Eine sonderbare Begegnung

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HajoBe

Mitglied
Zögernd füllt sich "Die Laube", ein gern besuchtes Straßencafe unter herbstbunten Linden. Ein in die Jahre gekommener Herr - graue Schläfen, eine Brille mit wulstigen Gläsern und gekleidet in einen modischen hellbeigen Anzug - hat am Nebentisch Platz genommen. Er winkt den Ober heran. Ich bemerke die gelbe Binde an seinem Arm.
"Das Gleiche wie immer...und das Telefon!"
Der Kellner serviert den <Großen Braunen> und reicht ihm den Hörer.
"Ist meine Frau am Apparat?"
"Natürlich, Herr Doktor!"
Der so Titulierte nimmt einen Schluck Kaffee und beginnt zu sprechen. Einzelne Satzfetzen dringen zu mir.

"über 30 Grad...ja, im Schatten unter Palmen...tiefblauer Zenit...habe dir doch geschrieben...nicht angekommen...Post abgefangen...gefährlich...nicht, was du denkst...muss Schluss machen...sie kommen...ich dich auch..."
Er legt den Hörer zur Seite und murmelt leise etwas offenbar nur für ihn selbst Bestimmtes.

Eigenartig! Wovon spricht der Mann? Wir sind in Wien. Er gibt vor, im Süden? Wem macht er etwas vor? Verschlüsselte Sprache? Fühlt er sich bedroht? Wie ein Agent schaut er nicht aus, es sei denn, geschickt getarnt. Und dieser Ober? Ein Komplize, welcher die Verbindungen herstellt? Sollte ich ihn unverfänglich aushorchen? Aber, wenn eine geheimdienstliche Sache dahinter steckt? Ich, eine Kollaborateurin des Kellners? Nein, der Mann wirkt harmlos auf mich. Ich halte mich da raus.

"Herr Ober, sagen Sie, kennen Sie den Mann am Nebentisch näher?"
Er nickt zustimmend. "Selbstverständlich, gnädige Frau!"
"Er kommt mir merkwürdig vor", wende ich ein mit dem Vorsatz, mehr zu erfahren.
"Der kommt fast jeden Tag hierher und telefoniert mit seiner Gattin. Ich stelle die Verbindung her."
Der Doktor scheint uns nicht zu hören, nimmt keine Notiz.
"Wohnt sie denn nicht in Wien?", frage ich den Kellner.
"Wenn Sie den Friedhof meinen, schon."
Er bemerkt den Fauxpas, neigt sich zu mir herab und fährt bedauernd mit gedämpfter Stimme fort.
"Es geschah vor zehn Jahren. Die Bahn, wissen Sie! Die Frau war sofort tot".
Er kehrt mir den Rücken zu und kümmert sich eilfertig um andere Gäste.

Meine Blicke streifen den Alten, der teilnahmslos vor sich hinstarrt, gelegentlich tastend nach seiner Tasse greift.
Telefonate mit einer Toten? Der Ober hatte mich wissen lassen, er würde ihr stets das Gleiche erzählen. Also hört er offensichtlich mit. Mir wird unbehaglich. Ich spüre, wie mich die Nähe zu dem geheimnisvollen Tischnachbarn zunehmend verunsichert. Der geschwätzige Kellner tritt näher und fährt fort.
"Der Herr Doktor verbrachte viele Jahre in Algerien, er redet von Ölgeschäften. Was er täglich seiner toten Frau erzählt, entspricht höchstwahrscheinlich dem rätselhaften Wortlaut seines letzten Telefonates nach Wien. Just an jenem Tag starb sie. Ihn nahm angeblich die algerische Miliz fest unter Spionageverdacht. Er wurde - so behauptet er - gefoltert und eingekerkert. Seitdem sei er als Folge nahezu taub und fast blind."

Der geschäftige Kellner geht wieder seiner Arbeit nach. Das Schicksal des greisen Herrn berührt mich, zumal er in der Wüste zweifellos unter schauderhaften Bedingungen gefangen gehalten vom Tode seiner Frau noch nicht einmal etwas ahnte.

"Wie hat er das Ableben seiner Frau aufgenommen, nachdem er davon erfuhr, und etwa erst bei seiner Rückkunft nach Wien?"
Der Ober hat sich wieder an meinen Tisch gesellt. Ich wiederhole meine Frage.
"Er sei freigekauft worden, habe die Todesnachricht anfangs ignoriert und sei zunächst untergetaucht. So oder ähnlich äußerte er sich einmal mir gegenüber."
Er zögert und ergänzt dann: "Möglicherweise sei es Selbstmord gewesen oder sogar...na, ja, sie haben sich die Mäuler zerrissen. Er habe stets geschwiegen", raunt er mir zu, wirft einen verstohlenen Blick zum Nebentisch und bemerkt: "Sie hätte die Trennung angeblich nie verkraftet und wäre überzeugt gewesen, er hätte eine Geliebte in Afrika - so wurde kolportiert. Übrigens, er war kein einziges Mal an ihrem Grab. Gedächtnisverlust bedingt durch die schwere Folter, darauf besteht er."
Er liest offenbar meine Gedanken.
"Altersdement, glauben Sie? Ich weiß nicht...äußerst verwirrend das Ganze. Vermutungen...und das mit der Spionage eben."

Eine farbige, exotisch gekleidete Dame mittleren Alters taucht zwischen den Tischen auf.
"Komm, Franz, wir gehen heim!"
Der Doktor hakt sich bei ihr unter, nachdem sie den Kaffee bezahlt hat.
"Ich möchte auch bezahlen, Herr Ober!"
Der zückt die Geldtasche und reicht mir die Rechnung.
"Das war übrigens seine Freundin aus Algerien. Sie kümmert sich um ihn. Von den heimlichen Telefonaten mit der Verblichenen - Gott hab` sie selig -, welche er fast jeden Tag führt, ahnt sie nichts."
Er zögert und verfällt in Flüsterton.
"Ach, falls es Sie interessiert? In dem Hörer, den ich ihm reiche, ist kein Akku."
Er zwinkert mir zu. "Danke und einen schönen Abend!"
Ich breche auf, versuche meine Gedanken zu ordnen. Das Paar ist verschwunden.
"Angeblich sei er am Todestag seiner Frau in Wien gesehen worden", ruft mir der Kellner noch grinsend nach.
 
U

USch

Gast
Hallo HaJoBe,
eine klasse skurrile Geschichte. Sehr spannend.
LG USch
 

HajoBe

Mitglied
Hallo Uwe, danke für dein Interessen und deine Beurteilung. Und noch etwas Erfreuliches: Fasnacht ist vorbei!!
LG HajoBe
 
U

USch

Gast
Ja Hajo Fasnet ist schon was Besonderes. Aber so ein archaisches Ventil ist für stressgeplagte Arbeitnehmer sicher nicht schlecht :)
LG USch
 

HajoBe

Mitglied
Zögernd füllt sich "Die Laube", ein gern besuchtes Straßencafe unter herbstbunten Linden. Ein in die Jahre gekommener Herr - graue Schläfen, eine Brille mit wulstigen Gläsern und gekleidet in einen modischen hellbeigen Anzug - hat am Nebentisch Platz genommen. Er winkt den Ober heran. Ich bemerke die gelbe Binde an seinem Arm.
"Das Gleiche wie immer...und das Telefon!"
Der Kellner serviert den <Großen Braunen> und reicht ihm den Hörer.
"Ist meine Frau am Apparat?"
"Natürlich, Herr Doktor!"
Der so Titulierte nimmt einen Schluck Kaffee und beginnt zu sprechen. Einzelne Satzfetzen dringen zu mir.

"über 30 Grad...ja, im Schatten unter Palmen...tiefblauer Zenit...habe dir doch geschrieben...nicht angekommen...Post abgefangen...gefährlich...nicht, was du denkst...muss Schluss machen...sie kommen...ich dich auch..."
Er legt den Hörer zur Seite und murmelt leise etwas offenbar nur für ihn selbst Bestimmtes.

Eigenartig! Wovon spricht der Mann? Wir sind in Wien. Er gibt vor, im Süden? Wem macht er etwas vor? Verschlüsselte Sprache? Fühlt er sich bedroht? Wie ein Agent schaut er nicht aus, es sei denn, geschickt getarnt. Und dieser Ober? Ein Komplize, welcher die Verbindungen herstellt? Sollte ich ihn unverfänglich aushorchen? Aber, wenn eine geheimdienstliche Sache dahinter steckt? Ich, eine Kollaborateurin des Kellners? Nein, der Mann wirkt harmlos auf mich. Ich halte mich da raus.

"Herr Ober, sagen Sie, kennen Sie den Mann am Nebentisch näher?"
Er nickt zustimmend. "Selbstverständlich, gnädige Frau!"
"Er kommt mir merkwürdig vor", wende ich ein mit dem Vorsatz, mehr zu erfahren.
"Der kommt fast jeden Tag hierher und telefoniert mit seiner Gattin. Ich stelle die Verbindung her."
Der Doktor scheint uns nicht zu hören, nimmt keine Notiz.
"Wohnt sie denn nicht in Wien?", frage ich den Kellner.
"Wenn Sie den Friedhof meinen, schon."
Er bemerkt den Fauxpas, neigt sich zu mir herab und fährt bedauernd mit gedämpfter Stimme fort.
"Es geschah vor zehn Jahren. Die Bahn, wissen Sie! Die Frau war sofort tot".
Er kehrt mir den Rücken zu und kümmert sich eilfertig um andere Gäste.

Meine Blicke streifen den Alten, der teilnahmslos vor sich hinstarrt, gelegentlich tastend nach seiner Tasse greift.
Telefonate mit einer Toten? Der Ober hatte mich wissen lassen, er würde ihr stets das Gleiche erzählen. Also hört er offensichtlich mit. Mir wird unbehaglich. Ich spüre, wie mich die Nähe zu dem geheimnisvollen Tischnachbarn zunehmend verunsichert. Der geschwätzige Kellner tritt näher und fährt fort.
"Der Herr Doktor verbrachte viele Jahre in Algerien, er redet von Ölgeschäften. Was er täglich seiner toten Frau erzählt, entspricht höchstwahrscheinlich dem rätselhaften Wortlaut seines letzten Telefonates nach Wien. Just an jenem Tag starb sie. Ihn nahm angeblich die algerische Miliz fest unter Spionageverdacht. Er wurde - so behauptet er - gefoltert und eingekerkert. Seitdem sei er als Folge nahezu taub und fast blind."

Der geschäftige Kellner geht wieder seiner Arbeit nach. Das Schicksal des greisen Herrn berührt mich, zumal er in der Wüste zweifellos unter schauderhaften Bedingungen gefangen gehalten vom Tode seiner Frau noch nicht einmal etwas ahnte.

"Wie hat er das Ableben seiner Frau aufgenommen, nachdem er davon erfuhr, und etwa erst bei seiner Rückkunft nach Wien?"
Der Ober hat sich wieder an meinen Tisch gesellt. Ich wiederhole meine Frage.
"Er sei freigekauft worden, habe die Todesnachricht anfangs ignoriert und sei zunächst untergetaucht. So oder ähnlich äußerte er sich einmal mir gegenüber."
Er zögert und ergänzt dann: "Möglicherweise sei es Selbstmord gewesen oder sogar...na, ja, sie haben sich die Mäuler zerrissen. Er habe stets geschwiegen", raunt er mir zu, wirft einen verstohlenen Blick zum Nebentisch und bemerkt: "Sie hätte die Trennung angeblich nie verkraftet und wäre überzeugt gewesen, er hätte eine Geliebte in Afrika - so wurde kolportiert. Übrigens, er war kein einziges Mal an ihrem Grab. Gedächtnisverlust bedingt durch die schwere Folter, darauf besteht er."
Er liest offenbar meine Gedanken.
"Altersdement, glauben Sie? Ich weiß nicht...äußerst verwirrend das Ganze. Vermutungen...und das mit der Spionage eben."

Eine farbige, exotisch gekleidete Dame mittleren Alters taucht zwischen den Tischen auf.
"Komm, Franz, wir gehen heim!"
Der Doktor hakt sich bei ihr unter, nachdem sie den Kaffee bezahlt hat.
"Ich möchte auch bezahlen, Herr Ober!"
Der zückt die Geldtasche und reicht mir die Rechnung.
"Das war übrigens seine Freundin aus Algerien. Sie kümmert sich um ihn. Von den heimlichen Telefonaten mit der Verblichenen - Gott hab` sie selig -, welche er fast jeden Tag führt, ahnt sie nichts."
Er zögert und verfällt in Flüsterton.
"Ach, falls es Sie interessiert? In dem Hörer, den ich ihm reiche, ist kein Akku."
Er zwinkert mir zu. "Danke und einen schönen Abend!"
Ich breche auf, versuche meine Gedanken zu ordnen. Das Paar ist verschwunden.
"Angeblich sei er am Todestag seiner Frau in Wien gesehen worden", ruft mir der Kellner noch grinsend hinterher.
 



 
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