Die letzte Fahrt

knychen

Mitglied
Die letzte Fahrt

Wie ich meinen Führerschein verloren hab, willst du wissen ?
Ganz einfach , weil Bullen keinen Humor haben.
Mit meinem Freund und Kollegen Carsten hatte ich eine Tour nach Frankfurt . Zusammen auf einem Lkw. Um 17Uhr standen wir in dem Industriegebiet vor der Firma , die hatten natürlich schon zu. Warenannahme ab 8Uhr stand am Tor , das hieß also , rechne , rechne ,fünfzehn Stunden nichts tun ; nichts, nüscht, nix, nada, niente.
Ich den Korken aus der Weinflasche, Carsten die erste Büchse Bier am Hals.
„Bau’n wa einen?“ „Bau’n wa einen.“
Gegen 19Uhr ist Alles am Kichern und ich bastele noch einen Kleinen, so zum Vertiefen, da kommen wir auf die idiotische Idee zu Wetten. Nämlich , wer es schafft ,einen tiefen Zug durch die Faust zu nehmen und ohne Husten sechzig Sekunden drin zu behalten.
Ich weiß , dass ich lange die Luft anhalten kann und sage: „Ich mach’s , um was geht’s?“
„Okay“ sagt er, „wenn du’s schaffst, geh ich heute Abend noch los und besorge uns eine Pizza mit allem zum Nachtmahl.Schaffstes nicht, machst du den Spaziergang und bezahlst. Ach so, und die Pizza muß dampfen, wenn sie hier ankommt.
Ich weiß, ich kann’s : „Schlag ein.“
Ich sitze auf dem Fahrersitz, Gardine ist zu und Carsten sitzt auf der anderen Seite , Gardine offen. Ich bereite mich mental vor, ziehe kräftig und halte die Luft an. Wir schauen beide auf den Sekundenzeiger der Tachouhr.
10 Sekunden---es klopft an der Fahrertür ; egal, ich
habe Pause, die Gardine ist zu und das
heißt ja schließlich :
Lasst mich in Ruhe !
20 Sekunden---es klopft wieder , diesmal schon energischer,
Carsten kriegt sich nicht mehr ein und ich
kriege Druck auf den Augen, von innen
30 Sekunden---nun schlägt jemand mit der flachen Hand gegen
die Tür und ruft :
„AUFMACHEN ; POLIZEI !“
Wir sehen uns an , beinahe hätte ich schlapp
gemacht , Carsten erkennt seine Chance und
beginnt aufs Armaturenbrett zu trommeln.
40 Sekunden---ich schiebe die Gardine beiseite und betätige
den Fensterheber. Draußen stehen zwei
Polizisten . Durch das nun offene Fenster
entweichen Rauchschwaden und formen sich zu
riesigen Marihuanablättern. Carsten macht
einen langen Hals , sieht die Polize kreischt
einmal auf, verschwindet mit dem Kopf unter
dem Sitz und man sieht nur noch seine Hintern
und die Beine . Sie zappeln. Irgendwie
scheint er mir mit den Zehen zuzuzwinkern.
Der Lachreiz füllt mir inzwischen den
kompletten Kopf,ich presse die Lippen
aufeinander, aber es sucht sich seinen Weg,
wie Wasser aus einem porösen Schlauch.
Die Uhr geht sehr langsam , ich könnte die
Zehntelsekunden mitzählen , ohne schnell zu
sprechen.
50 Sekunden---jetzt zeigt Carsten ganz deutlich mit der
einen großen Zehe auf die quadratmetergroßen
Blätter und mit der anderen großen Zehe auf
die beiden Grünen. Dann fängt er an , mit
allen zehn Zehen Gebärdensprache zu reden.
Ich habe mich noch nie damit befasst,verstehe
ihn aber trotzdem sofort ; er zählt rückwärts:
„ZEHN, NEUN, ACHT, SIEBEN, SECHS, FÜNF,
VIER, DREI, ZWEI, EINS, ZERO !!“
Bei ZERO wusste ich , dass ich gewonnen habe und es gab nun keinen Grund mehr, die beiden Polizisten zu ignorieren. Ich lehnte mich mit dem linken Arm und dem Kopf aus dem Fenster und wollte fragen : „Was gibt’s , meine Herren ?“ Aber meine Stimmbänder verweigerten den Dienst und überhaupt war mir auf einmal ganz schlecht . Statt der Frage kam ein lautsprachlich nicht zu umschreibendes Geräusch über meine Lippen , gefolgt von diversen Stücken meiner Nachmittagsmahlzeit. Currywurst mit Pommes hatte ich mir in Walthershausen geholt , die verließen mich und ich konnte es nicht verhindern.
Der vordere Polizist bekam so ziemlich alles auf seine Mütze und zwei kleine goldgelbe Pommes landeten auf seinen Schulterstücken . Der Mann stand völlig regungslos .
Carsten wollte sich von dieser Situation natürlich nichts entgehen lassen und hing neben mir aus dem Fenster .
Er musste die von mir geplante Frage doch irgendwie verstanden haben und rief beim Anblick der bunt dekorierten Mütze und der beiden Pommesstücken auf den Schultern :
„ES GIBT PIZZA ; HERR GENERAL !“
Meiner Meinung nach haben die Beiden völlig überzogen reagiert als sie mich dann gleich mitnahmen zur Blut-, Urin-undwasweißichfürner Probe.
Tja , und nu sitz ich halt hier auf dem Arbeitsamt.
 

Intonia

Mitglied
Begeistert

Hallo knychen,
Du bist ein toller Beobachter, sonst könntest Du Situationen nicht so authentisch schildern. Und mit Humor, der unter die Haut geht. Gratuliere zu diesem gelungenen Werk
Gruss
intonia (m)
 
B

Bruno Bansen

Gast
lebendig...

...ich kann mich da nur an das anschließen, was Intonia (Hi, Intonia, lange nichts von Dir gehört!) grade eben sagte! Unbedingt zeitgleich nachzuvollziehnde Situation, Witz und sogar 'ne Prise Schärfe - sehr gut gemacht das Teil, ich werde garantiert öfter mal bei Dir reinkucken!

Grüße!

Bruno
 

knychen

Mitglied
tag, die herren,
komischerweise hätte ich gerade bei dieser geschichte gedacht, daß sie etwas zu platt wäre.
also interessant nur für den, der weiß, welche gesichter dahinter stehen. schön, daß es nicht so ist.
danke für die motivation sagt knychen
 

Intonia

Mitglied
hallo knychen,

das ist ja gerade die Kunst, Gesichter, die man nicht kennt, mit der Feder plastisch zu machen. Das ist Dir ausgezeichnet gelungen. Nochmals Lob.
Gruss
Intonia
 



 
Oben Unten