Die Trinker und das Kätzchen

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Janosch

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Die Sonne dringt durch Mottenlöcher in dem alten Laken,
das wie ein Vorhang das verdreckte Fenster überdeckt.
Daneben hängt ein Müllbeutel an einem Kleiderhaken,
darunter die Matratze – durchgelegen und befleckt.

Darauf ein Kissenteil, aus dessen Bauch die Flocken quellen,
die mischen sich mit Asche und mit sprödem Katzenmist.
Und da sich an zwei Stellen die Tapetenstreifen wellen,
ist's so, als wurde jahrelang hier an die Wand gepisst.

Und zwischendrin – am Boden, auf dem Tisch und in Regalen,
ob braun, grün, weiß, rund, kantig, langgezogen oder breit:
Die leeren Flaschen zeugen von manch ausgestand'nen Qualen -
dort umgefall'n und da wie Zinnsoldaten aufgereiht.

Und plötzlich: Aus der nahen Ferne ein Toilettenspülen,
gefolgt von einem ausgedehnten Reizhusten-Anfall.
Darauf ein Schalterklicken und das Knarzen morscher Dielen
und dann ein Fuß, ein Bein, ein Bauch, ein off'ner Hosenstall

und eine Hand am Türstock, eine zottelige Mähne:
Dies ist der Mensch, der hier seit vielen Jahren existiert.
Er stützt sich an der Wand, am Tisch und einer Sessellehne,
weil er beim Gang durchs Zimmer fast das Gleichgewicht verliert.

Dann lässt er ganz erleichtert sich auf die Matratze fallen,
die unterm Aufprall schmatzet wie ein vollgesog'ner Schwamm.
Und noch ein Bier: Mit Schmackes lässt er dessen Deckel knallen
und schaltet auf der Glotze angewidert durchs Programm.

Und da: Was ist denn das? Ein Kätzchen kommt hereingetänzelt,
das kurz die Krallen in den Teppich gräbt und leise fiept,
das, elegant am Müll vorbei, noch um ihn rum scharwenzelt
und schließlich zielbewusst sich unter seine Arme schiebt.

Der nimmt noch einen Schluck, worauf er mürrisch etwas nuschelt,
und legt die Hand wie einen alten Lappen auf das Tier,
das drunter selig schnurrt und sich noch näher an ihn kuschelt -
dann schlagartig zusammenzuckt: Es klingelt an der Tür!

Da draußen steht mit rotgelockten Haaren der Gefährte,
der drinnen, wie gewohnt, sogleich im Sessel niedersinkt.
So hocken sie und kippen sich das Bier zwischen die Bärte,
bis endlich dann der Gastgeber die harten Sachen bringt.

Tequila, Korn und Wodka O: Die Stimmung ist gelassen.
Sie zischeln ungerichtete Wortfetzen in den Raum
und suchen mühsam die Kontur des andern zu erfassen:
Gesichter, die zerfließen - wie in einem Fiebertraum.

Sie rauchen, trinken, rülpsen, scherzen, furzen, grölen, lachen
und knall'n das Shotglas auf den Tisch. Dann ist der Wodka leer.
Neue Idee: Der Hausherr kramt konfus in seinen Sachen
und findet in dem Kleiderschrank ein altes Schießgewehr -

mit dem er, wie zum Spaß, beginnt beherzt herumzuschwenken
und mit dem langen Lauf zwischen den Beinen zu posier'n.
Da äußert der Kumpan ob jener Spielerei'n Bedenken
und spürt im Gegenzug das kalte Eisen an der Stirn.

Und ob nun Spaß oder auch nicht: Die Party ist beendet,
da der Kumpan entgeistert jetzt von vorn die Flinte packt,
sie an sich reißt und kurzerhand als Knüppel zweckentfremdet,
doch letztlich zu betrunken ist und mit zu Boden sackt.

Da kommen ihm vor lauter Wut und Konfusion die Tränen.
Der Hausherr hat kurz Mitleid, doch vergisst dafür den Grund,
beginnt sich mit der Flinte gegen den Kumpan zu lehnen
und kriegt im Eifer des Gefechts den Lauf an seinen Mund.

So rollen sie per Klammergriff im Zimmer auf und nieder -
wie spiel'nde Hundewelpen, wie ein Liebespaar beim Kuss.
Und da: Dort in der Türe steht das kleine Kätzchen wieder.
Es nähert sich behutsam, es miaut – und dann der Schuss!,

der dumpfe Schuss, der bleiern bis zur Straße runtergellt.
Das Kätzchen schreckt zurück, es findet Zuflucht unterm Tisch,
als Herrchen wie ein nasser Sack in sich zusammenfällt
und der Gefährte epileptisch zappelt wie ein Fisch.
 

Homosapiens

Mitglied
Hallo Janosch, Dein Text hat auf mich gewirkt wie ein reichhaltiges Gemälde, durch die Vielfältigkeit der Wortwahl liebevoll bis ins Detail ausgemalt. Das Bild lebt vom Kontrast, von Licht und Schatten, von der Gegenüberstellung der düsteren Trinkerwelt und der kreatürlichen Leichtigkeit und Unschuld des Kätzchens. Ein unvergleichlicher, in sich geschlossener Eindruck!
Lediglich die Gedichtform in ihrer Länge hindert mich als Betrachter, in selbstbestimmtem Rhythmus durch die Szene zu wandeln und hier und dort innezuhalten und eine Besonderheit auf mich wirken zu lassen.
Dieser Inhalt mitsamt seiner sprachlich differenzierten Eindrücklichkeit könnte mich in Prosaform noch stärker zum Verweilen einladen und dadurch beeindrucken. Die sorgfältige, treffsichere Wortwahl und und Bildhaftigkeit wären es allemal wert. L G Homosapiens
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Diese Ballade ist durchaus, Janosch,

wie Prosa zu lesen, in freiem Fluß, tanzend auf den sieben Füßen jedes Verses.

Natürlich ist es Lyrik, dicht und formgerecht. Aber eben doch mit einigen Stellen, wo Unbetonte auf die betonten Taktteile geraten.
Aber man muß es ja nicht iambisch runterleiern, sondern liest es "mit eigenem Rhythmus" (homosapiens), das muß man auch, es wird durch die Iambenwellen nicht gestört, die Satzmelodie frei zu entfalten, wie man auch sonst eine Melodie auf einem Vierermetrum verteilt, ohne die Tigerstreifen mit den Gitterstäben zu verwechseln.

grusz, hansz
 

Janosch

Mitglied
Hallo Homosapiens,

vielen Dank für die Schilderung Deiner Eindrücke! Den Vergleich mit einem Gemälde finde ich spannend - tatsächlich habe ich ganz bewusst versucht lediglich zu beschreiben, was ein Betrachter von außen sehen könnte, ohne dass er in irgendeiner Form wertend oder reflektierend einschreitet. Schön zu hören, wenn das weitgehend gelungen zu sein scheint.

Die Länge ist auf jeden Fall geschmackssache. Ich schreibe momentan viel für Lesebühnen und live vorgetragen macht sich ein längeres Stück besser, als viele kurze nacheinander.

Liebe Grüße,
Jan
 

Janosch

Mitglied
Hallo Mondnein,

danke für Deine Anmerkungen zum Rhythmus. Da es in erster Linie für den Live-Vortrag geschrieben wurde, bin ich mir selbst gegenüber nicht mehr so kleinlich was die Metrik anbelangt. Gesprochen macht es kaum bis gar keinen Unterschied.

ich denke auch, dass es, trotz seiner Länge, recht verdichtet ist - zumindest hab ich nicht viel anders als sonst auch (bei kürzeren Gedichten) gemacht. Ob man sich in einem Online-Forum die Zeit nimmt, sich mit jedem Vers adäquat auseinanderzusetzen, steht natürlich auf einem anderen Blatt.

Viele Grüße,
Jan
 



 
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