TolyaGlaukos
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Wie es hier Usus zu sein scheint, darf man sich mit einem ersten eigenen Text vorstellen - was hiermit geschehen ist
Freue mich immer über Anmerkungen & Bemerkungen ...
-Wie de vliegende Hollander in zicht krijgt, die blijft!
Instinktiv nahm ich den Umschlag entgegen, den man mir reichte. Es war die heißeste Zeit des Tages. Ich hockte auf der Hafenmauer, ließ die Beine wasserwärts baumeln. Im Rücken die Restaurants, und noch weiter dahinter, vom Grün des Berges umsäumt, stand San Sebastian, ragte über die Stadt und sah hinaus, genau wie ich. Hinaus aufs Meer, auf die sich träge wälzenden Schiffe. Hinunter auf den hufeisenförmigen Strand, welcher aussah wie abgemeißelt von der übrigen Stadt, und dann mit Beton verschalt, glatt wie eine Hauswand. In dem schmalen Schattenstreifen lagen die Städter dicht an dicht und dösten.
Die Restaurants hatten noch nicht offen, nur der Grieche ließ sich gerade Weinkisten anliefern. Vermutlich hatte ich sie deshalb nicht gehört. Ich sah bloß die Hand, die mir einen feldgrauen Umschlag ins Gesichtsfeld schob. Ein altes Pergament mit einem aufgeprägten Siegel, wie man es aus Historienfilmen kennt.
Instinktiv schnappte ich nach dem mir angebotenen Umschlag. Er war schwer, etwas Klobiges steckte darinnen, das nicht in solch einen Umschlag gehört. Dann blickte ich zu dem Boten. Aber da war niemand, da war nur diese Hand. Sie war schmal und gepflegt, die Fingernägel sorgfältig geschliffen und lackiert. Den Zeigefinger umfasste ein goldener Ring mit Gravur. Ein Ring, sie zu knechten.
Aber wem gehörte diese Hand? Einer unsichtbaren Frau?
–Tot ziens ...
Ich sah der Hand nach. Sie schwebte die Promenade entlang, die Treppe zum Strand herunter, und verlor sich schließlich zwischen den Badenden. Dort unten glaubte ich im Sand die Fußstapfen der Unsichtbaren zu erkennen.
Eine Halluzination, was sonst. Kein Sandburgen bauendes Kind hat vor Entsetzen aufgeschrieen. Nur ich, nur meine Fantasie. Die Sonne, seufzte ich, und legte mir selbst die Hand auf die Stirn. Schweiß stand darauf, in dicken Perlen. Die andere Hand indessen tastete den Umschlag ab. Ich hielt mir das Pergament unter die Nase, schnüffelte. Gerade das altertümliche Siegel machte es anrüchig und verboten, ich weiß nicht, wieso.
Ich sah mich um. Beobachtete mich jemand?
Ist es das, wovon die Verrückten immer sprechen? Dieser ewige Sermon von Engelsvisionen? Ist das der Moment, wenn Entsetzen deinen Schädel spaltet, du dich aber sofort genötigt fühlst, dieses grässliche Ungeheuer zu schützen? Wenn du ganz sicher weißt, dass du derart Ungehöriges sofort jemanden erzählen solltest? Aber mit diesem Geheimnis, das du in dir verschließt, nimmst du selbst Abschied aus der Welt. Und richtest dich dort ein im Nebel, zwischen den Grenzen.
Ich hätte das Päckchen gleich aufmachen können. Aber ich steckte es lieber in die Tasche. Vielleicht war es nachher verschwunden.
Ich habe noch nirgendwo gesehen, wie Horden von Männern ihre eigene Stadt mit Urin und Plastikbechern derart verheerend verwüsten. Sie standen mitten in den engen Gassen und soffen und pissten und kotzten und schrieen. In den Kneipen war niemand, alle standen sie draußen, ein riesiges Rudel, die Nase im Wind.
Männer, überall nur Männer. Gott, welch erbärmlicher Gestank! Ein Besäufnis auf hoher See war nichts dagegen.
Dann aber kam der Regen. Plötzlich, und mit enormer Entschlossenheit. Er prasselte auf die Plastikbecher, das klang wie Musik – und spülte die Bierpisse in Richtung Hafen. Ihm folgte kühler Wind. Auf den Pflastersteinen tanzten jetzt die durchsichtigen Becher, sprangen in die Luft und knallten hohltönend aufs Pflaster zurück. Und wenn sich auf einem der Plätze eine Windhose bildete, dann kreisten die Becher in einer Spirale.
Eine Polonaise, beinahe.
Die Männer gingen nicht heim. Sie tranken selbst im strömenden Regen. Trotzten dem Regen und trotzten dem Wind. Das älteste Volk Europas, kein Wunder, sie hatten schon ganz anderen Unbillen widerstanden.
Paul sagte:
–Was für ein irrer Haufen! Die werden noch im Traum weitersaufen ... Lass uns zum Hafen gehen. Aufs Meer gucken.
Ich hakte mich unter, und so gingen wir los, unseren Regenschirm hart gegen den Sturm. Das riesige Batasuna-Plakat war losgemacht worden, jetzt war es an einer der Laternen vertäut und blähte sich hart im Wind. Ein riesiges Segel, das Plastik schlug laut gegen sich selbst.
Wir saßen auf einer windgeschützten Bank. Alina, zu meiner Linken, schmiegte sich eng an mich. Enger als das, was für uns üblich war. Ich indessen sah zur Rechten. Sah auf eine Pfütze, die seltsam zitterte. Sie spritzte auf, so als hätte jemand etwas hineingeworfen. Einmal, zweimal, dreimal.
–Siehst du das? Komisch. Was ist das?
–Der Wind. Das ist der Wind.
Das war naheliegend.
Aber wie mochte es dann sein, dass jetzt die ganze Bank zitterte? Wie war es möglich, dass sich eine heiße Hand in meine rechte Jackentasche schob, und meine Finger umfasste?
–Was tust du da?
–Bitte?
Ich zog die Frage zurück.
–Nichts, nichts.
Kalter Schweiß brach aus meinen Poren. Die Hand. Hier war wieder die Hand, sie steckte bei mir im warmen Futter, drängte sich hinein wie ein Vogel ins Nest. Streichelte mir über den Handrücken. Unfassbar, aber: Da saß jemand neben mir! Ich spürte jetzt an meiner Seite die Wärme eines Körpers – einer Frau – einer nackten Frau – die sich an mich drängte, mir sogar einen Kuss aufs Ohr gab, mir heiße Luft in den Gehörgang pustete.
–Het pakje. Heb je het pakje nog opengemaakt?
–Nein, noch nicht ...
–Bitte?
Alina sah mich irritiert an.
–Was ist mit dir? Alles klar?
Und dann:
–Fantastisch, dieser Sturm, findest du nicht? Ich lieeebe den Atlantik ...
Wir kehrten ins Hotel zurück. Die Innenstadt war jetzt menschenleer. Der Regen hatte längst aufgehört, aber was der Wind jetzt mit den Bechern veranstaltete, sah surreal aus. Wie eine Performance. Wie Geister, auch das. Ich wollte stehen bleiben. Zuhören. Den Zauber dieses Tanzes weiter in mich aufnehmen. Aber Alina zog mich mit sich.
–Also mir ist jetzt entsetzlich kalt ...
Auf unserem Zimmer schnappte sie sich ihr Necessaire.
–Ich nehm ein Mitternachtsbad, sagte sie und verschwand im Badezimmer.
Ich öffnete meinen Rucksack. Das Päckchen. Natürlich, es war weg. Alles war nur eine Täuschung gewesen. Ich holte tief Luft. Nein. Nicht möglich. Da war es, noch immer. Ich zog es hervor, drehte es in meinen Händen. Aufmachen? Noch warten? Alina fragen, ob sie es für mich öffnen wolle? Damit hätte ich vielleicht etwas gewonnen. Vertrauen.
Aber da war er wieder, dieser Kuss auf meinem Ohr, dieses heiße Säuseln von etwas, das niemals bloß Wind gewesen sein konnte. Willst du kommen?
Er war weg. Auf dem Bett lag nur dieser Umschlag, mit durchbrochenem Siegel. Über dem Umschlag lag ein Handy, ein altes, klobiges Ding, wie von Bergleuten oder Feuerwehrmännern.
Hab ich Paul je geliebt? Ich meine, richtig geliebt? Man macht dies und man macht das. Geht gemeinsam auf eine Reise, und was heißt das schon, außer. Freundschaft, und ab und zu mal ein Fick. Viel Ruhe, Erholung. Dennoch verwirrte mich sein wortloses Verschwinden mehr, als gut für mich war. Ich wälzte mich schlaflos. Im Halblicht sah ich immer wieder auf seine Seite. Da aber lag nur dieses klobige Handy.
Als sei er durch dieses Gerät verschwunden.
Ich inspizierte den Umschlag genauer. Er trug ein holländisches Siegel. Und sogar ein Datum: Den 20. Juli 1969. Was meinte das? Ich nahm das Handy in die Hand. Als ich den Knopf drückte – es gab nur einen einzigen, und keine Tastatur oder Display – , da hörte ich eine weiche Stimme:
Vannacht kom je naar de pier. Daar zal ik je alles vertellen. Je zult stralen, van binnen en van buiten, en ik zal heel dichtbij je zijn.
De vliegende Hollandse
Sie meinte wohl fliegend, aber ich verstand immer liegend. Na, es war ja auch absolut die Höhe! Paul hatte da etwas mit einem holländischen Weib, und hielt es nichtmal für nötig, das zu verbergen! Was wollte er damit sagen, dass er den Knochen einfach liegen ließ? Ach, zum Teufel mit ihm!
Am nächsten Morgen war er noch immer nicht zurück. Ich ging ins Museum. Sollte er tun, was er nicht lassen konnte! Ja, ich schmollte. Aber nachmittags, als er noch immer nicht ins Hotel gekommen war – da überkam mich doch die Unruhe. Ich machte mich auf und klapperte alle Molen im Hafen ab. Aber erst am Abend löste sich das Rätsel auf.
Es war ein sonderbares Bild. Paul war nackt, und völlig seiner Umgebung entrückt. Eigentlich sah es schön aus, wie er dastand, den Rücken zur Hafenmauer, aufrecht, und mit den Armen umklammerte er die Luft, zuerst dachte ich an eine dieser asiatischen Körperübungen. Nein, es war, als umarmte er jemanden. Seine Arme tasteten über den imaginären Körper, mal sah es aus wie Tanz, mal wie Eros. Es war leichtfüßig und schwerfällig zugleich. Er drückte sich gegen die Unsichtbare. Er küsste sie, warf sich gegen sie. Die Holländerin. Sank vor ihr auf die Knie, küsste ihren vermeintlichen Bauch, schnappte nach dem, was man für ihre Brüste halten konnte. Speichel glitzerte auf seinen Lippen, seine Zunge fuhr spielerisch aus dem Mund hinaus. Nein, er sah mich nicht, seine Augen waren geschlossen, die ganze Zeit.
Und, natürlich, unübersehbar: Sein Schwanz war erigiert, ragte in die Luft, das Becken kreiste. Eigentümlich aber, wie sich dann ohne Zuhilfenahme der Hände geradezu pendelte, und irrte mich, oder stülpte sich sogar die Vorhaut auf und ab? Mir wurde übel. Ich drehte mich weg und stützte mich auf die Mauer. Glotzte aufs Meer. Paule, was tust du da?
Ich war ratlos.
Als ich wieder zu ihm sah, sank er gerade auf alle Viere herab. Er schien zu schweben, über dem Boden, die Arme lagen eng um ihren gedachten Hals gefaltet, er küsste die Luft und ihr Gesicht. Er grunzte.
Ekel. Immer mehr Ekel. Insbesondere, als Stimmen von den Restaurants her immer lauter ihr Missfallen ausdrückten. Die Gäste lachten, die Kellner drohten. Dann waren Fahrzeuge zu hören, in meinen Rücken. Ein Pulk an Leuten kam näher, aquel de allí es el hombre, das dort ist der Mann, el loco, der Verrückte, ya ayer estuvo aquí toda la noche incordiando, schon gestern hat er sich die ganze Nacht hier herumgedrückt.
Ein Arzt und zwei Polizisten liefen an mir vorbei. Ich sah mich um. Dort stand ein Streifenwagen, der einem Rettungswagen glich. Spätestens jetzt hätte ich sofort zu ihm laufen müssen, ihm irgendwie zur Seite stehen müssen, un momento, einen Moment, acaso le conozco, ich kenne diesen Mann! Warum aber war ich wie gelähmt?
Er ließ sich wegführen, ohne Widerstand zu leisten. Da war bloß Erstaunen in seinen Augen, nichts weiter. Ich selbst drehte mich weg und stützte meine Ellbogen noch fester auf die Mauer. Man führte ihn an mir vorbei, aber er sah mich nicht. Dann fuhren sie mit ihm weg.
Ich aber ging die Treppe hinunter, zum Strand.
Das Handy klingelte. Ich hatte es in meine Tasche eingesteckt, und ganz vergessen. Eine dramatische Melodie, wie aus alten Filmen.
–Ik ben de boodschapster, sagte die Stimme. En ik ben heel dichtbij.
Ich warf das Handy ins Meer. Ich warf es so weit hinaus, wie ich werfen konnte. Sollte sich das Meer damit befassen. Das alles war folgerichtig. Ebenso folgerichtig war, dass ich mir nun Rock und Slip auszog, und auf den blanken Sand setzte. Nacht umhüllte mich. Ich würde nicht rausschwimmen. Nein. Ich zog nur die Beine an, schmiegte meinen Kopf zwischen die Knie. Spürte den Sand an meinen Schenkeln, das war alles.
Und ließ die Zeit verstreichen.
Und ließ das Meer plappern. Sein endloses Schapp-Baap. Worauf ich wartete? Dass mir eine Hand von hinten übers Haar strich, den Nacken massierte. Nur eine Hand – eigenartig, sagen Sie? Aber vielleicht ist es das, was die Menschheit braucht, wenn alle ihre Brunnen versiegt sind.
Und das Meer plapperte weiter. Es war nicht müde, noch immer nicht.
Freue mich immer über Anmerkungen & Bemerkungen ...
Die liegende Holländerin
-Wie de vliegende Hollander in zicht krijgt, die blijft!
Instinktiv nahm ich den Umschlag entgegen, den man mir reichte. Es war die heißeste Zeit des Tages. Ich hockte auf der Hafenmauer, ließ die Beine wasserwärts baumeln. Im Rücken die Restaurants, und noch weiter dahinter, vom Grün des Berges umsäumt, stand San Sebastian, ragte über die Stadt und sah hinaus, genau wie ich. Hinaus aufs Meer, auf die sich träge wälzenden Schiffe. Hinunter auf den hufeisenförmigen Strand, welcher aussah wie abgemeißelt von der übrigen Stadt, und dann mit Beton verschalt, glatt wie eine Hauswand. In dem schmalen Schattenstreifen lagen die Städter dicht an dicht und dösten.
Die Restaurants hatten noch nicht offen, nur der Grieche ließ sich gerade Weinkisten anliefern. Vermutlich hatte ich sie deshalb nicht gehört. Ich sah bloß die Hand, die mir einen feldgrauen Umschlag ins Gesichtsfeld schob. Ein altes Pergament mit einem aufgeprägten Siegel, wie man es aus Historienfilmen kennt.
Instinktiv schnappte ich nach dem mir angebotenen Umschlag. Er war schwer, etwas Klobiges steckte darinnen, das nicht in solch einen Umschlag gehört. Dann blickte ich zu dem Boten. Aber da war niemand, da war nur diese Hand. Sie war schmal und gepflegt, die Fingernägel sorgfältig geschliffen und lackiert. Den Zeigefinger umfasste ein goldener Ring mit Gravur. Ein Ring, sie zu knechten.
Aber wem gehörte diese Hand? Einer unsichtbaren Frau?
–Tot ziens ...
Ich sah der Hand nach. Sie schwebte die Promenade entlang, die Treppe zum Strand herunter, und verlor sich schließlich zwischen den Badenden. Dort unten glaubte ich im Sand die Fußstapfen der Unsichtbaren zu erkennen.
Eine Halluzination, was sonst. Kein Sandburgen bauendes Kind hat vor Entsetzen aufgeschrieen. Nur ich, nur meine Fantasie. Die Sonne, seufzte ich, und legte mir selbst die Hand auf die Stirn. Schweiß stand darauf, in dicken Perlen. Die andere Hand indessen tastete den Umschlag ab. Ich hielt mir das Pergament unter die Nase, schnüffelte. Gerade das altertümliche Siegel machte es anrüchig und verboten, ich weiß nicht, wieso.
Ich sah mich um. Beobachtete mich jemand?
Ist es das, wovon die Verrückten immer sprechen? Dieser ewige Sermon von Engelsvisionen? Ist das der Moment, wenn Entsetzen deinen Schädel spaltet, du dich aber sofort genötigt fühlst, dieses grässliche Ungeheuer zu schützen? Wenn du ganz sicher weißt, dass du derart Ungehöriges sofort jemanden erzählen solltest? Aber mit diesem Geheimnis, das du in dir verschließt, nimmst du selbst Abschied aus der Welt. Und richtest dich dort ein im Nebel, zwischen den Grenzen.
Ich hätte das Päckchen gleich aufmachen können. Aber ich steckte es lieber in die Tasche. Vielleicht war es nachher verschwunden.
Ich habe noch nirgendwo gesehen, wie Horden von Männern ihre eigene Stadt mit Urin und Plastikbechern derart verheerend verwüsten. Sie standen mitten in den engen Gassen und soffen und pissten und kotzten und schrieen. In den Kneipen war niemand, alle standen sie draußen, ein riesiges Rudel, die Nase im Wind.
Männer, überall nur Männer. Gott, welch erbärmlicher Gestank! Ein Besäufnis auf hoher See war nichts dagegen.
Dann aber kam der Regen. Plötzlich, und mit enormer Entschlossenheit. Er prasselte auf die Plastikbecher, das klang wie Musik – und spülte die Bierpisse in Richtung Hafen. Ihm folgte kühler Wind. Auf den Pflastersteinen tanzten jetzt die durchsichtigen Becher, sprangen in die Luft und knallten hohltönend aufs Pflaster zurück. Und wenn sich auf einem der Plätze eine Windhose bildete, dann kreisten die Becher in einer Spirale.
Eine Polonaise, beinahe.
Die Männer gingen nicht heim. Sie tranken selbst im strömenden Regen. Trotzten dem Regen und trotzten dem Wind. Das älteste Volk Europas, kein Wunder, sie hatten schon ganz anderen Unbillen widerstanden.
Paul sagte:
–Was für ein irrer Haufen! Die werden noch im Traum weitersaufen ... Lass uns zum Hafen gehen. Aufs Meer gucken.
Ich hakte mich unter, und so gingen wir los, unseren Regenschirm hart gegen den Sturm. Das riesige Batasuna-Plakat war losgemacht worden, jetzt war es an einer der Laternen vertäut und blähte sich hart im Wind. Ein riesiges Segel, das Plastik schlug laut gegen sich selbst.
Wir saßen auf einer windgeschützten Bank. Alina, zu meiner Linken, schmiegte sich eng an mich. Enger als das, was für uns üblich war. Ich indessen sah zur Rechten. Sah auf eine Pfütze, die seltsam zitterte. Sie spritzte auf, so als hätte jemand etwas hineingeworfen. Einmal, zweimal, dreimal.
–Siehst du das? Komisch. Was ist das?
–Der Wind. Das ist der Wind.
Das war naheliegend.
Aber wie mochte es dann sein, dass jetzt die ganze Bank zitterte? Wie war es möglich, dass sich eine heiße Hand in meine rechte Jackentasche schob, und meine Finger umfasste?
–Was tust du da?
–Bitte?
Ich zog die Frage zurück.
–Nichts, nichts.
Kalter Schweiß brach aus meinen Poren. Die Hand. Hier war wieder die Hand, sie steckte bei mir im warmen Futter, drängte sich hinein wie ein Vogel ins Nest. Streichelte mir über den Handrücken. Unfassbar, aber: Da saß jemand neben mir! Ich spürte jetzt an meiner Seite die Wärme eines Körpers – einer Frau – einer nackten Frau – die sich an mich drängte, mir sogar einen Kuss aufs Ohr gab, mir heiße Luft in den Gehörgang pustete.
–Het pakje. Heb je het pakje nog opengemaakt?
–Nein, noch nicht ...
–Bitte?
Alina sah mich irritiert an.
–Was ist mit dir? Alles klar?
Und dann:
–Fantastisch, dieser Sturm, findest du nicht? Ich lieeebe den Atlantik ...
Wir kehrten ins Hotel zurück. Die Innenstadt war jetzt menschenleer. Der Regen hatte längst aufgehört, aber was der Wind jetzt mit den Bechern veranstaltete, sah surreal aus. Wie eine Performance. Wie Geister, auch das. Ich wollte stehen bleiben. Zuhören. Den Zauber dieses Tanzes weiter in mich aufnehmen. Aber Alina zog mich mit sich.
–Also mir ist jetzt entsetzlich kalt ...
Auf unserem Zimmer schnappte sie sich ihr Necessaire.
–Ich nehm ein Mitternachtsbad, sagte sie und verschwand im Badezimmer.
Ich öffnete meinen Rucksack. Das Päckchen. Natürlich, es war weg. Alles war nur eine Täuschung gewesen. Ich holte tief Luft. Nein. Nicht möglich. Da war es, noch immer. Ich zog es hervor, drehte es in meinen Händen. Aufmachen? Noch warten? Alina fragen, ob sie es für mich öffnen wolle? Damit hätte ich vielleicht etwas gewonnen. Vertrauen.
Aber da war er wieder, dieser Kuss auf meinem Ohr, dieses heiße Säuseln von etwas, das niemals bloß Wind gewesen sein konnte. Willst du kommen?
Er war weg. Auf dem Bett lag nur dieser Umschlag, mit durchbrochenem Siegel. Über dem Umschlag lag ein Handy, ein altes, klobiges Ding, wie von Bergleuten oder Feuerwehrmännern.
Hab ich Paul je geliebt? Ich meine, richtig geliebt? Man macht dies und man macht das. Geht gemeinsam auf eine Reise, und was heißt das schon, außer. Freundschaft, und ab und zu mal ein Fick. Viel Ruhe, Erholung. Dennoch verwirrte mich sein wortloses Verschwinden mehr, als gut für mich war. Ich wälzte mich schlaflos. Im Halblicht sah ich immer wieder auf seine Seite. Da aber lag nur dieses klobige Handy.
Als sei er durch dieses Gerät verschwunden.
Ich inspizierte den Umschlag genauer. Er trug ein holländisches Siegel. Und sogar ein Datum: Den 20. Juli 1969. Was meinte das? Ich nahm das Handy in die Hand. Als ich den Knopf drückte – es gab nur einen einzigen, und keine Tastatur oder Display – , da hörte ich eine weiche Stimme:
Vannacht kom je naar de pier. Daar zal ik je alles vertellen. Je zult stralen, van binnen en van buiten, en ik zal heel dichtbij je zijn.
De vliegende Hollandse
Sie meinte wohl fliegend, aber ich verstand immer liegend. Na, es war ja auch absolut die Höhe! Paul hatte da etwas mit einem holländischen Weib, und hielt es nichtmal für nötig, das zu verbergen! Was wollte er damit sagen, dass er den Knochen einfach liegen ließ? Ach, zum Teufel mit ihm!
Am nächsten Morgen war er noch immer nicht zurück. Ich ging ins Museum. Sollte er tun, was er nicht lassen konnte! Ja, ich schmollte. Aber nachmittags, als er noch immer nicht ins Hotel gekommen war – da überkam mich doch die Unruhe. Ich machte mich auf und klapperte alle Molen im Hafen ab. Aber erst am Abend löste sich das Rätsel auf.
Es war ein sonderbares Bild. Paul war nackt, und völlig seiner Umgebung entrückt. Eigentlich sah es schön aus, wie er dastand, den Rücken zur Hafenmauer, aufrecht, und mit den Armen umklammerte er die Luft, zuerst dachte ich an eine dieser asiatischen Körperübungen. Nein, es war, als umarmte er jemanden. Seine Arme tasteten über den imaginären Körper, mal sah es aus wie Tanz, mal wie Eros. Es war leichtfüßig und schwerfällig zugleich. Er drückte sich gegen die Unsichtbare. Er küsste sie, warf sich gegen sie. Die Holländerin. Sank vor ihr auf die Knie, küsste ihren vermeintlichen Bauch, schnappte nach dem, was man für ihre Brüste halten konnte. Speichel glitzerte auf seinen Lippen, seine Zunge fuhr spielerisch aus dem Mund hinaus. Nein, er sah mich nicht, seine Augen waren geschlossen, die ganze Zeit.
Und, natürlich, unübersehbar: Sein Schwanz war erigiert, ragte in die Luft, das Becken kreiste. Eigentümlich aber, wie sich dann ohne Zuhilfenahme der Hände geradezu pendelte, und irrte mich, oder stülpte sich sogar die Vorhaut auf und ab? Mir wurde übel. Ich drehte mich weg und stützte mich auf die Mauer. Glotzte aufs Meer. Paule, was tust du da?
Ich war ratlos.
Als ich wieder zu ihm sah, sank er gerade auf alle Viere herab. Er schien zu schweben, über dem Boden, die Arme lagen eng um ihren gedachten Hals gefaltet, er küsste die Luft und ihr Gesicht. Er grunzte.
Ekel. Immer mehr Ekel. Insbesondere, als Stimmen von den Restaurants her immer lauter ihr Missfallen ausdrückten. Die Gäste lachten, die Kellner drohten. Dann waren Fahrzeuge zu hören, in meinen Rücken. Ein Pulk an Leuten kam näher, aquel de allí es el hombre, das dort ist der Mann, el loco, der Verrückte, ya ayer estuvo aquí toda la noche incordiando, schon gestern hat er sich die ganze Nacht hier herumgedrückt.
Ein Arzt und zwei Polizisten liefen an mir vorbei. Ich sah mich um. Dort stand ein Streifenwagen, der einem Rettungswagen glich. Spätestens jetzt hätte ich sofort zu ihm laufen müssen, ihm irgendwie zur Seite stehen müssen, un momento, einen Moment, acaso le conozco, ich kenne diesen Mann! Warum aber war ich wie gelähmt?
Er ließ sich wegführen, ohne Widerstand zu leisten. Da war bloß Erstaunen in seinen Augen, nichts weiter. Ich selbst drehte mich weg und stützte meine Ellbogen noch fester auf die Mauer. Man führte ihn an mir vorbei, aber er sah mich nicht. Dann fuhren sie mit ihm weg.
Ich aber ging die Treppe hinunter, zum Strand.
Das Handy klingelte. Ich hatte es in meine Tasche eingesteckt, und ganz vergessen. Eine dramatische Melodie, wie aus alten Filmen.
–Ik ben de boodschapster, sagte die Stimme. En ik ben heel dichtbij.
Ich warf das Handy ins Meer. Ich warf es so weit hinaus, wie ich werfen konnte. Sollte sich das Meer damit befassen. Das alles war folgerichtig. Ebenso folgerichtig war, dass ich mir nun Rock und Slip auszog, und auf den blanken Sand setzte. Nacht umhüllte mich. Ich würde nicht rausschwimmen. Nein. Ich zog nur die Beine an, schmiegte meinen Kopf zwischen die Knie. Spürte den Sand an meinen Schenkeln, das war alles.
Und ließ die Zeit verstreichen.
Und ließ das Meer plappern. Sein endloses Schapp-Baap. Worauf ich wartete? Dass mir eine Hand von hinten übers Haar strich, den Nacken massierte. Nur eine Hand – eigenartig, sagen Sie? Aber vielleicht ist es das, was die Menschheit braucht, wenn alle ihre Brunnen versiegt sind.
Und das Meer plapperte weiter. Es war nicht müde, noch immer nicht.