Homosapiens
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Mir war sehr plötzlich und heftig weh getan worden. Es war der Moment der Erkenntnis, daß ich belogen, betrogen und verlassen worden war.
Zwar spricht man in solchen Fällen immer vom Schmerz im Herzen, aber ich spürte ihn überall, im ganzen Rumpf, der Magen verschloß sich, die Kehle wurde eng, die Arme und Beine waren wie mit Blei gefüllt.
Der Alltag bleibt nicht stehen, er muß abgearbeitet und erledigt werden. In einem kleinen Ort bleibt auf Dauer nichts verborgen, und so kamen bald die ersten Nachfragen, erst beiläufig, aber schon sehr bald lauernd, bohrend. Erst war es eine Nachbarin, die mich zu Kaffee und Kuchen einladen wollte, mich Kindchen nannte und dabei ins Riesenhafte wuchs. Sicher hatte sie auch einfach mal Lust auf eine interessante Story, deren Ende sie wie ein Schöpfer persönlich zum Happyend gestalten könnte, wenn es ihr denn gelänge, mich mit ihrer Kuchenkreation wieder ins Gleichgewicht zu bringen.
Die Ambitionen des ortsansässigen Handwerkers gingen offensichtlich noch darüber hinaus. Er sprach mich an, direkt ins ungeschützte Gesicht und stellte in Aussicht, wie er selbst eine so wunderbare Frau wie mich auf Händen tragen würde.......
Beim Anblick dieser fremden, schwieligen Pranken zog sich meine enge Kehle vollends zu. Es fühlte sich ein bißchen so an wie die Taxierung von Nutzvieh, etwa eines Arbeitspferdes.
Ich habe keine Ahnung, was mein Gesicht in solchen Momenten sagte, sprechen konnte ich dann nicht. Aber da ich mir angewöhnte, vor Begegnungen weitblickend die Straßenseite zu wechseln, sprach mich nach einer Weile auch niemand mehr an. Mein Schmerz gehörte wieder mir.
Nur in einem einzigen Fall konnte ich auf die Mühe des großräumigen Ausweichens verzichten, das war, wenn Herr Hannes mir begegnete. Ob er wirklich mit Familiennamen so hieß, wußte ich gar nicht genau. Ich hatte mal jemanden ihn so ansprechen hören.
Wenn Herr Hannes mir auf dem Gehweg entgegenkam, senkte er ein wenig das Gesicht, sodaß er seinen Blick für sich behielt. Es hätte die Andeutung eines Nickens zum Gruß bedeuten können, aber stets setzte sich die Kopfbewegung in eine seitliche fort, weil irgendein Lebewesen sein wohlwollendes Interesse erregt hatte. Mal war es ein nah vorüberlaufender Hund, den er mit einem freundlichen "Na, du?" tätschelte, mal sprach er leise eine Katze an, die auf einer niedrigen Mauer in der Sonne döste. Die Angesprochene öffnete nur die Augenschlitze, hob noch nicht einmal den Kopf und schlief ruhig weiter. Als einmal bei einer Begegnung kein Tier in Sichtweite war, ließ Herr Hannes sich seitlich abgewandt zu seinem Schuh nieder und murmelte: "Blöde Schnürsenkel, könnt ihr nicht halten?"
Als ich zu Hause müde und erschöpft meine Küche betrat, erschrak ich zuerst. Unter den Handtüchern in der Ecke kauerte eine schwarze Katze, eher wohl ein Kater, wie ich beim raschen zweiten Blick auf seinen großen Kopf und sein breites Gesicht erkannte. Die Augen waren von fast schwarzem Glanz und starrten wie Glaskugeln in meine Richtung.
"Wo kommst du denn her? " und ein Schritt zu ihm hin wurden mit einem kreischenden Warnlaut bedacht, durchgedrückte Vorderbeine stemmten jetzt die Krallen auf den Boden wie scharfe Klingen in einen Messerblock. Die Ohren legten sich rückwärts an, während eindrucksvolle Reißzähne hinter hochgezogenen Lippen drohten.
"Bist du verletzt," wollte ich fragen, ließ es aber lieber bleiben und trat einen Schritt beiseite. Äußerlich war zwar nichts erkennbar, aber es konnten schwere innere Verletzungen sein, das sprungbereite Tier schien Schmerzen zu haben. Ich war ratlos. Brauchte er den Tierarzt? Aber da würde niemand herankommen, das verstörte Tier bestand nur aus Zähnen und Krallen. Davor hätten mich noch nicht mal Lederhandschuhe schützen können. "Es ist seine Sache," beschloß ich. " Er wird selbst am besten wissen, was richtig ist." Das Fenster war offen, und ich mußte dem Kater sein Leben selbst überlassen. Solange er über derartige Wehrhaftigkeit verfügte, war jedenfalls genug Leben in ihm. Wenn es mit einer Katze zu Ende geht, wird sie apathisch und ihr Blick trübe.
Trotz meines Mitgefühls wandte ich mich von dem Anblick ab und meinem Geschirr im Spülbecken zu. "Wie ist er hier hereingekommen?" fragte ich hilflos und aufs Geratewohl meinen Kaffeebecher. "Durchs Fenster," schepperte der leise, "und nun kümmere dich lieber um den schwarzen Rand in meinem Inneren." "Er ist dein unverhoffter Gast," mischte sich der große Teller klirrend ein, "biete ihm probehalber etwas an!" Etwas Hühnerfrikassee? Die beiden Schälchen, eines mit Wasser, stellte ich mit weggewandtem Gesicht in gebührendem Abstand von meinem verletzten Gast auf dem Boden ab und wurde sogleich grollend gewarnt.
Mein Geschirr wartete, und während ich unter leisem Plappern und Klappern abwusch, blieb es in der Ecke unter den Handtüchern still. Bei einer seitlichen Drehung bemerkte ich aus dem Augenwinkel, daß mein Besucher die Vorderpfoten nicht mehr durchgedrückt hielt und den Kopf etwas gesenkt hatte, obwohl er mich unentwegt beobachtete. Ich ließ mir Zeit und bürstete mein sauberes Geschirr zum zweiten Mal ab, sah genau die Rillen des Topfdeckels an und ermahnte ihn, bitte in Anbetracht des kranken Gastes nicht so laut zu klötern. Langsam kehrte Ruhe ein in der Krankenstube. " An die Handtücher komme ich heute nicht heran, ihr müßt mal selbständig trocknen," erklärte ich meinem Geschirr zum Abschied und verließ die Küche. Am nächsten Morgen war alles unverändert, die Schüssel auf dem Boden allerdings leer.
Ich gewöhnte mich an leise, angeregte Plaudereien mit meinem Abwasch und ans Vorbeisehen an der Küchenecke mit den Handtüchern. Den Abstand zwischen den Schüsseln am Boden und dem schwarzen Kater bewahrte ich immer gleich. Einmal war es mir bei der täglichen Abwaschunterhaltung, als sei etwas an meiner Wade hinter mir entlang gestreift, wie ein seidener Schal vielleicht. Ich drehte mich aber nicht um. Allerdings schien es mir insgesamt, als ob eine gewisse Entspannung eingetreten sei.
Im Supermarkt nahm ich nun regelmäßig zarte Geflügelhäppchen mit, in kleinen Schälchen portioniert, jedes immer frisch, für den schwarzen Kater Hannes.
Gestern wurde hinter mir auf dem Kassenlaufband die gleiche Sorte Katzenfutter abgestellt, jedoch nicht Huhn, sondern Lachs und Forelle. Die Kassiererin streifte mit einem flüchtigen Lächeln über den Trennstab auf dem Kassenband. Hinter mir stand Herr Hannes und bemerkte beim Blick der Verkäuferin freundlich: "Meine beiden mögen nur Fisch." Es war an die Frau hinter der Kasse gerichtet, aber ich wußte, daß es mir galt. Den Blick auf das Gesicht der tippenden Frau gerichtet, ergänzte ich: "Tja, die Geschmäcker sind verschieden. Jede Katze ist eine Persönlichkeit." Plötzlich begriff ich etwas: Herr Hannes hatte Katzen, daher seine Diskretion! Er beherrschte den Katzenknigge! Und ich selbst offenbar genauso. Was für ein seltener und angenehmer Wesenszug!
Als ich den Supermarkt mit meiner Tüte verließ, ohne mich noch einmal umzudrehen, fühlte ich mich auf einmal ganz leicht.
Zwar spricht man in solchen Fällen immer vom Schmerz im Herzen, aber ich spürte ihn überall, im ganzen Rumpf, der Magen verschloß sich, die Kehle wurde eng, die Arme und Beine waren wie mit Blei gefüllt.
Der Alltag bleibt nicht stehen, er muß abgearbeitet und erledigt werden. In einem kleinen Ort bleibt auf Dauer nichts verborgen, und so kamen bald die ersten Nachfragen, erst beiläufig, aber schon sehr bald lauernd, bohrend. Erst war es eine Nachbarin, die mich zu Kaffee und Kuchen einladen wollte, mich Kindchen nannte und dabei ins Riesenhafte wuchs. Sicher hatte sie auch einfach mal Lust auf eine interessante Story, deren Ende sie wie ein Schöpfer persönlich zum Happyend gestalten könnte, wenn es ihr denn gelänge, mich mit ihrer Kuchenkreation wieder ins Gleichgewicht zu bringen.
Die Ambitionen des ortsansässigen Handwerkers gingen offensichtlich noch darüber hinaus. Er sprach mich an, direkt ins ungeschützte Gesicht und stellte in Aussicht, wie er selbst eine so wunderbare Frau wie mich auf Händen tragen würde.......
Beim Anblick dieser fremden, schwieligen Pranken zog sich meine enge Kehle vollends zu. Es fühlte sich ein bißchen so an wie die Taxierung von Nutzvieh, etwa eines Arbeitspferdes.
Ich habe keine Ahnung, was mein Gesicht in solchen Momenten sagte, sprechen konnte ich dann nicht. Aber da ich mir angewöhnte, vor Begegnungen weitblickend die Straßenseite zu wechseln, sprach mich nach einer Weile auch niemand mehr an. Mein Schmerz gehörte wieder mir.
Nur in einem einzigen Fall konnte ich auf die Mühe des großräumigen Ausweichens verzichten, das war, wenn Herr Hannes mir begegnete. Ob er wirklich mit Familiennamen so hieß, wußte ich gar nicht genau. Ich hatte mal jemanden ihn so ansprechen hören.
Wenn Herr Hannes mir auf dem Gehweg entgegenkam, senkte er ein wenig das Gesicht, sodaß er seinen Blick für sich behielt. Es hätte die Andeutung eines Nickens zum Gruß bedeuten können, aber stets setzte sich die Kopfbewegung in eine seitliche fort, weil irgendein Lebewesen sein wohlwollendes Interesse erregt hatte. Mal war es ein nah vorüberlaufender Hund, den er mit einem freundlichen "Na, du?" tätschelte, mal sprach er leise eine Katze an, die auf einer niedrigen Mauer in der Sonne döste. Die Angesprochene öffnete nur die Augenschlitze, hob noch nicht einmal den Kopf und schlief ruhig weiter. Als einmal bei einer Begegnung kein Tier in Sichtweite war, ließ Herr Hannes sich seitlich abgewandt zu seinem Schuh nieder und murmelte: "Blöde Schnürsenkel, könnt ihr nicht halten?"
Als ich zu Hause müde und erschöpft meine Küche betrat, erschrak ich zuerst. Unter den Handtüchern in der Ecke kauerte eine schwarze Katze, eher wohl ein Kater, wie ich beim raschen zweiten Blick auf seinen großen Kopf und sein breites Gesicht erkannte. Die Augen waren von fast schwarzem Glanz und starrten wie Glaskugeln in meine Richtung.
"Wo kommst du denn her? " und ein Schritt zu ihm hin wurden mit einem kreischenden Warnlaut bedacht, durchgedrückte Vorderbeine stemmten jetzt die Krallen auf den Boden wie scharfe Klingen in einen Messerblock. Die Ohren legten sich rückwärts an, während eindrucksvolle Reißzähne hinter hochgezogenen Lippen drohten.
"Bist du verletzt," wollte ich fragen, ließ es aber lieber bleiben und trat einen Schritt beiseite. Äußerlich war zwar nichts erkennbar, aber es konnten schwere innere Verletzungen sein, das sprungbereite Tier schien Schmerzen zu haben. Ich war ratlos. Brauchte er den Tierarzt? Aber da würde niemand herankommen, das verstörte Tier bestand nur aus Zähnen und Krallen. Davor hätten mich noch nicht mal Lederhandschuhe schützen können. "Es ist seine Sache," beschloß ich. " Er wird selbst am besten wissen, was richtig ist." Das Fenster war offen, und ich mußte dem Kater sein Leben selbst überlassen. Solange er über derartige Wehrhaftigkeit verfügte, war jedenfalls genug Leben in ihm. Wenn es mit einer Katze zu Ende geht, wird sie apathisch und ihr Blick trübe.
Trotz meines Mitgefühls wandte ich mich von dem Anblick ab und meinem Geschirr im Spülbecken zu. "Wie ist er hier hereingekommen?" fragte ich hilflos und aufs Geratewohl meinen Kaffeebecher. "Durchs Fenster," schepperte der leise, "und nun kümmere dich lieber um den schwarzen Rand in meinem Inneren." "Er ist dein unverhoffter Gast," mischte sich der große Teller klirrend ein, "biete ihm probehalber etwas an!" Etwas Hühnerfrikassee? Die beiden Schälchen, eines mit Wasser, stellte ich mit weggewandtem Gesicht in gebührendem Abstand von meinem verletzten Gast auf dem Boden ab und wurde sogleich grollend gewarnt.
Mein Geschirr wartete, und während ich unter leisem Plappern und Klappern abwusch, blieb es in der Ecke unter den Handtüchern still. Bei einer seitlichen Drehung bemerkte ich aus dem Augenwinkel, daß mein Besucher die Vorderpfoten nicht mehr durchgedrückt hielt und den Kopf etwas gesenkt hatte, obwohl er mich unentwegt beobachtete. Ich ließ mir Zeit und bürstete mein sauberes Geschirr zum zweiten Mal ab, sah genau die Rillen des Topfdeckels an und ermahnte ihn, bitte in Anbetracht des kranken Gastes nicht so laut zu klötern. Langsam kehrte Ruhe ein in der Krankenstube. " An die Handtücher komme ich heute nicht heran, ihr müßt mal selbständig trocknen," erklärte ich meinem Geschirr zum Abschied und verließ die Küche. Am nächsten Morgen war alles unverändert, die Schüssel auf dem Boden allerdings leer.
Ich gewöhnte mich an leise, angeregte Plaudereien mit meinem Abwasch und ans Vorbeisehen an der Küchenecke mit den Handtüchern. Den Abstand zwischen den Schüsseln am Boden und dem schwarzen Kater bewahrte ich immer gleich. Einmal war es mir bei der täglichen Abwaschunterhaltung, als sei etwas an meiner Wade hinter mir entlang gestreift, wie ein seidener Schal vielleicht. Ich drehte mich aber nicht um. Allerdings schien es mir insgesamt, als ob eine gewisse Entspannung eingetreten sei.
Im Supermarkt nahm ich nun regelmäßig zarte Geflügelhäppchen mit, in kleinen Schälchen portioniert, jedes immer frisch, für den schwarzen Kater Hannes.
Gestern wurde hinter mir auf dem Kassenlaufband die gleiche Sorte Katzenfutter abgestellt, jedoch nicht Huhn, sondern Lachs und Forelle. Die Kassiererin streifte mit einem flüchtigen Lächeln über den Trennstab auf dem Kassenband. Hinter mir stand Herr Hannes und bemerkte beim Blick der Verkäuferin freundlich: "Meine beiden mögen nur Fisch." Es war an die Frau hinter der Kasse gerichtet, aber ich wußte, daß es mir galt. Den Blick auf das Gesicht der tippenden Frau gerichtet, ergänzte ich: "Tja, die Geschmäcker sind verschieden. Jede Katze ist eine Persönlichkeit." Plötzlich begriff ich etwas: Herr Hannes hatte Katzen, daher seine Diskretion! Er beherrschte den Katzenknigge! Und ich selbst offenbar genauso. Was für ein seltener und angenehmer Wesenszug!
Als ich den Supermarkt mit meiner Tüte verließ, ohne mich noch einmal umzudrehen, fühlte ich mich auf einmal ganz leicht.