Ein Buschflug

casagrande

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Der Buschflug
Nun mag ja der eine oder andere schon Erfahrung mit Buschflugzeugen gemacht haben. Auch ist in verschiedenen Berichten Unglaubliches über die Desperados, die solche Flugzeuge steuern, zu lesen. Was davon wahr und was Fantasie ist kann man nicht so ohne weiteres trennen. In der deutschen Kommune in Kinshasa waren die abenteuerlichsten Geschichten in Umlauf, was einige in der Vergangenheit erlebt hatten, oder zumindest von einem gehört hatten, dem es passiert war. Keiner glaubte wirklich diese Stories aber niemand widersprach auf den Parties den so genannten wahren Geschichten. Vielleicht auch deswegen, weil bei diesen gesellschaftlichen Treffen jeder irgendwelche wahren Geschichten zum Besten gab und auch nicht wollte, dass man zu sehr herumstocherte.
Eine Geschichte berichtete von einem Start von einer Buschpiste mit einer einmotorigen Maschine, der Pilot kam nach einer halben Stunde mit dem Fahrrad zurück. Er war mit seiner Maschine auf einem Fahrweg notgelandet und hatte sich ein Fahrrad im nächsten Kral ausgeliehen um zurück zu kommen. Diese Geschichte gab es in verschiedenen Varianten. Die guten Segeleigenschaften der leichten Einmotorigen wurden besonders betont. In diese Kategorie gehörten auch die Geschichten über Notlandungen wegen Benzinmangels, auf Lichtungen, Autopisten, Sandbänken und Uferwiesen, mit all den möglichen Zwischenfällen. Herumliegende Krokodiele, Baumstrünke, Hütten und Zäune waren schmückende Begleiterscheinungen.
Das waren meine Kenntnisse der Buschfliegerei als ein Trip von Kinshasa zum etwa 1500 Kilometer entfernten Buschflugfeld von Kabeya Maji, in der Nähe des Tanganjikasees anstand. Gute Wünsche mit all den überflüssigen Bemerkungen über mögliche Überlebensstrategien im Falle eines Absturzes hatten sich bis lange nach Mitternacht hingezogen, Alkohol war reichlich geflossen. Wie mir um vier Uhr morgens schien, fast ausschließlich durch meine Kehle. Ich hoffte, nicht nur wegen dieser labilen Magensituation, auf einen ruhigen Flug. Der Pilot hatte den frühen Abflug deshalb angesetzt, um den Turbulenzen durch die Lufterwärmung möglichst aus dem Wege zu gehen – oder zu fliegen. Nun, ob gehen oder fliegen, mir war die Hauptsache RUHIG. Ich traf den Piloten, einen Belgier mittleren Alters mit, wie er mir versicherte, umfangreicher Flugerfahrung im Lande, pünktlich in der leeren Abfertigungsbaracke für Privatflüge. Kein sonstiges Personal war anwesend, es war, wie der Pilot meinte, zu früh. Die Angestellten würden erst so gegen acht Uhr kommen. Er füllte die Formblätter aus und legte sie auf den Tresen, die Stempel für seine Papiere lagen zur allgemeinen Verfügung auf dem Tisch. Diese Prozedur war damit denkbar einfach und schnell erledigt, wenn auch nicht ganz vorschriftsmäßig. Aber Piloten und Angestellte hatten sich auf dieses Arrangement geeinigt und brachten den Angestellten einige Flaschen Schnaps und eine längere Nachtruhe und den Piloten weniger Wartezeiten.
Wir schoben, nachdem wir die Schutzplanen abgespannt hatten, das einmotorige Flugzeug ein Stück über die Wiese auf eine festgefahrene Graspiste. Die hochstelzige Maschine war leichter zu bewegen als ich gedacht hatte. Der Pilot prüfte an allen möglichen und, wie mir schien, auch an völlig unmöglichen und sinnlosen Stellen Schrauben und Schalter. Er machte den Motor frei und spritzte Alkohol in den Vergaser – zumindest glaubte ich, es müsse der Vergaser sein. Nach dieser mehr als nervigen Prozedur, die wohl eine halbe Stunde dauerte, kletterten wir über die Bordtreppe ins Cockpit und schnallte uns fest. Ich war mir nicht sicher, ob es sich um ein Schulungsflugzeug handelte, denn die beiden Flugzeugplätze waren identisch ausgerüstet. Steuerknüppel und Bedienungselemente waren bei beiden Sitzen vorhanden, die Instrumente waren mittig angeordnet, sodass beide Passagiere sie einsehen konnten. Aber das war, wie ich später erfuhr, üblicher Standard. Das Starten war etwas spannend, es gelang aber beim vierten Versuch. Ich bewunderte den Piloten, mit welch stoischer Ruhe er die Fehlversuche überging. Nun, ein Pilot muss immer die Ruhe bewahren…..
Wir rollten über die Grasnarbe bis zum Ende der Piste, drehten dort und beschleunigten beeindruckend schnell, hoben auch unbemerkt ab, ich merkte es als der Pilot meinte „wir sind oben“. Nach wenigen Sekunden gab es ein Geräusch als hätte jemand eine Flasche geöffnet. Ein leichter Knall. Der Pilot fluchte und zog die Maschine in eine enge Kurve.
„Was ist?“
„Wir haben die Motorabdeckung verloren, wir landen wieder!“
Er nahm sich nicht die Zeit die ganze Länge der Piste zurück zu fliegen und holperte entgegen der Startrichtung sofort wieder auf der Graspiste und ratterte entlang um das Blechstück zu finden. Es lag auch tatsächlich direkt neben der Piste im Gras, ein leicht gebogenes Blechstück von 70 Zentimeter Breite und etwas über einem Meter Länge.
„Habe es wohl nicht richtig festgeschraubt! Ist zu früh!“
Er fixierte das Blech, kontrollierte die andere Seite und nach einer viertel Stunde waren wir wieder in der Luft.
Der weitere Flug war ohne große Aufregung. Er erklärte mir, nach welchen Landmerkmalen er sich orientieren würde, legte mir die Flugkarten auf die Knie und erwartete, dass ich ihn unterstützte. Zuerst flogen wir entlang der Straßenpiste Richtung Osten, dann folgten wir dem Kongo. Die Flughöhe war etwa 600 Meter, damit war jede Person und jedes Fahrzeug bestens zu erkennen. Als der Pilot tiefer ging, um mir die Baumstämme am Ufer zu zeigen, bewegten sich diese bei unserer Annäherung. Es waren Krokodiele, die ins Wasser schossen. Ich erinnerte mich an die Partygeschichten. Mit der Erzählung gehörte ich auch zum Kreis der Gräuelgeschichtenerzähler. Nach drei Stunden bogen wir vom Kongo ab und flogen entlang den Kwango und folgten ihm weitere zwei Stunden bis zur Stromleitung nach Kalemie. An der hingen wir sklavisch bis Kaniama, wo wir dann zu einem Zwischenstop und zum Tanken landeten. Die Landepiste war ungewöhnlich glatt, eine Lateritfläche, wie die meisten Straßen im östlichen Kongo. Laterit ist ein Gemisch aus Mergel und Sand und bei trockenem Wetter hart wie Asphalt. Bei Regen allerdings rutschig wie Schmierseife und weich wie Lehm. Aber an dem Tag war es trocken, nur die Luftzfeuchtigkeit war über 90 Prozent, aber das hatte keinen Einfluß auf die Bodenbeschaffenheit. Deutsche betrieben dort eine Schotterbrechanlage und waren zuverlässig per Funk erreichbar und stellten auch ein unverschmutztes Flugbenzin zur Verfügung. Offensichtlich eines der größten Probleme der Buschpiloten. Verdrecktes Benzin, das zu Motoraussetzern und endlosen Wartungsarbeiten führte, die von den Piloten selbst durchgeführt werden mussten.
Am nächsten Morgen war der Start wieder um fünf Uhr angesetzt. Wegen der schon erwähnten unangenehmen Luftturbulenzen wollten wir möglichst noch vor der Mittagshitze in Kabeya Maji sein, ungefähr 400 Kilometer weiter am Tanganjikasee. Zwei Arbeiter des Brecherwerkes halfen uns bei den Startvorbereitungen und wir kamen darum schnell weg. Allerdings nicht weit. Noch im Steigflug, fünfzig Meter über dem Boden, legte der Pilot die Maschine in eine Steilkurve die mich tief in den Sessel drückte und ich mich in einer Kirmesattraktion wähnte. Der Belgier sagte betont ruhig:
„Der Motor qualmt, wir landen wieder!“
Der Motor qualmte nicht, er brannte! Zwar schlugen keine meterhohen Flammen aus dem Motor, aber es züngelte bläulich heraus. Ich war nicht in Panik, ich war unfähig zu denken. Mechanisch wiederholte ich den Spruch „Motor brennt, steige aus“. Wie oft hatte ich das in alten Kriegsfilmen gehört und lächerlich empfunden. Jetzt dachte ich das wie einen Reklameslogan. Bis ich so weit war, die Konsequenz aus dieser Situation zu erkennen, waren wir unten und die beiden Arbeiter rannten schon mit Feuerlöschern auf das Flugzeug zu und pulverten auf den Motor. Der Pilot schrie „Nicht so viel! Reicht! Reicht! Ihr ruiniert den Motor!“ und sprang hinaus. Ich war mindestens genauso schnell draußen. Allerdings weg vom Flugzeug, während der Belgier die Motorverkleidung herunterfingerte um den Schaden zu begutachten.
Die Reparatur war nicht direkt zu erledigen. Einige Ersatzteile musste aus Kinshasa herbeigebracht werden. Das Flugzeug war erst nach vier Wochen wieder einsatzbereit.
Ich setzte meine Reise mit der Schmalspurbahn fort. Für die vierhundert Kilometer bis Kabeya Maji benötigte ich zwar18 Stunden, aber ohne Angst und Stress. Nur etwas durchgeschüttelt wurde ich, aber das war im Flugzeug nicht anders gewesen.
 



 
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