Du bist nicht alleine.

Senerva

Mitglied
Du bist nicht alleine (oder der missratene Versuch, die Gedanken zu ordnen) - 17.12.2003 © Janine Greis


Ihre Hand glitt hinab, in die Tiefe. Ein leises Seufzen entwich ihren Lippen, als sie den Blick von dem wunderschönen, klaren Sternenhimmel fortzog. Es war eine unendliche Qual für sie, diesen Anblick aus ihren Augen zu verlieren. Den Halt, den sie darin gefunden hatte, ging verloren, entglitt ihr einfach.
Von außen vermochte sie einen einfachen, geordneten Aspekt in Person darzustellen – doch innerlich sah es einem Schlachtfeld gleichsam aus. Trümmer, Trümmer der Gedanken und der Gefühle schlummerten dort tief in ihr, wartend darauf, zu vernichten, was noch zu vernichten war. Ihre Lippen formten einen stummen Schrei nach Hilfe – er wurde nicht erhört. Ihre Hand, die in der Dunkelheit der Schatten verschwunden war, ballte sich leicht zusammen, sodass sich die Fingernägel tief in die Haut fraßen. Was, verdammt noch mal, was nur mit ihr los? Tiefe Leere herrschte mit einem Mal in ihr, dort, wo dieser Trümmerhaufen einfach existieren musste. Langsam drehte sie sich herum – ihr Blick fiel zuerst in den Schatten, der die Oberhand über das Lichte erlangt hatte und den größten Teil ihres Zimmers bemächtige. Es war wie eine giftige Substanz, die von den leblosen Gegenständen ihrer die Macht ergriff, um schließlich in sie eindringen zu können, seinen Weg durch ihre Adern bahnen zu können, bis das Gift sich vollkommen in ihr ausgebreitet hatte. Sie hörte einen Ruf, doch verstand sie nicht, was dort gerufen wurde. Sie blinzelte. Die Dunkelheit war nicht verschwunden, sondern schien sich zusammen zu ballen. An einem Fleck. Genau vor ihr. Sie brauchte nur die Hand auszustrecken, um diese zu berühren. Sie überlegte einen Augenblick, wiegte den Kopf von der einen auf die andere Seite. Kurz darauf hob sich ihre Hand wirklich in die Höhe, griff nach dem nahenden Dunklen. Nichts geschah. Ihre Hand glitt durch den Schatten und verlor sich im Nichts. Die Dunkelheit war nicht mehr als Dunkelheit – hatte sie sich etwa nur vorgestellt, das dort jemand wäre, der sie verstehen würde? Der ihre Einsamkeit verdrängen würde, auf das sie nur ein neues Male in ihr aufkommen würde? Ja, vielleicht. Selbst, wenn es nur eine kleine Anzahl von Teilchen wäre, die sich vor ihr zu einem greifbaren Fleck Dunkelheit zusammenschmolz.
Plötzlich taumelte sie einen Schritt vorwärts. Ein Schmerz durchzuckte ihren Kopf, zwang sie, die Augen zusammen zu kneifen und auf schmerzliche Weise ihre Finger noch tiefer in ihre Haut zu treiben. Blut tropfe hinab, versiegte im Schatten, starb, als es auf den Boden auftraf. Es blieb nicht mehr als eine Erinnerung, als ein Tropfen Blut.
Sie besann sich selbst zur Ruhe. Ein Loch tat sich unter ihr auf, drohte sie zu verschlingen. Sie griff nach dem letzten Halt, der ihr geblieben war – die Dunkelheit, der Schatten. Doch kaum versank ihre Hand in dem greifbar nahen, verlor sie den Halt, den sie für wenige Sekunden geglaubt gefunden zu haben, und stürzte in die Tiefe, das niemals endende Nichts.

Sie erwachte am nächsten Morgen, als warme Sonnenstrahlen sie aus dem Schlaf rissen. Ihr Atem ging keuchend, stoßweise, während sie sich vorsichtig umsah. Kein Schatten, keine Dunkelheit. Kein Gefühl der Einsamkeit und doch …
Neben ihr regte sich etwas. Sie blinzelte, senkte den Kopf. Eine Hand legte sich auf ihrem Bauch nieder. „Schlaf noch ein wenig, mein Schatz. Es ist doch erst so früh.“ Sie murmelte leise etwas vor sich hin, beugte sich ein Stück zur Seite und hauchte einen Kuss auf seine Stirn. ‚Bin ich alleine?’, fragte sie sich im Stillen. Als hätte er ihre Gedanken gelesen, schüttelte er leicht den Kopf, zog sie hinab zu sich und umschlang sie mit seinen Armen.
„Du bist nicht alleine.“
 
M

MDCremer

Gast
Sprachbilder

Hallo Senerva!

Beim Lesen Deines Textes sind mir gleich einige Stellen aufgefallen:

"einen einfachen, geordneten Aspekt in Person" - Welcher Aspekt?

"sah es einem Schlachtfeld gleichsam" - Die Umstellung der Wörter wirkt auf mich etwas bemüht.

"ballte sich leicht zusammen, sodass sich die Fingernägel tief in die Haut fraßen" - Leicht oder tief?

Die Schilderung innerer Vorgänge ist sicherlich das Schwierigste, was man sich vornehmen kann. Dafür die treffenden Bilder zu finden, die auch in anderen anklingen lassen, was man selbst darstellen möchte, ist nicht leicht. Umso wichtiger ist es, sich dabei einer klaren und im Zweifelsfall auch einfachen Sprache zu bedienen, finde ich zumindest.

Gruß

MDCremer
 



 
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