Ein kleiner Held

1,00 Stern(e) 1 Stimme

Evchen13

Mitglied
Paulchen, der tapfere Held
Ein vorwitziger Sonnenstrahl bahnte sich den Weg durch die kleine, schmutz verschmierte Fensterscheibe der Almhütte und fand Paulchens mit unzähligen Sommersprossen übersäte Nase. Der kleine sechsjährige Junge blinzelte mit seinen verträumten, braunen Augen in das einfallende Licht und rekelte sich genüsslich auf seinem Lager. Flugs zog er die schwere, bunt karierte Bettdecke wieder bis zu den Ohren genüsslich hoch, so das nur noch der braune verwuschelte Haarschopf hervor lugte.
Halt – mit einem Ruck setzte er sich erschrocken auf, seine kleinen Hände zu Fäusten geballt rieben kräftig die schlaftrunkenen Augen wach. Da war ein Geräusch, er horchte, konzentrierte sich. Ja, wieder vernahm er ein Schnaufen, Blasen und Röcheln. Ungläubig schaute er zu Opa Franz rüber, welcher an der gegenüberliegenden Wand im Bett lag. Furcht kroch langsam hoch und eine Gänsehaut überzog den kleinen Körper. Paul räusperte sich, schniefte laut, dabei beobachtete er aus zusammengekniffenen Augen den alten Mann und stellte fest: die unheimlichen Laute kommen von ihm. Ängstlich steckte der Bub seine dünnen, nackten Beine aus dem Bett und ging barfüssig fröstelnd über die alten, knarrenden Holzdielen zum Großvater. Er rüttelte ihn kräftig und rief ihn mit flehender Stimme an, bis dieser sich endlich rührte. Oh, wie sah er nur aus, seine sonst munter guckenden blauen Augen waren dunkel umrandet und glänzten vom Fieber, sein Gesicht wirkte schrecklich fahl in der Morgendämmerung und sein Atem ging so schwer. Der Kranke brauchte dringend jemanden, aber die nächsten Almhütten waren sehr weit weg. Paulchen musste unbedingt Hilfe für seinen geliebten Opa holen.
Entschlossen zog sich der fröstelnde Junge mit zitternden Händen an, hängte sich den eilig gefüllten braunen Rucksack um und nahm zur Beruhigung vom Großpapa den großen, abgegriffenen Wanderstock für seinen einsamen Fußmarsch mit. Als er vor die Almhütte trat begrüßten ihn die ersten Sonnenstrahlen, durch die Morgenluft zogen noch tiefe Nebelschwaden und zaghaft zwitscherten die Vögel ihre Morgenlieder. Unheimliche Schattenspiele huschten durch den Wald und über die Wiesen, Paulchen hatte unbändige Angst. Wie gerne würde er wieder zurück eilen und sich in das große, bestimmt noch warme Bett mit ganz fest geschlossen Augen kuscheln. Doch das durfte er nicht, nein, mutig machte er sich auf den Weg.
Mit festen Schritten, nicht nach links und rechts schauend, stiefelte der kleine Junge in den frühen Morgen hinein. Nach einer Stunde strammen Fußmarsches gönnte er sich eine kleine Verschnaufpause und packte das zusammengesuchte karge Frühstück aus, um es hastig zu verzehren. Schnell wollte er weiter laufen, denn der Weg zu Onkel Hans war noch weit.
Die Sonne erwärmte bereits die Wiesen, der schwache Wind rauschte durch die Gräser, tanzte mit ihnen, als der Bub bei der Almhütte ankam. Onkel Hans molk gerade seine Kühe als er die kleine Gestalt mit dem freien Arm wild winkend über die Wiesen rennen sah. Er richtet sich auf und spürte sofort das was passiert sein musste. In wenigen Sätzen schilderte der noch atemlose Junge Großvaters Zustand und ließ sich schließlich erschöpft aber zufrieden auf den Boden sinken. Hans rannte unverzüglich in seine Hütte und schaltete das Funkgerät für den dringenden Notruf an die Hilfskräfte ein, diese würden in wenigen Minuten an Ort und Stelle sein. Bange Momente verstrichen bis endlich die Rückmeldung eintraf:
„Der alte Franz hat eine schwere Lungenentzündung. Dank Pauls Hilfe wird er es überleben!“
Hans holte erleichtert Luft als er ins Freie eilte und bereits vom Weiten die Nachricht dem Jungen zu rief. Der Bub hatte sich während dessen nicht von der Stelle bewegt und schaute ungläubig den herbeieilenden Mann an, langsam, ganz langsam begriff er die Bedeutung dieser Worte.
All die Angst und Anspannung wich allmählich von den kleinen Kerl. Sonnenstrahlen leuchteten die in der Ferne liegenden schneebedeckten Berge an und er stand davor mitten auf der saftig grünen Wiese in seinen abgewetzten Wanderschuhen. Das durchgeschwitzte weißbedruckte T-Shirt leuchtete im Sonnenlicht und bildete zu seinen schwarzen Hosen einen Kontrast, keck saß der Filzhut auf seinen braunen Haaren und ein befreiendes, breites Lachen, welches seine Zahnlücke zum Vorschein brachte, erhellte das vor Anstrengung gerötete Gesicht. Verlegen spielten seine linken Finger am Rucksack während die andere Hand den Wanderstock umklammerte als Onkel Hans mit stolzer Stimme sagte: „Paulchen, du bist ein tapferer Held!“
 



 
Oben Unten