Die Stile des Mittags

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Die Stille des Mittags

auf dem großem Platz vor der Kirche. Zerrissen nur durch das Geräusch eines rollenden Koffers auf den Pflastersteinen, die den Schotterbelag der Platzmitte umrunden. Die flimmernde Hitze schmiegt sich zwischen alte Kastanienbäume. Die Blätter rascheln in kaum spürbarer Luftbewegung. Hier und da liegen Menschen auf grünen Parkbänken , den Kopf auf einer zu einem Kissen zusammen gerollten Jacke und halten die Augen geschlossen. Manch einer mag schlafen, andere denken an den vergangenen Abend und wieder andere planen den Nachmittag.
Ich sitze auf einer dieser Bänke und beobachte die Szenerie. Den ganzen Vormittag bin ich durch diese Stadt gelaufen. Durch überfüllte Fußgängerzonen, über laute Märkte und stille Museen. Die Flut der Eindrücke ließ von Minute zu Minute das Bedürfnis wachsen, mich bald an reizärmere Orte zurückzuziehen. Und nun also sitze ich hier. Gerne würde ich noch ein wenig nachdenken und die Erlebnisse des Vormittags sortieren – den Wahrnehmungen einen Sinn verleihen. Doch meine Augen und mein Verstand sind der aufkommenden Müdigkeit nicht gewachsen. Warum kämpfen? Sich ergeben in den natürlichen Gang der Dinge scheint mir da der sinnvollere Weg.

Traumfetzen, unterbrochen von der fragmentarischen Wahrnehmung meiner Umgebung martern meine Seele. Keine Erholung, keim sanftes Schlummern mir der Aussicht auf Frische und sinnigere Wahrnehmung der Welt.
Stattdessen beschleichen mich Ängste. geboren aus dem Übergang zwischen Schlaf und Wachheit und der Gefahr des Verlustes jeglicher Kontrolle.

Nach genau neunmaligem Abnicken des Kopfes, letztlich zur rechten Schulter hin, beschließe ich, diese Quälerei zu beenden und mich auf eine nahe gelegene Wiese zurückzuziehen.

Ich vermute, dass es ihre gesamte Haltung war, die mich so anzog. Wie wenn sich jede Faser meines Organismus auf sie konzentriert hätte, entstand ein Sog, dem ich nur mit Mühe entgegensteuern konnte. Aber wollte ich das überhaupt?
Ihre halblangen braunen Haare bewegten sich im Wind, ihr wohlgeformten Brüste waren unter ihrem T-Shirt deutlich zu erkennen und zu allem Überfluss: die leuchtenden Augen ihres braunen, weichen Gesichts lachten mich an.
Ich zögerte. Sie saß bereits auf diesem grünen Teppich, übersät mit neu geborenen Gänseblümchen – ich stand noch da – unschlüssig.
Meine Müdigkeit kämpfte mit meiner Lust – Sekunden. Und doch war bereits in der ersten Sekunde klar, wie es weiter ging. Weiter gehen musste: ich war einfach zu müde...... Sie hatte gesiegt – die Erschöpfung! Ein ereignisreicher Vormittag lag hinter mir und in diesem Zustand war ich sowieso zu nichts mehr zu gebrauchen. Nicht mal zum reden, geschweige denn zu einem Flirt. Außerdem hatte sie ja auch die Möglichkeit zu mir zu kommen. Wieso immer ich? Warum sollte ich immer alles beginnen? Das war doch immer so.... „Nein, sei still,“ sagte ich leise zu mir selbst, „nicht immer dein halbes Leben aufgrund von Banalitäten.“
„Wieso immer ich?“ Diese Frage bohrte weiter. Wie oft hatte ich diesen Satz von meiner Mutter gehört. Immer dann, wenn mein Vater Forderungen an sie stellte, denen sie nicht nachkommen wollte. Und nun hatte ich ihn gebraucht. Ich erschrak. Das konnte ich nicht so stehen lassen. Schließlich unterschied ich mich in grundsätzlicher Hinsicht von meiner Mutter. Genau genommen hatten wir nicht die geringste Ähnlichkeit miteinander. Weder im Aussehen, noch im Verhalten, schon gar nicht im Gefühlsbereich.............. Weiter kamen meine Gedanken nicht, denn so von tief aus der Brust schlich siech dieses mir nur allzu bekannte Gefühl von Unstimmigkeit ein. Ich beschloss, mich ein andermal mir diesem Thema zu befassen.

Also entledigte ich mich meiner Schuhe, warf sie neben den Platz, den ich mir zum Liegen auserkoren hatte, warf meine Strümpfe hinterher und ließ meinen Körper langsam sinken – die verblühten Reste einiger Gänseblümchen auf der einen und zwei kleine Schlüsselblumen auf der andern Seite.
Diese Geste des Strümpfewerfens schien ihr imponiert zu haben. Aber vielleicht war ja auch wirklich ich gemeint. Wie dem auch sei: plötzlich stand sie neben mir und schaute auf mich herab. Bei der ersten Silbe ihres ersten Wortes öffnete ich erschrocken die Augen. „Kennen wir uns von irgendwo her?“ Sekundenbruchteile später hatte ich mich gefasst. ‚Plumpe anmache;’ schoss es mir durch den Kopf. Ich verneinte ihre Frage und in ihren Augen blitzte für einen kurzen Moment Enttäuschung auf. Zumindest bildete ich mir das ein. Aber vielleicht war ja auch nur ich enttäuscht. Enttäuscht von mir selbst – wie konnte ich nur so eine blöde Antwort geben. Sofort wurde ich mir meines Fehlers bewusst. Ich stammelte etwas von „...vielleicht ja doch...“ und „...wer weiß wo....“ vor mich hin. Damit war ich wohl recht unverständlich, denn in ihrem Gesicht bogen sich die Fragezeichen. Schließlich kam mir der rettende Gedanke oder besser gesagt: die rettenden Worte sprudelten aus meinem Mund – denn gedanklich war nicht mehr viel aus mir herauszuholen. Ob ich sie zu einem Cappuccino einladen dürfe, fragte ich. Denn wenn wir uns schon nicht kennen würden, wäre dies ja die beste Chance uns kennenzulernen.

Als ich die Tür des Cafés öffnete, spielten sie gerade Diana Krall’s „The Look Of Love“. Fest davon überzeugt, dass es sich hier nie und nimmer um einen Zufall handeln könnte, huschte ein Grinsen über meine Lippen. Wir setzten uns an einen der runden Tische mit einer brennenden Kerze in der Mitte. Die Zeitschrift, die unsere Vorgängerin zurück gelassen hatte, fragte uns, ob wir heute schon geküsst hätten. Auch unsere Kleidung wurde bemängelt und fürs Abendessen schlug sie uns vor, mal wieder Steaks zu grillen. Spätestens an dieser Stelle wurde mir bewusst, dass das Schicksal doch kein Arrangement für uns getroffen hatte: Ich bin Vegetarier und vertrete schlichtweg den Standpunkt, dass es bessere Dinge zu essen gibt, als tote Tiere. Ich konnte nicht umhin, dies sofort und klar zu äußern. Und so hatten wir denn auch gleich ein Gesprächsthema. Mein Gegenüber äußerte dabei ebenso klar, dass sie fleischlichen Genüssen überhaupt nicht abgeneigt sei. „Auch nicht im zwischenmenschlichen Bereich,“ fügte sie hinzu. Ich nehme an, ich wurde rot. Jedenfalls brach sie in schallendes Gelächter aus, was die anderen anwesenden Gäste dazu brachte, ihren Kopf zu uns hin zu drehen. Peinlichkeiten kannte sie nicht und ich frage mich heute noch, wie die Geschichte weiter gegangen wäre, wäre nicht plötzlich die Tür auf gegangen und eine gut aussehende Frau, ungefähr Mitte dreißig, mir schulterlangen blonden Haaren den Raum betreten hätte.
Meine Begleiterin und sie schienen sich zu kennen. Herzlich war die Begrüßung und ich spürte sofort, dass ich von nun an keine bedeutende Rolle mehr spielen würde. Mehr als kurze Blicke in einem Gespräch, das ausschließlich zwischen den beiden stattfand (und mich – so sei ehrlicherweise gesagt – auch überhaupt nicht interessierte) erntete ich nicht. Selbst diese kurzen Blicke galten nicht mir. Zufällig trafen sie mich, wie man im konzentrierten Gespräch mal dahin und dorthin schaut, der Blick vielleicht eine Stuhllehne trifft, eine Kaffeetasse oder auch eine gerade am Tisch vorbei gehende Person. Ich versank in die Bedeutungslosigkeit.
Wie wäre er wohl gewesen – ein Kuss von ihr? Wäre da nicht der Gedanke gewesen, dass man mir beim Denken zuschauen würde, was ich absolut nicht haben kann – da könnte ja einer meine Gedanken erraten – ich hätte mir eine solche Situation in allen Feinheiten vorgestellt. Ich ließ es bleiben. Stattdessen schob sich jetzt mehr und mehr der Gedanke in mein Hirn, wie dieser Situation wohl am galantesten zu entkommen wäre.

Ich stehe auf. Mit dem bedauerndsten Gesicht, dass ich in meinem Repertoire zur Verfügung habe, teile ich den Frauen mit, dass ich nun leider gehen muss. „Noch einiges zu besorgen,“ antworte ich auf die erwartete Warum-Frage. Es scheint mir, dass meine Antwort keinen so recht interessiert. Eine zurückhaltende Handbewegung, ein kurzer Blick, und schon finde ich mich auf der Straße wieder.
Dieser letzte Blick! Da war es wieder – dieses Gefühl: da passt was zwischen uns, da ist ein Band spürbar, da schwingt etwas. Egal, ich nehme Kurs auf die Wiese, breite mich der Länge nach aus, lege meine Jacke unter den Kopf und atme tief durch. Es war schon richtig, was ich ihr sagte: Ich habe noch einiges zu besorgen. Gleich werde ich mich aufmachen. Aber zuerst einmal ...
Die Sonne strahlt in mein Gesicht. Ich fühle mich spürbar erleichtert und wundere mich darüber. Beim Einschlafen denke ich an meine Mutter ...
 
hallo Bernd

ein paar wenige Fehler:

Parkbänken , den
das Szenarium

Sich ergeben in den natürlichen Gang der Dinge[blue]Komma[/blue] scheint mir [strike]da[/strike] der sinnvollere Weg.
Keine Erholung, keim sanftes Schlummern[strike] mir[/strike][blue]mit[/blue] der Aussicht auf Frische und sinnigere Wahrnehmung der Welt.
Stattdessen beschleichen mich Ängste. geboren aus dem Übergang zwischen Schlaf und Wachheit und der Gefahr des Verlustes jeglicher Kontrolle.
Wieso immer ich? Warum sollte ich immer alles beginnen? Das war doch immer so.... „Nein, sei still,“ sagte ich leise zu mir selbst, „nicht immer dein halbes Leben aufgrund von Banalitäten.“
???

Weiter kamen meine Gedanken nicht, denn so von tief aus der Brust schlich siech dieses mir nur allzu bekannte Gefühl von Unstimmigkeit ein
„...vielleicht ja doch...“ und „...wer weiß wo....“
Punkteregel: immer drei! bei abbruch eines wortes - kein leerzeichen, abbruch eines satzes, oder beginn - immer ein leerzeichen setzen.

Mein Gegenüber äußerte dabei ebenso klar, dass [strike]sie[/strike][blue]es[/blue] fleischlichen Genüssen überhaupt nicht abgeneigt sei.
Peinlichkeiten kannte sie nicht und ich frage mich heute noch, wie die Geschichte weiter gegangen wäre, wäre nicht plötzlich die Tür
und eine gut aussehende Frau, ungefähr Mitte dreißig, [strike]mir [/strike][blue]mit[/blue] schulterlangen blonden Haaren den Raum betreten hätte.
aufgegangen.

Mit dem bedauerndsten Gesicht, [strike]dass[/strike][blue]das[/blue] ich in meinem Repertoire zur Verfügung habe, teile ich den Frauen mit, dass ich nun leider gehen muss.

Geschrieben ist der Text gut, gefällt mir deine Schreibe.

liebe grüße
gernot
 
Die Stille des Mittags

auf dem großem Platz vor der Kirche. Zerrissen nur durch das Geräusch eines rollenden Koffers auf den Pflastersteinen, die den Schotterbelag der Platzmitte umrunden. Die flimmernde Hitze schmiegt sich zwischen alte Kastanienbäume. Die Blätter rascheln in kaum spürbarer Luftbewegung. Hier und da liegen Menschen auf grünen Parkbänken, den Kopf auf einer zu einem Kissen zusammen gerollten Jacke und halten die Augen geschlossen. Manch einer mag schlafen, andere denken an den vergangenen Abend und wieder andere planen den Nachmittag.
Ich sitze auf einer dieser Bänke und beobachte das Szenarium. Den ganzen Vormittag bin ich durch diese Stadt gelaufen. Durch überfüllte Fußgängerzonen, über laute Märkte und stille Museen. Die Flut der Eindrücke ließ von Minute zu Minute das Bedürfnis wachsen, mich bald an reizärmere Orte zurückzuziehen. Und nun also sitze ich hier. Gerne würde ich noch ein wenig nachdenken und die Erlebnisse des Vormittags sortieren – den Wahrnehmungen einen Sinn verleihen. Doch meine Augen und mein Verstand sind der aufkommenden Müdigkeit nicht gewachsen. Warum kämpfen? Sich ergeben in den natürlichen Gang der Dinge, scheint mir da der sinnvollere Weg.

Traumfetzen, unterbrochen von der fragmentarischen Wahrnehmung meiner Umgebung martern meine Seele. Keine Erholung, kein sanftes Schlummern mit der Aussicht auf Frische und sinnigere Wahrnehmung der Welt.
Stattdessen beschleichen mich Ängste, geboren aus dem Übergang zwischen Schlaf und Wachheit und der Gefahr des Verlustes jeglicher Kontrolle.

Nach genau neunmaligem Abnicken des Kopfes, letztlich zur rechten Schulter hin, beschließe ich, diese Quälerei zu beenden und mich auf eine nahe gelegene Wiese zurückzuziehen.

Ich vermute, dass es ihre gesamte Haltung war, die mich so anzog. Wie wenn sich jede Faser meines Organismus auf sie konzentriert hätte, entstand ein Sog, dem ich nur mit Mühe entgegensteuern konnte. Aber wollte ich das überhaupt?
Ihre halblangen braunen Haare bewegten sich im Wind, ihr wohlgeformten Brüste waren unter ihrem T-Shirt deutlich zu erkennen und zu allem Überfluss: die leuchtenden Augen ihres braunen, weichen Gesichts lachten mich an.
Ich zögerte. Sie saß bereits auf diesem grünen Teppich, übersät mit neu geborenen Gänseblümchen – ich stand noch da – unschlüssig.
Meine Müdigkeit kämpfte mit meiner Lust – Sekunden. Und doch war bereits in der ersten Sekunde klar, wie es weiter ging. Weiter gehen musste: ich war einfach zu müde...... Sie hatte gesiegt – die Erschöpfung! Ein ereignisreicher Vormittag lag hinter mir und in diesem Zustand war ich sowieso zu nichts mehr zu gebrauchen. Nicht mal zum reden, geschweige denn zu einem Flirt. Außerdem hatte sie ja auch die Möglichkeit zu mir zu kommen. Wieso immer ich? Warum sollte ich immer alles beginnen? Das war doch immer so.... „Nein, sei still,“ sagte ich leise zu mir selbst, „denke nicht immer über dein halbes Leben nach aufgrund von Banalitäten.“
„Wieso immer ich?“ Diese Frage bohrte einfach weiter. Wie oft hatte ich diesen Satz von meiner Mutter gehört. Immer dann, wenn mein Vater Forderungen an sie stellte, denen sie nicht nachkommen wollte. Und nun hatte ich ihn gebraucht. Ich erschrak. Das konnte ich nicht so stehen lassen. Schließlich unterschied ich mich in grundsätzlicher Hinsicht von meiner Mutter. Genau genommen hatten wir nicht die geringste Ähnlichkeit miteinander. Weder im Aussehen, noch im Verhalten, schon gar nicht im Gefühlsbereich.............. Weiter kamen meine Gedanken nicht, denn so von tief aus der Brust schlich sich dieses mir nur allzu bekannte Gefühl von Unstimmigkeit ein. Ich beschloss, mich ein andermal mir diesem Thema zu befassen.

Also entledigte ich mich meiner Schuhe, warf sie neben den Platz, den ich mir zum Liegen auserkoren hatte, warf meine Strümpfe hinterher und ließ meinen Körper langsam sinken – die verblühten Reste einiger Gänseblümchen auf der einen und zwei kleine Schlüsselblumen auf der andern Seite.
Diese Geste des Strümpfewerfens schien ihr imponiert zu haben. Aber vielleicht war ja auch wirklich ich gemeint. Wie dem auch sei: plötzlich stand sie neben mir und schaute auf mich herab. Bei der ersten Silbe ihres ersten Wortes öffnete ich erschrocken die Augen. „Kennen wir uns von irgendwo her?“ Sekundenbruchteile später hatte ich mich gefasst. ‚Plumpe anmache;’ schoss es mir durch den Kopf. Ich verneinte ihre Frage und in ihren Augen blitzte für einen kurzen Moment Enttäuschung auf. Zumindest bildete ich mir das ein. Aber vielleicht war ja auch nur ich enttäuscht. Enttäuscht von mir selbst – wie konnte ich nur so eine blöde Antwort geben. Sofort wurde ich mir meines Fehlers bewusst. Ich stammelte etwas von „... vielleicht ja doch ...“ und „... wer weiß wo ....“ vor mich hin. Damit war ich wohl recht unverständlich, denn in ihrem Gesicht bogen sich die Fragezeichen. Schließlich kam mir der rettende Gedanke oder besser gesagt: die rettenden Worte sprudelten aus meinem Mund – denn gedanklich war nicht mehr viel aus mir herauszuholen. Ob ich sie zu einem Cappuccino einladen dürfe, fragte ich. Denn wenn wir uns schon nicht kennen würden, wäre dies ja die beste Chance uns kennenzulernen.

Als ich die Tür des Cafés öffnete, spielten sie gerade Diana Krall’s „The Look Of Love“. Fest davon überzeugt, dass es sich hier nie und nimmer um einen Zufall handeln könnte, huschte ein Grinsen über meine Lippen. Wir setzten uns an einen der runden Tische mit einer brennenden Kerze in der Mitte. Die Zeitschrift, die unsere Vorgängerin zurück gelassen hatte, fragte uns, ob wir heute schon geküsst hätten. Auch unsere Kleidung wurde bemängelt und fürs Abendessen schlug sie uns vor, mal wieder Steaks zu grillen. Spätestens an dieser Stelle wurde mir bewusst, dass das Schicksal doch kein Arrangement für uns getroffen hatte: Ich bin Vegetarier und vertrete schlichtweg den Standpunkt, dass es bessere Dinge zu essen gibt, als tote Tiere. Ich konnte nicht umhin, dies sofort und klar zu äußern. Und so hatten wir denn auch gleich ein Gesprächsthema. Mein Gegenüber äußerte dabei ebenso klar, dass es fleischlichen Genüssen überhaupt nicht abgeneigt sei. „Auch nicht im zwischenmenschlichen Bereich,“ fügte sie hinzu. Ich nehme an, ich wurde rot. Jedenfalls brach sie in schallendes Gelächter aus, was die anderen anwesenden Gäste dazu brachte, ihren Kopf zu uns hin zu drehen. Peinlichkeiten kannte sie nicht und ich frage mich heute noch, wie die Geschichte weiter gegangen wäre, wäre nicht plötzlich die Tür aufgegangen und eine gut aussehende Frau, ungefähr Mitte dreißig, mit schulterlangen blonden Haaren den Raum betreten hätte.
Meine Begleiterin und sie schienen sich zu kennen. Herzlich war die Begrüßung und ich spürte sofort, dass ich von nun an keine bedeutende Rolle mehr spielen würde. Mehr als kurze Blicke in einem Gespräch, das ausschließlich zwischen den beiden stattfand (und mich – so sei ehrlicherweise gesagt – auch überhaupt nicht interessierte) erntete ich nicht. Selbst diese kurzen Blicke galten nicht mir. Zufällig trafen sie mich, wie man im konzentrierten Gespräch mal dahin und dorthin schaut, der Blick vielleicht eine Stuhllehne trifft, eine Kaffeetasse oder auch eine gerade am Tisch vorbei gehende Person. Ich versank in die Bedeutungslosigkeit.
Wie wäre er wohl gewesen – ein Kuss von ihr? Wäre da nicht der Gedanke gewesen, dass man mir beim Denken zuschauen würde, was ich absolut nicht haben kann – da könnte ja einer meine Gedanken erraten – ich hätte mir eine solche Situation in allen Feinheiten vorgestellt. Ich ließ es bleiben. Stattdessen schob sich jetzt mehr und mehr der Gedanke in mein Hirn, wie dieser Situation wohl am galantesten zu entkommen wäre.

Ich stehe auf. Mit dem bedauerndsten Gesicht, das ich in meinem Repertoire zur Verfügung habe, teile ich den Frauen mit, dass ich nun leider gehen muss. „Noch einiges zu besorgen,“ antworte ich auf die erwartete Warum-Frage. Es scheint mir, dass meine Antwort keinen so recht interessiert. Eine zurückhaltende Handbewegung, ein kurzer Blick, und schon finde ich mich auf der Straße wieder.
Dieser letzte Blick! Da war es wieder – dieses Gefühl: da passt was zwischen uns, da ist ein Band spürbar, da schwingt etwas. Egal, ich nehme Kurs auf die Wiese, breite mich der Länge nach aus, lege meine Jacke unter den Kopf und atme tief durch. Es war schon richtig, was ich ihr sagte: Ich habe noch einiges zu besorgen. Gleich werde ich mich aufmachen. Aber zuerst einmal ...
Die Sonne strahlt in mein Gesicht. Ich fühle mich spürbar erleichtert und wundere mich darüber. Beim Einschlafen denke ich an meine Mutter ...
 
Die Stille des Mittags

auf dem großem Platz vor der Kirche. Zerrissen nur durch das Geräusch eines rollenden Koffers auf den Pflastersteinen, die den Schotterbelag der Platzmitte umrunden. Die flimmernde Hitze schmiegt sich zwischen alte Kastanienbäume. Die Blätter rascheln in kaum spürbarer Luftbewegung. Hier und da liegen Menschen auf grünen Parkbänken, den Kopf auf einer zu einem Kissen zusammen gerollten Jacke und halten die Augen geschlossen. Manch einer mag schlafen, andere denken an den vergangenen Abend und wieder andere planen den Nachmittag.
Ich sitze auf einer dieser Bänke und beobachte das Szenarium. Den ganzen Vormittag bin ich durch diese Stadt gelaufen. Durch überfüllte Fußgängerzonen, über laute Märkte und stille Museen. Die Flut der Eindrücke ließ von Minute zu Minute das Bedürfnis wachsen, mich bald an reizärmere Orte zurückzuziehen. Und nun also sitze ich hier. Gerne würde ich noch ein wenig nachdenken und die Erlebnisse des Vormittags sortieren – den Wahrnehmungen einen Sinn verleihen. Doch meine Augen und mein Verstand sind der aufkommenden Müdigkeit nicht gewachsen. Warum kämpfen? Sich ergeben in den natürlichen Gang der Dinge, scheint mir da der sinnvollere Weg.

Traumfetzen, unterbrochen von der fragmentarischen Wahrnehmung meiner Umgebung martern meine Seele. Keine Erholung, kein sanftes Schlummern mit der Aussicht auf Frische und sinnigere Wahrnehmung der Welt.
Stattdessen beschleichen mich Ängste, geboren aus dem Übergang zwischen Schlaf und Wachheit und der Gefahr des Verlustes jeglicher Kontrolle.

Nach genau neunmaligem Abnicken des Kopfes, letztlich zur rechten Schulter hin, beschließe ich, diese Quälerei zu beenden und mich auf eine nahe gelegene Wiese zurückzuziehen.

Ich vermute, dass es ihre gesamte Haltung war, die mich so anzog. Wie wenn sich jede Faser meines Organismus auf sie konzentriert hätte, entstand ein Sog, dem ich nur mit Mühe entgegensteuern konnte. Aber wollte ich das überhaupt?
Ihre halblangen braunen Haare bewegten sich im Wind, ihr wohlgeformten Brüste waren unter ihrem T-Shirt deutlich zu erkennen und zu allem Überfluss: die leuchtenden Augen ihres braunen, weichen Gesichts lachten mich an.
Ich zögerte. Sie saß bereits auf diesem grünen Teppich, übersät mit neu geborenen Gänseblümchen – ich stand noch da – unschlüssig.
Meine Müdigkeit kämpfte mit meiner Lust – Sekunden. Und doch war bereits in der ersten Sekunde klar, wie es weiter ging. Weiter gehen musste: ich war einfach zu müde...... Sie hatte gesiegt – die Erschöpfung! Ein ereignisreicher Vormittag lag hinter mir und in diesem Zustand war ich sowieso zu nichts mehr zu gebrauchen. Nicht mal zum reden, geschweige denn zu einem Flirt. Außerdem hatte sie ja auch die Möglichkeit zu mir zu kommen. Wieso immer ich? Warum sollte ich immer alles beginnen? Das war doch immer so.... „Nein, sei still,“ sagte ich leise zu mir selbst, „denke nicht immer über dein halbes Leben nach aufgrund von Banalitäten.“
„Wieso immer ich?“ Diese Frage bohrte einfach weiter. Wie oft hatte ich diesen Satz von meiner Mutter gehört. Immer dann, wenn mein Vater Forderungen an sie stellte, denen sie nicht nachkommen wollte. Und nun hatte ich ihn gebraucht. Ich erschrak. Das konnte ich nicht so stehen lassen. Schließlich unterschied ich mich in grundsätzlicher Hinsicht von meiner Mutter. Genau genommen hatten wir nicht die geringste Ähnlichkeit miteinander. Weder im Aussehen, noch im Verhalten, schon gar nicht im Gefühlsbereich.............. Weiter kamen meine Gedanken nicht, denn so von tief aus der Brust schlich sich dieses mir nur allzu bekannte Gefühl von Unstimmigkeit ein. Ich beschloss, mich ein andermal mir diesem Thema zu befassen.

Also entledigte ich mich meiner Schuhe, warf sie neben den Platz, den ich mir zum Liegen auserkoren hatte, warf meine Strümpfe hinterher und ließ meinen Körper langsam sinken – die verblühten Reste einiger Gänseblümchen auf der einen und zwei kleine Schlüsselblumen auf der andern Seite.
Diese Geste des Strümpfewerfens schien ihr imponiert zu haben. Aber vielleicht war ja auch wirklich ich gemeint. Wie dem auch sei: plötzlich stand sie neben mir und schaute auf mich herab. Bei der ersten Silbe ihres ersten Wortes öffnete ich erschrocken die Augen. „Kennen wir uns von irgendwo her?“ Sekundenbruchteile später hatte ich mich gefasst. ‚Plumpe anmache;’ schoss es mir durch den Kopf. Ich verneinte ihre Frage und in ihren Augen blitzte für einen kurzen Moment Enttäuschung auf. Zumindest bildete ich mir das ein. Aber vielleicht war ja auch nur ich enttäuscht. Enttäuscht von mir selbst – wie konnte ich nur so eine blöde Antwort geben. Sofort wurde ich mir meines Fehlers bewusst. Ich stammelte etwas von „... vielleicht ja doch ...“ und „... wer weiß wo ....“ vor mich hin. Damit war ich wohl recht unverständlich, denn in ihrem Gesicht bogen sich die Fragezeichen. Schließlich kam mir der rettende Gedanke oder besser gesagt: die rettenden Worte sprudelten aus meinem Mund – denn gedanklich war nicht mehr viel aus mir herauszuholen. Ob ich sie zu einem Cappuccino einladen dürfe, fragte ich. Denn wenn wir uns schon nicht kennen würden, wäre dies ja die beste Chance uns kennenzulernen.

Als ich die Tür des Cafés öffnete, spielten sie gerade Diana Krall’s „The Look Of Love“. Fest davon überzeugt, dass es sich hier nie und nimmer um einen Zufall handeln könnte, huschte ein Grinsen über meine Lippen. Wir setzten uns an einen der runden Tische mit einer brennenden Kerze in der Mitte. Die Zeitschrift, die unsere Vorgängerin zurück gelassen hatte, fragte uns, ob wir heute schon geküsst hätten. Auch unsere Kleidung wurde bemängelt und fürs Abendessen schlug sie uns vor, mal wieder Steaks zu grillen. Spätestens an dieser Stelle wurde mir bewusst, dass das Schicksal doch kein Arrangement für uns getroffen hatte: Ich bin Vegetarier und vertrete schlichtweg den Standpunkt, dass es bessere Dinge zu essen gibt, als tote Tiere. Ich konnte nicht umhin, dies sofort und klar zu äußern. Und so hatten wir denn auch gleich ein Gesprächsthema. Mein Gegenüber äußerte dabei ebenso klar, dass es fleischlichen Genüssen überhaupt nicht abgeneigt sei. „Auch nicht im zwischenmenschlichen Bereich,“ fügte sie hinzu. Ich nehme an, ich wurde rot. Jedenfalls brach sie in schallendes Gelächter aus, was die anderen anwesenden Gäste dazu brachte, ihren Kopf zu uns hin zu drehen. Peinlichkeiten kannte sie nicht und ich frage mich heute noch, wie die Geschichte weiter gegangen wäre, wäre nicht plötzlich die Tür aufgegangen und eine gut aussehende Frau, ungefähr Mitte dreißig, mit schulterlangen blonden Haaren den Raum betreten hätte.
Meine Begleiterin und sie schienen sich zu kennen. Herzlich war die Begrüßung und ich spürte sofort, dass ich von nun an keine bedeutende Rolle mehr spielen würde. Mehr als kurze Blicke in einem Gespräch, das ausschließlich zwischen den beiden stattfand (und mich – so sei ehrlicherweise gesagt – auch überhaupt nicht interessierte) erntete ich nicht. Selbst diese kurzen Blicke galten nicht mir. Zufällig trafen sie mich, wie man im konzentrierten Gespräch mal dahin und dorthin schaut, der Blick vielleicht eine Stuhllehne trifft, eine Kaffeetasse oder auch eine gerade am Tisch vorbei gehende Person. Ich versank in die Bedeutungslosigkeit.
Wie wäre er wohl gewesen – ein Kuss von ihr? Wäre da nicht der Gedanke gewesen, dass man mir beim Denken zuschauen würde, was ich absolut nicht haben kann – da könnte ja einer meine Gedanken erraten – ich hätte mir eine solche Situation in allen Feinheiten vorgestellt. Ich ließ es bleiben. Stattdessen schob sich jetzt mehr und mehr der Gedanke in mein Hirn, wie dieser Situation wohl am galantesten zu entkommen wäre.

Ich stehe auf. Mit dem bedauerndsten Gesicht, das ich in meinem Repertoire zur Verfügung habe, teile ich den Frauen mit, dass ich nun leider gehen muss. „Noch einiges zu besorgen,“ antworte ich auf die erwartete Warum-Frage. Es scheint mir, dass meine Antwort keinen so recht interessiert. Eine zurückhaltende Handbewegung, ein kurzer Blick, und schon finde ich mich auf der Straße wieder.
Dieser letzte Blick! Da war es wieder – dieses Gefühl: da passt was zwischen uns, da ist ein Band spürbar, da schwingt etwas. Egal, ich nehme Kurs auf die Wiese, breite mich der Länge nach aus, lege meine Jacke unter den Kopf und atme tief durch. Es war schon richtig, was ich ihr sagte: Ich habe noch einiges zu besorgen. Gleich werde ich mich aufmachen. Aber zuerst einmal ...
Die Sonne strahlt in mein Gesicht. Ich fühle mich spürbar erleichtert und wundere mich darüber. Beim Einschlafen denke ich an meine Mutter ...
 



 
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