Die Schneekugel

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hierophantus

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Mit zitternden Fingern knöpfte der Mann mit dem Terrier den Mantel enger und schlurfte
über schneefreie Straße. Der graue Himmel warf Zwielicht wie ein Leichentuch über die
Kleinstadt. Die kahlen Bäume waren wie alte, haarlose Greise, wie sie mit ihren leeren
Zweigen die Fußwege säumten. Enttäuscht rutschte der kleine Jimmy von der Fensterbank.
Wie sehr hatte er sich weiße Weihnachten gewünscht, wie sehr hatte er sich auf den Schnee
gefreut und auf die Vanilleplätzchen. Die Vanilleplätzchen von Oma, dachte Jimmy.
Jimmy hatte seine Oma sehr gern. Sie war immer so lustig. Die allerbesten Witze erzählte sie
und die allerbesten Geschichten. Sie lief stundenlang mit ihm durch den Schnee und lachte,
wenn er sie mit Schneebällen bewarf. Aber nun war die Oma nicht mehr da. ,,Mama, wann
kommt Oma wieder? \", hatte Jimmy gefragt. Doch seine Mutter hatte nur den Kopf geschüttelt
und geweint und da hatte Jimmy auch geweint, weil er wusste, dass die Oma nicht
wiederkommen würde. Die Oma war tot. Sie sei krank gewesen, hatte der Papa gesagt. Jimmy
war sehr traurig gewesen, er hatte viel geweint. Auch das bevorstehende Weihnachten machte
ihn nicht glücklich. An seinem Adventskalender waren noch drei Türchen geschlossen, die er
hätte öffnen könner1 aber Jimmy wollte sie nicht aufmachen. Er hatte keine Lust auf
Schokolade oder auf Vanilleplätzchen und Nüsse. Er wollte auch keinen heißen Kakao, wie
ihm die Nachbarin ständig einen anbot, er wollte nur, dass die Oma wiederkam.
Die Mama war sehr traurig gewesen, dass Jimmy so viel weinte, sie wahr mit ihm in den
Wald gegangen und hatte ihm Geschenke gekauft, aber er wollte keine doofen Geschenke,
sondern dass die Oma wiederkam und das sie mit ihm im Schnee spielte, wenn es doch nur
schneien würde. Jimmy war ganz fest davon überzeugt, dass es dieses Jahr deshalb nicht
schneite, weil die Oma nicht da war. Früher, als die Oma noch lebte hatte sie im Wohnzimmer gesessen und gestrickt, dann hatte sie Jimmy gefragt: ,,Und Jimmy, schneit es?\" Und Jimmy
war zum Fenster gelaufen und auf die Fensterbank geklettert und hatte gerufen: ,,Ja Oma, sieh
doch nur, es schneit!\"
Plötzlich rief die Mama aus der Küche: ,,Jimmy! Komm mal her! Ich habe etwas für dich!\"
Jimmy seufzte. Nicht schon wieder so ein blödes Geschenk. Doch es machte die Mama
glücklich, wenn er so tat, als ob er sich über die Geschenke freuen würde und so trottete er in
die Küche, wo die Mama verschwörerisch die Hände hinter dem Rücken verschränkt hatte.
,,Welche Hand?\", fragte sie. ,,Links\", antwortete Jimmy tonlos. Die Mama nahm solche Dinge
immer in die linke Hand. ,,Richtig!\", rief die Mama begeistert und hielt ihm ein kleines
Päckchen, das in buntes Papier eingewickelt und mit einer weißen Schleife verziert worden
war, hin. Jimmy griff nach dem Päckchen und versuchte dabei zu lachen, aber es misslang
kläglich. Mehr schlecht als recht riss er das Päckchen auf, halbherzig warf er das Papier zu
Boden. Darunter kam eine unscheinbare Pappschachtel zum Vorschein. Nun war Jimmy doch
neugierig geworden und während die Mama sich bückte, um das Papier aufzuheben, öffnete
Jimmy gespannt die Schachtel. Er fand eine wunderschöne Schneekugel darin. Es war ein
grüner Tannenbaum, vor dem ein kleiner Engel mit makellosen Zügen auf einer kleinen Harfe
spielte. Jimmy konnte jede einzelne Seite und jeden einzelnen Zweig des Baumes erkennen.
Vorsichtig schüttelte er die Schneekugel und sah wehmütig zu, wie die federleichten Flocken
zur Erde herabsanken und sich auf dem Weg dahin auf die Aste des Baumes und die goldenen
Haare des Engels setzten.
,,Danke Mama, sie ist wirklich schön\", sagte Jimmy aufrichtig und freute sich als seine Mutter
lächelte. ,,Freut mich, dass sie dir gefällt, mein Schatz.\" Jimmy lächelte noch einmal, dann
flitzte er aus der Küche und schlüpfte in Stiefel und Daunenjacke, denn er hatte noch einen
dringenden Besuch zu erledigen.
Als Jimmy auf dem Friedhof ankam, gruselte er sich ein bisschen vor der alles erdrückenden
Stille, doch er fand schnell den Weg zwischen den Grabsteinen und Blumenbeeten hindurch
zum Grab seiner Oma. Jetzt im Winter sahen die Gräber leer aus, irgendwie hohl, da natürlich
keine Blumen wuchsen und die Erde der Beete hart gefroren ist. Ein paar Laternen mit Kerzen
standen an Omas Grab und ein wenig Tannengrün a1s Weihnachtsschmuck.
,,Es ist hier ja ganz leer, Oma. Aber ich habe dir was mitgebracht, da musst du ist dir nicht
mehr langweilig\", flüsterte Jimmy in die Stille hinein und schüttelte die Schneekugel. Dann
stellte er sie achtsam auf das Tannengrün und sah andächtig zu, wie die Flocken in der Kugel
tanzten. ,,Schau nur Oma, es schneit!\" Wie er glücklich der Schneekugel zusah, war sich
Jimmy sicher, dass die Oma jetzt lachte und auch glücklich war und da sah er hinauf zum
Himmel und beobachtete die erste Schneeflocke diesen Winters, die sich sachte auf seine
Nasenspitze setzte.
 
E

eisblume

Gast
Hallo hierophantus,

deine Geschichte gefällt mir sehr gut. Ein paar kleine Fehler sind drin, aber das tut der Geschichte an sich keinen Abbruch.

Herzlich willkommen und viel Spaß hier.

Lieben Gruß
eisblume
 

hierophantus

Mitglied
Mit zitternden Fingern knöpfte der Mann mit dem Terrier den Mantel enger und schlurfte über die schneefreie Straße. Der graue Himmel warf Zwielicht wie ein Leichentuch über die Kleinstadt. Die kahlen Bäume waren wie alte, haarlose Greise, wie sie mit ihren leeren Zweigen die Fußwege säumten.
Enttäuscht rutschte der kleine Jimmy von der Fensterbank. Wie sehr hatte er sich weiße Weihnachten gewünscht, wie sehr hatte er sich auf den Schnee gefreut und auf die Vanilleplätzchen. Die Vanilleplätzchen von Oma, dachte Jimmy. Jimmy hatte seine Oma sehr gern. Sie war immer so lustig. Die allerbesten Witze erzählte sie und die allerbesten Geschichten. Sie lief stundenlang mit ihm durch den Schnee und lachte, wenn er sie mit Schneebällen bewarf. Aber nun war die Oma nicht mehr da.

,,Mama, wann kommt Oma wieder? ", hatte Jimmy gefragt. Doch seine Mutter hatte nur den Kopf geschüttelt und geweint und da hatte Jimmy auch geweint, weil er wusste, dass die Oma nicht wiederkommen würde. Die Oma war tot. Sie sei krank gewesen, hatte der Papa gesagt. Jimmy war sehr traurig gewesen, er hatte viel geweint. Auch das bevorstehende Weihnachten machte ihn nicht glücklich. An seinem Adventskalender waren noch drei Türchen geschlossen, die er hätte öffnen können, aber Jimmy wollte sie nicht aufmachen. Er hatte keine Lust auf Schokolade oder auf Vanilleplätzchen und Nüsse. Er wollte auch
keinen heißen Kakao, wie ihm die Nachbarin ständig einen anbot, er wollte nur, dass die Oma wiederkam.
Die Mama war sehr traurig gewesen, dass Jimmy so viel weinte, sie wahr mit ihm in den Wald gegangen und hatte ihm Geschenke gekauft, aber er wollte keine doofen Geschenke, sondern dass die Oma wiederkam und das sie mit ihm im Schnee spielte, wenn es doch nur schneien würde. Jimmy war ganz fest davon überzeugt, dass es dieses Jahr deshalb nicht schneite, weil die Oma nicht da war. Früher, als die Oma noch lebte hatte sie im Wohnzimmer gesessen und gestrickt, dann hatte sie Jimmy gefragt: ,,Und Jimmy, schneit es?" Und Jimmy war zum Fenster gelaufen und auf die Fensterbank geklettert und hatte gerufen: ,,Ja Oma, sieh doch nur, es schneit!"

Plötzlich rief die Mama aus der Küche: ,,Jimmy! Komm mal her! Ich habe etwas für dich!" Jimmy seufzte. Nicht schon wieder so ein blödes Geschenk. Doch es machte die Mama glücklich, wenn er so tat, als ob er sich über die Geschenke freuen würde und so trottete er in die Küche, wo die Mama verschwörerisch die Hände hinter dem Rücken verschränkt hatte.
,,Welche Hand?", fragte sie. ,,Links", antwortete Jimmy tonlos. Die Mama nahm solche Dinge immer in die linke Hand. ,,Richtig!", rief die Mama begeistert und hielt ihm ein kleines Päckchen, das in buntes Papier eingewickelt und mit einer weißen Schleife verziert war, hin. Jimmy griff nach dem Päckchen und versuchte dabei zu lachen, aber es misslang
kläglich. Mehr schlecht als recht riss er das Päckchen auf, halbherzig warf er das Papier zu Boden. Darunter kam eine unscheinbare Pappschachtel zum Vorschein. Nun war Jimmy doch neugierig geworden und während die Mama sich bückte, um das Papier aufzuheben, öffnete
Jimmy gespannt die Schachtel.
Er fand eine wunderschöne Schneekugel darin. Es war ein grüner Tannenbaum, vor dem ein kleiner Engel mit makellosen Zügen auf einer kleinen Harfe spielte. Jimmy konnte jede einzelne Seite und jeden einzelnen Zweig des Baumes erkennen. Vorsichtig schüttelte er die Schneekugel und sah wehmütig zu, wie die federleichten Flocken
zur Erde herabsanken und sich auf dem Weg dahin auf die Äste des Baumes und die goldenen Haare des Engels setzten. ,,Danke Mama, sie ist wirklich schön", sagte Jimmy aufrichtig und freute sich, als seine Mutter lächelte. ,,Freut mich, dass sie dir gefällt, mein Schatz." Jimmy lächelte noch einmal, dann flitzte er aus der Küche und schlüpfte in Stiefel und Daunenjacke, denn er hatte noch einen dringenden Besuch zu erledigen.

Als Jimmy auf dem Friedhof ankam, gruselte er sich ein bisschen vor der alles erdrückenden Stille, doch er fand schnell den Weg zwischen den Grabsteinen und Blumenbeeten hindurch zum Grab seiner Oma. Jetzt im Winter sahen die Gräber leer aus, irgendwie hohl, da natürlich keine Blumen wuchsen und die Erde der Beete hart gefroren ist. Ein paar Laternen mit Kerzen standen an Omas Grab und ein wenig Tannengrün als Weihnachtsschmuck. ,,Es ist hier ja ganz leer, Oma. Aber ich habe dir was mitgebracht, da musst du dich nicht mehr langweilen", flüsterte Jimmy in die Stille hinein und schüttelte die Schneekugel. Dann stellte er sie achtsam auf das Tannengrün und sah andächtig zu, wie die Flocken in der Kugel tanzten. ,,Schau nur Oma, es schneit!"
Wie er glücklich der Schneekugel zusah, war sich Jimmy sicher, dass die Oma jetzt lachte und auch glücklich war und da sah er hinauf zum Himmel und beobachtete die erste Schneeflocke diesen Winters, die sich sachte auf seine Nasenspitze setzte.
 



 
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