Die Südgermanische Union (SGU)

Die Südgermanische Union (SGU)

Im Ratskeller zu Konstanz hatte sich am 1. Juli 2014 eine kleine Gruppe von siebzehn Gleichgesinnten getroffen, die sich südgermanische Liga nannte und eine Fusion von DE, AT und CH anstrebte. Noch waren es vage Vorstellungen, jedenfalls gehörten die Deutschsprechenden zusammen.
Der Vorsitzende der Liga, Urs-Leopold Piefke, ein Berliner mit schweizerischen und österreichischen Wurzeln, erläuterte mit warmen Worten, wie man dem Ziel näher kommen könnte. Der Gruppe gehörten auch Leute der Dudenredaktion und des Völker verbindenden Fernsehsenders 3SAT an.
Natürlich gab es Bedenkenträger. Was würde aus den Franko- und Italoschweizern werden? Wie sollte man die Südtirolfrage lösen? Was sollte mit den Luxemburgern, den Liechtensteinern und der deutschsprachigen Gemeinschaft in Belgien geschehen? Der Schweizer Gotthard Teller und der Ösi Sigismund Metternich waren nicht allzu euphorisch. Selbst die Grundidee stand noch auf tönernen Füßen. Die Baseler und die Salzburger, einst bayrische Landeskinder, wären sicher eher zu überzeugen als die Zürcher und Wiener, von denen quasi jeder fünfte tschechisches Blut in den Adern hat. Piefke wollte in diesem Stadium keine endlosen Debatten haben, sondern er wies Franz Gschaftlhuber, den Schriftführer, an, all diese Bedenken erst einmal festzuhalten.
Die Veranstaltung drohte zu kippen. Metternich griff ein, weil Piefke offensichtlich die Übersicht verloren hatte:
„Wir wollen uns doch nicht bei Randproblemen aufhalten, die später erörtert werden können. Wir müssen uns jetzt auf die Gegenwart konzentrieren. Zuallererst müssen wir aus unserm Verein eine Partei machen“, mahnte Sigi.
„Ist alles schon vorbereitet“, warf Gschaftlhuber ein, „die Parteibücher mit den Initialen der Südgermanenpartei (SGP) sind bereits gedruckt. Wer Mitglied werden will, braucht nur das Formular in meiner Homepage auszufüllen. Dann kriegt ihr das Parteibuch zugeschickt. Kommen wir nun zur Wahl des Parteivorstands“.

Gotthard schlug vor, den Vorstandsvorsitzenden der Liga zum Parteichef der SGP zu ernennen. Er, Sigi, und Gschaftlhuber, säßen dann im Parteivorstand.
„Jemand mit diesem Vorschlag nicht einverstanden? Ich bitte um Handzeichen“.
Keine Gegenstimmen im Saal.
„Urs-Leopold Piefke, nimmst Du die Wahl an?“
„Ja, ich nehme die Wahl an“.
Piefke war ordentlich stolz auf seine Truppe, und zu Sigi sagte er hinter vorgehaltener Hand: „Du machst Deinem Urahn Clemens, dem alten Strippenzieher, alle Ehre. Du wirst mal unser Außenminister“.
„Danke, Piefke“.

Gschaftlhuber rief auf zur Mittagspause. Man beschloss beim Pfleiderer, auch einem Sympathisanten der Bewegung, zu speisen.

Gotthard bestellte sich, sehr zum Erstaunen der anderen, Matjesfilet mit Pellkartoffeln und Sigi Eisbein mit Sauerkraut. Die Tischunterhaltung lieferten die Damen und Herren vom Duden, die die gesamte Bandbreite des zur Verfügung stehenden Wortschatzes zum Besten gaben.
„Ribisele-Kompott – wat is dattenn“, bemerkte Jupp, ein Duisburger Teilnehmer.
„Kannst du haben“, sagte Pfleiderer, der Piefke gerade Germknödel servierte. „Es gibt ja auch noch Nachtisch“. Jupp war genauso schlau wie vorher.

Pfleiderer kam und kassierte. Es ging weiter.

„Von mir aus können wir jetzt noch mal über die West- und Südschweiz diskutieren“, meinte Sigi.
Die Welschen jenseits des Röstigrabens können doch Autonomiestatus erhalten, ebenso die Italoschweizer Wenn sie zu den Franzosen oder Italienern wollen, lassen wir sie laufen“, sagte Piefke.
Gotthard assistierte: „Du hast völlig recht, Piefke. Dabei könnte sich auch die Südtirolfrage erledigen. Wenn sich das Tessin Italien anschließt, verlangen wir, dass die Italiener Südtirol rausrücken. Die wollen doch schon lange wieder nach Bayern“.
„Und die Kastelruther Spatzen spuin auf bei der Übergabezeremonie“, ergänzte Gschaftlhuber.
„Und Reinhold Messner und Markus Lanz teilen sich die Festansprache“, bemerkte Gotthard.
Damit war Südtirol war abgehakt.
„Luxemburg, Liechtenstein und die Deutschbelgier vergessen wir erst mal ganz“, meinte Sigi.

Piefke war schweigsam und nachdenklich. Allmählich musste man sich mit den Kernproblemen beschäftigen. Sein Fernziel, DE, AT und CH in einem Bundesstaat zu vereinigen und zu verschmelzen, war zwar gegenwärtig illusorisch aber keinesfalls eine Fata Morgana. Er würde sein Ziel nicht aus dem Auge verlieren. Aber bereits ein Staatenbund wäre ein großer Fortschritt und vor allem würde ein Staatenbund noch keine einschneidenden
Strukturreformen erfordern. Trotzdem wollte er die Grundsatzfrage „Bundesstaat oder Staatenbund“ zur Diskussion stellen.

Piefke ergriff das Wort: „Leute, wir haben bisher alle möglichen Gedankenspiele veranstaltet, aber kommen wir nun zu den Kernproblemen. Wollt ihr einen Bundesstaat oder einen Staatenbund?“
„Lasst uns abstimmen“, sagte Sigi.

Das Ergebnis entsprach Piefkes Erwartungen.
Nur Gschaftlhuber, der Jupp aus Duisburg und die Damen und Herren der Dudenredaktion hatten für den Bundesstaat gestimmt. Die Realisten hatten gesiegt. Dass Piefke den Staatenbund nur aus strategischen Gründen – unter Bauchschmerzen – gewählt hatte, musste keiner wissen.
Die Befürworter des Bundesstaates waren sich wohl nicht der Konsequenzen bewusst. Für Piefke lag zwar der Gedanke, Österreich und die Schweiz von Berlin aus zu regieren, nahe, und auch dem Gotthard und dem Sigi wäre es sicher egal, ob die drei Bruderländer von Berlin, Wien, Bern oder auch München regiert würden, aber das war mit Sicherheit nicht durchsetzbar. Die Variante, dass alle Beteiligten ihre nationale Identität zugunsten eines Staatsgebildes aufgeben sollten, für das überhaupt erst ein Name gefunden werden müsste, war noch realitätsferner. Nein, die Staatenbund-Lösung war zurzeit die einzig richtige.

Das hätte jetzt ein würdiger Abschluss der ersten Versammlung sein können, aber im Hinblick auf sein Fernziel wollte Piefke noch andere Grundfragen gelöst wissen. Dass es weitreichende Kompromisse brauchte, war ihm klar. Besonders den Schweizern musste er entgegenkommen.
Als künftige Währung schlug Piefke daher den Schweizer Franken vor. Das wurde von allen sofort akzeptiert. Als Piefke aber die schweizerische Kantoneinteilung für alle empfahl, gab es Gegenwind.
„Dann bestehe ich darauf, dass jeder Kanton von einem Landeshauptmann regiert wird“, konterte Metternich.
„Namen sind Schall und Rauch“, entgegnete Gotthard, „strukturelle Änderungen sind damit nicht verbunden“.
Zuruf von Pfleiderer: „Und der Jupp aus Duisburg wird Landeshauptmann vom Kanton Nordrhein-Westfalen“.
Und der Herr Programmdirektor von 3SAT schlug vor, die künftigen Bundeskanzler Gouverneure zu nennen - je einen für DE, AT und CH. Das war zwar ironisch gemeint, aber
Piefke strahlte. Dieser Vorschlag entsprach ganz seinen Intentionen. Jetzt konnte er auch die heikle Frage nach der künftigen Vereinsfahne stellen.
Als er Schwarz-Rot-Gold als Grunddesign für alle drei Staatsfahnen vorschlug, war deutliches Murren vernehmbar.
„Kinder, stellt euch nicht so an. Bei der alten Burschenschaftsfahne, Symbol der Freiheit, können die 1990 Wiedervereinigten kaum Zugeständnisse machen“, mahnte Piefke.
Jetzt war ein Diplomat gefragt. Metternich rettete die Situation:
„Man kann ja die Fahnen mit landestypischen Beigaben verzieren. Denkt mal drüber nach und lasst euch Zeit damit. Das müssen wir heute nicht endgültig klären“.
„Irgendwie riecht das alles nach Entmachtung“, sagte Gotthard (zu Recht) misstrauisch.
„Nur ein bisschen, euer oberster Dienstherr ist dann der Präsident des Staatenbundes“, versuchte Piefke zu beschwichtigen.
„Das musst du uns aber näher erläutern“, forderte Sigi.
„Mach ich, mach ich, Sigi, nur heute nicht mehr.
Die nächste Versammlung wurde von Piefke provisorisch für den 1.Oktober 2014 angesetzt, dann in Bregenz.
„Ehe wir auseinandergehen, ihr Leute von 3SAT, sorgt dafür, dass uns euer Programmdirektor genug Sendezeit einräumt, damit wir ausgiebig die Werbetrommel für unsere junge Bewegung rühren können“.
„Aber bitte nicht mit dem Holzhammer“ ergänzte Staatsmann Metternich, „wir müssen das Volk langsam einlullen, gewissermaßen reif machen für unsere Ideen“.
„Nur nicht zu langsam“ meinte Piefke und zu Gschaftlhuber gewandt: „Dein Bruder ist doch Inhaber einer Großdruckerei. Der kann Werbebroschüren drucken“.
Piefke appellierte an alle, sich bis Oktober Gedanken zur Gestaltung der Prospekte zu machen.

Mitten um allgemeinen Aufbruch bat Piefke den Sigi und den Gotthard noch zu einem Privatissimum.
Piefke dozierte:
„Wir haben noch einen sehr weiten Weg vor uns. Solange wir in unsern bestehenden Parlamenten nicht mindestens mitregieren, können wir nicht viel verändern. Die nächsten Wahlen in der Schweiz und in Österreich finden erst 2016 statt. Wenn wir großes Glück haben, erreichen wir dann vielleicht 20%.“.
„Bis dahin sind wir alt und grau“, sagte Sigi, „per Staatsstreich ginge es schneller“.
„Nein Sigi“, widersprach Piefke, „wir schaffen das auf legalem Weg, und alt und grau sind wir noch lange nicht“.
„Dein Optimismus in Gottes Ohr“, sprach Gotthard, „aber packen wir’s an“.

Also ihr Lieben, auf Wiedersehen in Bregenz!


Bregenz, den 1.10.2014
Die Propagandamaschinerie hatte ein Wunder bewirkt. Die Getreuen hatten ihre gesamte Verwandtschaft und Bekanntschaft mobilisiert, über Telefonate, E-Mails und Internetwerbung. Das überwältigende Echo bewog Piefke, eine große Festhalle mit Lautsprecheranlage anzumieten.
Der Saal füllte sich rasant, die Programmzettel gingen weg wie die warmen Semmeln.
Eben erschien der Jupp aus Duisburg mit großem Gefolge, dem auch eine niederländische Delegation angehörte.
„Piefke, das ist Nicoltje Jeesters aus Amsterdam“, verkündete Jupp.
Sie berichtete, dass sie mit Jupp ins Gespräch gekommen war, als dieser im grenznahen Venlo Einkäufe tätigte. Sie hätte sich lange mit ihm unterhalten und ihm auch erzählt, dass sie Leiterin einer niederländisch-deutschen Sprachvereinigung war.
Piefke war einen Moment ratlos. Natürlich gehörten die Niederländer, diese ausgebüxten Niederdeutschen, dazu. Aber erst einmal musste er die Dreier-Union aus Saupreißen, Ösis und Eidgenossen. unter Dach und Fach bringen. Er konnte sein Ziel jetzt nicht durch Experimente gefährden. Auf jeden Fall würde er aber mit Nicoltje in Verbindung bleiben, und er sagte ihr, dass er sie am Ende der Veranstaltung unbedingt sprechen müsse.

Gschaftlhuber eröffnete die Veranstaltung und bat Piefke ans Rednerpult.
Der erste Teil seiner Ansprache war den Gemeinsamkeiten der drei Brudervölker gewidmet. Dabei stand die gemeinsame Kultur ganz im Vordergrund. Es fielen große Namen wie Goethe und Schiller, Gottfried Keller und Friedrich Dürrenmatt, Haydn und Mozart. Und natürlich auch Namen von Vertretern der leichten Muse – Wilhelm Busch, Loriot, Paola und Kurt Felix, Emil Steinberger, Peter Alexander, Paul und Christiane Hörbiger. Piefkes Begeisterung war ansteckend, die Namensliste wurde immer länger. Dem wahrscheinlichen Einwand, dass die Mentalitätsunterschiede der drei Länder doch sehr groß seien, kam Piefke zuvor. Mentalitätsunterschiede gäbe es auch in Deutschland, aber gerade diese erweckten auch die Neugier aufeinander, und die gemeinsame Sprache erleichtere das.
Das Publikum klatschte mehrfach heftig Beifall. Piefke war es gelungen, seine Zuhörer mitzureißen.
Nun konnte er zum programmatischen Teil seiner Rede übergehen. Obwohl die meisten sein Ziel im Wesentlichen kannte, überraschte er sie doch mit Details zur Struktur der geplanten Zentralregierung. An der Spitze des Staatenbundes stünde, wie in den USA, der Präsident. Die parlamentarische Arbeit übernähme. das Repräsentantenhaus, dem der Senat gegenüberstände.
Murren im Saal.
„Leute, beruhigt euch, rief Piefke, „ich habe jetzt eine Podiumsdiskussion vorgesehen. Dabei wird euch vieles klarer werden“.
Piefke bat den Sigi, den Gotthard, den Jupp und den Gschaftlhuber auf die Bühne.
„Du, Gschaftlhuber, übernimmst das Protokoll“.
„Was wird aus den Regierungen in Berlin, Wien und Bern?“, fragte Sigi.
„Die bleiben genau da, wo sie auch jetzt sind“, entgegnete Piefke, „nur werden sie einige Kompetenzen an die Zentralregierung abgeben müssen“.
„Also doch Entmachtung, wie ich schon vermutete“, schimpfte Gotthard.
„Keine Bange, die Gouverneure in Berlin, Wien und Bern werden noch genug zu tun haben“.
„Und wo, bitt schön, soll die Zentralregierung residieren?“, fragte Sigi
„In Frankfurt, wo die Paulskirchenbewegung 1848 ihren Anfang nahm. Das ist der Würde des Präsidentenamts angemessen“.
„Und dann werden in Frankfurt Protzpaläste gebaut wie in Brüssel“, meckerte Gotthard.
Lautstarker Zuruf aus dem Publikum: “Brüssel, das ist ein gutes Stichwort. Was ist mit der EU und dem €?“
„Wir sind nicht gegen die EU sondern deren Vorreiter, aber unsere Währung ist der Schweizer Franken. Die Briten haben ja auch noch ihr Pfund“, entgegnete Piefke, „jedenfalls die ständigen Fehlentscheidungen der Kommission tragen wir nicht mehr mit. Wir kochen erst mal unsere eigene Suppe, basta“, und zu Gotthard gewandt, „Protzpaläste bauen wir nicht“.

Da in Frankfurt wohl kein geeignetes Areal zur Unterbringung des gesamten Regierungsapparates zur Verfügung stand, schlug Piefke vor, dafür einen Teil des Frankfurter Stadtwalds zu opfern. Bis 2020 war es zwar noch lange hin, doch sollten sich Architekten schon mal mit der Projektierung eines optisch ansprechenden Kuppelbaus beschäftigen, in dem das Repräsentantenhaus (Parlament), der Senat und die Ministerien unterzubringen waren. Auch könnte man die zum Nationalmuseum gewordene Paulskirche wieder aktivieren. Dort könnten sicher ebenfalls kleinere Sitzungen stattfinden. Das würde auch Kosten sparen.
„Wie wär’s denn mit dem Messegelände? Die dortige riesige Festhalle ist doch ideal. Darin lassen sich das Repräsentantenhaus, der Senat und die Ministerien bequem unterbringen“, regte Sigi an.
„Ich lasse mir das Ganze noch mal durch den Kopf gehen“, entgegnete Piefke. Der Präsident selbst sollte jedenfalls nach seinen Vorstellungen als Hausherr in den Römer einziehen. Das Stadtparlament würde umquartiert.

Das anhaltende Gemurmel im Saal ließ vermuten, dass die vorgestellte Zentralregierung beim Publikum noch nicht angekommen war. Dass bestätigte sich an einem Zuruf:
“Wenn ich es richtig verstanden habe, ist der ganze Regierungsapparat ein Konstrukt aus schweizerischem und amerikanischen Vorbild“.
„So ist es“, bemerkte Sigi lakonisch.
Hohe Zeit für Gschaftlhuber, eine Projektion der Regierungshierarchie auf einer Leinwand vorzuführen:

Zentralregierung (Präsident)
Bundesstaat- wie Österreich (Gouverneur)
Kanton – wie Hessen (Landeshauptmann)
Kreis (Landrat)
Kommune (Bürgermeister)

Damit war die vorgesehene Neuordnung erst mal in groben Zügen erklärt.
Dass diese Umstellung nicht zum Nulltarif zu haben war, war klar. Jedenfalls würde Piefke bestrebt sein, die Kosten von vornherein so niedrig wie möglich zu halten.

Piefke setzte den 1.April 2015 als Termin für das nächste Treffen fest, nunmehr in Basel. Er erklärte die Versammlung für geschlossen. Dann eilte er auf Nicoltje Jeesters zu und versicherte ihr, dass die Niederlande als vierter Bundesstaat der. Union beitreten könnten, sobald der Bestand der Union gesichert war. Ihre Sprachautonomie sollten die Niederlande behalten.
„Aber vor 2020 ist nicht an einen Anschluss der Niederlande zu denken, tut mir leid, Nicoltje.“
Die beiden tauschten ihre Telefon- und E-Mail-Adressen aus und sahen sich noch einmal tief in die Augen.
„Mach Dir mit Deiner Delegation noch ein paar schöne Tage in Bregenz!“
Damit verabschiedeten sie sich.


Die Zeit bis zum Baseler Treffen war gekennzeichnet durch intensive Kontaktpflege der Mitglieder. Die Zahl der Parteieintritte wuchs rasant.
Der umtriebige Gschaftlhuber machte seinem Namen alle Ehre und gründete in München die Jugendorganisation der jungen Südgermanen (JSG). Auch Piefke wies in langen Telefonaten mit Sigi und Gotthard darauf hin, wie wichtig es sei, die Jugend für die große Idee zu gewinnen.
Aber auch bisher nur andiskutierte Themen waren Gegenstand der Gespräche, u.a. die Zukunft Luxemburgs. Hierzu hatte Sigi Metternich seine ganz eigenen Vorstellungen.
Die Logik sprach zwar auch hier für einen Anschluss an die Union, aber mit Rücksicht auf die gutnachbarlichen Beziehungen zu Frankreich sollte Luxemburg selbständig bleiben. Der kleine Exotenstaat wäre ideal für Begegnungen von Kosmopoliten aus aller Welt. Das käme auch Kapitalanlegern und Steuerflüchtlingen zugute. Irgendwohin mussten diese ja ihre gewaschenen und ungewaschenen Gelder bringen können, wenn die Schweiz als sicherer Hort ausfiel. Gotthard hatte persönlich nichts gegen Steuerflüchtlinge, doch musste die Unionisten auf ihren guten Ruf achten.
Der Fall Liechtenstein wäre ganz ähnlich zu betrachten. Auch hier sollte man alles beim Alten belassen. Der Fürst von Liechtenstein sollte weiter seine hübschen Briefmarken verkaufen.
Ein klärendes Gespräch mit Piefke brachte die Entscheidung:
Luxemburg und Liechtenstein würden selbständig bleiben.


Neue Ortsgruppen der SGP und grenzüberschreitende Städtepartnerschaften entstanden. Piefke, Sigi und Gotthard waren ständig auf Vortragsreisen. Sie pflegten auch immer mehr den privaten Kontakt untereinander. Sigi kam gerade aus Neubrandenburg zurück, wo er sehr herzlich vom dortigen Ortsgruppenleiter empfangen worden war. Ähnliches erlebte Gotthard in Duisburg, wo er, vielleicht auch wegen seiner urigen Aussprache, lebhaften Beifall erntete.
Jupp traf sich öfter mit Nicoltje Jeesters, und auch Piefke hatte regen E-Mail-Austausch mit ihr. Er machte sich mit der holländischen Sprache vertraut und er las niederländische Zeitungen. Neuerdings flirteten sie sogar am Telefon miteinander. Sie beide würden sich bestimmt nicht mehr verloren gehen. Er betrachtete die niederländische Sprache als Dialekt, aber man konnte da auch anderer Meinung sein.
Der Fernsehsender 3SAT strahlte immer öfter Spielfilme aus, in denen schweizerische, österreichische und deutsche Schauspieler gemeinsam auftraten. Noch erfreulicher war, dass auch die Fernsehdiskussionen zwischen Deutschen, Österreichern und Schweizern deutlich zunahmen. Das war das Wichtigste überhaupt.
Die Reisebüros meldeten, dass Fernreisen seltener gebucht wurden. Grazer und Klagenfurter ließen es sich in Hamburg gutgehen, Zürcher und Baseler zog es nach Berlin, und die Berliner machten sich in Wien breit. Eine Entwicklung, die Piefke mit Genugtuung erfüllte.
Es wuchs zusammen, was zusammengehörte.


Das Baseler Treffen rückte heran.
Die rasant zunehmenden Parteieintritte veranlassten Piefke und Gschaftlhuber, einen der größten zur Verfügung stehenden Säle zu mieten: den Festsaal des Stadtcasinos mit 700 Sitzplätzen. Die hohe Saalmiete konnte aufgebracht werden, weil die SGP potente Sponsoren aus der Industrie gefunden hatte.
Die Einladung zum Treffen auf der Homepage der SGP enthielt folgenden Passus:

„Da mehr Besucher erwartet werden, als Sitzplätze vorhanden sind, muss der Einlass bedauerlicherweise limitiert werden:
Für Parteimitglieder, die vor dem 1.12.2014 der SGP beigetreten sind, werden Plätze reserviert. Ansonsten muss das Los entscheiden, wer eingelassen werden kann. Nach dem 1.3.2015 eingehende Anträge können nicht mehr berücksichtigt werden.
Die Sitzplatzberechtigten werden rechtzeitig benachrichtigt. Die zugewiesene Sitzplatz-Nr. ist der Nachricht zu entnehmen.“


Diese Regelung ermöglichte auch Nichtmitgliedern die Teilnahme, worauf Piefke besonderen Wert legte.
Da er befürchtet, dass eventuell Nationalisten die Veranstaltung stören könnten, verständigte er vorsorglich die Baseler Polizei. Die war allerdings schon informiert. Man würde das Casino im Auge behalten.


Basel, den 1. April 2015
Tatsächlich waren ein paar Störenfriede aufmarschiert. Da die Protestaktion nicht angemeldet war, wurde sie aufgelöst. Außerdem erhob die Polizei Verwarnungsgelder. Ansonsten startete das Treffen dank der guten Vororganisation reibungslos
Das Procedere der Veranstaltung lief ähnlich ab wie in Bregenz: Podiumsdiskussion mit Beteiligung des Auditoriums. Gschaftlhuber bat Piefke ans Rednerpult, der einen Rechenschaftsbericht über das bisher Erreichte abgab. Piefke wies nachdrücklich darauf hin, dass die junge Bewegung noch einen weiten Weg vor sich habe. Alle Beschlussfassungen stünden unter dem Vorbehalt, dass die Partei nach den erst 2020 stattfindenden Wahlen in allen drei Ländern wenigstens mitregierte.
Um wirklich zum Erfolg zu kommen, wäre es auch ganz wichtig, dass sich die Partei nicht einseitig auf die Bildung eines Staatenbundes konzentrierte. Das SG im Parteinamen stünde auch für soziale Gerechtigkeit.
Piefke dachte an so manche Partei, die wegen einseitiger Ausrichtung bald wieder verschwand. Er musste sich darauf einrichten, dass er nach den Wahlen zunächst mit einem Koalitionspartner zusammenarbeiten musste. Am besten ginge das sicher mit den Sozialdemokraten, die er nicht unnötig verärgern durfte.

Auf dem Podium hatten auch zwei neue Gesichter Platz genommen, die Piefke als Anton Swoboda aus Wien und Peter Schluep aus Sankt Gallen vorstellte. Dem Swoboda und dem Schluep (das ‚u-ep‘ ließ sich Piefke genüsslich auf der Zunge zergehen) wäre es zu verdanken, dass die Jungen Südgermanen (JSG) auch in ihren Ländern im Kommen waren. Außerdem wären sie erfahrene Rechtsanwälte. Juristen waren als Berater immer willkommen.

Piefke wurde durch eine nicht eingeplante Anregung aus dem Saal unterbrochen.
„Wenn wir schon den Schweizer Franken zur Gemeinschaftswährung auserkoren haben, warum nennen wir uns dann nicht einfach „Die Frankenunion?“
„Klingt logisch, aber das ist nicht vermittelbar“, widersprach Sigi Metternich, „die Sachsen und die Wiener sind keine Franken“.
„Und die Zürcher auch nicht“, ergänzte Gotthard, „ebenso hätten wir uns auch „Die Duden-Germanen“ nennen können“ (eine Bemerkung, die für Heiterkeit sorgte).
Damit war die Frankenunion vom Tisch.
„Reden wir jetzt über ein noch immer ungelöstes Problem“ fuhr Piefke fort. „Mit euch, Sigi und Gotthard, bin ich nicht auf einen Nenner gekommen, wie wir die Flaggenfrage lösen können. Mein Vorschlag: Wir lassen unsere nationalen Flaggen im Kleinformat im Gösch eines blauen Fahnentuchs erscheinen“.
„Und fordern damit die Brüsseler heraus“, ergänzte Gotthard süffisant.
„Sehr richtig. Wir wollen ja auch diese lahmen Brüder provozieren“, antwortete Piefke.
„Aber was wird denn mit dem Statussymbol der Zentralregierung? Was soll denn über der Residenz des Präsidenten im Winde flattern?“, ließ sich Nicoltje Jeesters aus dem Zuschauerraum vernehmen.
Piefke war im Moment ratlos.
Staatsmann Sigi Metternich rettete wieder die Situation:
„Wie wär’s denn mit einer goldenen Verzierung in der Mitte des Blautuchs? Vielleicht ein goldenes Herz oder ein vierblättriges Kleeblatt?“
„Jawoll, Sigi, ein sehr guter Vorschlag. Dabei würde ich das Kleeblatt bevorzugen“, meinte Piefke nicht ohne Hintergedanken. „Hat jemand was dagegen?“
Keine Gegenstimmen. Damit war dieses Problem erst einmal erledigt.

Pfleiderer hatte noch immer nur vage Vorstellungen von der Struktur der Zentralregierung „Tröste dich, im Detail wissen wir das auch erst 2020“, sagte Gschaftlhuber, der seine Leinwand entrollte und ein paar dürftige Angaben auf diese projizierte:

Exekutive [ 4]Legislative
Präsident [ 6]Kongress
Minister [ 6]Repräsentantenhaus (Parlament)+Senat

„Wir werden uns sicher an der Struktur der amerikanischen Regierung orientieren.
Die kann man unter
http://www.schule-studium.de/Englisch/USA/AmerikanischesRegierungssystem.html
nachlesen. Doch wir werden das nur in den Grundzügen übernehmen. Jedenfalls werden beim Legislaturwechsel die Minister nach einem festen Schlüssel gegen einen Vertreter aus einem anderen Bundesstaat ausgetauscht. So regiert etwa ein österreichischer Finanzminister zeitgleich zusammen mit einem deutschen Innenminister. In der nächsten Legislaturperiode ist es dann vielleicht ein von der Schweiz entsandter Innenminister neben einem deutschen Finanzminister. Die Amtszeit des Präsidenten wird in der Regel zwei Legislaturperioden nicht überschreiten. Danach wird ein Präsident aus einem anderen Bundesstaat gewählt. Aber das sind schon Betrachtungen, die erst bei der Erarbeitung der Verfassung akut werden“.
„Das war ziemlich viel auf einmal“, moserte Pfleiderer. Jupp, Swoboda und Schluep meinten das auch.
„Ihr kriegt das alle noch schriftlich“, beschwichtigte der Sigi, „jetzt sollten wir erst mal eine Pause einlegen“.

Gschaftlhuber verkündete eine Unterbrechung von zwei Stunden und verwies auf das Restaurant Kohlhammer, in dem er alle verfügbaren Plätze reserviert hatte. Piefke, Jupp und Nicoltje steuerten zielstrebig darauf zu (andere verteilten sich auf Lokalitäten in der Nähe, weil die Plätze bei Kohlhammer schnell besetzt waren).
Nicoltje berichtete, dass in niederländischen Schulen das Wahlfach Deutsch nicht mehr so gefragt war, weil sich die Jugend mehr auf Englisch konzentrierte. Auch ihren Bruder hätte sie bisher nicht überzeugen können. „Der hält es mehr mit den Engländern“.
„Ich lade euch beide zum Karneval nach Düsseldorf ein“, frotzelte Jupp.
Piefke ermutigte Nicoltje, der Deutschverdrossenheit über ihren Sprachverein entgegenzuwirken. Aber da die Niederlande sowieso ihre Sprachautonomie behalten sollten, war das kein grundsätzliches Problem.

Der Nachmittag stand unter dem Motto „Verschiedenes“.
Gotthard mahnte an, dass es im Staatenbund mehr Volksentscheide geben sollte.
„Das wird es sicherlich, aber im Wesentlichen werden Volksentscheide auf einzelne Bundesstaaten beschränkt bleiben“, meinte Piefke, „und die Zentralregierung wird auch keinen Kultusminister haben“.
Zuruf aus dem Publikum: „Aber einen verstärkten Kulturaustausch wird es doch wohl geben?“
„Freilich, freilich“, sagte Sigi, „wir laden Hamburger Shanty-Sänger nach Wien ein.
„Und Tiroler Jodler machen Hamburg unsicher“, ergänzte der Pfleiderer aus Konstanz.
„Und Kölner Jecken werden gern beim Baseler Morgestraich mitwirken“, erklärte Gotthard.
„Genug gespaßt“, mahnte Piefke, „Schluss mit dem Schmäh“.
Als Gotthard aber die Bürgerversicherung und die aktive Sterbehilfe ins Gespräch bringen wollte, winkte Piefke ab. „Diese Themen sind zu schwierig. Darüber reden wir wieder, wenn die Wahlen vorbei sind, aber eine Vereinheitlichung des Rentenalters sollte möglich sein“.

Allmählich wurden die Helden müde, und Piefke ergriff das Schlusswort. Einen Termin für ein nächstes großes Treffen stellte er nicht in Aussicht. Bis zu den Wahlen 2016 war noch harte Überzeugungsarbeit zu leisten. Er forderte alle Teilnehmer nochmals eindringlich auf, bei allen Werbekampagnen für die Partei darauf hinzuweisen, dass das SG im Parteinamen auch für soziale Gerechtigkeit stand.
Seine letzten Worte (nachdem er sich mit einer Umarmung von Nicoltje verabschiedet hatte):
„Ich wünsche uns Allen gutes Gelingen!“.


Es wurde Oktober, die Wahlen rückten immer näher.
Piefke hätte allen Grund gehabt, optimistisch zu sein. 3SAT tat sein Bestes, um mit Spiel- und Dokumentarfilmen sowie Podiumsdiskussionen gesamtdeutsches Gedankengut zu vermitteln. Die Dudenredaktion erfreute die Leser des Online-Dudenletters mit lustigen Beiträgen über österreichische und schweizerische Eigenheiten.
Und doch überkamen Piefke gelegentlich Zweifel an der Umsetzung seiner Visionen. Manchmal waren es fast Panikattacken – Angst vor der eigenen Courage. Als er sich einmal vorkam wie die Braut, die sich nicht traut, rief er den Sigi an und fragte nach dem Stand der Dinge in Österreich.
„Alles bestens Piefke, „die Parteieintritte entwickeln sich weiter höchst erfreulich“.
Piefke rang sich durch, Sigi auch über seine Absichten bezüglich der Niederlande aufzuklären. Aber das war nicht mehr nötig. Jupp hatte geplaudert, der gesamte Parteivorstand wusste Bescheid. Die Rheinländer können doch nichts für sich behalten! Und doch war Piefke froh, das es „raus war“. Wenn es Nicoltje gelänge, wieder eine deutschfreundliche Grundstimmung in den Niederlanden zu erzeugen, wäre sehr viel erreicht.
Mit den Worten „und schöne Grüße an dein Nicoltje“ verabschiedete sich Sigi und legte auf. („Dein Nicoltje?“ Du bist ein Schlitzohr, Sigi!).
In Einzeltelefonaten bat Piefke die Eingeweihten, striktes Stillschweigen zu bewahren. Das Projekt „Niederlande“ durfte nicht zur Unzeit publik werden.

Piefke entschloss sich zu einem Blitzbesuch in Venlo. Nicoltje freute sich riesig. Piefke klärte sie auch über die Bedeutung des goldenen vierblättrigen Kleeblatts in der Flagge der künftigen Zentralregierung auf: Die vier Zipfel des Kleeblatts verkörperten Deutschland, Österreich, die Schweiz und natürlich die Niederlande.
„Das habt ihr euch ja fein ausgedacht – Piefke!“ (sie hätte ihn auch mit seinem putzigen Vornamen Urs-Leopold anreden können. Aber ‚Piefke‘ war einfach noch lustiger).
„Nein, das habe ich mir ausgedacht“, Nicoltje.
Beide fielen sich fröhlich in die Arme. Bei mehreren Gläsern guten Rheinweins kamen sie sich näher und stießen übermütig auf Jupps Wohl an.
Piefke versuchte mit ihr zu „praten“. Nicoltje kringelte sich vor Lachen.
„Je moet nog veel leren – Urs-Leopold!“ frotzelte sie belustigt und unvermittelt fragte sie „Zeg, wil jou president worden?“
Statt einer Antwort gab er ihr einen herzhaften Kuss.

Auf der Heimfahrt im Zug kehrten die vor ihm liegenden Probleme zurück.
Über den Standort der künftigen Zentralregierung musste wegen der erforderlichen, wahrscheinlich zeitaufwendigen Baumaßnahmen möglichst bald Klarheit bestehen. Er würde mal Kontakt zu dem Leipziger Architekten Karlheinz Striesewitz aufnehmen, der am Umbau des Berliner Reichstags beteiligt war. Gespräche mit den Frankfurter Stadtplanern mussten auf jeden Fall geführt werden.
Aber auch die demographische Entwicklung, die schlechten Perspektiven der Jugend und der Pflegenotstand machten ihm zu schaffen.
Doch das waren Probleme, mit denen auch die Brüsseler zu kämpfen hatten. Er nahm sich fest vor, es besser zu machen. Das war er seinen Getreuen schuldig, mit denen er einen guten Griff getan hatte. Sigis Gelassenheit, Gotthards Direktheit, Gschaftlhubers Einsatzfreude, Pfleideres Gemütlichkeit und Jupps fröhliche Laune würden ihm Kraft geben, und er würde sie nicht enttäuschen. Zu Weihnachten besuchte er nochmal Nicoltje. Ihre fröhliche, burschikose Art tat ihm wohl. Vielleicht wurde mehr daraus.

Und dann geschah ein großes Wunder. Bei den Januarwahlen 2016 erreichte die SGP in Deutschland auf Anhieb 29%. Damit erhielten die Brüsseler Strategen die Quittung für ihre andauernden Fehlleistungen.
Die SPD hatte 35% erzielt. Das reichte für eine Koalition. Die SGP war mit in der Regierung!!
Piefke wurde Vizekanzler und Außenminister, Gschaftlhuber wurde Arbeitsminister, Pfleiderer übernahm das Wirtschaftsministerium und Jupp das Kultusministerium.
Von Nicoltje kamen die ersten Glückwünsche. Sigi und Gotthard schlossen sich an.

Die Wahl in Österreich Ende Januar verlief nicht ganz so günstig. Aber Sigi erlangte in einer SPÖ-Regierung ebenfalls das Vizekanzleramt und wurde Außenminister. Leopold Hofstetter, gleichfalls SGP-Mitglied, wurde Innenminister.
Das Wahlergebnis in der Schweiz (Ende Februar) war enttäuschender. Die SGP erhielt nur 16%. In einer von Sozialdemokraten geführten Dreierkoalition konnte sich Gotthard immerhin das wichtige Finanzministerium sichern. Ihm zur Seite stand Parteikollege Beat Blunschli als Wirtschaftsminister.


Die Bevölkerung der drei Bruderstaaten war inzwischen durch Funk und Fernsehen so weit auf eine Zentralregierung in Frankfurt eingestimmt, dass es Gotthard wagte, darüber eine Volksabstimmung in der Schweiz zu veranlassen. Die Rechnung ging auf. Das Ergebnis war zwar knapp, aber an 53% Pro-Stimmen kam die Regierungspartei nicht mehr vorbei.

Jetzt hatte Piefke freie Hand. Er setzte sich mit dem Architekten Striesewitz, dem Frankfurter Oberbürgermeister und den Frankfurter Stadtplanern zusammen. Den Gedanken an eine Teilrodung des Stadtwaldes hatte er fallen lassen. Hauptsitz der künftigen Zentralregierung sollte die Festhalle im Messegelände werden – gewissermaßen als Pendant zum Kapitol in Washington DC. Das Stadtparlament konnte sicher in einem noch zu errichtenden Anbau an die Kongresshalle untergebracht werden.
Piefke konnte die Stadtväter davon überzeugen, dass der wirtschaftliche Nutzen der Aktion den Aufwand für Umbauarbeiten sehr bald kompensieren würde. Die Stadt würde zu einem Magneten für Besucher aus aller Welt werden. Die Frankfurter Messe müsste darunter nicht leiden. Man könnte sie notfalls 1-2 km nach Westen verlagern, möglichst unter Schonung des Grüneburgparks.
Die Verhandlungspartner waren beeindruckt von Piefkes Engagement und Sachkenntnis. Striesewitz stimmte ebenfalls zu, aber die Bedeutung des Projekts würde auf jeden Fall die Zusammenarbeit mit einem weitern Architekturbüro erfordern. Striesewitz stellte in Aussicht, in etwa zwei Monaten erste Entwürfe vorlegen zu können.

Im August 2017 dankte der belgische König ab und die Wallonen suchten Anschluss an Frankreich. Die Flamen wurden Niederländer. Die Deutschbelgier bereicherten den Kanton Nordrhein-Westfalen, sehr zur Freude von Landeshauptmann Jupp
Nun hatten die „Brüsseler Europäer“ Probleme vor der eigenen Haustür.

Im Mai 2018 wurde aus Nicoltje Jeesters Nicoltje Piefke. Jupp war ein bisschen traurig, aber er war der erste, der den beiden Frischvermählten gratulierte.

Erste Vorbereitungen für die Ausarbeitung der Verfassung des künftigen Staatenbundes wurden getroffen. Berliner Juristen setzten sich mit Swoboda (Wien) und Schluep (Sankt Gallen) zusammen und studierten erst einmal die deutschen, österreichischen und schweizerischen staatspolitischen Rechtsordungen. Das bereitete einiges Kopfzerbrechen. Aber die Grundzüge der neuen Verfassung zeichneten sich langsam ab.
Hier Auszüge aus dem ersten Vorentwurf:

Die Urwahl des Präsidenten erfolgt durch Losentscheid. Danach entscheidet sich, ob zuerst ein Deutscher, Österreicher oder Schweizer in den Frankfurter Römer einzieht.
Die Nachfolge im Amt wird ebenfalls durch Losentscheid geregelt.
Wenn alle drei Länder im Lauf der Jahre das Präsidialamt innehatten, beginnt der Zyklus von vorn.
Die normale Amtszeit des Präsidenten endet nach vier Jahren.
Deutschland, die Schweiz und Österreich werden von Gouverneuren regiert. Die bisherigen Bundesländer werden zu Kantonen, denen Landeshauptmänner vorstehen.
Parlaments- und Senatswahlen finden alle vier Jahre statt.
Ein Ministeramt in der Zentralregierung wird nach Ablauf der Legislaturperiode von einem Angehörigen eines anderen Landes besetzt, ebenfalls in einem festgelegten Rhythmus.
Eine Sperrklausel verhindert den Einzug unerwünschter Splitterparteien. Zum Einzug ins Parlament sind mindestens 6% der Wählerstimmen erforderlich

(eine weise Maßnahme, wie sich später herausstellen sollte).

Im Messegelände ging die Umwandlung der Festhalle zum Kongressgebäude zügig voran. Der Anbau für das Stadtparlament war fast fertiggestellt. Für den Fall, dass der Platz für Aussteller und Besucher der Messe nicht mehr ausreichte, wurde vorsorglich weiteres Gelände reserviert und abgesteckt. Neue Hallen wurden vorerst nicht gebaut. Das konnte relativ schnell nachgeholt werden.
Diese Maßnahmen wurden immer mal wieder durch kleinere Protestaktionen vonseiten Uneinsichtiger gestört. Aber nach und nach gelang es durch umsichtige Überzeugungsarbeit, die Protestler umzustimmen.

September 2020
Deutschland hatte gewählt. Es gab wieder eine Koalitionsregierung, aber Piefke wurde Kanzler. Das Wunder wurde nur möglich, weil die AfD mit 5,5% die 6%-Prozenthürde nicht überwand. Piefke bedankte sich überschwänglich bei den Verfassungsvätern.

Oktober 2020
In Österreich wurde Sigi ebenfalls Kanzler, in einer Koalitionsregierung mit den Sozialisten.


November 2020
In der Schweiz erlangte Gotthard nur die Vizekanzlerschaft. Weil der erste Volksentscheid angefochten wurde, wurde er wiederholt. Diesmal stimmten 65% der Wähler der Bildung eines Staatenbundes zu.
Die Vereinigung der drei Bruderländer zur südgermanischen Union (SGU) wurde ausgerufen und die frischgebackene Verfassung des Staatenbundes in Kraft gesetzt. Überall im Lande läuteten die Glocken, überall in DE, AT und CH wurde gefeiert.
Alphörner erklangen auf der Hamburger Reeperbahn. In den Wiener Katakomben wandelten Schwiizer und Deutsche auf den Spuren des Dritten Mannes , wobei sie sich von den Klängen
der berühmten Zitherballade berieseln ließen. An der deutsch-österreichischen Grenzstation auf der Zugspitze wurde ein riesiges Brillantfeuerwerk gestartet. In Konstanz veranstalteten Bogenschützen aus Graubünden ein zünftiges Armbrustschießen. In Zürich rissen sich die Leute auf den Märkten um deutsche Ware, etwa Aachener Printen und Spreewaldgurken. Sächsische Kabarettisten eroberten die Bühnen in Salzburg und Bern. Im Münchner Hofbräuhaus fingerhakelten österreichische und schwiizerische Sportsfreunde mit den Bayern um die Wette. Das Fernsehen unterstützte die allgemeine Fröhlichkeit mit Rosinen aus der Konserve, wie Emil Steinbergers Darbietungen. Natürlich durfte Peter Frankenfelds Wetterkarte nicht fehlen. Auch Peter Alexander und Paul Hörbiger erzielten posthum hohe Einschaltquoten.

Die Festwochen gingen vorbei, und dann wurde es Ernst.
Am 10. Dezember 2020 versammelten sich die Regierungsdelegationen zur Präsidentenwahl im Kaisersaal des Frankfurter Römers.
Gschaftlhuber griff in die Lostrommel, alles hielt die Luft an:
Sigi war der Glückliche!!
Gschaftlhuber eilte auf den Balkon, um die Sensation zu verkünden:
„Habemus papam. Sigisnund Metternich for Präsident!“
Sigi trat auf den Balkon. Jovial, wie es sich für einen Österreicher gehört, winkte er der jubelnden Menge zu und hielt eine so launige Ansprache, dass diese immer wieder von Beifallsstürmen unterbrochen wurde. Sigi hatte die Herzen im Sturm erobert.
Dann wurde über dem Römer die blaue Fahne mit dem vierblättrigen golden Kleeblatt gehisst, unter den Klängen der neuen Nationalhymne

Was Vernunft heut fest gefügt hat,
niemals wird es mehr getrennt,
wir, ein Volk von einig Brüdern,
das sich Südgermanien nennt.
Von der Nordsee bis zum Loibl,
von der Schweiz bis an den Belt,
wohnt ein Volk von treuen Brüdern,
das bestaunt wird von der ganzen Welt.


Weil der Text schon drei Tage vorher über die Medien verbreitet wurde, konnten fast alle mitsingen. Die Melodie von Josef Haydn war ohnehin bekannt.
Nachdem sich das Volk verlaufen hatte, speisten die Delegationen im ‚Steinernen Haus‘ am Römerplatz.
„Ja, Piefke, das war Ironie des Schicksals. Nimm’s als späte Rache für 1866“.
„Sigi, Königgrätz haben wir beide nicht gewollt. Das war ein großes Unglück“.
„Wer wird wohl der nächste Präsident?“
„Darf ich mal gemein zu Dir sein, Piefke? Ich tippe auf Gotthard“.
„Abwarten, Sigi. Die Lostrommel ist unbestechlich“.

Plötzlich erschien auf der Empore ein urwüchsiger Musikant im Trachtenlook, der auf einer Ziehharmonika den sattsam bekannten ‚Kufstein-Song‘ intonierte. Die Inbrunst, mit der er den vortrug, war einfach umwerfend.
„Und jetzt alle!“ Aber was war das?
„Was kann der Sigismund dafür, dass er so schön ist!“
Das hatte der Jupp inszeniert. Er gab sich zu erkennen.
Wenn’s am schönsten ist …

Nachdem am Konrad-Duden-Denkmal in Bad Hersfeld Kränze niedergelegt waren, war der Alltag war wieder eingekehrt.
Sigi ernannte Piefke zum Vizepräsidenten und Außenminister, Pfleiderer übernahm das Verteidigungsministerium, Gotthard wurde Finanzminister und Gschaftlhuber Wirtschaftsminister. Karl Striesewitz avancierte zum Verkehrs- und Bauminister. Sie waren jetzt alle Mitglieder der Zentralregierung in Frankfurt.

Die amtierenden Regierungen in Berlin, Wien und Bern waren nur noch geschäftsführend tätig, bis zu den für den 15. Januar 2021 vorgesehenen Gouverneurswahlen.
In Berlin, Wien und Bern würde es keine Bundeskanzler mehr geben, und auch keinen Bundespräsidenten. Auch würden die Bundesstaaten keine Außen- und Verteidigungsminister mehr benötigen. Die Regierungsgebäude in Berlin, Wien, Bern und Den Haag hatten zunächst große Leerstände, da die Bundesstaaten ja viele Kompetenzen an die Zentralregierung abgeben musste. Aber es fanden sich genügend regierungsnahe Institutionen, die die frei gewordenen Räumlichkeiten gut nutzen konnten.

Das Wahlergebnis der Gouverneurswahlen:
In Deutschland und Österreich gewann die SGP, in der Schweiz blieben die Sozialdemokraten am Ruder. Die Christdemokraten scheiterten an der 6%-Hürde. Die Kirche hatte überhaupt abgewirtschaftet. Fortwährende Skandale hatten sie in den Ruin getrieben.
Dass in der Schweiz noch immer Sozialdemokraten regierten, war belanglos. Der Bestand der SGU war ein für alle Mal gesichert.
Nach den Gouverneurswahlen entsandten die Bundesstaaten ausgewählte Vertreter in den Frankfurter Kongress. Die Zentralregierung konnte endgültig ihre Arbeit aufnehmen.
Sigi hatte dem Jupp das Justizministerium angeboten, aber dem waren die Paragraphen zu trocken, und so wurde er, wie von Gotthard vorausgesagt, Landeshauptmann vom Kanton Nordrhein-Westfalen.
Am 1. Februar 2021 erhielten die Südtiroler die doppelte Staatsbürgerschaft, Nun waren sie Italiener und Deutsche.
Am 15. Februar riefen Großbritannien, Dänemark, Norwegen, Schweden und Island die nordgermanische Union (NGU) aus.
Am 20. Februar dankte der niederländische König ab.
Am 1.März 2021 wurden die Niederlande Mitglied der SGU.

Sigi regierte mit glücklicher Hand.
Die Österreicher verbreiteten in Frankfurt eine lockere Atmosphäre, Kaffeehäuser und Heurigenstuben schossen wie Pilze aus dem Boden. Dort bestellte man sich einen ‚Braunen‘ und Sachertorte mit Schlagobers, man las die neusten „Wiener Nachrichten“. Die Frankfurter und Wiener Würstchen wurde umgetauft in ‚Unionswürschtle‘.
Die österreichische Lebensart färbte allmählich auf ganz Deutschland ab. Selbst in Hamburg fand man Gefallen am Wiener Schmäh. Sigi war beim Volk so beliebt, dass ihm eine zweite Amtszeit winkte.
Er trieb den sozialen Wohnungsbau voran, vor allem aber die Instandsetzung maroder Straßen- und Schienennetze. Er legte sich mit Umweltschützern an, die den Weiterbau wichtiger Autobahnen blockierten – wegen ein paar komischen Gelbbauchunken. Die wurden nun umgesiedelt. Es gab genug Fluss-Auen, wo sie sich wieder nach Herzenslust vermehren konnten.
Aber die Bautätigkeiten verschlangen Geld und eine Neuverschuldung war unausweichlich.
Er sah, dass er ein paar unpopuläre Maßnahmen treffen musste. Um die dringend benötigten Gelder zur Beseitigung gravierender Mängel in der Krankenversorgung zu beschaffen, wurden in allen drei Bundesstaaten die Mehrwertsteuer und die Erbschaftssteuer kräftig erhöht. Dem Pflegenotstand konnte nur begegnet werden, wenn man die Besserverdienenden (unter Einbeziehung auch des gehobenen Mittelstandes) stärker zur Kasse bat. Das normale Rentenalter wurde überall auf 67 Jahre festgesetzt. Diese Maßnahmen kosteten Sigi einige Sympathien, und so verzichtete er auf eine zweite Amtszeit. Jedenfalls waren die notwendigen Weichenstellungen erfolgt.

2025 kam Gotthard durch Losentscheid ans Ruder. Piefke trug es mit Fassung.
Gegen den Widerstand der wohlhabenden Schichten in Deutschland und Österreich setzte Gotthard die Bürgerversicherung durch. Die aktive Sterbehilfe wurde legalisiert. Und dann überraschte Gotthard die ganze Welt: Der Staatenbund verzichte auf eine Armee!
Gotthard erinnerte sich mit gemischten Gefühlen an die „Schießübungen“ nach seinem Ausscheiden aus dem Wehrdienst. In regelmäßigen Abständen musste er mit seinem im häuslichen Wandschrank deponierten Gewehr antreten, um vorzuführen, dass er noch schießen konnte. Wirklich zum Schießen! Also weg mit dem Verteidigungsministerium!
So standen auf einmal dringend benötigte Mittel zur Verfügung, ohne dass er den knapp bemessenen Sozialetat belasten musste.
Durch gezielte Einzelmaßnahmen wurden Gerechtigkeitslücken geschlossen. Größere Betriebe wurden zur Einrichtung von Betreuungsplätzen für Kleinkinder verpflichtet, damit Berufs- und Privatleben besser miteinander zu vereinbaren waren. Größeren Betrieben, die den Mangel an Fachkräften beklagten, wurde nahegelegt, selbst mehr für die Ausbildung ihres Personals zu tun (ggf. mit staatlicher Unterstützung. Den unverantwortlich langen Arbeitszeiten von Chirurgen wurde ein Ende gesetzt, indem man mehr Ärzte einstellte. Auch das Pflegepersonal wurde aufgestockt und deutlich besser entlohnt. Dem Ärztemangel auf dem Lande begegnete man, indem man frischgebackenen Medizinern, die sich zur Übernahme von Landpraxen bereit erklärten, ein erheblich höheres Gehalt zugestand. Jugendliche hatten ein soziales Pflichtjahr in Krankenhäusern und Pflegeheimen abzuleisten. Damit die nach Hause geschickten Soldaten nicht zu Sozialfällen wurden, konnten sie staatlich geförderte Fortbildungskurse in Anspruch nehmen.
Glückliche äußere Umstände kamen Gotthard zu Hilfe. Die Energiewende wurde beschleunigt durch große Erfolge der Forschung, der es gelungen war, das Problem der Stromspeicherung zu lösen. Inzwischen war auch das ultraleise Düsenflugzeug erfunden worden.
Seinen Urlaub verbrachte Gotthard am liebsten in der Holsteinischen und Sächsischen Schweiz. Zu gern wäre er an der Bastei herumgekraxelt, aber als Präsident durfte er sein Leben nichts aufs Spiel setzen.

Piefke zeugte mit Nicoltje eine kleine Marijke.
2029 wurde Piefke Präsident. Bei dem feierlichen Staatsakt kam nach dem Absingen der Nationalhymne protokollwidrig eine historische Militärkapelle aus Potsdam zum Einsatz, die Sigi, nun Pensionär, bestellt hatte. Es erklang ‚Preußens Gloria‘ – im beschwingten Dreivierteltakt. Piefke war gerührt und fiel, ebenfalls protokollwidrig, Sigi um den Hals.

Gotthard hatte ganze Arbeit geleistet. Und doch war der größte Stolperstein nicht aus dem Weg geräumt. Die demographische Entwicklung war einfach besorgniserregend. Piefke sah schon die junge Generation in die Altersarmut abstürzen. Alle Anreize zum „Mehr-Kinder-Kriegen“ hatten kaum etwas bewirkt. In der Gebärfreudigkeit der Immigranten lag vielleicht der Schlüssel zur Lösung des Problems. Piefke förderte Mischehen und die Adoption von Kindern mit anderer Hautfarbe. Wenn die Bevölkerung nach und nach „etwas brauner“ wurde – wem schadete das! Entscheidend wichtig war die allmähliche Auflösung der in einigen Großstädten bestehenden Ghettos. Das Fernsehen übertrug nun öfter Sendungen von gemeinsamen deutsch-türkischen Abenden. Die Integration konnte nur gelingen, wenn beide Seiten aufeinander zugingen. Das würde ein langwieriger Prozess werden, und doch konnte Piefke schon einige Erfolge verbuchen.

Piefkes Amtszeit ging zu Ende – Was nun? Ein niederländischer Präsident?
Am 25.Mai 2033 zog Nicoltje in den Frankfurter Römer ein. Auf dem Balkon nahm sie die Jubelrufe ihrer neuen Untertanen entgegen und hielt eine sehr vergnügliche Ansprache. Allein mit der lustigen Klangfarbe ihrer Stimme bestach sie die Menge.
Am Ende der Feierlichkeiten gab es wieder ein Festmahl im ‚Steinernen Haus‘, wo Nicoltje die Frankfurter ‘Grüne Soße‘ kennenlernte und sich eine Thüringer Bratwurst schmecken ließ.
Gotthard ergötzte die Runde mit Anekdoten. Unter anderem berichtete er von Holländern, die auf einem Parkplatz direkt vor seiner Haustür genüsslich heimatliche, im Wohnwagen gestapelte Spezialitäten ausbreiteten und verzehrten.
„Das hätten ich und mein damaliger Verehrer sein können“, bekannte die Frau Präsidentin.
„Ja, die Holländer und die Schwiizer, diese Krämerseelen“, uzte Sigi.
„Nein, Sigi, wir sind nicht kleinlich, entgegnete Gotthard, „aber unsere Gastwirte sehen es gern, wenn sie an den Durchreisenden etwas verdienen können, oder...“
Im Fernsehen (auch im österreichischen und schweizerischen) feierten Jopie Heesters und Rudi Carrell fröhliche Auferstehung. Auch Meisjes in Holzschuhen und Szenen vom Alkmaarer Käsemarkt flimmerten über den Bildschirm. Im Radio erklangen endlich mal wieder die ‚Tulpen aus Amsterdam‘.
In den Kongress zogen niederländische Delegierte ein und die Frankfurter Geschäftswelt profitierte von den Neuankömmlingen.
Nicoltje tat alles in ihrer Macht stehende gegen noch immer vorkommende Korruptionsfälle. Sie bemühte sich mit Erfolg, die Einflussnahme von Wirtschafsverbänden und Lobbyisten auf die Regierungsarbeit einzudämmen. Vor allem erreichte sie die völlige Gleichberechtigung von Mann und Frau.
In Deutschland wurde an den Schulen Niederländisch als Wahlfach eingeführt.
Es gab noch vieles, was im Argen lag, z.B. das noch immer herrschende Gerangel um Mindestlöhne und Leiharbeiter, aber das musste Nicoltje ihrem Nachfolger überlassen. Der war wieder ein fescher Österreicher, nur hieß er nicht mehr Sigi. Die alte Garde hatte ihre Schuldigkeit getan.

Piefke hatte sich ganz ins Privatleben zurückgezogen und war seiner kleinen Marijke ein guter Familienvater. Und Marijke bekam zwei Spielkameradinnen, zwei kleine Mädchen aus Äthiopien, die er und Nicoltje adoptiert hatten.

Piefke war in Gedanken versunken. Ganz losgelassen hatte ihn die Politik noch nicht. Eigentlich hatte der Parteiname SGP ausgedient, denn der Bestand der südgermanischen Union war gesichert. Inzwischen hatten sich die Wirtschafts- und Sozialsysteme so weit angeglichen, dass der Verschmelzung Deutschlands, Österreichs, der Schweiz und der Niederlande zu einem Bundesstaat eigentlich nichts mehr im Wege stand. Aber man hatte sich so an den Staatenbund gewöhnt, dass es für eine Änderung des bestehenden Zustands keinen Grund mehr gab.
Auch die Spekulation, dass sich die Welschen und das Tessin von der Schweiz loslösen könnten, ist eine Spekulation geblieben. Die Eidgenossen halten eben zusammen wie Pech und Schwefel.

--------------------------------------------------------
Nachwort
Eine Satire zu kommentieren, wäre eine Todsünde. Ist es auch. Eine Satire soll für sich selbst sprechen, andernfalls ist sie missglückt.
Aber, liebe Leser und Leserinnen, bei dem euch hier Zugemuteten handelt es sich eben nicht um eine Satire, sondern um muntere bis übermütige Gedankenspiele, geboren aus einer herzlichen Sympathie für die Alpenrepublikaner, untermauert durch persönliche Freundschaften und Beziehungen. Diesen werde ich einen separaten Beitrag im Forum Tagebuch widmen.
Bei all den merkwürdigen Sprüngen der Geschichte halte ich es übrigens nicht für völlig unmöglich, dass die Vision eines Bundesstaates aus Deutschland, Österreich und der Schweiz wahr werden könnte. Der Anschluss der Niederlande gehört natürlich ins Reich der Fabel. Dafür ist ein ehemaliger holländischer Kurschatten verantwortlich, mit dem mich noch immer eine herzliche Freundschaft verbindet.
 

Wünstler

Mitglied
Die Südgermanische Union

Hallo Eberhard,

kurz vor den Europawahlen, in denen rechten Parteien gute Chancen eingeräumt werden, veröffentlichst Du dieses übermütige Gedankenspiel.

4 sind weniger als 28. Mit 28 hat man halt viele Probleme, auch weil die EU eher ein Staatenbund ist. So weit sind wir halt noch nicht. Auch haben die einzelnen Länder eine unterschiedliche Geschichte und Kultur.

Englisch ist die wichtigste Weltsprache.
Fast in jedem Nachbarland zu Deutschland spricht man eine andere Sprache. Es sind meist sogar andere Sprachfamilien: Romanische, skandinavische und slawische Sprachen.

Mit Frankreich gab es hintereinander 3 Kriege. So war es möglich, dass Großväter, Väter und Söhne gegeneinander gekämpft haben.

Der Euro ist schon so was wie eine Leitwährung. Schließlich ist dies auch ein großer Wirtschaftsraum.

Ich vermute, die SGP steht links. Dies kommt so nebenbei aus dem Text hervor. Außer dieser SGU haben sie wohl kein anderes Ziel. So wird eine Partei ohne Parteiprogramm vorgestellt, die auch noch gewählt wird.
Gibt es da nicht noch andere Probleme?
Und ist eine Lösung von Problemen nur so möglich?

Am Ende geht mir alles zu gut aus. Das widerspricht vollkommen meinen und allgemeinen Erfahrungen, besonders den politischen und historischen.

Viele Grüße aus Indogermanien

Dein Wünstler
 
Hallo Wünstler,
vielen Dank für die Grüße aus Indogermanien!
Ich freue mich, dass Du Dich mit meinem Text so gründlich auseinander gesetzt hast.
Ich habe diese Pseudosatire geschrieben, wohlwissend, dass viele Ösis und Schwiizer die "Reichsdeutschen" nicht besonders mögen.
Aber wie soll Europa zusammenwachsen, wenn sich schon engste Verwandte nicht grün sind?
Dass ich persönlich erfreuliche Erfahrungen gemacht habe, steht dazu nicht im Widerspruch.
Dass die SGP kein Programm habe, stimmt so nicht. Du hast durchaus richtig erkannt, dass die soziale Gerechtigkeit im Mittelpunkt des Parteiprogramms steht. Nur konnte ich mich nicht ausführlicher dazu äußern. Andernfalls wäre der heitere Grundcharakter meines Werkes verloren gegangen.
"Mein" Staatenbund wäre übrigens durchaus Europa-kompatibel. Jedenfalls führt die These "der Euro wird's schon richten" nicht weiter. Europa muss auch politisch zusammenwachsen. Ein langwieriger Prozess (die USA haben fast 100 Jahre gebraucht).
Eine einheitliche Währung steht nicht am Anfang sondern am Ende der Entwicklung.
Es ist mir leider nicht gelungen, Abstand von meinem Text zu gewinnen, weil ich mich quasi mit Urs-Leopold Piefke identifiziert habe.
LG Eberhard
 



 
Oben Unten