Eintrag über dem Atlantik

anna karena

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Eintrag über dem Atlantik

Ellen sagt, die Engländer sind scheiße.
Vor 24 Stunden noch hätte ich diese Einstellung als nationalistisch, rassistisch und böse, böse, böse eingestuft. Und überhaupt, die Briten ! Uns geographisch und kulturell so nahestehend ! Na gut, sie haben ein Königshaus, wir einen Kanzler, aber so wie der sich aufführt, ist das nicht mehr weit von einer Monarchie entfernt...

Jedenfalls hatte ich bisher für alles englische zumindest eine stille Sympathie, aktiv natürlich gegenüber unseren Freunden aus Liverpool, deren sauber und klar akzentuiertes Englisch ich immer sehr bewundert habe.
Warum ich eigentlich über England – schuldigung, Großbritannien rede ? Je nun, der Flug von Berlin nach Rio über London und Sao Paolo erfolgt komplett mittels der technischen Möglichkeiten und des professionellen Personals der British Airways...

Kann eigentlich das Flughafenpersonal auch was dafür ? Wenn ich an das Einchecken und das Durchleuchten des Handgepäcks denke....ja klar, das waren ja auch Briten. Wortreich erkläre ich, daß sich in meinem Köfferchen ein Laptop befindet und Ellen schwenkt ihre kostbaren Demotapes.

Der britische Beamte betrachtet uns gar wohlgefällig und hält uns eines Wortschwalls in sauberstem und gepflegtestem Englisch für würdig, das sich an minderbemittelte Kinder richtet.... es wäre alles furchtbar ungefährlich – dieses „oh no, no complications !“ werden wir in den nächsten Stunden noch öfter hören...

Schließlich geben wir es auf und nach – die Leute können ja furchtbar dickköpfig sein ! Und ich erbrüte finstere Pläne gegen die Airline und ihre Büttel, Schergen und Helfershelfer.. ach was, nein, zu diesem Zeitpunkt bin ich noch gut gelaunt.

Überhaupt – London ! ich hatte mich so auf diese Stadt gefreut – ich war noch nie da und meine Vorstellungen bewegten sich zwischen Welten mit korrekt gekleideten, überaus höflichen und stilvollen Gestalten mit Queen-Elizabeth-Plaketten und einem Foto von Big Ben in der Brieftasche.
Und natürlich die berühmten Londoner Busse, die ich noch aus den alten Schulbüchern kenne...naja – irgendwie so was. Abgesehen davon soll der englische Frühling ja traumhaft sein .

Alles, was ich von London sehe, sind zwei Flughäfen, ein langer, finsterer Tunnel, eine Stunde Autobahn und eine Industrievorstadt !

Und die korrekt gekleideten Briten stellen sich bei der administrativen Organisation unserer Reise an wie störrische Ziegen...der Transfer zum Flughafen erfolgt nämlich mit dem Bus, und diesen Bus darf man natürlich auch unabhängig von einem Flug benützen – kostet dann irgendwas um 30 DM... - natürlich ist dieser Preis in unserem Ticket schon enthalten, aber wer denkt, wir dürften diesen britischen Bus nur mit britischen Flugtickets und ohne britisches Busticket besteigen, der ist wahrhaft in einem großen Irrtum befangen !

Wir schleppen also unser Handgepäck zu den reizenden Schaltermisses von Speedlink, wedeln mit unseren Tickets und erwarten zwei kleine Kärtchen für den Bus...aber nicht doch, meine Damen, wo wäre denn der Reiz dabei, wenn das so einfach ginge ? die Miss erläutert, daß wir unsere Bustickets doch bitte bei der Fluggesellschaft abholen sollten – bitte ein Stockwerk hoch und dann links und dann – also ihre Wegbeschreibung ist mustergültig, ihre Aussprache perfekt – wirklich höfliche Leute, diese Briten !
Also turnen wir mit unseren Köfferchen nach oben....und landen endlich in einem BA-Terminal mit ebenso ausgesuchten Misses. Hier erläutert Ellen noch mal unser Problem und wir werden prompt bedient, mit den Bustickets, ausführlichen Hinweisen, daß wir zum einen unsere Rückflugtickets schon hätten und daß wir dieselben sorgfältig aufbewahren sollten, und der auch auf mehrmaliges Nachfragen gegebenen Versicherung, in höchst höflichem und sehr geduldigem Ton, daß es jetzt wirklich "“oh no, no complications“ mehr geben wird und daß im übrigen das Verfahren längst nicht so umständlich wäre, wie die inzwischen erboste Ellen es darstellt. Ich grinse.

Nach fast 24 Stunden in Rio angekommen – meine Güte, die britischen Airlines sind päpstlicher als der Papst – Rauchverbot auf dem gesamten Flug. Von Berlin nach London mag es ja noch angehen, obwohl ich auch die erste Zigarette auf dem dortigen Flughafen inhaliere wie ein Olympiasieger im Wüstenkriechen sein erstes Wasser.
Aber der Flug von London nach Rio – 14 stunden, für den passionierten Raucher alles andere als erfreulich.

In Sao
Paolo haben wir über eine Stunde Aufenthalt, dürfen das Flugzeug aber nicht verlassen.
Wir versuchen, freundlich lächelnd und listig intrigierend auf der
Ladegangway wenigstens zwei Züge zu tun, werden aber von den noch viel freundlicher lächelnden und mit in dieser Beziehung allen Wassern gewaschenen Stewards daran gehindert.

Wenigstens ist es ein Nachtflug, also gehen schon mal von der nikotinfreien Zeit sechs Stunden zum Schlafen ab.

Der Sonnenaufgang über den Wolken ist einfach nur phantastisch. Mir kommen, als überzeugter Atheistin tatsächlich die ersten Seiten der Genesis in die Gedanken – die Schöpfung muß genau hier angefangen haben, bin ich fest überzeugt.

Wattewolken – dieser Ausdruck beschreibt die Sicht aus dem Fenster nur unzureichend, ein Meer von Weiß und das Licht, das sich durch einen schmalen Spalt in den Wolken Bahn bricht. Aber da sehe ich unter uns schon Rio liegen, Berge, das Meer, Häuserknäuel – von oben sieht es aus wie das Weserbergland. Entsprechende Bemerkungen werden von Ellen entrüstet zurückgewiesen.

Endlich im Flughafengebäude, die Hinweisschilder zum Rauchverbot sind nicht zu übersehen, aber wir beschließen kurzerhand, daß wir ja kein portugiesisch verstehen und für die Symbole nach dem langen Flug schlicht blind sind, man kennt ja die Phänomene nach langen Flügen – der Augeninnendruck verändert sich, ach was, irgendeine gelehrte Erklärung wird sich schon finden. Und schon stehen wir rauchend in dem Glasgehäuse, lächeln ebenfalls freundlich alle doch reichlich militärisch aussehenden Polizisten an und werden im Gegenzug verständnisvoll zurückbestrahlt mit diesem typischen brasilianischen Lächeln, das mich unwillkürlich an Südseegeschichten und blumenbekränzte Hula-mädchen denken läßt.

Aber das allererste, was ich registriere, ist die feuchte Luft, ich spüre die einzelnen Tröpfchen förmlich in meiner Nase, nicht unangenehm. Und warm ist es, schwül warm und feucht.

Ellen lacht und klärt mich darüber auf, daß das Flughafengebäude ja noch klimatisiert sei, draußen würde ich dann erstmal in der weichen, warmen Umarmung von Mamma Brasilia versinken - ich tue es mit Genuß.

Diese Stadt ist voll von Gerüchen, es riecht nach Sonne und Wind und Salz und Großstadt und Weihrauch und dem unbestimmbaren Parfümgemisch, das hier eigentlich an jedem hängt. Einfach ankommen !
 

mc poetry

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Hi Anna,

ich glaube die Indianer sagen sowas
wie: wenn der Körper verreis(s)t,
dauert es noch ein paar Tage, bis die
auch Seele angekommen ist.

Liebe Grüsse, michael
 



 
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