Ein F-f-fall für Barry Stotter: Kleine Drachen

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Anonym

Gast
«Die - Drachen - sind - in - einer - Höhle!, verstehen Sie?, einer Höhle!! - in - den - Krawallbergen! gesehen worden», instruierte ihn Johnson Johnson, sein Chef, langsam und deutlich. «Sie - gehen hin - und - fangen sie ein. Haben Sie verstanden? Soll ich noch mal wiederholen??» Wieder wurde er maßlos unterschätzt. Barry nickte.

Barry arbeitete für das Ministry of Magic, als Springer. Springer wurden in allen Bereichen eingesetzt, für die das Ministerium zuständig war, und mussten sich daher mit unzähligen Dingen sehr gut auskennen, normalerweise. Barry war ein Springer, weil es Behindertenquoten gab und weil er für keinen Bereich genug taugte, um dort vollzeit tätig zu sein. Die Aufgaben, die man ihm gab, waren entweder extrem leicht oder unlösbar, so dass er auch ja niemals eine Chance bekam zu zeigen, was in ihm steckte. Allerdings glaubte er auch nicht, dass das allzu viel war.

Auf Awkward (Awkward war die Zauberschule für Behinderte) war er zwar einer der Begabtesten gewesen und hatte darum die besondere Förderung von Professor McGonnakill genossen. Aber vermutlich hatte ihm die Professorin nur deshalb Talent bescheinigt, weil alle übrigen Schüler sabberten und sich mit den Zauberstäben gegenseitig auf den Köpfen herumtrommelten. Sie hatte von Anfang an Sympathien für den jungen Barry gehabt, umso mehr, als sie ebenfalls an einer Sprachstörung litt: dem Tourette-Syndrom. Alle paar Sekunden stieß sie zwanghaft ein Schimpfwort oder einen lebensgefährlichen Zauberspruch aus und bemerkte es erst, wenn ihr Gegenüber plötzlich beleidigt war oder versteinert. Ja, Professor McGonnakill. Von ihr hatte Barry viel gelernt. Heute musste er also ein paar vor Wochen entflohene Drachenkinder einfangen und zu ihrer Mutter in den Zoo zurückbringen. Zu welcher Auftragskategorie dieser Job gehörte, war noch nicht abzusehen.

Johnsons war gegangen und Barry begab sich auf den Hof. Sein Dienstfahrzeug war ein Besen, da man mit ihm schnell große Distanzen zurücklegen konnte. Barry hasste den Besen. Wenn man von A nach B flog, wurde man praktisch immer nass. Entweder regnete es in A, oder es regnete in B. Er lebte in "Grey Britain". Auf dem Hof vom Dienstgebäude, inmitten von Mülltonnen, setzte sich Barry auf den Besen und stieg gemächlich damit in die Lüfte. Früher war er vom Bürofenster aus gestartet. Doch hatte es einmal eine Verwechslung gegeben. Die Putzfrau hatte ihren Mopp da gelassen und seinen Besen mitgenommen. Er war in die Küchenabfälle gekracht und trug seitdem eine z-förmige Narbe auf der Stirn. Er fühlte sich dadurch nicht hässlicher als vorher, sie bereitete ihm nur manchmal Scherereien ...

Barry fluchte. Nicht nur, dass er nichts sah - seine Kurzsichtigkeit, der Nebel, die beschlagene Brille -, schlimmer war die nasse Kälte in einer Regenwolke hundert Meter über Nordengland. Noch vor fünf Minuten hatte er sein Regencape ausgezogen, weil die Sonne schien und er schwitzte. Er konnte im Fliegen sein Cape ausziehen; anziehen konnte er es nicht, schon gar nicht bei Windstärke sieben. Da leuchtete plötzlich etwas unter ihm. Die Gegend war sonst weit und breit unbewohnt, und trotz peitschendem Gegenwind konnten die Krawallberge, eine felsige Hügelkette zwischen zwei Seen, eigentlich nicht mehr fern sein. Er folgte der Richtung des Wassers nach unten.

Der Nebel wurde weniger. An seine Stelle trat heißer Rauch. Barry landete bei einem brennenden Baum, und auch diesmal rutschte er dabei aus, was für den Regen und Besen hassenden Barry schon eine Art Naturgesetz geworden war. Er stand auf und war rundum schwarz: hinten Schlamm, vorne Ruß. Als er sich zu dem Baum umdrehte, entdeckte er an ihm nirgends Spuren eines Blitzschlags. Barry hob einen brennenden Ast auf und lief damit zu einer Öffnung im Fels, einer kleinen Höhle, wie sich herausstellte, wo er als Erstes mal seine Sachen trocknen wollte.

Die Höhle war sogar größer, als Barry gedacht hatte. Und er argwöhnte, dass dieser Fall vielleicht doch zu der einfachen Sorte gehören könnte ... Wie er weiter ging, glaubte er zwei rote Punkte zu gewahren. Ansonsten stand er in einem großen schwarzen Nirwana. Die Decke oder Wände der Höhle konnte er nicht sehen, nur etwas Boden. Mit schlotternden Knien hielt er auf die Punkte zu.

Sie schienen dabei nicht näher zu kommen. Er konnte nicht sagen, ob sie zehn oder nur noch einen Meter von ihm entfernt waren. Er stand in der Lichtblase seiner Fackel und die Punkte lagen außerhalb. Er hielt inne. Eine Minute verging. Er starrte auf die roten Punkte. Einmal war ihm, als bewegten sie sich. Er starrte auf die roten Punkte.

Nach einer unsagbar langen Zeit hörte er ein Schnalzen. Eine rauchige Stimme sprach zu ihm: «Wer bist du?» Schwefliger Atem wehte ihn an, als wenn der Sprecher oder die Sprecherin ganz nah wäre. «Ich will dein Gesicht sehen. Leuchte in dein Gesicht.» Barrys Herz schlug auf Hochtouren. Langsam und möglichst ruhig führte er die Fackel zu dem bleichen, verzerrten Etwas, das sich entfernt wie sein Gesicht anfühlte.

«Clyde!» Zwei weitere rote Punkte erschienen in der Dunkelheit. «Häh? Was ist?» sagte eine rauchige Stimme, die aber anders klang als die erste, breiter, behäbiger.
«Schau dir das mal an, Clyde!»
«Was denn?»
«Den da. Schau dir den an.»
«'N bisschen mager.»
«Sieh genauer hin. Sein Gesicht.»
«Komm mal 'n Stück näher.», klang es behäbig. Barry, der gemeint war, machte einen halben Schritt vorwärts. «Das ist er nicht.»
«Du! Wie heißt du?», meldete sich wieder die erste Stimme.
«Hbä, bä, bbb», stotterte Barry, «B-barry! Sch .... Sch-te ... Sch!-to!-t-ter!»

Stille. Nichts zu hören außer Barrys Zähneklappern. «Kannste dis noch mal sagen?», bat die behäbige Stimme. «Schau doch nur mal hin!», fiel ihr die andere ins Wort. «Siehst du nicht die Narbe??»
«Ja, Donnerwetter. Der hat 'ne Narbe, und die sieht fast so aus wie ein Blitz.»
«Was willst du von uns, Harry Potter», fragte plötzlich eine dritte Stimme, tief und ernst. Die anderen Stimmen verstummten. «Bist du gekommen, uns ein zu ... fangen???»
«Der letzte, der das versucht hat, liegt da drüben», witzelte die erste Stimme, und ihre Augen wanderten nach rechts.

In Barrys Kehle erstickte ein Schrei. Mit Schrecken betrachtete er den verkohlten Torso eines Mannes. Zum Glück niemand, den er kannte oder erkannte.
«Wenn du magst, kannst du dir was nehmen», lud man ihn ein.
«Aber er ist ein bisschen zu gut durch.»
«Das ist, weil Clyde und Johnny haben zu viel gepustet.»
«Angebrannt.»
Es waren nun fünf Augenpaare, die in der Dunkelheit schwebten.
«Darum haben wir jetzt einen ziemlichen Hunger.»
«Wegen Johnny.»
«Wegen dir auch. Jetzt denk nach, wie wir an was zu essen ran kommen.»
«Denk du auch nach, wie wir an was zu essen rankommen. Ich hab gesehen, wie du auch gepustet hast, Mallory.»
«Ruhe jetzt! Ich hatte ihm eine Frage gestellt!», fuhr die tiefe Stimme dazwischen.
«Ich b-bi-hin nnni, i, i, cht ...» brachte Barry mühsam hervor.
«Warum zittert der eigentlich so? Hat Harry Potter Angst?», fragte eine Stimme, die hinterhältig klang und auch so kicherte.
«Nein. M-mir ist ke, ka-la-la-k-k ...»
«Weil ihm kalt ist», übersetzte die tiefe Stimme unwirsch, noch immer auf eine Antwort wartend. Doch die erste Stimme schlug etwas anderes vor: «Dann pusten wir ihn trocken.»

«Nein, danke. Geht schon», sagte Barry schnell, ohne zu stottern. Er wurde geblendet. Ein gleißender Feuerstrahl schoss aus der rot gepunkteten Finsternis hervor. Barry schrie auf, als der Strahl den Fels unter ihm traf. «Halt einfach den Hintern drüber!», übertönte die Stimme das infernale Flackern und Rauschen, und die Stimme hörte sich, wie Barry feststellte, keineswegs feindselig an. Verdutzt glotzte er auf die Flammen, die aufloderten, wo er gestanden hatte. Und bevor sie ausgehen konnten, ließ ein erneuter Feuerstrahl sie wieder aufleben.

Barry trocknete seine Beine, dann seinen Hintern samt Rumpf, nur die Haare wollte er lieber an der Luft trocknen lassen. Während die Nässe verdampfte und der Dreck von Barrys Hinterseite abbröckelte, hatte er Gelegenheit, die Höhle in Augenschein zu nehmen. Sie war etwa vier Meter hoch, mindestens zwanzig breit und übersät mit Knochenresten von Rehen, Hirschen, Menschen ... und sogar ein Hippogreif war dabei. Was Barry vermied anzuschauen, waren die Drachen, die abwechselnd ihr Feuer zu ihm herabsandten. Das heißt, eigentlich war es nur einer, ein furchtbarer grüner fünfköpfiger Drache mit Hörnern und Schuppen und Krallen und Hornplatten an Kopf und Rücken. Und dieser Drache hatte das Fleisch vertilgt, das an all diesen Knochen gewesen war.
«Habt ihr die alle gegessen?»
«Wir haben uns,» erwiderte die vertraute erste Stimme und legte den qualmenden Kopf schief. «Wir haben uns, als wir hier ankamen, einen kleinen Vorrat angelegt, geräuchert, weißt du, um eine Weile untertauchen zu können. Jetzt, da der alle ist, müssen wir vor der Höhle Bäume anzünden, um ein paar Jäger und Feuerwehrleute anzulocken. Denn raus»
«Schweig!» donnerte die tiefe rauchige Stimme. Sie gehörte zu einem Kopf, der fern oben, auf einem gestreckten langen Hals saß und alles überblickte. Der ermahnte Kopf spie wieder Feuer.

Barry ging ein Licht auf. Seine Aufgabe hatte sich von selbst erledigt. Die Drachen waren gefangen! Der Eingang war zu klein! Rein waren sie gekommen, aber dann waren sie gewachsen. Barry müsste bloß noch Verstärkung holen, Spezialisten für Drachen und Höhlerettung. Sein Chef würde sich wundern. Er, Barry, fing einen beinahe ausgewachsenen Drachen beinah im Alleingang. Jawohl, diese Bedrohung für Mensch und Tier gehörte hinter Gitter und auf vegetarische Kost gestellt. Andererseits tat es ihm weh, solch ein majestätisches Wunderwesen in einen Käfig sperren zu müssen. Es musste herrlich sein, frei von Sorgen über Länder und Ozeane zu segeln. War es richtig, etwas einzukerkern nur weil es größer, schrecklicher, überlegen war?
«Das ist genug.» beendete der Über-Kopf das Feuerspucken. «Rede jetzt. Und wehe, du stotterst.»
Barry holte seinen Flachmann aus der Tasche, der ihm half, sich zu entspannen. Ah, das tat gut. «Wwerter Drache. I-ich, kann, Euch, helfen.»
Vier Drachenköpfe sahen sich untereinander an und auch den fünften, den hoch erhobenen, sahen sie an. Dieser rührte sich nicht. Barry zählte dennoch insgesamt sechzehn fragende Blicke.
«Ich, kann, euch, befreien», tastete sich Barry weiter vor.
«Du?, Wurm?» höhnte der Alphakopf, ein anderer kicherte. Der Kopf, dessen rote Augen Harry zuerst begegnet waren, half dem Chefkopf auf die Sprünge: «Er ist ein Zauberer. Er ist Harry Potter.» Schweigen.

Der Chefkopf machte: «Hm.» (Und andere folgten ihm. Hm, hm, hm schallte es wider.) «Also gut. Spreng den Eingang. Aber von hier drinnen. Werden wir eingeschlossen oder lebendig begraben, dann zusammen mit dir.»

Barry erschauderte bei dem Gedanken, zu ersticken oder als die letzte Mahlzeit eines Drachens zu enden. «W-woher weiß, ich, dass, ihr ...» Barry holte tief Luft. «... m-mich, nicht, zum Da-hank, auf, esst.»
«Tja, schätze du musst uns vertrauen», entgegnete ein schlagfertiger Kopf und fletschte die Zähne, was wohl ein Grinsen darstellte.
«Den den Eing-gang, zu sch...»
«Ich sage wir essen ihn!», rief ein vorlauter Kopf und ein zweiter: «Ja, bis der 'nen Satz gesagt hat, sind wir verhungert.» Aber Barry ließ sich nicht beirren.
« ... zu schtzprengen ha-halte ich f-für gefährlich. I-ich weiß, eine, andere, Idee. A-ahaber dazu müsst, ihr, m-mir vertrauen.»

Es dauerte eine Weile, bis Barry den Drachen verständlich machen konnte, was er vorhatte, zumal er sich immer wieder gegen «Ich sage wir essen ihn!»-Zwischenrufe durchsetzen musste. Die Drachen davon zu überzeugen war noch viel schwieriger. Er versicherte, der Zauber würde nur einen Monat anhalten, und sie könnten so unerkannt das Weite suchen. Unterdessen leerte sich Barrys Flachmann schnell. Den letzten Schluck trank er, just bevor er den Spruch nach neun fehlgeschlagenen Versuchen endlich halbwegs hinbekam. Etwas wehmütig blickte er ihnen nach, wie sie im freundlichen Schein der Nachmittagssonne in die freie Natur entsprangen. Ihm tat der Fuchs leid, der versuchen würde, dieses feuerspeiende, siebenköpfige Kaninchen zu fressen. Barry summte verträumt Born to be wild und nahm Platz auf seinem Besen, um mit - für seine Verhältnisse - viel zu hoher Geschwindigkeit von dannen zu reiten.

Folge 2
 

GabiSils

Mitglied
Hallo A.,

witzig und flott geschrieben; mir würde es allerdings wesentlich besser gefallen, wenn es nicht als H.P.-Parodie daherkäme. Der Titel hätte mich schon fast vom Lesen abgehalten.

Gruß,
Gabi
 
S

Stoffel

Gast
moin,

finde ich auch sehr flüssig geschrieben.
Gottseidank ist niemand in meiner Familie der Pottermanie verfallen.

Ich überlege gerade..ist ein Mensch, der stottert ein Behinderter? Ich weiß es nicht.
Das ist doch eine Sprachstörung.

Witzig fand ich den Schlusssatz...
er reitet davon, (statt zu fliegen). Musste an so ein Steckenpferd denken:)

Vielleicht würde ich persönlich weggehen von Harry Potter, was eigenes draus machen.

Aber gut geschrieben.

lG
Stffel
 
G

Gelöschtes Mitglied 4259

Gast
Hallo A.,

wirklich ein toller Text! Hab ihn mit viel Schmunzeln gelesen. Leider kenne ich mich in der Potter-Welt überhaupt nicht aus, vielleicht wäre ich mit solcherart Kenntnissen zu noch tieferem/höherem/verständig-vollständigerem Verstehen fähig gewesen...

Hoffe, die Serie geht weiter!

LG

P.
 

Anonym

Gast
Vielen Dank allen, die geantwortet haben!

Barry ist bemüht, sich aus dem Schatten von H.P. zu lösen. Genau das ist sein Drama. Er bleibt aber trotzdem eine Parodie, die vom Gegensatz zum Original lebt. Darum wird er noch viele Niederlagen erleiden müssen und mit Figuren zu tun haben, die entfernt an die Potter-Bücher erinnern, z.B. Ronaldo Vileza, Herman-Aphrodite Cranker etc.

@Gabi: Hat dich abgeschreckt, dass die Geschichte mit H.P. zu tun hat, oder hast du eine zu platte Parodie vermutet?

@Penelopeia: Alle Details bis zum 5. Teil kenn ich auch nicht. (Das würde mich nur blockieren.)

Man liest sich,
A.
 



 
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