Die Wandlung des Jan Feddersen

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HajoBe

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Vaters Hände zitterten, sobald ihm die Flaschen ausgingen. Wenn er unbeherrscht nach dem Jungen schlug, schaute Mutter häufig weg. Falls sie besänftigend über seinen Blondschopf strich, zog er unwirsch den Kopf zurück und verschwand stundenlang in seinem Zimmer. Als "Der Alte" morgens seltener heimkam und Mutter sich wieder einmal eingeschossen hatte im Schlafzimmer, das der Fremde kurz darauf verließ, begann Jan sich in eine Scheinwelt zurückzuziehen. In ihr glaubte er sich geborgen, gab ihr eine eigene, zwanghaft strukturierte Ordnung. Darin putzte er akribisch Staub, der nicht vorhanden war, als wischte er den Spiegel seiner gekränkten Seele blank, in die seine Eltern kaum einen Blick warfen. Was für ein ordentlicher Junge! So lobten die Nachbarn.

Jan Feddersen schaffte es zum Beamten im mittleren Dienst. Sein Leben verläuft strickt nach der Uhr und gehorcht purem Perfektionismus. Frühmorgens erhebt er sich stets zur gleichen Zeit, benutzt tagtäglich den 60-er Bus und läuft durch dieselben Straßen dorthin. Er betritt zur gewohnten Zeit sein Büro, isst mittäglich zur üblichen Stunde in seiner Cafeteria. Abends hinterlässt er einen penibel aufgeräumten Arbeitsplatz, nachdem er noch mit dem Taschentuch über den Schreibtisch gewischt hat. Jeden Tag lässt er pünktlich mit Abendbrot, Abwasch und Fernsehen ausklingen; den Sender wechselt er allerdings gelegentlich. Punkt 23 Uhr knipst er TV, Licht und …einen weiteren, konsequent ritualisierten Tag aus.

An einem Donnerstag verlässt Jan Federten - wie eh und je - um 17.30 Uhr sein Büro.
"Auf die Minute, wie immer…", ruft ihm der Pförtner zu.
Feddersen überhört es. Die üblichen drei Minuten warten, dann steigt er in die Linie 60.
"Schöner Abend heute", brummelt er.
"Soll regnen", gibt Otremba, der Busfahrer, stereotyp zurück.
"Hat doch geregnet", erwidert Feddersen ebenso, lässt sich auf seinem angestammten Platz nieder, nickt freundlich in die Runde und vertieft sich in die Abendzeitung.

Seine Kollegen belächeln ihn verständnislos, nennen ihn hinterrücks einen kleinkarierten Korinthenkacker. Das verletzt ihn. Er fühlt sich zunehmend ratlos und seinen selbstauferlegten Zwängen hilflos ausgeliefert. Sein familiäres Leben ändern? Der Gedanke lähmt ihn.

"Entschuldigung!", lässt sich eine weibliche Stimme vernehmen.
Feddersen hat die wohl unbeabsichtigte Berührung seines Fußes nicht bemerkt, als die junge Frau ihre Beine übereinander schlug und ihn nun schuldbewusst anlächelt.
"Aber, bitte!", lächelt er verlegen zurück.
Sein Blick über den Zeitungsrand streift sie flüchtig.
"Ich habe Sie hier noch nie gesehen", fügt er unbeholfen an, um etwas zu sagen.
"Ich Sie schon…", erwidert sie amüsiert und offensichtlich zum Gespräch aufgelegt.

Frauen hatten nie eine Rolle in Feddersens Alltag oder Lebensplanung gespielt. Wie sollte er sie einordnen? Er fühlt sich verunsichert in ihrer Gesellschaft, nachdem sie ihm "Der Alte" ausgeredet hatte.
"Komm` mir nie mit einem Mädchen nachhause…!", stieß er wiederholt als Drohung aus, als sich erste pubertäre Regungen bei Jan bemerkbar machten. Und Mutters enttäuschendes Verhalten versprach wahrlich keine Hilfe.

Julia - so stellte sie sich vor - plappert unbeirrt drauf los. Sie führe häufig in die Stadt, einfach bummeln und Leute gucken. Nein, berufstätig sei sie zurzeit nicht. Und er? Single? Jan nickt wortkarg.
"Soll ich raten? Beamter!", versucht sie ihn aus der Reserve zu locken.
Jan zupft seine Krawatte zurecht.
"Oberinspektor Feddersen!"
Seine ungeschickte Verbeugung missglückt kläglich.

Freitagmorgen. Nein, es würde nicht regnen, meint er zum Busfahrer.
Sie sitzt in der hintersten Reihe, winkt ihn neben sich und er steckt die Zeitung weg.
"Hallo, Julia!"
Ihre erfrischende Art, ihre lässig ins Haar gesteckte Sonnenbrille…, er nimmt Julia aufmerksamer wahr. Nachmittags würde sie früher zurückfahren, meint sie noch bestens aufgelegt, bevor sie aussteigt und seinen Arm wie zufällig dabei berührt.

"Nanu, heute früher Feierabend?"
Jan bejaht und hastet zum 60-er Bus. Sie wartet bereits.
"Wir könnten ein Stück zu Fuß…Lust auf einen Kaffee?"
"Super! Im Grunde müsste ich ja im Büro…"
"Zu spät, Herr Oberinspektor!"
Sie sitzen bis in den späten Abend beisammen. Julia schlägt vor, sich zu duzen.
"Hast du Zeit am Sonntag? Frühstück bei mir?", ergreift sie ein weiteres Mal die Initiative.
"Gerne!"
Aber sollte er nicht wie gewohnt seine Wohnung putzen und Wäsche waschen?
Er greift schweigend nach ihrer Hand, sie lässt ihn gewähren.

Sonntäglich in schlichtgrauem Anzug mit Blume im Knopfloch verharrt Jan unschlüssig an ihrer Haustür. Dann drückt er den Klingelknopf. Sie bittet ihn rein. Am anderen Ende des Flurs fällt eine Tür ins Schloss.
"Das ist mein Junge."
"Du hast ein Kind?"
"Ja, Sven fürchtet, heute käme sein Vater, der gelegentlich auftaucht, seinen Rausch ausschläft und Mutter und Kind tyrannisiert."

Feddersen rührt nachdenklich im Kaffee, schweigt lange. Nein, er sei keineswegs enttäuscht, im Gegenteil.
"Wir könnten in den Stadtpark gehen? Sven kann doch mitkommen", schlägt er schließlich vor.
"Du willst das wirklich…?"
"Lass es uns versuchen, Julia!"

Otremba kommt öfter vorbei auf ein Feierabendbier und der Pförtner kauft bei ihnen die Zigaretten. Sie haben kürzlich den kleinen Kiosk an der Bushaltestelle gepachtet. Ins Amt fährt Jan Feddersen mit dem Rad und lässt sich Zeit. Sonntags schenkt er aus - auch mal ein Freibier. Hin und wieder wischt er gedankenverloren über den Tresen.
"Hilfst du mir beim Gläserüutzen, Sven?" Der Junge mag ihn.
 

Rafi

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Na ja, ich denke, da sollte man noch so Einiges schreiben, das diese bisweilen zusammenhanglos aneinandergereihte Aufzählung zur Geschichte machen könnte. Sorry, aber das Erzählte lässt mich hier völlig kalt, da sind mir zu viele Klischees und Unwahrscheinlichkeiten. Die Kindheit des Jungen wird schnell mal eben so und emotionslos abgehakt, das daraus resultierende Erwachsenenverhalten passt in jede noch so enge Schublade. Und dann dieser enorme „Zufall“ mit der Begegnung im Bus, aus der eine Kindheit folgt, die der des Protagonisten (dem leider keine wirkliche Handlung gegönnt wurde) aufs Haar gleicht. Och nö …
 

HajoBe

Mitglied
Hallo Rafi, danke für deine Einschätzung. Der Text bedarf insoweit einer Erklärung, als es sich um die Interpretation eines vorgegebenen Textes in anderer Form ohne Anspruch auf hohe lit. Qualität im Rahmen von Aufgabenstellung der HAF handelt im Sinne einer Konflikt- Lösung. Vielleicht nicht unbedingt geeignet, um es in die Leselupe zu stellen, aber man kann es ja mal versuchen in Erwartung von Meinungen dazu.
LG HajoBe
 



 
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