Du bist so hässlich

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Lomil

Mitglied
Du bist so hässlich, dass ichs kaum ertragen kann.
(Titel nach einem Lied von Konstantin Wecker)

Unschlüssig welches Kleid sie anziehen soll, nimmt sie eins nach dem anderen aus dem Schrank und hält es vor ihren halbnackten Körper. Günther hatte soeben grußlos und Türe knallend das Haus verlassen. Weil sie vergessen hatte den Radiowecker auf die Sommerzeit umzustellen, war er zu spät aufgestanden und würde es infolgedessen nicht schaffen pünktlich im Betrieb zu sein. Immerhin konnte er an einer Hand abzählen, wie oft er in den siebenundzwanzig Jahren seiner Betriebszugehörigkeit zu spät gekommen war. Bei dem Gedanken, dass er seit heute die zweite Hand dazu nehmen musste, konnte sie sich ein kleines Lächeln nicht verkneifen. Anlässlich seines fünfundzwanzigjährigen Betriebsjubiläum; bei dem ihm damals eine Urkunde im Silberrahmen verliehen worden war, hatte der Seniorchef in seiner Laudatio Günthers Pünktlichkeit im Besonderen hervorgehoben.

Die Urkunde hing jetzt in ihrem Wohnzimmer, an der Wand hinter der Anrichte mit den Pokalen, zwischen den Auszeichnungen die ihm als erfolgreichen Züchter von "altdeutschen Mövchen, rotfahlgehämmert" verliehen worden waren. Gerahmte Zeitungsausschnitte, die ihn während der Preisverleihung mit Pokal und Urkunde neben seinen, ebenfalls erfolgreichen Geflügelzuchtvereinskollegen zeigten, hatten es erforderlich gemacht, dass der Wohnzimmerschrank an die gegenüberliegende Wand ausweichen musste. Dass dadurch das halbe Fenster verdeckt wurde, rechtfertigte die dadurch frei gewordene Fläche, zwecks Aufhängung besagter Auszeichnungen.

Helga entschied sich für das cremefarbene, mit weißen Längsstreifen versehene Hemdblusenkleid, dass Günther so gerne an ihr sah. Außerdem kam der Bernsteinschmuck, den sie von ihm zu jeder sich bietenden Gelegenheit geschenkt bekam, besonders gut zur Geltung. Günther liebte Bernsteinschmuck.

Sie steht noch immer halbnackt vor dem Spiegel und schaut sich an als würde sie sich das erste Mal sehen. Steht einfach da und starrt sich an. Starrt auf den kleinen Fettansatz zwischen Brust und Bauch von dem Günther meinte er müsse wieder verschwinden. Als er gestern Nacht in ihr Bett gekrochen kam, um nach vielen abstinenten Wochen wieder einmal mit ihr zu schlafen, machte er plötzlich das Licht an, kniff mehrere Male in die Stelle hinein und sagte:" das muss aber wieder verschwinden", knipste das Licht wieder aus und machte weiter.
Seit ihrer Brustamputation vor fünf Jahren, blieb es in ihrem Schlafzimmer dunkel. Günther empfand es als Zumutung, an einer nicht vorhandenen Brust, von der nur ein wulstiges Relief aus vernarbter Haut übrig geblieben war, Freude zu empfinden. Das könnte wohl niemand von ihm verlangen und gab ihr die Schuld für seine beginnende Impotenz.

Sie griff deshalb schon seit geraumer Zeit zur Selbsthilfe. Was ist schon verwerfliches daran sich einer Prothese zu bedienen, für ihre fehlende Brust benutzte sie ja auch eine. Prothesen werden schließlich dazu hergestellt um fehlende Gliedmaßen zu ersetzen.

Heute vor dreißig Jahren hatten sie geheiratet. Die Verkäuferin Helga Liebrig und der Buchhalter Günther Maiherr.
Mai wie -April- und Herr wie -Mann-. Seinen Namen so buchstabierend hatte er den Standesbeamten bei der Verlesung der Personalien, während der Trauung unterbrochen und hat bis zum heutigen Tag bei keiner Vorstellung darauf verzichtet.

Helga nahm das ausgesuchte Kleid und ging ins Bad. Während das Wasser in die Wanne lief, leerte sie die vollen Aschenbecher, die in der ganzen Wohnung zu finden waren, entfernte die Bartstoppeln aus dem Waschbecken, befreite den Spiegel von Zahnpastspritzern, legte die Rolle Toilettenpapier in den Halter und säuberte die Toilette mit der, dafür vorgesehenen Bürste, die Günther demonstrativ - zwecks Entfernung seiner angetrockneten
Verdauungsrückstände - in die Schüssel gesteckt hatte.

Sie steigt in die Wanne, in die sie reichlich duftendes Öl geschüttet hat.
Wie immer hatte sie ihr Bad viel zu heiß zubereitet. Das Wasser brennt auf der Haut. Vor allem an der linken Brust. Vielmehr an der Operationsnarbe. Der Schmerz treibt ihr vorübergehend Tränen in die Augen, aber sie lächelt dabei, weiß, dass das anfängliche Ausbrennen nötig ist um einer Tranceähnlichen Fühllosigkeit den Weg zu bereiten.
Nach und nach beginnen mit dem Leichtwerden des Körpers auch ihre Gedanken unbeschwerter zu fließen.
Währen die ätherischen Öle ihre Wirkung entfalten, macht sie sich ein paar Gedanken über ihren Einkauf.

Wie jedes Jahr hatte Günther Lore und Friedhelm zu ihrem Hochzeitstag eingeladen. Eine dieser Feiern die nur dazu taugen, um in zurückgehaltener Gereiztheit über einander herzufallen, denkt Helga.
Friedhelm war Günthers Kollege und langjähriger Freund aus dem Geflügelzuchtverein. Um ihre Freundschaft nicht zu gefärden hatten sie sich darauf geeinigt, dass Friedhelm "Rebhuhnfarbene Italiener" züchtet und Günther "altdeutsche Mövchen, rotfahl gehämmert."

Sie würde gemischten Braten machen. Halb Rind halb Schwein, das ergab eine besonders gute Sauce. Blumenkohl, Kartoffelbrei und vielleicht noch einen Gurkensalat dazu. Nein Gurke besser nicht, verwarf sie gleich wieder den Gedanken. Für den Abend zu schwer verdaulich. Sie könnte versuchen Rucola Salat zu bekommen, wobei sie nicht sicher war, ob Günther ihn essen würde. Alles was nur im entferntesten ausländisch klang, probierte er nicht einmal.
Dass er einen Freund hatte, der "Rebhuhnfarbene Italiener" züchtete war schon außergewöhnlich genug. Günther würde auch niemals in ein ausländisches Restaurant gehen. Bei den Italienern laufen die Kakerlaken und beim Chinesen die Ratten herum und außerdem sind die alle Mafia unterwandert, da würde er sein schwer verdientes Geld nicht hintragen.

Günther liebte deftige, deutsche Küche, obwohl es seiner Figur nicht schaden würde etwas leichter zu essen. Er neigte zur Fettleibigkeit. Aber alle ihre Versuche waren bisher fehlgeschlagen. Ein Mann ohne Bauch ist ein Krüppel. Basta! Wer hat, trotz Körneresserei und gesunder Ernährung Krebs bekommen, sie oder er?

Sie steigt aus der Wanne und trocknet sich ab. Die eingenommenen Psychopharmaka durchziehen ihren Körper mit einer freundlichen Gleichgültigkeit.
Der Blick auf die Uhr sagt ihr, dass sie sich beeilen muss; will sie ihren Termin beim Friseur einhalten. Seit Jahren trug sie die gleiche Frisur. Günther wollte das so. Die kräftigen, dunklen, von ersten grauen Strähnen durchzogenen Schulterlangen Haare, trug sie im Nacken zusammengebunden. Gerne würde sie eine Kurzhaarfrisur tragen. Sie wird sich heute vom Friseur beraten lassen.

Günther hatte schon seit frühester Jugend mit einer beginnenden Glatze zu kämpfen, die er nun dadurch zu verdecken suchte, indem er den seitlich verbliebenen Haarkranz einseitig wachsen ließ und über die kahle Stelle kämmte.

Helga cremte ihr nahezu faltenloses Gesicht ein. Wenn man von den zwei tiefen Falten absah, die sich rechts und links von der Nasenwurzel bis zu den Mundwinkeln hinunter zogen und ihr einen etwas leidenden Ausdruck verliehen. Dafür fehlen mir die Lachfalten, dachte sie trotzig.

Anstatt des Hemdblusenkleides hatte sie sich für einen dunkelblauen, klassisch geschnittenen Hosenanzug entschieden. Mit etwas Verspätung kam sie beim Friseur an. Den sie nach zwei Stunden, mit dem gelungenen Ergebnis seiner Beratung wieder verließ. An keiner Schaufensterscheibe konnte sie vorbeigehen, ohne sich darin zu betrachten. Sie ertappte sich dabei, dass sie im Takt des Liedes, das sie gedanklich sang, ihre Handtasche hin- und - her schwang. Bevor sie ihren Einkauf tätigte, genehmigte sie sich bei "Davide" zum Frutti de Mare ein Glas Gavi und anschließend einen Espresso mit Grappa.

Wieder zu Hause angekommen begann sie mit den Vorbereitungen für das Abendessen. Was sie eingekauft hatte, ließ sich gut vorbereiten, so dass sie nicht viel Zeit in der Küche verbringen musste wenn die Gäste da waren und ihr genügend Zeit blieb, sich mit ihnen zu unterhalten. Wobei ihr beim Gedanken an den Inhalt der Gespräche, die kurz geschnittenen Haare zu Berge standen.
Günther und Friedhelm würden sich ausgiebig über Günthers Chancen bei seiner bevorstehenden Kandidatur zum Präsidenten den Geflügelzuchtvereins, - dessen Schriftführer Friedhelm war - unterhalten.
Lores Gesprächsthema würden ihre Enkelkinder oder die Bepflanzung ihres Gartens nach dem Mondkalender sein.

Helga begann den Tisch zu decken. Die Vorspeisen waren gerichtet und warteten nur noch darauf angetischt zu werden.
Cozze ripiene,Carpaccio, Salat Caprese, Vitello tonnato, Pandorato und Carcioli alla giuda. Als Zwischengang Fettuccine alla romana und als Hauptgang Ossobuco alla Milanese. Falls danach noch jemand ein Dessert möchte, wäre eine Zabaione schnell gemacht.

Günther war, wie immer auf die Minute pünktlich und hielt ihr den obligatorischen - für jeden Hochzeitstag eine - Rosenstrauß entgegen. Sie stellte ihn gleich in die schon bereitgestellte Vase und öffnete das kleinen Schächtelchen das er ihr entgegenhielt. Er bestand darauf, dass sie die Bernstein Brosche gleich ansteckte, zumal sie ja schon das cremefarbene Hemdblusenkleid trug, an dem sie besonders gut zur Geltung kam.

Lore und Friedhelm waren auch soeben eingetroffen. Friedhelm drückte Helga seine Schlägermütze und Lore die preisgünstige Kilo Packung Knabbergebäck, nebst drei Zucchini aus eigenem biologischen Anbau in die Hand und drohte mit einer weitern, späteren Überraschung.

Helga bat ihre Gäste zu Tisch. Sie holte die Platte mit den Anti Pasti aus der Küche und erklärte, was sich alles darauf befand.
Gefüllte Muscheln, roh mariniertes Rinderfilet, Tomate Mozzarella und Basilikum, Kalbfleisch mit Thunfisch Sauce und Kapern, pikantes Brot mit Sardellen und Schinken, Artischocken auf jüdische Art.
Günther schaute kurz auf, sagte aber nichts. Kratzte von dem Kalbfleisch die Thunfischsauce herunter, nahm dafür die Tomate vom Mozzarella und belegte damit das Fleisch.

Günther, der es nicht leiden konnte, dass in seiner Anwesenheit Enthaltsamkeit und Selbstbeherrschung geübt wurde, verteilte ungefragt, trotz aller Proteste, die Reste von Platten und Schüsseln auf ihre Teller. Deshalb verzichteten, alle außer Günther, auf den Zwischengang.
Die sich anschließende Kalbshaxe schmeckte ihm auch, obwohl ihm halb Rind halb Schweinebraten lieber gewesen wäre.

Es war nun spät genug für die angedrohte, weitere Überraschung und man wechselte ins Wohnzimmer. Günther legte Wert auf bequemes Sitzen. Daher wählte er den Sessel, der als einziger, nicht eingezwängt zwischen Schrankwand und Tisch frei im Zimmer stand, wo seine Fettleibigkeit nach dem Abendessen keine Raumnot erleiden musste. Durch den falsch stehenden Wohnzimmerschrank bildeten die Möbel Hindernisse, zeigten sich von ihrer schlechtesten Seite. Helga widersetzte sich das vertraute Inventar. Drei Jahrzehnte hatte sie darin gelebt, jetzt bildete es Hindernisse.

Mit Händen und Stimme, die der reichlich genossene Alkohol schon ein wenig unbrauchbar gemacht hatte, bot Günther Friedhelm mit weit ausholender Geste, Platz, Ratschläge, Anregungen und Beistand an. Friedhelm war in der vergangenen Saison nämlich nicht so erfolgreich mit seinen "Rebhuhnfarbenen Italienern", wie Günther mit seinen "altdeutschen Mövchen, rotfahlgehämmert."

Die Überraschung stellte sich als, in vielen, von den wenig vorhandenen freien Stunden, zusammengestelltem Erinnerungs protokoll der gemeinsam verbrachten dreißig Jahre in Vers Form. Vorgetragen von Friedhelm, der nach anfänglicher Scheu, ermutigt durch rythmisches klatschen das dreißig seitige Protokoll vorlas, zu dem Günther die literarisch, biographische Vorlage geliefert hatte. Lore findet, dass es gut ist wenn Friedhelm mal aus sich raus geht. Sie findet, er müsste viel öfter aus sich rausgehen. Er geht so gut wie nie aus sich raus. Dabei täte es ihm gut wenn er mal aus sich rausgeht wie man sieht, sagt Lore und deutet auf Friedhelm, der sich mit der Belästigung seines Aus-sich-raus gehens herumschlug, die hektische rote Flecken auf seine Wangen gebrannt und seine Mundwinkel ein bischen eingeschäumt hatten.

Günther war so beeindruckt von dem soeben gehörten, dass er sich verstohlen eine kleine Träne wegwischte. Helga weinte bitterlich.
Weil alle der Meinung waren, dass man einen so schönen Abend nicht feierlicher beschließen kann, verabschiedete man sich. An der Haustüre viel Lore doch noch auf, dass nicht die neue Bernsteinbrosche für Helgas verändertes Aussehen verantwortlich war, sondern der neue Kurzhaarschnitt. Was bei Günther einen Tobsuchtsanfall auslöste, nachdem Lore und Friedhelm gegangen waren.

Während Helga die Küche aufräumte, war Günther, laut schimpfend im Badezimmer verschwunden und schimpfte immer noch als sie das Schlafzimmer betrat. Er drehte ihr seine Kehrseite zu, als er sich bückte um seine Schlafanzughose hochzuziehen.
Der Anblick der sich ihr bot, erinnerte sie mehr, an zum trocknen aufgehängte Tabakblätter, als dem ihm von der Natur aus zugedachten. Der Vergleich ließ sie zum zweiten Mal an diesem Tag lächeln.
Günther legte sich neben sie und mit dem Versprechen über ihre kurzgeschnittenen Haare morgen weiter zu diskutieren, war er in den nächsten Minuten eingeschlafen.

Günther Maiherr; Mai wie April und Herr wie Mann, tat seinen letzten Atemzug, morgens pünktlich um sieben Uhr Sommerzeit.
Der hinzugezogene Arzt stellte den Totenschein; auf plötzliches Herzversagen, nach zuviel Alkoholkonsum aus.

Sie würde sich bei Gelegenheit eine neue Tablette bei der "Gesellschaft für humanes Sterben" besorgen müssen, falls bei ihr der Krebs wieder ausbrechen sollte.
 

Lomil

Mitglied
Du bist so hässlich, dass ichs kaum ertragen kann.
(Titel nach einem Lied von Konstantin Wecker)

Unschlüssig welches Kleid sie anziehen soll, nimmt sie eins nach dem anderen aus dem Schrank und hält es vor ihren halbnackten Körper. Günther hatte soeben grußlos und Türe knallend das Haus verlassen. Weil sie vergessen hatte den Radiowecker auf die Sommerzeit umzustellen, war er zu spät aufgestanden und würde es infolgedessen nicht schaffen pünktlich im Betrieb zu sein. Immerhin konnte er an einer Hand abzählen, wie oft er in den siebenundzwanzig Jahren seiner Betriebszugehörigkeit zu spät gekommen war. Bei dem Gedanken, dass er seit heute die zweite Hand dazu nehmen musste, konnte sie sich ein kleines Lächeln nicht verkneifen. Anlässlich seines fünfundzwanzigjährigen Betriebsjubiläum; bei dem ihm damals eine Urkunde im Silberrahmen verliehen worden war, hatte der Seniorchef in seiner Laudatio Günthers Pünktlichkeit im Besonderen hervorgehoben.

Die Urkunde hängst jetzt in ihrem Wohnzimmer, an der Wand hinter der Anrichte mit den Pokalen, zwischen den Auszeichnungen die ihm als erfolgreichen Züchter von "altdeutschen Mövchen rotfahlgehämmert" verliehen worden sind. Gerahmte Zeitungsausschnitte, die ihn während der Preisverleihung mit Pokal und Urkunde neben seinen, ebenfalls erfolgreichen Geflügelzuchtvereinskollegen zeigen, haben dafür gesorgt, dass der Wohnzimmerschrank an die gegenüberliegende Wand ausweichen musste. Dass dadurch das halbe Fenster verdeckt wurde, rechtfertigte die dadurch frei gewordene Fläche, zwecks Aufhängung besagter Auszeichnungen.

Helga entscheidet sich für das cremefarbene, mit weißen Längsstreifen versehene Hemdblusenkleid, dass Günther so gerne an ihr sieht. Außerdem kommt der Bernsteinschmuck, den sie von ihm zu jeder sich bietenden Gelegenheit geschenkt bekommt, besonders gut zur Geltung. Günther liebte Bernsteinschmuck.

Sie steht noch immer halbnackt vor dem Spiegel und schaut sich an als würde sie sich das erste Mal sehen. Steht einfach da und starrt sich an. Starrt auf den kleinen Fettansatz zwischen Brust und Bauch von dem Günther meinte er müsse wieder verschwinden. Als er gestern Nacht in ihr Bett gekrochen kam, um nach vielen abstinenten Wochen wieder einmal mit ihr zu schlafen, machte er plötzlich das Licht an, kniff mehrere Male in die Stelle hinein und sagte:" das muss aber wieder verschwinden", knipste das Licht wieder aus und machte weiter.
Seit ihrer Brustamputation vor fünf Jahren blieb es in ihrem Schlafzimmer dunkel. Günther empfand es als Zumutung, an einer nicht vorhandenen Brust, von der nur ein wulstiges Relief aus vernarbter Haut übrig geblieben war, Freude zu empfinden. Das könnte wohl niemand von ihm verlangen und er gab ihr die Schuld für seine beginnende Impotenz.

Sie griff deshalb schon seit geraumer Zeit zur Selbsthilfe. Was ist schon verwerfliches daran sich einer Prothese zu bedienen, für ihre fehlende Brust benutzte sie ja auch eine. Prothesen werden schließlich dazu hergestellt um fehlende Gliedmaßen zu ersetzen.

Heute vor dreißig Jahren hatten sie geheiratet. Die Verkäuferin Helga Liebrig und der Buchhalter Günther Maiherr.
Mai wie -April- und Herr wie -Mann-. Seinen Namen so buchstabierend hatte er den Standesbeamten bei der Verlesung der Personalien, während der Trauung unterbrochen und hat bis zum heutigen Tag bei keiner Vorstellung darauf verzichtet.

Helga nimmt das ausgesuchte Kleid und geht ins Bad. Während das Wasser in die Wanne läuft, leert sie die vollen Aschenbecher, entfernt die Bartstoppeln aus dem Waschbecken, befreit den Spiegel von Zahnpastspritzern, legt die Rolle Toilettenpapier in den Halter und säubert die Toilette mit der, dafür vorgesehenen Bürste, die Günther demonstrativ - zwecks Entfernung seiner angetrockneten
Verdauungsrückstände - in die Schüssel gesteckt hat.

Sie steigt in die Wanne, in die sie reichlich duftendes Öl geschüttet hat.
Wie immer hat sie ihr Bad viel zu heiß zubereitet. Das Wasser brennt auf der Haut. Vor allem an der linken Brust. Vielmehr an der Operationsnarbe. Der Schmerz treibt ihr vorübergehend Tränen in die Augen, aber sie lächelt dabei, weiß, dass das anfängliche Ausbrennen nötig ist um einer Tranceähnlichen Fühllosigkeit den Weg zu bereiten.
Nach und nach beginnen mit dem Leichtwerden des Körpers auch ihre Gedanken unbeschwerter zu fließen.
Währen die ätherischen Öle ihre Wirkung entfalten, macht sie sich ein paar Gedanken über ihren Einkauf.

Wie jedes Jahr hatte Günther Lore und Friedhelm zu ihrem Hochzeitstag eingeladen. Eine dieser Feiern die nur dazu taugen, um in zurückgehaltener Gereiztheit über einander herzufallen, denkt Helga.
Friedhelm ist Günthers Kollege und langjähriger Freund aus dem Geflügelzuchtverein. Um ihre Freundschaft nicht zu gefärden hatten sie sich darauf geeinigt, dass Friedhelm "Rebhuhnfarbene Italiener" züchtet und Günther "altdeutsche Mövchen, rotfahl gehämmert."

Sie würde gemischten Braten machen. Halb Rind halb Schwein, das ergab eine besonders gute Sauce. Blumenkohl, Kartoffelbrei und vielleicht noch einen Gurkensalat dazu. Nein Gurke besser nicht, verwarf sie gleich wieder den Gedanken. Für den Abend zu schwer verdaulich. Sie könnte versuchen Rucola Salat zu bekommen, wobei sie nicht sicher war, ob Günther ihn essen würde. Alles was nur im entferntesten ausländisch klang, probierte er nicht einmal.
Dass er einen Freund hatte, der "Rebhuhnfarbene Italiener" züchtete war schon außergewöhnlich genug. Günther würde auch niemals in ein ausländisches Restaurant gehen. Bei den Italienern laufen die Kakerlaken und beim Chinesen die Ratten herum und außerdem sind die alle Mafia unterwandert, da würde er sein schwer verdientes Geld nicht hintragen.

Günther liebte deftige, deutsche Küche, obwohl es seiner Figur nicht schaden würde etwas leichter zu essen. Er neigte zur Fettleibigkeit. Aber alle ihre Versuche waren bisher fehlgeschlagen. Ein Mann ohne Bauch ist ein Krüppel. Basta! Wer hat, trotz Körneresserei und gesunder Ernährung Krebs bekommen, sie oder er?

Sie steigt aus der Wanne und trocknet sich ab. Die eingenommenen Psychopharmaka durchziehen ihren Körper mit ihrer freundlichen Gleichgültigkeit.
Der Blick auf die Uhr sagt ihr, dass sie sich beeilen muss; will sie ihren Termin beim Friseur einhalten. Seit Jahren trägt sie die gleiche Frisur. Günther will das so. Die kräftigen, dunklen, von ersten grauen Strähnen durchzogenen Schulterlangen Haare, trägt sie im Nacken zusammengebunden. Gerne würde sie eine Kurzhaarfrisur tragen. Sie wird sich heute vom Friseur beraten lassen.

Günther hatte schon seit frühester Jugend mit einer beginnenden Glatze zu kämpfen, die er nun dadurch zu verdecken suchte, indem er den seitlich verbliebenen Haarkranz einseitig wachsen ließ und über die kahle Stelle kämmte.

Helga cremt ihr nahezu faltenloses Gesicht ein. Sah man von den zwei tiefen Falten ab, die sich rechts und links von der Nasenwurzel bis zu den Mundwinkeln herunter ziehen und ihr einen etwas leidenden Ausdruck verleihen. Dafür fehlen mir die Lachfalten, denkt sie trotzig.

Anstatt des Hemdblusenkleides entscheidet sie sich für einen dunkelblauen, klassisch geschnittenen Hosenanzug. Mit etwas Verspätung kommt sie beim Friseur an. Den sie nach zwei Stunden, mit dem gelungenen Ergebnis seiner Beratung wieder verlässt. An keiner Schaufensterscheibe kann sie vorbeigehen, ohne sich darin zu betrachten. Sie ertappt sich dabei, dass sie im Takt des Liedes, das sie gedanklich singt, ihre Handtasche hin- und - her schwingt. Bevor sie ihren Einkauf tätigt, genehmigt sie sich bei "Davide" zum Frutti de Mare ein Glas Gavi und anschließend einen Espresso mit Grappa.

Wieder zu Hause angekommen beginnt sie mit den Vorbereitungen für das Abendessen. Was sie eingekauft hatte, ließ sich gut vorbereiten, so dass sie nicht viel Zeit in der Küche verbringen musste wenn die Gäste da waren und ihr genügend Zeit blieb, sich mit ihnen zu unterhalten. Wobei ihr beim Gedanken an den Inhalt der Gespräche die kurz geschnittenen Haare zu Berge standen.
Günther und Friedhelm würden sich ausgiebig über Günthers Chancen bei seiner bevorstehenden Kandidatur zum Präsidenten den Geflügelzuchtvereins, - dessen Schriftführer Friedhelm war - unterhalten.
Lores Gesprächsthema würden ihre Enkelkinder oder die Bepflanzung ihres Gartens nach dem Mondkalender sein.

Helga begann den Tisch zu decken. Die Vorspeisen waren gerichtet und warteten nur noch darauf angetischt zu werden.
Cozze ripiene,Carpaccio, Salat Caprese, Vitello tonnato, Pandorato und Carcioli alla giuda. Als Zwischengang Fettuccine alla romana und als Hauptgang Ossobuco alla Milanese. Falls danach noch jemand ein Dessert möchte, wäre eine Zabaione schnell gemacht.

Günther war, wie immer auf die Minute pünktlich und hielt ihr den obligatorischen - für jeden Hochzeitstag eine - Rosenstrauß entgegen. Sie stellte ihn gleich in die schon bereitgestellte Vase und öffnete das kleinen Schächtelchen das er ihr entgegenhielt. Er bestand darauf, dass sie die Bernstein Brosche gleich ansteckte, zumal sie ja schon das cremefarbene Hemdblusenkleid trug, an dem sie besonders gut zur Geltung kam.

Lore und Friedhelm waren auch soeben eingetroffen. Friedhelm drückte Helga seine Schlägermütze und Lore die preisgünstige Kilo Packung Knabbergebäck, nebst drei Zucchini aus eigenem biologischen Anbau in die Hand und drohte mit einer weitern, späteren Überraschung.

Helga bat ihre Gäste zu Tisch. Sie holte die Platte mit den Anti Pasti aus der Küche und erklärte, was sich alles darauf befand.
Gefüllte Muscheln, roh mariniertes Rinderfilet, Tomate Mozzarella und Basilikum, Kalbfleisch mit Thunfisch Sauce und Kapern, pikantes Brot mit Sardellen und Schinken, Artischocken auf jüdische Art.
Günther schaute kurz auf, sagte aber nichts. Kratzte von dem Kalbfleisch die Thunfischsauce herunter, nahm dafür die Tomate vom Mozzarella und belegte damit das Fleisch.

Günther, der es nicht leiden konnte, dass in seiner Anwesenheit Enthaltsamkeit und Selbstbeherrschung geübt wurde, verteilte ungefragt, trotz aller Proteste, die Reste von Platten und Schüsseln auf ihre Teller. Deshalb verzichteten, alle außer Günther, auf den Zwischengang.
Die sich anschließende Kalbshaxe schmeckte ihm auch, obwohl ihm halb Rind halb Schweinebraten lieber gewesen wäre.

Es war nun spät genug für die angedrohte, weitere Überraschung und man wechselte ins Wohnzimmer. Günther legte Wert auf bequemes Sitzen. Daher wählte er den Sessel, der als einziger, nicht eingezwängt zwischen Schrankwand und Tisch frei im Zimmer stand, wo seine Fettleibigkeit nach dem Abendessen keine Raumnot erleiden musste. Durch den falsch stehenden Wohnzimmerschrank bildeten die Möbel Hindernisse, zeigten sich von ihrer schlechtesten Seite. Helga widersetzte sich das vertraute Inventar. Drei Jahrzehnte hatte sie darin gelebt, jetzt bildete es Hindernisse.

Mit Händen und Stimme, die der reichlich genossene Alkohol schon ein wenig unbrauchbar gemacht hatte, bot Günther Friedhelm mit weit ausholender Geste, Platz, Ratschläge, Anregungen und Beistand an. Friedhelm war in der vergangenen Saison nämlich nicht so erfolgreich mit seinen "Rebhuhnfarbenen Italienern", wie Günther mit seinen "altdeutschen Mövchen, rotfahlgehämmert."

Die Überraschung stellte sich als, in vielen, von den wenig vorhandenen freien Stunden, zusammengestelltem Erinnerungs protokoll der gemeinsam verbrachten dreißig Jahre in Vers Form. Vorgetragen von Friedhelm, der nach anfänglicher Scheu, ermutigt durch rythmisches klatschen das dreißig seitige Protokoll vorlas, zu dem Günther die literarisch, biographische Vorlage geliefert hatte. Lore findet, dass es gut ist wenn Friedhelm mal aus sich raus geht. Sie findet, er müsste viel öfter aus sich rausgehen. Er geht so gut wie nie aus sich raus. Dabei täte es ihm gut wenn er mal aus sich rausgeht wie man sieht, sagt Lore und deutet auf Friedhelm, der sich mit der Belästigung seines Aus-sich-raus gehens herumschlug, die hektische rote Flecken auf seine Wangen gebrannt und seine Mundwinkel ein bischen eingeschäumt hatten.

Günther war so beeindruckt von dem soeben gehörten, dass er sich verstohlen eine kleine Träne wegwischte. Helga weinte bitterlich.
Weil alle der Meinung waren, dass man einen so schönen Abend nicht feierlicher beschließen kann, verabschiedete man sich. An der Haustüre viel Lore doch noch auf, dass nicht die neue Bernsteinbrosche für Helgas verändertes Aussehen verantwortlich war, sondern der neue Kurzhaarschnitt. Was bei Günther einen Tobsuchtsanfall auslöste, nachdem Lore und Friedhelm gegangen waren.

Während Helga die Küche aufräumte, war Günther, laut schimpfend im Badezimmer verschwunden und schimpfte immer noch als sie das Schlafzimmer betrat. Er drehte ihr seine Kehrseite zu, als er sich bückte um seine Schlafanzughose hochzuziehen.
Der Anblick der sich ihr bot, erinnerte sie mehr, an zum trocknen aufgehängte Tabakblätter, als dem ihm von der Natur aus zugedachten. Der Vergleich ließ sie zum zweiten Mal an diesem Tag lächeln.
Günther legte sich neben sie und mit dem Versprechen über ihre kurzgeschnittenen Haare morgen weiter zu diskutieren, war er in den nächsten Minuten eingeschlafen.

Günther Maiherr; Mai wie April und Herr wie Mann, tat seinen letzten Atemzug, morgens pünktlich um sieben Uhr Sommerzeit.
Der hinzugezogene Arzt stellte den Totenschein; auf plötzliches Herzversagen, nach zuviel Alkoholkonsum aus.

Sie würde sich bei Gelegenheit eine neue Tablette bei der "Gesellschaft für humanes Sterben" besorgen müssen, falls bei ihr der Krebs wieder ausbrechen sollte.
 

Lomil

Mitglied
Du bist so hässlich, dass ichs kaum ertragen kann.
(Titel nach einem Lied von Konstantin Wecker)

Unschlüssig welches Kleid sie anziehen soll, nimmt sie eins nach dem anderen aus dem Schrank und hält es vor ihren halbnackten Körper. Günther hatte soeben grußlos und Türe knallend das Haus verlassen. Weil sie vergessen hatte den Radiowecker auf die Sommerzeit umzustellen, war er zu spät aufgestanden und würde es infolgedessen nicht schaffen pünktlich im Betrieb zu sein. Immerhin konnte er an einer Hand abzählen, wie oft er in den siebenundzwanzig Jahren seiner Betriebszugehörigkeit zu spät gekommen war. Bei dem Gedanken, dass er seit heute die zweite Hand dazu nehmen musste, konnte sie sich ein kleines Lächeln nicht verkneifen. Anlässlich seines fünfundzwanzigjährigen Betriebsjubiläum; bei dem ihm damals eine Urkunde im Silberrahmen verliehen worden war, hatte der Seniorchef in seiner Laudatio Günthers Pünktlichkeit im Besonderen hervorgehoben.

Die Urkunde hängt jetzt in ihrem Wohnzimmer, an der Wand hinter der Anrichte mit den Pokalen, zwischen den Auszeichnungen die ihm als erfolgreichen Züchter von "altdeutschen Mövchen rotfahlgehämmert" verliehen worden sind. Gerahmte Zeitungsausschnitte, die ihn während der Preisverleihung mit Pokal und Urkunde neben seinen, ebenfalls erfolgreichen Geflügelzuchtvereinskollegen zeigen, haben dafür gesorgt, dass der Wohnzimmerschrank an die gegenüberliegende Wand ausweichen musste. Dass dadurch das halbe Fenster verdeckt wurde, rechtfertigte die dadurch frei gewordene Fläche, zwecks Aufhängung besagter Auszeichnungen.

Helga entscheidet sich für das cremefarbene, mit weißen Längsstreifen versehene Hemdblusenkleid, dass Günther so gerne an ihr sieht. Außerdem kommt der Bernsteinschmuck, den sie von ihm zu jeder sich bietenden Gelegenheit geschenkt bekommt, besonders gut zur Geltung. Günther liebte Bernsteinschmuck.

Sie steht noch immer halbnackt vor dem Spiegel und schaut sich an als würde sie sich das erste Mal sehen. Steht einfach da und starrt sich an. Starrt auf den kleinen Fettansatz zwischen Brust und Bauch von dem Günther meinte er müsse wieder verschwinden. Als er gestern Nacht in ihr Bett gekrochen kam, um nach vielen abstinenten Wochen wieder einmal mit ihr zu schlafen, machte er plötzlich das Licht an, kniff mehrere Male in die Stelle hinein und sagte:" das muss aber wieder verschwinden", knipste das Licht wieder aus und machte weiter.

Seit ihrer Brustamputation vor fünf Jahren blieb es in ihrem Schlafzimmer dunkel. Günther empfand es als Zumutung, an einer nicht vorhandenen Brust, von der nur ein wulstiges Relief aus vernarbter Haut übrig geblieben war, Freude zu empfinden. Das könnte wohl niemand von ihm verlangen und er gab ihr die Schuld für seine beginnende Impotenz.

Sie griff deshalb schon seit geraumer Zeit zur Selbsthilfe. Was ist schon verwerfliches daran sich einer Prothese zu bedienen, für ihre fehlende Brust benutzte sie ja auch eine. Prothesen werden schließlich dazu hergestellt um fehlende Gliedmaßen zu ersetzen.

Heute vor dreißig Jahren hatten sie geheiratet. Die Verkäuferin Helga Liebrig und der Buchhalter Günther Maiherr.
Mai wie -April- und Herr wie -Mann-. Seinen Namen so buchstabierend hatte er den Standesbeamten bei der Verlesung der Personalien, während der Trauung unterbrochen und hat bis zum heutigen Tag bei keiner Vorstellung darauf verzichtet.

Helga nimmt das ausgesuchte Kleid und geht ins Bad. Während das Wasser in die Wanne läuft, leert sie die vollen Aschenbecher, entfernt die Bartstoppeln aus dem Waschbecken, befreit den Spiegel von Zahnpastspritzern, legt die Rolle Toilettenpapier in den Halter und säubert die Toilette mit der dafür vorgesehenen Bürste, die Günther demonstrativ - zwecks Entfernung seiner angetrockneten Verdauungsrückstände - in die Schüssel gesteckt hat.

Sie steigt in die Wanne in die sie reichlich duftendes Öl geschüttet hat.
Wie immer hat sie ihr Bad viel zu heiß zubereitet. Das Wasser brennt auf der Haut. Vor allem an der linken Brust. Vielmehr an der Operationsnarbe. Der Schmerz treibt ihr vorübergehend Tränen in die Augen, aber sie lächelt dabei, weiß, dass das anfängliche Ausbrennen nötig ist um einer Tranceähnlichen Fühllosigkeit den Weg zu bereiten.
Nach und nach beginnen mit dem Leichtwerden des Körpers auch ihre Gedanken unbeschwerter zu fließen.
Währen die ätherischen Öle ihre Wirkung entfalten, macht sie sich ein paar Gedanken über ihren Einkauf.

Wie jedes Jahr hatte Günther Lore und Friedhelm zu ihrem Hochzeitstag eingeladen. Eine dieser Feiern die nur dazu taugen, um in zurückgehaltener Gereiztheit über einander herzufallen, denkt Helga.
Friedhelm ist Günthers Kollege und langjähriger Freund aus dem Geflügelzuchtverein. Um ihre Freundschaft nicht zu gefärden hatten sie sich darauf geeinigt, dass Friedhelm "Rebhuhnfarbene Italiener" züchtet und Günther "altdeutsche Mövchen, rotfahl gehämmert."

Sie würde gemischten Braten machen. Halb Rind halb Schwein, das ergab eine besonders gute Sauce. Blumenkohl, Kartoffelbrei und vielleicht noch einen Gurkensalat dazu. Nein Gurke besser nicht, verwarf sie gleich wieder den Gedanken. Für den Abend zu schwer verdaulich. Sie könnte versuchen Rucola Salat zu bekommen, wobei sie nicht sicher war, ob Günther ihn essen würde. Alles was nur im entferntesten ausländisch klang, probierte er nicht einmal.
Dass er einen Freund hatte, der "Rebhuhnfarbene Italiener" züchtete war schon außergewöhnlich genug. Günther würde auch niemals in ein ausländisches Restaurant gehen. Bei den Italienern laufen die Kakerlaken und beim Chinesen die Ratten herum und außerdem sind die alle Mafia unterwandert, da würde er sein schwer verdientes Geld nicht hintragen.

Günther liebte deftige, deutsche Küche, obwohl es seiner Figur nicht schaden würde etwas leichter zu essen. Er neigte zur Fettleibigkeit. Aber alle ihre Versuche waren bisher fehlgeschlagen. Ein Mann ohne Bauch ist ein Krüppel. Basta! Wer hat, trotz Körneresserei und gesunder Ernährung Krebs bekommen, sie oder er?

Sie steigt aus der Wanne und trocknet sich ab. Die eingenommenen Psychopharmaka durchziehen ihren Körper mit ihrer freundlichen Gleichgültigkeit.
Der Blick auf die Uhr sagt ihr, dass sie sich beeilen muss; will sie ihren Termin beim Friseur einhalten. Seit Jahren trägt sie die gleiche Frisur. Günther will das so. Die kräftigen, dunklen, von ersten grauen Strähnen durchzogenen Schulterlangen Haare, trägt sie im Nacken zusammengebunden. Gerne würde sie eine Kurzhaarfrisur tragen. Sie wird sich heute vom Friseur beraten lassen.

Günther hatte schon seit frühester Jugend mit einer beginnenden Glatze zu kämpfen, die er nun dadurch zu verdecken suchte, indem er den seitlich verbliebenen Haarkranz einseitig wachsen ließ und über die kahle Stelle kämmte.

Helga cremt ihr nahezu faltenloses Gesicht ein. Sah man von den zwei tiefen Falten ab, die sich rechts und links von der Nasenwurzel bis zu den Mundwinkeln herunter ziehen und ihr einen etwas leidenden Ausdruck verleihen. Dafür fehlen mir die Lachfalten, denkt sie trotzig.

Anstatt des Hemdblusenkleides entscheidet sie sich für einen dunkelblauen, klassisch geschnittenen Hosenanzug. Mit etwas Verspätung kommt sie beim Friseur an. Den sie nach zwei Stunden, mit dem gelungenen Ergebnis seiner Beratung wieder verlässt. An keiner Schaufensterscheibe kann sie vorbeigehen, ohne sich darin zu betrachten. Sie ertappt sich dabei, dass sie im Takt des Liedes, das sie gedanklich singt, ihre Handtasche hin- und - her schwingt. Bevor sie ihren Einkauf tätigt, genehmigt sie sich bei "Davide" zum Frutti de Mare ein Glas Gavi und anschließend einen Espresso mit Grappa.

Wieder zu Hause angekommen beginnt sie mit den Vorbereitungen für das Abendessen. Was sie eingekauft hatte, ließ sich gut vorbereiten, so dass sie nicht viel Zeit in der Küche verbringen musste wenn die Gäste da waren und ihr genügend Zeit blieb, sich mit ihnen zu unterhalten. Wobei ihr beim Gedanken an den Inhalt der Gespräche die kurz geschnittenen Haare zu Berge standen.
Günther und Friedhelm würden sich ausgiebig über Günthers Chancen bei seiner bevorstehenden Kandidatur zum Präsidenten den Geflügelzuchtvereins, - dessen Schriftführer Friedhelm war - unterhalten.
Lores Gesprächsthema würden ihre Enkelkinder oder die Bepflanzung ihres Gartens nach dem Mondkalender sein.

Helga begann den Tisch zu decken. Die Vorspeisen waren gerichtet und warteten nur noch darauf angetischt zu werden.
Cozze ripiene,Carpaccio, Salat Caprese, Vitello tonnato, Pandorato und Carcioli alla giuda. Als Zwischengang Fettuccine alla romana und als Hauptgang Ossobuco alla Milanese. Falls danach noch jemand ein Dessert möchte, wäre eine Zabaione schnell gemacht.

Günther war, wie immer auf die Minute pünktlich und hielt ihr den obligatorischen - für jeden Hochzeitstag eine - Rosenstrauß entgegen. Sie stellte ihn gleich in die schon bereitgestellte Vase und öffnete das kleinen Schächtelchen das er ihr entgegenhielt. Er bestand darauf, dass sie die Bernstein Brosche gleich ansteckte, zumal sie ja schon das cremefarbene Hemdblusenkleid trug, an dem sie besonders gut zur Geltung kam.

Lore und Friedhelm waren auch soeben eingetroffen. Friedhelm drückte Helga seine Schlägermütze und Lore die preisgünstige Kilo Packung Knabbergebäck, nebst drei Zucchini aus eigenem biologischen Anbau in die Hand und drohte mit einer weitern, späteren Überraschung.

Helga bat ihre Gäste zu Tisch. Sie holte die Platte mit den Anti Pasti aus der Küche und erklärte, was sich alles darauf befand.
Gefüllte Muscheln, roh mariniertes Rinderfilet, Tomate Mozzarella und Basilikum, Kalbfleisch mit Thunfisch Sauce und Kapern, pikantes Brot mit Sardellen und Schinken, Artischocken auf jüdische Art.
Günther schaute kurz auf, sagte aber nichts. Kratzte von dem Kalbfleisch die Thunfischsauce herunter, nahm dafür die Tomate vom Mozzarella und belegte damit das Fleisch.

Günther, der es nicht leiden konnte, dass in seiner Anwesenheit Enthaltsamkeit und Selbstbeherrschung geübt wurde, verteilte ungefragt, trotz aller Proteste, die Reste von Platten und Schüsseln auf ihre Teller. Deshalb verzichteten, alle außer Günther, auf den Zwischengang.
Die sich anschließende Kalbshaxe schmeckte ihm auch, obwohl ihm halb Rind halb Schweinebraten lieber gewesen wäre.

Es war nun spät genug für die angedrohte, weitere Überraschung und man wechselte ins Wohnzimmer. Günther legte Wert auf bequemes Sitzen. Daher wählte er den Sessel, der als einziger, nicht eingezwängt zwischen Schrankwand und Tisch frei im Zimmer stand, wo seine Fettleibigkeit nach dem Abendessen keine Raumnot erleiden musste. Durch den falsch stehenden Wohnzimmerschrank bildeten die Möbel Hindernisse, zeigten sich von ihrer schlechtesten Seite. Helga widersetzte sich das vertraute Inventar. Drei Jahrzehnte hatte sie darin gelebt, jetzt bildete es Hindernisse.

Mit Händen und Stimme, die der reichlich genossene Alkohol schon ein wenig unbrauchbar gemacht hatte, bot Günther Friedhelm mit weit ausholender Geste, Platz, Ratschläge, Anregungen und Beistand an. Friedhelm war in der vergangenen Saison nämlich nicht so erfolgreich mit seinen "Rebhuhnfarbenen Italienern", wie Günther mit seinen "altdeutschen Mövchen, rotfahlgehämmert."

Die Überraschung stellte sich als, in vielen, von den wenig vorhandenen freien Stunden, zusammengestelltem Erinnerungs protokoll der gemeinsam verbrachten dreißig Jahre in Vers Form. Vorgetragen von Friedhelm, der nach anfänglicher Scheu, ermutigt durch rythmisches klatschen das dreißig seitige Protokoll vorlas, zu dem Günther die literarisch, biographische Vorlage geliefert hatte. Lore findet, dass es gut ist wenn Friedhelm mal aus sich raus geht. Sie findet, er müsste viel öfter aus sich rausgehen. Er geht so gut wie nie aus sich raus. Dabei täte es ihm gut wenn er mal aus sich rausgeht wie man sieht, sagt Lore und deutet auf Friedhelm, der sich mit der Belästigung seines Aus-sich-raus gehens herumschlug, die hektische rote Flecken auf seine Wangen gebrannt und seine Mundwinkel ein bischen eingeschäumt hatten.

Günther war so beeindruckt von dem soeben gehörten, dass er sich verstohlen eine kleine Träne wegwischte. Helga weinte bitterlich.
Weil alle der Meinung waren, dass man einen so schönen Abend nicht feierlicher beschließen kann, verabschiedete man sich. An der Haustüre viel Lore doch noch auf, dass nicht die neue Bernsteinbrosche für Helgas verändertes Aussehen verantwortlich war, sondern der neue Kurzhaarschnitt. Was bei Günther einen Tobsuchtsanfall auslöste, nachdem Lore und Friedhelm gegangen waren.

Während Helga die Küche aufräumte, war Günther, laut schimpfend im Badezimmer verschwunden und schimpfte immer noch als sie das Schlafzimmer betrat. Er drehte ihr seine Kehrseite zu, als er sich bückte um seine Schlafanzughose hochzuziehen.
Der Anblick der sich ihr bot, erinnerte sie mehr, an zum trocknen aufgehängte Tabakblätter, als dem ihm von der Natur aus zugedachten. Der Vergleich ließ sie zum zweiten Mal an diesem Tag lächeln.
Günther legte sich neben sie und mit dem Versprechen über ihre kurzgeschnittenen Haare morgen weiter zu diskutieren, war er in den nächsten Minuten eingeschlafen.

Günther Maiherr; Mai wie April und Herr wie Mann, tat seinen letzten Atemzug, morgens pünktlich um sieben Uhr Sommerzeit.
Der hinzugezogene Arzt stellte den Totenschein; auf plötzliches Herzversagen, nach zuviel Alkoholkonsum aus.

Sie würde sich bei Gelegenheit eine neue Tablette bei der "Gesellschaft für humanes Sterben" besorgen müssen, falls bei ihr der Krebs wieder ausbrechen sollte.
 

Lomil

Mitglied
Du bist so hässlich, dass ichs kaum ertragen kann.
(Titel nach einem Lied von Konstantin Wecker)

Unschlüssig welches Kleid sie anziehen soll, nimmt sie eins nach dem anderen aus dem Schrank und hält es vor ihren halbnackten Körper. Günther hatte soeben grußlos und Türe knallend das Haus verlassen. Weil sie vergessen hatte den Radiowecker auf die Sommerzeit umzustellen, war er zu spät aufgestanden und würde es infolgedessen nicht schaffen pünktlich im Betrieb zu sein. Immerhin konnte er an einer Hand abzählen, wie oft er in den siebenundzwanzig Jahren seiner Betriebszugehörigkeit zu spät gekommen war. Bei dem Gedanken, dass er seit heute die zweite Hand dazu nehmen musste, konnte sie sich ein kleines Lächeln nicht verkneifen. Anlässlich seines fünfundzwanzigjährigen Betriebsjubiläum; bei dem ihm damals eine Urkunde im Silberrahmen verliehen worden war, hatte der Seniorchef in seiner Laudatio Günthers Pünktlichkeit im Besonderen hervorgehoben.

Die Urkunde hängt jetzt in ihrem Wohnzimmer, an der Wand hinter der Anrichte mit den Pokalen, zwischen den Auszeichnungen die ihm als erfolgreichen Züchter von "altdeutschen Mövchen rotfahlgehämmert" verliehen worden sind. Gerahmte Zeitungsausschnitte, die ihn während der Preisverleihung mit Pokal und Urkunde neben seinen, ebenfalls erfolgreichen Geflügelzuchtvereinskollegen zeigen, haben dafür gesorgt, dass der Wohnzimmerschrank an die gegenüberliegende Wand ausweichen musste. Dass dadurch das halbe Fenster verdeckt wurde, rechtfertigte die dadurch frei gewordene Fläche, zwecks Aufhängung besagter Auszeichnungen.

Helga entscheidet sich für das cremefarbene, mit weißen Längsstreifen versehene Hemdblusenkleid, dass Günther so gerne an ihr sieht. Außerdem kommt der Bernsteinschmuck, den sie von ihm zu jeder sich bietenden Gelegenheit geschenkt bekommt, besonders gut zur Geltung. Günther liebte Bernsteinschmuck.

Sie steht noch immer halbnackt vor dem Spiegel und schaut sich an als würde sie sich das erste Mal sehen. Steht einfach da und starrt sich an. Starrt auf den kleinen Fettansatz zwischen Brust und Bauch von dem Günther meinte er müsse wieder verschwinden. Als er gestern Nacht in ihr Bett gekrochen kam, um nach vielen abstinenten Wochen wieder einmal mit ihr zu schlafen, machte er plötzlich das Licht an, kniff mehrere Male in die Stelle hinein und sagte:" das muss aber wieder verschwinden", knipste das Licht wieder aus und machte weiter.

Seit ihrer Brustamputation vor fünf Jahren blieb es in ihrem Schlafzimmer dunkel. Günther empfand es als Zumutung, an einer nicht vorhandenen Brust, von der nur ein wulstiges Relief aus vernarbter Haut übrig geblieben war, Freude zu empfinden. Das könnte wohl niemand von ihm verlangen und er gab ihr die Schuld für seine beginnende Impotenz.

Sie griff deshalb schon seit geraumer Zeit zur Selbsthilfe. Was ist schon verwerfliches daran sich einer Prothese zu bedienen, für ihre fehlende Brust benutzte sie ja auch eine. Prothesen werden schließlich dazu hergestellt um fehlende Gliedmaße zu ersetzen.

Heute vor dreißig Jahren hatten sie geheiratet. Die Verkäuferin Helga Liebrig und der Buchhalter Günther Maiherr.
Mai wie -April- und Herr wie -Mann. Seinen Namen so buchstabierend hatte er den Standesbeamten bei der Verlesung der Personalien, während der Trauung unterbrochen und hat bis zum heutigen Tag bei keiner Vorstellung darauf verzichtet.

Helga nimmt das ausgesuchte Kleid und geht ins Bad. Während das Wasser in die Wanne läuft, leert sie die vollen Aschenbecher, entfernt die Bartstoppeln aus dem Waschbecken, befreit den Spiegel von Zahnpastspritzern, legt die Rolle Toilettenpapier in den Halter und säubert die Toilette mit der dafür vorgesehenen Bürste, die Günther demonstrativ - zwecks Entfernung seiner angetrockneten Verdauungsrückstände - in die Schüssel gesteckt hat.

Sie steigt in die Wanne in die sie reichlich duftendes Öl geschüttet hat.
Wie immer hat sie ihr Bad viel zu heiß zubereitet. Das Wasser brennt auf der Haut. Vor allem an der linken Brust. Vielmehr an der Operationsnarbe. Der Schmerz treibt ihr vorübergehend Tränen in die Augen, aber sie lächelt dabei, weiß, dass das anfängliche Ausbrennen nötig ist um einer Tranceähnlichen Fühllosigkeit den Weg zu bereiten.
Nach und nach beginnen mit dem Leichtwerden des Körpers auch ihre Gedanken unbeschwerter zu fließen.
Währen die ätherischen Öle ihre Wirkung entfalten, macht sie sich ein paar Gedanken über ihren Einkauf.

Wie jedes Jahr hatte Günther Lore und Friedhelm zu ihrem Hochzeitstag eingeladen. Eine dieser Feiern die nur dazu taugen, um in zurückgehaltener Gereiztheit über einander herzufallen, denkt Helga.
Friedhelm ist Günthers Kollege und langjähriger Freund aus dem Geflügelzuchtverein. Um ihre Freundschaft nicht zu gefärden hatten sie sich darauf geeinigt, dass Friedhelm "Rebhuhnfarbene Italiener" züchtet und Günther "altdeutsche Mövchen, rotfahl gehämmert."

Sie würde gemischten Braten machen. Halb Rind halb Schwein, das ergab eine besonders gute Sauce. Blumenkohl, Kartoffelbrei und vielleicht noch einen Gurkensalat dazu. Nein Gurke besser nicht, verwarf sie gleich wieder den Gedanken. Für den Abend zu schwer verdaulich. Sie könnte versuchen Rucola Salat zu bekommen, wobei sie nicht sicher war, ob Günther ihn essen würde. Alles was nur im entferntesten ausländisch klang, probierte er nicht einmal.
Dass er einen Freund hatte, der "Rebhuhnfarbene Italiener" züchtete war schon außergewöhnlich genug. Günther würde auch niemals in ein ausländisches Restaurant gehen. Bei den Italienern laufen die Kakerlaken und beim Chinesen die Ratten herum und außerdem sind die alle Mafia unterwandert, da würde er sein schwer verdientes Geld nicht hintragen.

Günther liebte deftige, deutsche Küche, obwohl es seiner Figur nicht schaden würde etwas leichter zu essen. Er neigte zur Fettleibigkeit. Aber alle ihre Versuche waren bisher fehlgeschlagen. Ein Mann ohne Bauch ist ein Krüppel. Basta! Wer hat, trotz Körneresserei und gesunder Ernährung Krebs bekommen, sie oder er?

Sie steigt aus der Wanne und trocknet sich ab. Die eingenommenen Psychopharmaka durchziehen ihren Körper mit ihrer freundlichen Gleichgültigkeit.
Der Blick auf die Uhr sagt ihr, dass sie sich beeilen muss; will sie ihren Termin beim Friseur einhalten. Seit Jahren trägt sie die gleiche Frisur. Günther will das so. Die kräftigen, dunklen, von ersten grauen Strähnen durchzogenen Schulterlangen Haare, trägt sie im Nacken zusammengebunden. Gerne würde sie eine Kurzhaarfrisur tragen. Sie wird sich heute vom Friseur beraten lassen.

Günther hatte schon seit frühester Jugend mit einer beginnenden Glatze zu kämpfen, die er nun dadurch zu verdecken suchte, indem er den seitlich verbliebenen Haarkranz einseitig wachsen ließ und über die kahle Stelle kämmte.

Helga cremt ihr nahezu faltenloses Gesicht ein. Sah man von den zwei tiefen Falten ab, die sich rechts und links von der Nasenwurzel bis zu den Mundwinkeln herunter ziehen und ihr einen etwas leidenden Ausdruck verleihen. Dafür fehlen mir die Lachfalten, denkt sie trotzig.

Anstatt des Hemdblusenkleides entscheidet sie sich für einen dunkelblauen, klassisch geschnittenen Hosenanzug. Mit etwas Verspätung kommt sie beim Friseur an. Den sie nach zwei Stunden, mit dem gelungenen Ergebnis seiner Beratung wieder verlässt. An keiner Schaufensterscheibe kann sie vorbeigehen, ohne sich darin zu betrachten. Sie ertappt sich dabei, dass sie im Takt des Liedes, das sie gedanklich singt, ihre Handtasche hin- und - her schwingt. Bevor sie ihren Einkauf tätigt, genehmigt sie sich bei "Davide" zum Frutti de Mare ein Glas Gavi und anschließend einen Espresso mit Grappa.

Wieder zu Hause angekommen beginnt sie mit den Vorbereitungen für das Abendessen. Was sie eingekauft hatte, ließ sich gut vorbereiten, so dass sie nicht viel Zeit in der Küche verbringen musste wenn die Gäste da waren und ihr genügend Zeit blieb, sich mit ihnen zu unterhalten. Wobei ihr beim Gedanken an den Inhalt der Gespräche die kurz geschnittenen Haare zu Berge standen.
Günther und Friedhelm würden sich ausgiebig über Günthers Chancen bei seiner bevorstehenden Kandidatur zum Präsidenten den Geflügelzuchtvereins, - dessen Schriftführer Friedhelm war - unterhalten.
Lores Gesprächsthema würden ihre Enkelkinder oder die Bepflanzung ihres Gartens nach dem Mondkalender sein.

Helga begann den Tisch zu decken. Die Vorspeisen waren gerichtet und warteten nur noch darauf angetischt zu werden.
Cozze ripiene,Carpaccio, Salat Caprese, Vitello tonnato, Pandorato und Carcioli alla giuda. Als Zwischengang Fettuccine alla romana und als Hauptgang Ossobuco alla Milanese. Falls danach noch jemand ein Dessert möchte, wäre eine Zabaione schnell gemacht.

Günther war, wie immer auf die Minute pünktlich und hielt ihr den obligatorischen - für jeden Hochzeitstag eine - Rosenstrauß entgegen. Sie stellte ihn gleich in die schon bereitgestellte Vase und öffnete das kleinen Schächtelchen das er ihr entgegenhielt. Er bestand darauf, dass sie die Bernstein Brosche gleich ansteckte, zumal sie ja schon das cremefarbene Hemdblusenkleid trug, an dem sie besonders gut zur Geltung kam.

Lore und Friedhelm waren auch soeben eingetroffen. Friedhelm drückte Helga seine Schlägermütze und Lore die preisgünstige Kilo Packung Knabbergebäck, nebst drei Zucchini aus eigenem biologischen Anbau in die Hand und drohte mit einer weitern, späteren Überraschung.

Helga bat ihre Gäste zu Tisch. Sie holte die Platte mit den Anti Pasti aus der Küche und erklärte, was sich alles darauf befand.
Gefüllte Muscheln, roh mariniertes Rinderfilet, Tomate Mozzarella und Basilikum, Kalbfleisch mit Thunfisch Sauce und Kapern, pikantes Brot mit Sardellen und Schinken, Artischocken auf jüdische Art.
Günther schaute kurz auf, sagte aber nichts. Kratzte von dem Kalbfleisch die Thunfischsauce herunter, nahm dafür die Tomate vom Mozzarella und belegte damit das Fleisch.

Günther, der es nicht leiden konnte, dass in seiner Anwesenheit Enthaltsamkeit und Selbstbeherrschung geübt wurde, verteilte ungefragt, trotz aller Proteste, die Reste von Platten und Schüsseln auf ihre Teller. Deshalb verzichteten, alle außer Günther, auf den Zwischengang.
Die sich anschließende Kalbshaxe schmeckte ihm auch, obwohl ihm halb Rind halb Schweinebraten lieber gewesen wäre.

Es war nun spät genug für die angedrohte, weitere Überraschung und man wechselte ins Wohnzimmer. Günther legte Wert auf bequemes Sitzen. Daher wählte er den Sessel, der als einziger, nicht eingezwängt zwischen Schrankwand und Tisch frei im Zimmer stand, wo seine Fettleibigkeit nach dem Abendessen keine Raumnot erleiden musste. Durch den falsch stehenden Wohnzimmerschrank bildeten die Möbel Hindernisse, zeigten sich von ihrer schlechtesten Seite. Helga widersetzte sich das vertraute Inventar. Drei Jahrzehnte hatte sie darin gelebt, jetzt bildete es Hindernisse.

Mit Händen und Stimme, die der reichlich genossene Alkohol schon ein wenig unbrauchbar gemacht hatte, bot Günther Friedhelm mit weit ausholender Geste, Platz, Ratschläge, Anregungen und Beistand an. Friedhelm war in der vergangenen Saison nämlich nicht so erfolgreich mit seinen "Rebhuhnfarbenen Italienern", wie Günther mit seinen "altdeutschen Mövchen, rotfahlgehämmert."

Die Überraschung stellte sich als, in vielen, von den wenig vorhandenen freien Stunden, zusammengestelltem Erinnerungs protokoll der gemeinsam verbrachten dreißig Jahre in Vers Form. Vorgetragen von Friedhelm, der nach anfänglicher Scheu, ermutigt durch rythmisches klatschen das dreißig seitige Protokoll vorlas, zu dem Günther die literarisch, biographische Vorlage geliefert hatte. Lore findet, dass es gut ist wenn Friedhelm mal aus sich raus geht. Sie findet, er müsste viel öfter aus sich rausgehen. Er geht so gut wie nie aus sich raus. Dabei täte es ihm gut wenn er mal aus sich rausgeht wie man sieht, sagt Lore und deutet auf Friedhelm, der sich mit der Belästigung seines Aus-sich-raus gehens herumschlug, die hektische rote Flecken auf seine Wangen gebrannt und seine Mundwinkel ein bischen eingeschäumt hatten.

Günther war so beeindruckt von dem soeben gehörten, dass er sich verstohlen eine kleine Träne wegwischte. Helga weinte bitterlich.
Weil alle der Meinung waren, dass man einen so schönen Abend nicht feierlicher beschließen kann, verabschiedete man sich. An der Haustüre viel Lore doch noch auf, dass nicht die neue Bernsteinbrosche für Helgas verändertes Aussehen verantwortlich war, sondern der neue Kurzhaarschnitt. Was bei Günther einen Tobsuchtsanfall auslöste, nachdem Lore und Friedhelm gegangen waren.

Während Helga die Küche aufräumte, war Günther, laut schimpfend im Badezimmer verschwunden und schimpfte immer noch als sie das Schlafzimmer betrat. Er drehte ihr seine Kehrseite zu, als er sich bückte um seine Schlafanzughose hochzuziehen.
Der Anblick der sich ihr bot, erinnerte sie mehr, an zum trocknen aufgehängte Tabakblätter, als dem ihm von der Natur aus zugedachten. Der Vergleich ließ sie zum zweiten Mal an diesem Tag lächeln.
Günther legte sich neben sie und mit dem Versprechen über ihre kurzgeschnittenen Haare morgen weiter zu diskutieren, war er in den nächsten Minuten eingeschlafen.

Günther Maiherr; Mai wie April und Herr wie Mann, tat seinen letzten Atemzug, morgens pünktlich um sieben Uhr Sommerzeit.
Der hinzugezogene Arzt stellte den Totenschein; auf plötzliches Herzversagen, nach zuviel Alkoholkonsum aus.

Sie würde sich bei Gelegenheit eine neue Tablette bei der "Gesellschaft für humanes Sterben" besorgen müssen, falls bei ihr der Krebs wieder ausbrechen sollte.
 

Lomil

Mitglied
Du bist so hässlich, dass ichs kaum ertragen kann.
(Titel nach einem Lied von Konstantin Wecker)

Unschlüssig welches Kleid sie anziehen soll, nimmt sie eins nach dem anderen aus dem Schrank und hält es vor ihren halbnackten Körper. Günther hatte soeben grußlos und Türe knallend das Haus verlassen. Weil sie vergessen hatte den Radiowecker auf die Sommerzeit umzustellen, war er zu spät aufgestanden und würde es infolgedessen nicht schaffen pünktlich im Betrieb zu sein. Immerhin konnte er an einer Hand abzählen, wie oft er in den siebenundzwanzig Jahren seiner Betriebszugehörigkeit zu spät gekommen war. Bei dem Gedanken, dass er seit heute die zweite Hand dazu nehmen musste, konnte sie sich ein kleines Lächeln nicht verkneifen. Anlässlich seines fünfundzwanzigjährigen Betriebsjubiläum; bei dem ihm damals eine Urkunde im Silberrahmen verliehen worden war, hatte der Seniorchef in seiner Laudatio Günthers Pünktlichkeit im Besonderen hervorgehoben.

Die Urkunde hängt jetzt in ihrem Wohnzimmer, an der Wand hinter der Anrichte mit den Pokalen, zwischen den Auszeichnungen die ihm als erfolgreichen Züchter von "altdeutschen Mövchen rotfahlgehämmert" verliehen worden sind. Gerahmte Zeitungsausschnitte, die ihn während der Preisverleihung mit Pokal und Urkunde neben seinen, ebenfalls erfolgreichen Geflügelzuchtvereinskollegen zeigen, haben dafür gesorgt, dass der Wohnzimmerschrank an die gegenüberliegende Wand ausweichen musste. Dass dadurch das halbe Fenster verdeckt wurde, rechtfertigte die dadurch frei gewordene Fläche, zwecks Aufhängung besagter Auszeichnungen.

Helga entscheidet sich für das cremefarbene, mit weißen Längsstreifen versehene Hemdblusenkleid, dass Günther so gerne an ihr sieht. Außerdem kommt der Bernsteinschmuck, den sie von ihm zu jeder sich bietenden Gelegenheit geschenkt bekommt, besonders gut zur Geltung. Günther liebte Bernsteinschmuck.

Sie steht noch immer halbnackt vor dem Spiegel und schaut sich an als würde sie sich das erste Mal sehen. Steht einfach da und starrt sich an. Starrt auf den kleinen Fettansatz zwischen Brust und Bauch von dem Günther meinte er müsse wieder verschwinden. Als er gestern Nacht in ihr Bett gekrochen kam, um nach vielen abstinenten Wochen wieder einmal mit ihr zu schlafen, machte er plötzlich das Licht an, kniff mehrere Male in die Stelle hinein und sagte:" das muss aber wieder verschwinden", knipste das Licht wieder aus und machte weiter.

Seit ihrer Brustamputation vor fünf Jahren blieb es in ihrem Schlafzimmer dunkel. Günther empfand es als Zumutung, an einer nicht vorhandenen Brust, von der nur ein wulstiges Relief aus vernarbter Haut übrig geblieben war, Freude zu empfinden. Das könnte wohl niemand von ihm verlangen und er gab ihr die Schuld für seine beginnende Impotenz.

Sie griff deshalb schon seit geraumer Zeit zur Selbsthilfe. Was ist schon verwerfliches daran sich einer Prothese zu bedienen, für ihre fehlende Brust benutzte sie ja auch eine. Prothesen werden schließlich dazu hergestellt um fehlende Gliedmaße zu ersetzen.

Heute vor dreißig Jahren hatten sie geheiratet. Die Verkäuferin Helga Liebrig und der Buchhalter Günther Maiherr.
Mai wie -April- und Herr wie -Mann. Seinen Namen so buchstabierend hatte er den Standesbeamten bei der Verlesung der Personalien, während der Trauung unterbrochen und hat bis zum heutigen Tag bei keiner Vorstellung darauf verzichtet.

Helga nimmt das ausgesuchte Kleid und geht ins Bad. Während das Wasser in die Wanne läuft, leert sie die vollen Aschenbecher, entfernt die Bartstoppeln aus dem Waschbecken, befreit den Spiegel von Zahnpastspritzern, legt die Rolle Toilettenpapier in den Halter und säubert die Toilette mit der dafür vorgesehenen Bürste, die Günther demonstrativ - zwecks Entfernung seiner angetrockneten Verdauungsrückstände - in die Schüssel gesteckt hat.

Sie steigt in die Wanne in die sie reichlich duftendes Öl geschüttet hat.
Wie immer hat sie ihr Bad viel zu heiß zubereitet. Das Wasser brennt auf der Haut. Vor allem an der linken Brust. Vielmehr an der Operationsnarbe. Der Schmerz treibt ihr vorübergehend Tränen in die Augen, aber sie lächelt dabei, weiß, dass das anfängliche Ausbrennen nötig ist um einer Tranceähnlichen Fühllosigkeit den Weg zu bereiten.
Nach und nach beginnen mit dem Leichtwerden des Körpers auch ihre Gedanken unbeschwerter zu fließen.
Währen die ätherischen Öle ihre Wirkung entfalten, macht sie sich ein paar Gedanken über ihren Einkauf.

Wie jedes Jahr hatte Günther Lore und Friedhelm zu ihrem Hochzeitstag eingeladen. Eine dieser Feiern die nur dazu taugen, um in zurückgehaltener Gereiztheit über einander herzufallen, denkt Helga.
Friedhelm ist Günthers Kollege und langjähriger Freund aus dem Geflügelzuchtverein. Um ihre Freundschaft nicht zu gefärden hatten sie sich darauf geeinigt, dass Friedhelm "Rebhuhnfarbene Italiener" züchtet und Günther "altdeutsche Mövchen, rotfahl gehämmert."

Sie würde gemischten Braten machen. Halb Rind halb Schwein, das ergab eine besonders gute Sauce. Blumenkohl, Kartoffelbrei und vielleicht noch einen Gurkensalat dazu. Nein Gurke besser nicht, verwarf sie gleich wieder den Gedanken. Für den Abend zu schwer verdaulich. Sie könnte versuchen Rucola Salat zu bekommen, wobei sie nicht sicher war, ob Günther ihn essen würde. Alles was nur im entferntesten ausländisch klang, probierte er nicht einmal.
Dass er einen Freund hatte, der "Rebhuhnfarbene Italiener" züchtete war schon außergewöhnlich genug. Günther würde auch niemals in ein ausländisches Restaurant gehen. Bei den Italienern laufen die Kakerlaken und beim Chinesen die Ratten herum und außerdem sind die alle Mafia unterwandert, da würde er sein schwer verdientes Geld nicht hintragen.

Günther liebte deftige, deutsche Küche, obwohl es seiner Figur nicht schaden würde etwas leichter zu essen. Er neigte zur Fettleibigkeit. Aber alle ihre Versuche waren bisher fehlgeschlagen. Ein Mann ohne Bauch ist ein Krüppel. Basta! Wer hat, trotz Körneresserei und gesunder Ernährung Krebs bekommen, sie oder er?

Sie steigt aus der Wanne und trocknet sich ab. Die eingenommenen Psychopharmaka durchziehen ihren Körper mit ihrer freundlichen Gleichgültigkeit.
Der Blick auf die Uhr sagt ihr, dass sie sich beeilen muss; will sie ihren Termin beim Friseur einhalten. Seit Jahren trägt sie die gleiche Frisur. Günther will das so. Die kräftigen, dunklen, von ersten grauen Strähnen durchzogenen Schulterlangen Haare, trägt sie im Nacken zusammengebunden. Gerne würde sie eine Kurzhaarfrisur tragen. Sie wird sich heute vom Friseur beraten lassen.

Günther hatte schon seit frühester Jugend mit einer beginnenden Glatze zu kämpfen, die er nun dadurch zu verdecken suchte, indem er den seitlich verbliebenen Haarkranz einseitig wachsen ließ und über die kahle Stelle kämmte.

Helga cremt ihr nahezu faltenloses Gesicht ein. Sah man von den zwei tiefen Falten ab, die sich rechts und links von der Nasenwurzel bis zu den Mundwinkeln herunter ziehen und ihr einen etwas leidenden Ausdruck verleihen. Dafür fehlen mir die Lachfalten, denkt sie trotzig.

Anstatt des Hemdblusenkleides entscheidet sie sich für einen dunkelblauen, klassisch geschnittenen Hosenanzug. Mit etwas Verspätung kommt sie beim Friseur an. Den sie nach zwei Stunden, mit dem gelungenen Ergebnis seiner Beratung wieder verlässt. An keiner Schaufensterscheibe kann sie vorbeigehen, ohne sich darin zu betrachten. Sie ertappt sich dabei, dass sie im Takt des Liedes, das sie gedanklich singt, ihre Handtasche hin- und - her schwingt. Bevor sie ihren Einkauf tätigt, genehmigt sie sich bei "Davide" zum Frutti de Mare ein Glas Gavi und anschließend einen Espresso mit Grappa.

Wieder zu Hause angekommen beginnt sie mit den Vorbereitungen für das Abendessen. Was sie eingekauft hatte, ließ sich gut vorbereiten, so dass sie nicht viel Zeit in der Küche verbringen musste wenn die Gäste da waren und ihr genügend Zeit blieb, sich mit ihnen zu unterhalten. Wobei ihr beim Gedanken an den Inhalt der Gespräche die kurz geschnittenen Haare zu Berge standen.
Günther und Friedhelm würden sich ausgiebig über Günthers Chancen bei seiner bevorstehenden Kandidatur zum Präsidenten den Geflügelzuchtvereins, - dessen Schriftführer Friedhelm war - unterhalten.
Lores Gesprächsthema würden ihre Enkelkinder oder die Bepflanzung ihres Gartens nach dem Mondkalender sein.

Helga begann den Tisch zu decken. Die Vorspeisen waren gerichtet und warteten nur noch darauf angetischt zu werden.
Cozze ripiene,Carpaccio, Salat Caprese, Vitello tonnato, Pandorato und Carcioli alla giuda. Als Zwischengang Fettuccine alla romana und als Hauptgang Ossobuco alla Milanese. Falls danach noch jemand ein Dessert möchte, wäre eine Zabaione schnell gemacht.

Günther war, wie immer auf die Minute pünktlich und hielt ihr den obligatorischen - für jeden Hochzeitstag eine - Rosenstrauß entgegen. Sie stellte ihn gleich in die schon bereitgestellte Vase und öffnete das kleinen Schächtelchen das er ihr entgegenhielt. Er bestand darauf, dass sie die Bernstein Brosche gleich ansteckte, zumal sie ja schon das cremefarbene Hemdblusenkleid trug, an dem sie besonders gut zur Geltung kam.

Lore und Friedhelm waren auch soeben eingetroffen. Friedhelm drückte Helga seine Schlägermütze und Lore die preisgünstige Kilo Packung Knabbergebäck, nebst drei Zucchini aus eigenem biologischen Anbau in die Hand und drohte mit einer weitern, späteren Überraschung.

Helga bat ihre Gäste zu Tisch. Sie holte die Platte mit den Anti Pasti aus der Küche und erklärte, was sich alles darauf befand.
Gefüllte Muscheln, roh mariniertes Rinderfilet, Tomate Mozzarella und Basilikum, Kalbfleisch mit Thunfisch Sauce und Kapern, pikantes Brot mit Sardellen und Schinken, Artischocken auf jüdische Art.
Günther schaute kurz auf, sagte aber nichts. Kratzte von dem Kalbfleisch die Thunfischsauce herunter, nahm dafür die Tomate vom Mozzarella und belegte damit das Fleisch.

Günther, der es nicht leiden konnte, dass in seiner Anwesenheit Enthaltsamkeit und Selbstbeherrschung geübt wurde, verteilte ungefragt, trotz aller Proteste, die Reste von Platten und Schüsseln auf ihre Teller. Deshalb verzichteten, alle außer Günther, auf den Zwischengang.
Die sich anschließende Kalbshaxe schmeckte ihm auch, obwohl ihm halb Rind halb Schweinebraten lieber gewesen wäre.

Es war nun spät genug für die angedrohte, weitere Überraschung und man wechselte ins Wohnzimmer. Günther legte Wert auf bequemes Sitzen. Daher wählte er den Sessel, der als einziger, nicht eingezwängt zwischen Schrankwand und Tisch frei im Zimmer stand, wo seine Fettleibigkeit nach dem Abendessen keine Raumnot erleiden musste. Durch den falsch stehenden Wohnzimmerschrank bildeten die Möbel Hindernisse, zeigten sich von ihrer schlechtesten Seite. Helga widersetzte sich das vertraute Inventar. Drei Jahrzehnte hatte sie darin gelebt, jetzt bildete es Hindernisse.

Mit Händen und Stimme, die der reichlich genossene Alkohol schon ein wenig unbrauchbar gemacht hatte, bot Günther Friedhelm mit weit ausholender Geste, Platz, Ratschläge, Anregungen und Beistand an. Friedhelm war in der vergangenen Saison nämlich nicht so erfolgreich mit seinen "Rebhuhnfarbenen Italienern", wie Günther mit seinen "altdeutschen Mövchen, rotfahlgehämmert."

Die Überraschung stellte sich als, in vielen, von den wenig vorhandenen freien Stunden, zusammengestelltem Erinnerungs protokoll der gemeinsam verbrachten dreißig Jahre in Vers Form. Vorgetragen von Friedhelm, der nach anfänglicher Scheu, ermutigt durch rythmisches klatschen das dreißig seitige Protokoll vorlas, zu dem Günther die literarisch, biographische Vorlage geliefert hatte. Lore findet, dass es gut ist wenn Friedhelm mal aus sich raus geht. Sie findet, er müsste viel öfter aus sich rausgehen. Er geht so gut wie nie aus sich raus. Dabei täte es ihm gut wenn er mal aus sich rausgeht wie man sieht, sagt Lore und deutet auf Friedhelm, der sich mit der Belästigung seines Aus-sich-raus gehens herumschlug, die hektische rote Flecken auf seine Wangen gebrannt und seine Mundwinkel ein bischen eingeschäumt hatten.

Günther war so beeindruckt von dem soeben gehörten, dass er sich verstohlen eine kleine Träne wegwischte. Helga weinte bitterlich.
Weil alle der Meinung waren, dass man einen so schönen Abend nicht feierlicher beschließen kann, verabschiedete man sich. An der Haustüre viel Lore doch noch auf, dass nicht die neue Bernsteinbrosche für Helgas verändertes Aussehen verantwortlich war, sondern der neue Kurzhaarschnitt. Was bei Günther einen Tobsuchtsanfall auslöste, nachdem Lore und Friedhelm gegangen waren.

Während Helga die Küche aufräumte, war Günther, laut schimpfend im Badezimmer verschwunden und schimpfte immer noch als sie das Schlafzimmer betrat. Er drehte ihr seine Kehrseite zu, als er sich bückte um seine Schlafanzughose hochzuziehen.
Der Anblick der sich ihr bot, erinnerte sie mehr, an zum trocknen aufgehängte Tabakblätter, als dem ihm von der Natur aus zugedachten. Der Vergleich ließ sie zum zweiten Mal an diesem Tag lächeln.
Günther legte sich neben sie und mit dem Versprechen über ihre kurzgeschnittenen Haare morgen weiter zu diskutieren, war er in den nächsten Minuten eingeschlafen.

Günther Maiherr; Mai wie April und Herr wie Mann, tat seinen letzten Atemzug, morgens pünktlich um sieben Uhr Sommerzeit.
Der hinzugezogene Arzt stellte den Totenschein; auf plötzliches Herzversagen, nach zuviel Alkoholkonsum aus.

Sie würde sich bei Gelegenheit eine neue Tablette bei der "Gesellschaft für humanes Sterben" besorgen müssen, falls bei ihr der Krebs wieder ausbrechen sollte.
 

Lomil

Mitglied
Du bist so hässlich, dass ichs kaum ertragen kann.
(Titel nach einem Lied von Konstantin Wecker)

Unschlüssig welches Kleid sie anziehen soll, nimmt sie eins nach dem anderen aus dem Schrank und hält es vor ihren halbnackten Körper. Günther hatte soeben grußlos und Türe knallend das Haus verlassen. Weil sie vergessen hatte den Radiowecker auf die Sommerzeit umzustellen, war er zu spät aufgestanden und würde es infolgedessen nicht schaffen pünktlich im Betrieb zu sein. Immerhin konnte er an einer Hand abzählen, wie oft er in den siebenundzwanzig Jahren seiner Betriebszugehörigkeit zu spät gekommen war. Bei dem Gedanken, dass er seit heute die zweite Hand dazu nehmen musste, konnte sie sich ein kleines Lächeln nicht verkneifen. Anlässlich seines fünfundzwanzigjährigen Betriebsjubiläum; bei dem ihm damals eine Urkunde im Silberrahmen verliehen worden war, hatte der Seniorchef in seiner Laudatio Günthers Pünktlichkeit im Besonderen hervorgehoben.

Die Urkunde hängt jetzt in ihrem Wohnzimmer, an der Wand hinter der Anrichte mit den Pokalen, zwischen den Auszeichnungen die ihm als erfolgreichen Züchter von "altdeutschen Mövchen rotfahlgehämmert" verliehen worden sind. Gerahmte Zeitungsausschnitte, die ihn während der Preisverleihung mit Pokal und Urkunde neben seinen, ebenfalls erfolgreichen Geflügelzuchtvereinskollegen zeigen, haben dafür gesorgt, dass der Wohnzimmerschrank an die gegenüberliegende Wand ausweichen musste. Dass dadurch das halbe Fenster verdeckt wurde, rechtfertigte die dadurch frei gewordene Fläche, zwecks Aufhängung besagter Auszeichnungen.

Helga entscheidet sich für das cremefarbene, mit weißen Längsstreifen versehene Hemdblusenkleid, das Günther so gerne an ihr sieht. Außerdem kommt der Bernsteinschmuck, den sie von ihm zu jeder sich bietenden Gelegenheit geschenkt bekommt, besonders gut zur Geltung. Günther liebte Bernsteinschmuck.

Sie steht noch immer halbnackt vor dem Spiegel und schaut sich an als würde sie sich das erste Mal sehen. Steht einfach da und starrt sich an. Starrt auf den kleinen Fettansatz zwischen Brust und Bauch von dem Günther meinte er müsse wieder verschwinden. Als er gestern Nacht in ihr Bett gekrochen kam, um nach vielen abstinenten Wochen wieder einmal mit ihr zu schlafen, machte er plötzlich das Licht an, kniff mehrere Male in die Stelle hinein und sagte:" das muss aber wieder verschwinden", knipste das Licht wieder aus und machte weiter.

Seit ihrer Brustamputation vor fünf Jahren blieb es in ihrem Schlafzimmer dunkel. Günther empfand es als Zumutung, an einer nicht vorhandenen Brust, von der nur ein wulstiges Relief aus vernarbter Haut übrig geblieben war, Freude zu empfinden. Das könnte wohl niemand von ihm verlangen und er gab ihr die Schuld für seine beginnende Impotenz.

Sie griff deshalb schon seit geraumer Zeit zur Selbsthilfe. Was ist schon verwerfliches daran sich einer Prothese zu bedienen, für ihre fehlende Brust benutzte sie ja auch eine. Prothesen werden schließlich dazu hergestellt um fehlende Gliedmaße zu ersetzen.

Heute vor dreißig Jahren hatten sie geheiratet. Die Verkäuferin Helga Liebrig und der Buchhalter Günther Maiherr.
Mai wie -April- und Herr wie -Mann. Seinen Namen so buchstabierend hatte er den Standesbeamten bei der Verlesung der Personalien, während der Trauung unterbrochen und hat bis zum heutigen Tag bei keiner Vorstellung darauf verzichtet.

Helga nimmt das ausgesuchte Kleid und geht ins Bad. Während das Wasser in die Wanne läuft, leert sie die vollen Aschenbecher, entfernt die Bartstoppeln aus dem Waschbecken, befreit den Spiegel von Zahnpastspritzern, legt die Rolle Toilettenpapier in den Halter und säubert die Toilette mit der dafür vorgesehenen Bürste, die Günther demonstrativ - zwecks Entfernung seiner angetrockneten Verdauungsrückstände - in die Schüssel gesteckt hat.

Sie steigt in die Wanne in die sie reichlich duftendes Öl geschüttet hat.
Wie immer hat sie ihr Bad viel zu heiß zubereitet. Das Wasser brennt auf der Haut. Vor allem an der linken Brust. Vielmehr an der Operationsnarbe. Der Schmerz treibt ihr vorübergehend Tränen in die Augen, aber sie lächelt dabei, weiß, dass das anfängliche Ausbrennen nötig ist um einer Tranceähnlichen Fühllosigkeit den Weg zu bereiten.
Nach und nach beginnen mit dem Leichtwerden des Körpers auch ihre Gedanken unbeschwerter zu fließen.
Währen die ätherischen Öle ihre Wirkung entfalten, macht sie sich ein paar Gedanken über ihren Einkauf.

Wie jedes Jahr hatte Günther Lore und Friedhelm zu ihrem Hochzeitstag eingeladen. Eine dieser Feiern die nur dazu taugen, um in zurückgehaltener Gereiztheit über einander herzufallen, denkt Helga.
Friedhelm ist Günthers Kollege und langjähriger Freund aus dem Geflügelzuchtverein. Um ihre Freundschaft nicht zu gefärden hatten sie sich darauf geeinigt, dass Friedhelm "Rebhuhnfarbene Italiener" züchtet und Günther "altdeutsche Mövchen, rotfahl gehämmert."

Sie würde gemischten Braten machen. Halb Rind halb Schwein, das ergab eine besonders gute Sauce. Blumenkohl, Kartoffelbrei und vielleicht noch einen Gurkensalat dazu. Nein Gurke besser nicht, verwarf sie gleich wieder den Gedanken. Für den Abend zu schwer verdaulich. Sie könnte versuchen Rucola Salat zu bekommen, wobei sie nicht sicher war, ob Günther ihn essen würde. Alles was nur im entferntesten ausländisch klang, probierte er nicht einmal.
Dass er einen Freund hatte, der "Rebhuhnfarbene Italiener" züchtete war schon außergewöhnlich genug. Günther würde auch niemals in ein ausländisches Restaurant gehen. Bei den Italienern laufen die Kakerlaken und beim Chinesen die Ratten herum und außerdem sind die alle Mafia unterwandert, da würde er sein schwer verdientes Geld nicht hintragen.

Günther liebte deftige, deutsche Küche, obwohl es seiner Figur nicht schaden würde etwas leichter zu essen. Er neigte zur Fettleibigkeit. Aber alle ihre Versuche waren bisher fehlgeschlagen. Ein Mann ohne Bauch ist ein Krüppel. Basta! Wer hat, trotz Körneresserei und gesunder Ernährung Krebs bekommen, sie oder er?

Sie steigt aus der Wanne und trocknet sich ab. Die eingenommenen Psychopharmaka durchziehen ihren Körper mit ihrer freundlichen Gleichgültigkeit.
Der Blick auf die Uhr sagt ihr, dass sie sich beeilen muss; will sie ihren Termin beim Friseur einhalten. Seit Jahren trägt sie die gleiche Frisur. Günther will das so. Die kräftigen, dunklen, von ersten grauen Strähnen durchzogenen Schulterlangen Haare, trägt sie im Nacken zusammengebunden. Gerne würde sie eine Kurzhaarfrisur tragen. Sie wird sich heute vom Friseur beraten lassen.

Günther hatte schon seit frühester Jugend mit einer beginnenden Glatze zu kämpfen, die er nun dadurch zu verdecken suchte, indem er den seitlich verbliebenen Haarkranz einseitig wachsen ließ und über die kahle Stelle kämmte.

Helga cremt ihr nahezu faltenloses Gesicht ein. Sah man von den zwei tiefen Falten ab, die sich rechts und links von der Nasenwurzel bis zu den Mundwinkeln herunter ziehen und ihr einen etwas leidenden Ausdruck verleihen. Dafür fehlen mir die Lachfalten, denkt sie trotzig.

Anstatt des Hemdblusenkleides entscheidet sie sich für einen dunkelblauen, klassisch geschnittenen Hosenanzug. Mit etwas Verspätung kommt sie beim Friseur an. Den sie nach zwei Stunden, mit dem gelungenen Ergebnis seiner Beratung wieder verlässt. An keiner Schaufensterscheibe kann sie vorbeigehen, ohne sich darin zu betrachten. Sie ertappt sich dabei, dass sie im Takt des Liedes, das sie gedanklich singt, ihre Handtasche hin- und - her schwingt. Bevor sie ihren Einkauf tätigt, genehmigt sie sich bei "Davide" zum Frutti de Mare ein Glas Gavi und anschließend einen Espresso mit Grappa.

Wieder zu Hause angekommen beginnt sie mit den Vorbereitungen für das Abendessen. Was sie eingekauft hatte, ließ sich gut vorbereiten, so dass sie nicht viel Zeit in der Küche verbringen musste wenn die Gäste da waren und ihr genügend Zeit blieb, sich mit ihnen zu unterhalten. Wobei ihr beim Gedanken an den Inhalt der Gespräche die kurz geschnittenen Haare zu Berge standen.
Günther und Friedhelm würden sich ausgiebig über Günthers Chancen bei seiner bevorstehenden Kandidatur zum Präsidenten den Geflügelzuchtvereins, - dessen Schriftführer Friedhelm war - unterhalten.
Lores Gesprächsthema würden ihre Enkelkinder oder die Bepflanzung ihres Gartens nach dem Mondkalender sein.

Helga begann den Tisch zu decken. Die Vorspeisen waren gerichtet und warteten nur noch darauf angetischt zu werden.
Cozze ripiene,Carpaccio, Salat Caprese, Vitello tonnato, Pandorato und Carcioli alla giuda. Als Zwischengang Fettuccine alla romana und als Hauptgang Ossobuco alla Milanese. Falls danach noch jemand ein Dessert möchte, wäre eine Zabaione schnell gemacht.

Günther war, wie immer auf die Minute pünktlich und hielt ihr den obligatorischen - für jeden Hochzeitstag eine - Rosenstrauß entgegen. Sie stellte ihn gleich in die schon bereitgestellte Vase und öffnete das kleinen Schächtelchen das er ihr entgegenhielt. Er bestand darauf, dass sie die Bernstein Brosche gleich ansteckte, zumal sie ja schon das cremefarbene Hemdblusenkleid trug, an dem sie besonders gut zur Geltung kam.

Lore und Friedhelm waren auch soeben eingetroffen. Friedhelm drückte Helga seine Schlägermütze und Lore die preisgünstige Kilo Packung Knabbergebäck, nebst drei Zucchini aus eigenem biologischen Anbau in die Hand und drohte mit einer weitern, späteren Überraschung.

Helga bat ihre Gäste zu Tisch. Sie holte die Platte mit den Anti Pasti aus der Küche und erklärte, was sich alles darauf befand.
Gefüllte Muscheln, roh mariniertes Rinderfilet, Tomate Mozzarella und Basilikum, Kalbfleisch mit Thunfisch Sauce und Kapern, pikantes Brot mit Sardellen und Schinken, Artischocken auf jüdische Art.
Günther schaute kurz auf, sagte aber nichts. Kratzte von dem Kalbfleisch die Thunfischsauce herunter, nahm dafür die Tomate vom Mozzarella und belegte damit das Fleisch.

Günther, der es nicht leiden konnte, dass in seiner Anwesenheit Enthaltsamkeit und Selbstbeherrschung geübt wurde, verteilte ungefragt, trotz aller Proteste, die Reste von Platten und Schüsseln auf ihre Teller. Deshalb verzichteten, alle außer Günther, auf den Zwischengang.
Die sich anschließende Kalbshaxe schmeckte ihm auch, obwohl ihm halb Rind halb Schweinebraten lieber gewesen wäre.

Es war nun spät genug für die angedrohte, weitere Überraschung und man wechselte ins Wohnzimmer. Günther legte Wert auf bequemes Sitzen. Daher wählte er den Sessel, der als einziger, nicht eingezwängt zwischen Schrankwand und Tisch frei im Zimmer stand, wo seine Fettleibigkeit nach dem Abendessen keine Raumnot erleiden musste. Durch den falsch stehenden Wohnzimmerschrank bildeten die Möbel Hindernisse, zeigten sich von ihrer schlechtesten Seite. Helga widersetzte sich das vertraute Inventar. Drei Jahrzehnte hatte sie darin gelebt, jetzt bildete es Hindernisse.

Mit Händen und Stimme, die der reichlich genossene Alkohol schon ein wenig unbrauchbar gemacht hatte, bot Günther Friedhelm mit weit ausholender Geste, Platz, Ratschläge, Anregungen und Beistand an. Friedhelm war in der vergangenen Saison nämlich nicht so erfolgreich mit seinen "Rebhuhnfarbenen Italienern", wie Günther mit seinen "altdeutschen Mövchen, rotfahlgehämmert."

Die Überraschung stellte sich als, in vielen, von den wenig vorhandenen freien Stunden, zusammengestelltem Erinnerungs protokoll der gemeinsam verbrachten dreißig Jahre in Vers Form. Vorgetragen von Friedhelm, der nach anfänglicher Scheu, ermutigt durch rythmisches klatschen das dreißig seitige Protokoll vorlas, zu dem Günther die literarisch, biographische Vorlage geliefert hatte. Lore findet, dass es gut ist wenn Friedhelm mal aus sich raus geht. Sie findet, er müsste viel öfter aus sich rausgehen. Er geht so gut wie nie aus sich raus. Dabei täte es ihm gut wenn er mal aus sich rausgeht wie man sieht, sagt Lore und deutet auf Friedhelm, der sich mit der Belästigung seines Aus-sich-raus gehens herumschlug, die hektische rote Flecken auf seine Wangen gebrannt und seine Mundwinkel ein bischen eingeschäumt hatten.

Günther war so beeindruckt von dem soeben gehörten, dass er sich verstohlen eine kleine Träne wegwischte. Helga weinte bitterlich.
Weil alle der Meinung waren, dass man einen so schönen Abend nicht feierlicher beschließen kann, verabschiedete man sich. An der Haustüre viel Lore doch noch auf, dass nicht die neue Bernsteinbrosche für Helgas verändertes Aussehen verantwortlich war, sondern der neue Kurzhaarschnitt. Was bei Günther einen Tobsuchtsanfall auslöste, nachdem Lore und Friedhelm gegangen waren.

Während Helga die Küche aufräumte, war Günther, laut schimpfend im Badezimmer verschwunden und schimpfte immer noch als sie das Schlafzimmer betrat. Er drehte ihr seine Kehrseite zu, als er sich bückte um seine Schlafanzughose hochzuziehen.
Der Anblick der sich ihr bot, erinnerte sie mehr, an zum trocknen aufgehängte Tabakblätter, als dem ihm von der Natur aus zugedachten. Der Vergleich ließ sie zum zweiten Mal an diesem Tag lächeln.
Günther legte sich neben sie und mit dem Versprechen über ihre kurzgeschnittenen Haare morgen weiter zu diskutieren, war er in den nächsten Minuten eingeschlafen.

Günther Maiherr; Mai wie April und Herr wie Mann, tat seinen letzten Atemzug, morgens pünktlich um sieben Uhr Sommerzeit.
Der hinzugezogene Arzt stellte den Totenschein; auf plötzliches Herzversagen, nach zuviel Alkoholkonsum aus.

Sie würde sich bei Gelegenheit eine neue Tablette bei der "Gesellschaft für humanes Sterben" besorgen müssen, falls bei ihr der Krebs wieder ausbrechen sollte.
 



 
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