mir bekannt!"
"Hier steht auch etwas von Selbstmordgedanken. - Haben Sie die noch?"
"Manchmal."
"An welche Art haben Sie gedacht? An Tabletten?"
"Nein!" Er lächelte. "Das wäre mir ein zu femininer Selbstmord!"
Jetzt lachte sie das erste Mal. "Selbst vor dem Tode noch eitel!"
"Ich dachte an drei Möglichkeiten: Hochhaus, Güterzug oder Wasser. Die letzte habe ich inzwischen ausgeschlossen, weil ich ein sehr guter Schwimmer bin!"
"Und die anderen zwei Arten, ziehen Sie die noch in Betracht?"
"Nein, es sind ja nur Gedanken; ich würde das nie ausführen!"
"Wieso sind Sie da so sicher?"
"Wegen meiner Angehörigen, meiner Freunde und Bekannten!"
"Das klingt gut und glaubwürdig und könnte zu einer schnelleren Entlassung führen!"
"Sie haben recht! Ich werde nach diesem Gespräch die Klinik verlassen!"
"Das geht nicht! Professor Dr. Dr. Waabe will sich morgen Vormittag ausgiebig mit Ihnen beschäftigen. Besonders, weil Sie ein sehr seltener Fall sind! Sie sind innerhalb von drei Tagen von einer Depression in die manische Phase gekommen.
Meistens geht es erst von einer Hypomanie in das Hoch einer Manie!"
"Sie können mich mit Ihren Fachausdrücken nicht beeindrucken! Mir ist das vollkommen egal, wie Sie das bezeichnen! Ich stehe dem Herrn Professor nicht als Versuchskaninchen zur Verfügung!"
"Aber, aber, warum so ablehnend Herr Köhler? Versuchskaninchen sind sie hier alle nicht! - Wir wollen doch nur helfen! Deshalb wollen wir Sie vorsichtshalber auch noch in die 'Röhre' schieben, ein sogenanntes CT Ihres Gehirns machen!"
"Mein Gehirn gehört mir und arbeitet besser als bei manchem Psychiater! Ich habe mich selbst eingeliefert, dann kann ich mich auch selbst entlassen!"
"Das können Sie nicht! Ich werde ..."
"Sie werden gar nichts ... Sie können mich hier nicht festhalten!" Er stand auf. "Auf Wiedersehen! - Nein, lieber nicht! Besser ist: Guten Abend, Frau Dr. Schweder!"
"Nein, lassen Sie es ruhig dabei! Ich bin überzeugt, dass wir uns bald wiedersehen! Sie wissen doch, man trifft sich immer zweimal im Leben! Und dann werden unsere Mittwochsrunden für Sie nicht so angenehm werden, das verspreche ich Ihnen!" Sie hatte jetzt ein fast diabolisches Lächeln. "Als Erfolgserlebnis werden Sie den zur Entlassung anstehenden
Mitpatienten dann stolz berichten, dass Ihre tägliche Tablettenration von zehn auf zwanzig heraufgesetzt wurde!"
Köhler öffnete die Tür und antwortete: "Vielen Dank für die klaren Worte! Schlagartig bin ich vollkommen gesund! Ich hole jetzt meine Sachen!"
Er eilte in sein Zimmer und warf Kleidungsstücke und Waschzeug wahllos in die Tasche, bevor man ihn daran hindern könnte. Er hatte Glück. Die Schwester im Glaskasten, bei der man sich zum Rauchen oder zu einem Spaziergang auf dem Gelände abmelden musste, war in ein Gespräch mit einer Kollegin vertieft, so dass er ungesehen vorbeischleichen konnte.
Aber bereits bei den ersten Schritten in die 'Freiheit' kamen ihm Bedenken, ob das die richtige Reaktion gewesen war. Wenn Dr. Schweder nun recht hätte? Den Triumph eines Wiedersehens in der Klinik wollte er ihr nicht gönnen!

Als sein Heimweg ihn über die Brücke des Kanals führte, stellte er seine Tasche am Anfang des aus roten Ziegelsteinen bestehenden Geländers ab, schwang sich hinauf und ging vorsichtig bis zum Ende. Dort setzte er sich, starrte auf das bewegungslose dunkle Wasser und dachte, gut, dass ich gelogen habe und nicht schwimmen kann! Er war sich nicht sicher, wie lange das Glücksgefühl und die Energie anhalten würden, bis er wieder in Verzweiflung fiele. Ihm glaubten ja auch nur Wenige. Einige sprachen sogar von Schauspielerei! Wer konnte verstehen, was in einem Gehirn ablief, wenn ein fehlender Botenstoff ein Ungleichgewicht verursachte? Wenn ihm ein Bein fehlte, könnten es alle sehen! Trotzdem musste er aber wieder an seine Angehörigen denken. Für ihn wäre es schnell vorbei! Aber für einige könnten Schmerz und Selbstvorwürfe bis zu ihrem Lebensende andauern!
Er balancierte zurück zur Tasche und wollte gerade hinunter steigen, da kam ein Mann mit einem Hund vorbei, packte ihn energisch am Arm und zog ihn auf den Bürgersteig. "Sind Sie todesmutig?!" schrie er so laut, dass der Schäferhund ihn wohl als Bedrohung empfand, bellend an seinem Körper hochsprang und ihn fast umwarf."Wollten Sie da reinfallen?"
"Nein!", antwortete Köhler ohne Überlegung, und er war froh, dass der Hund ihn nicht gebissen und von ihm abgelassen hatte.
"Als Kinder haben wir hier oft herumgeturnt.Im Sommer sind sogar einige zum Schwimmen hinunter gesprungen. Ich kam hier zufällig vorbei und wollte mal sehen, ob ich das als Erwachsener auch noch wage."
Der Mann schüttelte lachend den Kopf, streichelte seinen Hund und antwortete: "Was für eine verrückte Idee! Nicht wahr, Hasso!"
 

valcanale

Mitglied
Hallo Maribu,

in dieser Geschichte (vor allem der Therapie-Ablauf in der Klinik, - nicht einmal vor 50 Jahren ist es so abgelaufen, - vielleicht um die Jahrhundertwende, aber das müsste man dann auch thematisieren!) - stimmt leider überhaupt nichts zusammen, ich dachte zuerst an eine Satire, aber davon ist auch nichts zu spüren. Wer die Materie (Psychiatrie und Psychotherapie) kennt wird den Kopf schütteln. Und beim Agieren des Protagonisten ist weder eine depressive noch eine manische Phase zu erkennen, besonders der Schluss ist daher sehr unglaubwürdig. Leute mit einer solchen Erkrankung verhalten sich anders. Und wieso will man ihn hindern die Klinik zu verlassen, die er freiwillig aufgesucht hat? Auch das ist völlig unrealistisch.
Falls es als Satire gedacht war (aber wo ist der Schlusseffekt? ) müsste es meiner Meinung nach komplett überarbeitet werden.
LG Valcanale
 

rothsten

Mitglied
Hallo Maribu,

ich kann nicht mitreden, ob der Ablauf in einem solche Hause stimmig ist oder nicht. Ich kann Dir aber handwerkliche Dinge zu Deinem Text sagen.

Wie Köhler auf die Idee gekommen war, [blue]freiwillig[/blue] in diese Klinik zu gehen, war ihm nicht bewusst. Vielleicht war es eine Art [blue]Fernsteuerung[/blue] gewesen, um zu erkennen, wie gesund er eigentlich war.
Freiwilligkeits-Zwang, oder wie? :)

Unstimmig.

Zur Abneigung gegen Zwei-Bett-Zimmer mit einem fremden Menschen kam hinzu,
Ab einem 3-Bett-Zimmer ist es wieder ok oder noch schlimmer? Ich denke mal, schlimmer. Oder müssen es unbedingt zwei sein? Wenn ja, warum?

Etwas unscharf. Der"Ekel" wird so nicht griffig.

Nachdem an den ersten beiden Tagen außer gemeinsamer Medikamenten-Einnahme, in der Schlange stehend und unter Aufsicht, und den vier Mahlzeiten nichts weiter angeboten wurde, stand die wöchentliche 'Mittwochsrunde' auf dem Terminplan.
Eine Satzgrilande, unnötig und unverständlich. Das Partizip nach Möglichkeit meiden. Kausales Missverständnis durchs "nachdem".

Warum nicht zB so:

"Nichts an den ersten beiden Tagen außer Medikamenten, unter Aufsicht Schlange stehen und vier Mahlzeiten. Heute stand die wöchentliche 'Mittwochsrunde' an."


Zum Prot namens "HERr Köhler":

Herr Köhler heisst er. Es erschwert jedoch das Verständnis, wenn man zu häufig in der dritten Person schreibt, da auch andere Figuren vorkommen. Vielleicht gibst du ihm doch öfter seinen Namen?

Bevor er antwortete, blickte er erstmal in die Runde. Bei einigen konnte er ein gewisses Interesse erkennen.
Das "gewisse" Extra ist das nicht, sondern ziemlich gewiss extra-schwammig. Warum lässt Du die Szene nicht leben, indem Du schreibst, WIE er das Interesse wahrgenommen hat? ZB kann man Augenbrauen hochziehen, Münder können offen stehen usw.

Lass Deinen Text leben! ;-)

lg
 

Profatus

Mitglied
Hallo Maribu!

Die Behandlung dieser Thematik (und Problematik) finde ich generell sehr gut.
Ich unterstelle Therapeuten zwar nicht die Boshaftigkeit der Frau Doktor in dieser Geschichte, aber sehe ebenfalls enorme Defizite in den Behandlungsmethoden.
Die kritische und negative Darstellung der Einrichtung erachte ich in diesem Zusammenhang daher als notwendig und würde evtl. Abweichungen von realistischen Umständen als "künstlerische Freiheit" abnicken. Ein gewisser Grad an Übertreibung ist wahrscheinlich nötig, um die Probleme deutlicher darzustellen.

Mit der Beschreibung des Protagonisten hingegen bin ich nicht einverstanden. Ich kenne Menschen, bei denen Depressionen diagnostiziert wurden und entdecke hier kaum Ähnlichkeiten. Zweifel und Verzweiflung sind nur angerissen und der Protagonist wirkt viel zu stark und selbstbewusst.
Außerdem machen sich Menschen mit Depression nicht derart viele Gedanken um Angehörige, wenn sie über Selbstmord nachdenken.
Für diesen Part der Geschichte unterstelle ich mangelnde Erfahrung und/oder Recherche.

Fazit: brandaktuelles Thema, über das es meiner Meinung nach nicht genug Geschichten geben kann. Ich freue mich, einen derartigen Text hier zu lesen, der im Detail betrachtet aber leider einige Schwächen, insbesondere im Hinblick auf das Krankheitsbild, aufweist.

Ich hoffe, Du fühlst Dich durch die Kritiken motiviert, mehr aus diesem Thema rauszuholen. Ich würde mich freuen.

Gruß, Profatus
 

Maribu

Mitglied
Hallo Profatus,

ich danke Dir für Deinen ausführlichen Kommentar!

Ich habe zwei ähnliche bekommen, auf die ich bisher nicht
eingegangen bin, die ich hiermit aber auch beantworten möchte.

Es ist eine autobiographische Darstellung und ich bin froh, dass der "Protagonist" wieder so stark und selbstbewusst geworden ist, und nicht nur darüber, sondern auch über andere Themen schreiben kann.

L.G. Maribu
 
Hallo Maribu,

ich finde deine Geschichte eindrucksvoll und gut geschrieben. Mir kommt sie auch nicht unrealistisch vor (wobei das für mich kein entscheidendes Kriterium ist). Die Zustände in den psychiatrischen Kliniken sind leider bis heute oft beklagenswert, nur dringt das meistens nicht an die Öffentlichkeit.

Der Protagonist ist in einem Konflikt: Einerseits sucht er Hilfe, andererseits wehrt er sich gegen die angebotene Therapie, wahrscheinlich weil er ahnt, dass sie ihm doch nicht helfen würde, nämlich Psychopharmaka und eine Art Schmalspur-Gruppentherapie.

Aber die „Kurzzeit-Therapie“ ist wohl doch nicht ganz wirkungslos: Denn schon der eine Tag in der Psychiatrie zeigt dem Protagonisten, dass er eine solche Behandlung jedenfalls nicht will; damit wird er auf sich selbst zurückgeworfen und mobilisiert eigene Selbstheilungskräfte, wenn auch zufällig unterstützt von einem Spaziergänger bzw. dessen Hund.
Insgesamt sehr lesenswert.

Viele Grüße
Stefan Sternau
 

Maribu

Mitglied
Hallo Stefan,

danke für deine Meinung.

Ja, sie kommt meiner Empfindung und Beschreibung
sehr nahe.

Wer noch nie mit bipolaren Menschen zu tun hatte,
kann das wohl nicht so nachvollziehen.

Sie wirken ja sehr oft "ganz normal" und kapseln sich
bei Depressionen ein.

Der innere Kampf um Aufgabe und Aufbäumen ist dadurch sehr
groß und kann auch negativ ausgehen.

Lieben Gruß
Maribu
 



 
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