El Vulcano

4,00 Stern(e) 1 Stimme

Mellieha

Mitglied
Anja starrte entsetzt auf ihren Bildschirm. Der Tag im Büro hatte ruhig begonnen, bis sie ihre E-Mails abrief. Die Verkaufsabteilung hatte die Hiobsbotschaft einfach über sie mitgeteilt. Offensichtlich schien man Mist gebaut zu haben, richtigen Bockmist, denn mit solch einem Fehler, der hier beschrieben wurde, hörte der Spaß auf. Man schien wohl den einfachsten Weg gegangen zu sein, indem man die Botschaft im Postfach der Sekretärin ablud.

„El Vulcano“, wie ihn alle unter vorgehaltener Hand nannten, war in sämtlichen Abteilungen wegen seiner unkontrollierten Wutausbrüche gefürchtet und niemand wollte mit ihm mehr zu tun haben als unbedingt nötig. Diese feigen Vertriebsschweine, dachte sich Anja. Lassen sie mich die Drecksarbeit machen, anstatt selbst um ein Gespräch zu bitten.

El Vulcano benutzte alle Mitarbeiter schamlos als Blitzableiter, auch Anja. Niemand wusste, weshalb Büttner, so lautete sein richtiger Name, ständig die Nerven verlor und seine Mitarbeiter selbst bei Kleinigkeiten in persönliche Not brachte. Der Firma ging es an sich gut, die Umsätze stimmten und im Gegensatz zur Konkurrenz musste niemand entlassen werden. Im Gegenteil, kürzlich wurden sogar zusätzliche Stellen besetzt, weil man es geschafft hatte, einen ganz großen Fisch als neuen Kunden an den Haken zu bekommen.

Es half ja nichts. Anja musste nun schnell handeln, eine Zeitverzögerung würde die Sache nur noch schlimmer machen. Mit einem grummelnden Gefühl in der Magengegend druckte sie die E-Mail mit der Schreckensnachricht aus und zog das frisch gedruckte Blatt Papier zittrig aus dem Drucker. Dabei spürte sie, wie schweißbenetzt ihre Hände waren. Sie hasste ihren Job, schon Tausend Mal hätte sie am liebsten alles hingeworfen, aber das war unmöglich. Schließlich wollte sie ihre kleinen Tochter eine sorgenfreie Zukunft bieten, sie war ihr Ein und Alles, und ihrer Mutter steckte sie ab und an Geldscheine zu, deren schmale Witwenrente reichte einfachvorne und hinten nicht.

Sie hatte sich heute wenigstens in Schale geworfen. Das körperbetonte Sommerkleid brachte ihre Attribute zur Geltung und der großzügige Ausschnitt ließ tief blicken und männliche Fantasien aufblühen. Ihre Kollegin hatte ihr einen Tipp gegeben. „Zieh dich an wie die Kerle das geil finden und du hast die halbe Miete! Ist zwar lächerlich, aber wenn die alten Säcke das so wollen, bitteschön! Der olle Büttner ist auch so ein Stieraffe, lenk ihn einfach ein bisschen ab.“ Diesen Rat hatte sie beherzigt.

Anjas Schuhe hallten durch den Flur. Mit dem Stück Papier in der Hand näherte sie sich El Vulcanos Büro am Ende des Flures. Je näher sie kam, je stärker spürte sie ihr Herz pochen, so laut, dass sie meinte, jeder könne es im Umkreis von 100 Metern hören.

Sie klopfte an die Tür und trat ein. In diesem überdimensioniertem Büro des Chefs fühlte sie sich schon allein von der Größer her verloren. Das Gemetzel konnte beginnen.

„Was is?!“
Büttner saß vor seinem PC und hämmerte fluchend auf der Tastatur herum. Nicht einmal ein Guten Morgen hatte er für seine Angestellten übrig.
Sie kam sofort zur Sache, um es hinter sich zu bringen. Nur so schnell wie möglich dieser Hölle entrinnen!
„Die Vertriebsabteilung hat soeben mitgeteilt, dass es einen schwerwiegenden Produktionsfehler in der Serie „Espanina“ gab und möchte nun wissen, wie verfahren werden soll.“
Büttner sprang schlagartig so heftig aus seinem Stuhl auf, dass dieser fast umfiel.
„Sind die bekloppt? Die Serie muss nächsten Monat ausgeliefert werden, haben die einen Knall, diese Schwachmaten!?“

Wie ein Gummiball hüpfte sein beleibter Körper auf und ab. Er lief puterrot an, schnaufte laut und rang ächzend nach Luft, als ob ihm gerade jemand den Ausbruch eines Atomkrieges mitgeteilt hätte. Dabei schien er selbst die Atombombe zu sein, daran bestand momentan kein Zweifel. Sie überlegte, ob sie ihn irgendwie beruhigen konnte, denn andernfalls würde der Zünder entfacht und der große Knall wäre unvermeidlich. Aber ihr fiel nichts ein und er polterte weiter.

„Mir ist das mittlerweile alles scheißegal, ich mach den Laden dicht und dann sollen diese hirnverbrannten Trottel doch selber sehen wo sie bleiben, ich hab das nicht nötig, nimmt hier keiner Rücksicht auf mein Alter? Jahrzehnte lang leite ich diesen Laden, trage Verantwortung für 70 Menschen und ständig muss ich mich mit menschlichen Fehlern rumschlagen, kein ordentliches Personal mehr, keiner mehr, der für seine Fehler geradesteht! Alles nur noch feige Luschen!“

Er tobte. Aber nun kam er erst richtig in Fahrt.
„Wahrscheinlich will’s wieder keiner gewesen sein, wenn ich da runtergehe und nach Ursachen frage. Wird wieder ein Marder in die Produktionsmaschine gekrochen sein oder ein Windhauch hat reingeweht oder was weiß ich. Alles feige Ausreden. Aber glauben Sie, diese Vollpfosten würden mal einen Fehler offen eingestehen? Das verzögert die Sache doch nur und man weiß bei diesen Burschen nie woran man ist. Ich will Klarheit und kein Wischiwaschi! Ist doch wahr, da brauchen Sie gar nicht so zu glotzen!“

El Vulcano zündete sich nervös eine Zigarette, inhalierte tief und blies den Rauch mit einem harten Stoß aus. Er starrte sie hasserfüllt mit funkelnden Augen an, dabei hatte sie ihm doch nur die Botschaft überbracht, für deren Inhalt sie keinerlei Verantwortung trug.

Ich mache es jetzt wie er, sonst drehe ich noch durch, schoss es ihr blitzartig durch den Kopf. Das schien ihr die einzige Möglichkeit, wenn sie nicht wieder wie die letzte Träne dastehen wollte und das galt es schon allein ihrer Selbstachtung wegen endlich zu verhindern.
Sie nahm all ihren Mut zusammen und gerade als er zur nächsten Salve ansetzen wollte, trat Anja einen Schritt nach vorne.
„Herr Büttner, Sie haben ja so Recht! Mir schreiben diese Idioten einfach eine E-Mail, frei nach dem Motto, soll doch die blöde Büroziege den Ärger ausbaden, wir sind ja weit weg von El Vulcano, lassen wir doch andere den Dreck erledigen. Aber nicht mehr mit mir, es reicht! Ich geh jetzt da runter und frage mal, ob sie noch alle Sinne beisammen haben. Ich hab keine Lust mehr mich für andere runtermachen zu lassen. Diese feigen Schweine! Brüllen Sie doch die an, die es betrifft!“

Büttner wurde plötzlich ruhig. Sie zog ihr Kleid zurecht und bemerkte, wie er ihr in den Ausschnitt starrte.
„Ja, da brauchen Sie jetzt aber nicht zu glotzen, ich hab die Schnauze voll!“ setzte sie nach.
Sie wollte sich herumdrehen und zur Tür hinausgehen, als er sie zum Bleiben aufforderte.
„Moment mal, hiergeblieben!“ Das konnte er nicht durchgehen lassen, sie einfach so gehen zu lassen.
„El Vulcano?“ fragte er erstaunt und blickte sie entgeistert an.
„Schauen Sie in den Spiegel, dann sehen Sie ihn.“
Nun wollte sie endgültig raus aus diesem Gefecht, aber er ließ sie nicht gehen.
„So viel Feuer in Ihnen kenne ich gar nicht, Sie sind doch sonst auch so ein Duckmäuser wie all die anderen. Setzen Sie sich mal zu mir, Schätzchen.“

Er nickte ihr mit gespielter Freundlichkeit zu und wies nun mit einer gönnerhaften Geste auf die Ledercouch in der Ecke seines Büros, goss ihr einen Kaffee ein und forderte sie auf, sich hinzusetzen. Anja fand seine plötzlich gespielte väterliche Art einfach widerlich. Sie wollte einfach nur verschwinden, nahm aber trotzdem widerwillig Platz, was blieb ihr auch anderes übrig. Sie nippte am Kaffee und begann zu erzählen, in der Reihenfolge wie es ihr in den Sinn kam. Wie man ihn nennen würde, was sie von ihm und alle anderen in der Firma von ihm hielten und dass am liebsten alle weglaufen würden, aber das nicht könnten, weil die persönlichen Verhältnisse das nicht zuließen. Es war schonungslos und sie ließ nichts aus.

All ihre Angst war verflogen. Sie redete nur noch, obwohl sie wusste, dass sie das Kopf und Kragen kosten konnte, was sie da ausplauderte, aber sie erzählte weiter, die aufgestaute Wut in ihr ließ keine andere Möglichkeit zu. Es war befreiend und ihre Angst wich nun einem Gefühl von Selbstbewusstsein. Endlich nannte mal jemand die Dinge beim Namen und das war ausgerechnet sie, die kleine Sekretärin. Sie redete so lange, bis alles aus ihr herausgesprudelt war und es brachte sie auch nicht aus der Fassung, dass er ihr weiter auf den Busen gaffte. Sie fühlte sich seltsamerweise richtig gut.

El Vulcano lehnte sich zurück und zog an einer Zigarette. Plötzlich war Totenstille im Raum. Er sah sie eine Weile schweigend an.
„Nun schmeiße ich den Laden hier schon etliche Jahre, aber niemals hatte jemand die Chuzpe, mir Paroli zu bieten. Irgendwie habe ich auf diesen Tag gewartet, aber er kam nie. Jetzt ist er da.“
Anja schaute ihn mit festem Blick an. „Wer will schon einen Vulkan brennen sehen?“ entgegnete sie ihm. Er lächelte.
„Sie sind die einzige hier, die ihre Meinung endlich mal offen vertritt, das gefällt mir.“

Dann begann er zu erzählen, in einem solch ruhigen Tonfall, wie sie ihn in diesem Zimmer noch nie erlebt hatte. Sie hörte wie er davon sprach, die Firma aufgebaut zu haben und egal um was es gegangen sei, immer hätten die Mitarbeiter gekuscht, Ausflüchte bei Fehlern gesucht und bei jeder Kleinigkeit den Schwanz eingezogen. Kaum hätte er die ehrliche Meinung seiner Belegschaft gehört und eines Tages sei ihm bewusst geworden, wie weit verbreitet dieses Verhalten in der Bevölkerung sei. Alle würden hinter vorgehaltener Hand jammern, aber nie jemand aufstehen und eine bewusste Veränderung dessen herbeiführen, was ihn zutiefst stört. Niemand sei bereit, Fehler einzugestehen. Dann sei ihm in den Sinn gekommen, das Ganze als Experiment zu sehen und zu testen, wie weit man gehen kann, bis eine Revolte ausbrechen würde. Aber es geschah nichts. Und so musste er seine Rolle als Kotzbrocken immer weiter spielen, obwohl ihm dies auf Dauer völlig gegen den Strich ging. Der heutige Tag sei ein kleiner Lichtblick für ihn.
„Sie feuern mich also nicht?“
Er grinste breit.
„Aber nicht doch, Sie sind die einzige Mitarbeiterin, bei der ich nun weiß was sie denkt. Machen Sie weiter so und nächstes Mal beantworten Sie solche E-Mails einfach und sagen denen da unten, sie sollen sich gefälligst selbst hier heraufbemühen. Mal sehen ob die sich auch so schlagen wie Sie.“
Büttner kicherte.
Anja nickte und dachte nach. Verdammt, der alte Sack hatte recht. Gedanken schossen durch ihren Kopf. In der Schule ihrer Tochter fehlten Geldmittel an allen Ecken und Enden, ihre Freundin musste sich mit Billigjobs über Wasser halten und sich anhören, sie solle froh sein, überhaupt arbeiten zu dürfen und wenn Anja zum Arzt ging, musste sie trotz ihrer geleisteten Beiträge jedes Mal aus ihrer Tasche Zuzahlungen leisten. Wenn sie weiter nachdachte, würde ihr noch viel mehr einfallen, was faul war. Hier in der Firma war es doch nicht anders. Alle jammerten, aber keiner traute sich den Mund aufzumachen.
„Herr Büttner, kann ich heute früher Feierabend machen und Überstunden abbummeln?“
Er lachte auf. „Sie haben wohl heute genug von mir, wie?“
„In der Schule meiner Tochter schimmelt die Turnhalle, es fehlt an Lehrmitteln und Lehrern. Seit langem wird diskutiert, aber nichts passiert. Ich denke heute ist ein guter Tag, den Herren in den oberen Etagen der Stadt einen Besuch abzustatten.“
Büttner nickte zustimmend und hob den Daumen hoch. Endlich bewegte sich etwas.

Anja genoss ihr neues Gefühl von Stärke. Hoffentlich hielt es lange an, denn es gab noch viel zu tun.
 
U

USch

Gast
HALLO Mellieha;

schön geschriebene erste Geschichte von dir. Ja, der berufliche Alltag, der ja immer brutaler wird. Da muss man einfach mal Grenzen setzen.
Schau noch mal durch, ein paar rechtschreibmäßige Kleinigkeiten können noch beseitigt werden. Wenn ich Zeit habe korrigiere ich die demnächst mal.
LG Uwe
 

Mellieha

Mitglied
Anja starrte entsetzt auf ihren Bildschirm. Der Tag im Büro hatte ruhig begonnen, bis sie ihre E-Mails abrief. Die Verkaufsabteilung hatte die Hiobsbotschaft einfach über sie mitgeteilt. Offensichtlich schien man Mist gebaut zu haben, richtigen Bockmist, denn mit solch einem Fehler, der hier beschrieben wurde, hörte der Spaß auf. Man schien wohl den einfachsten Weg gegangen zu sein, indem man die Botschaft im Postfach der Sekretärin ablud.

„El Vulcano“, wie ihn alle unter vorgehaltener Hand nannten, war in sämtlichen Abteilungen wegen seiner unkontrollierten Wutausbrüche gefürchtet und niemand wollte mit ihm mehr zu tun haben als unbedingt nötig. Diese feigen Vertriebsschweine, dachte sich Anja. Lassen sie mich die Drecksarbeit machen, anstatt selbst um ein Gespräch zu bitten.

El Vulcano benutzte alle Mitarbeiter schamlos als Blitzableiter, auch Anja. Niemand wusste, weshalb Büttner, so lautete sein richtiger Name, ständig die Nerven verlor und seine Mitarbeiter selbst bei Kleinigkeiten in persönliche Not brachte. Der Firma ging es an sich gut, die Umsätze stimmten und im Gegensatz zur Konkurrenz musste niemand entlassen werden. Im Gegenteil, kürzlich wurden sogar zusätzliche Stellen besetzt, weil man es geschafft hatte, einen ganz großen Fisch als neuen Kunden an den Haken zu bekommen.

Es half ja nichts. Anja musste nun schnell handeln, eine Zeitverzögerung würde die Sache nur noch schlimmer machen. Mit einem grummelnden Gefühl in der Magengegend druckte sie die E-Mail mit der Schreckensnachricht aus und zog das frisch gedruckte Blatt Papier zittrig aus dem Drucker. Dabei spürte sie, wie schweißbenetzt ihre Hände waren. Sie hasste ihren Job, schon Tausend Mal hätte sie am liebsten alles hingeworfen, aber das war unmöglich. Schließlich wollte sie ihrer kleinen Tochter eine sorgenfreie Zukunft bieten, sie war ihr Ein und Alles, und ihrer Mutter steckte sie ab und an Geldscheine zu, deren schmale Witwenrente reichte einfach vorne und hinten nicht.

Sie hatte sich heute wenigstens in Schale geworfen. Das körperbetonte Sommerkleid brachte ihre Attribute zur Geltung und der großzügige Ausschnitt ließ tief blicken und männliche Fantasien aufblühen. Ihre Kollegin hatte ihr einen Tipp gegeben. „Zieh dich an wie die Kerle das geil finden und du hast die halbe Miete! Ist zwar lächerlich, aber wenn die alten Säcke das so wollen, bitteschön! Der olle Büttner ist auch so ein Stieraffe, lenk ihn einfach ein bisschen ab.“ Diesen Rat hatte sie beherzigt.

Anjas Schuhe hallten durch den Flur. Mit dem Stück Papier in der Hand näherte sie sich El Vulcanos Büro am Ende des Flures. Je näher sie kam, je stärker spürte sie ihr Herz pochen, so laut, dass sie meinte, jeder könne es im Umkreis von 100 Metern hören.

Sie klopfte an die Tür und trat ein. In diesem überdimensioniertem Büro des Chefs fühlte sie sich schon allein von der Größer her verloren. Das Gemetzel konnte beginnen.

„Was is?!“
Büttner saß vor seinem PC und hämmerte fluchend auf der Tastatur herum. Nicht einmal ein Guten Morgen hatte er für seine Angestellten übrig.
Sie kam sofort zur Sache, um es hinter sich zu bringen. Nur so schnell wie möglich dieser Hölle entrinnen!
„Die Vertriebsabteilung hat soeben mitgeteilt, dass es einen schwerwiegenden Produktionsfehler in der Serie „Espanina“ gab und möchte nun wissen, wie verfahren werden soll.“
Büttner sprang schlagartig so heftig aus seinem Stuhl auf, dass dieser fast umfiel.
„Sind die bekloppt? Die Serie muss nächsten Monat ausgeliefert werden, haben die einen Knall, diese Schwachmaten!?“

Wie ein Gummiball hüpfte sein beleibter Körper auf und ab. Er lief puterrot an, schnaufte laut und rang ächzend nach Luft, als ob ihm gerade jemand den Ausbruch eines Atomkrieges mitgeteilt hätte. Dabei schien er selbst die Atombombe zu sein, daran bestand momentan kein Zweifel. Sie überlegte, ob sie ihn irgendwie beruhigen konnte, denn andernfalls würde der Zünder entfacht und der große Knall wäre unvermeidlich. Aber ihr fiel nichts ein und er polterte weiter.

„Mir ist das mittlerweile alles scheißegal, ich mach den Laden dicht und dann sollen diese hirnverbrannten Trottel doch selber sehen wo sie bleiben, ich hab das nicht nötig, nimmt hier keiner Rücksicht auf mein Alter? Jahrzehnte lang leite ich diesen Laden, trage Verantwortung für 70 Menschen und ständig muss ich mich mit menschlichen Fehlern rumschlagen, kein ordentliches Personal mehr, keiner mehr, der für seine Fehler geradesteht! Alles nur noch feige Luschen!“

Er tobte. Aber nun kam er erst richtig in Fahrt.
„Wahrscheinlich will’s wieder keiner gewesen sein, wenn ich da runtergehe und nach Ursachen frage. Wird wieder ein Marder in die Produktionsmaschine gekrochen sein oder ein Windhauch hat reingeweht oder was weiß ich. Alles feige Ausreden. Aber glauben Sie, diese Vollpfosten würden mal einen Fehler offen eingestehen? Das verzögert die Sache doch nur und man weiß bei diesen Burschen nie woran man ist. Ich will Klarheit und kein Wischiwaschi! Ist doch wahr, da brauchen Sie gar nicht so zu glotzen!“

El Vulcano zündete sich nervös eine Zigarette, inhalierte tief und blies den Rauch mit einem harten Stoß aus. Er starrte sie hasserfüllt mit funkelnden Augen an, dabei hatte sie ihm doch nur die Botschaft überbracht, für deren Inhalt sie keinerlei Verantwortung trug.

Ich mache es jetzt wie er, sonst drehe ich noch durch, schoss es ihr blitzartig durch den Kopf. Das schien ihr die einzige Möglichkeit, wenn sie nicht wieder wie die letzte Träne dastehen wollte und das galt es schon allein ihrer Selbstachtung wegen endlich zu verhindern.
Sie nahm all ihren Mut zusammen, und gerade als er zur nächsten Salve ansetzen wollte, trat Anja einen Schritt nach vorne.
„Herr Büttner, Sie haben ja so Recht! Mir schreiben diese Idioten einfach eine E-Mail, frei nach dem Motto, soll doch die blöde Büroziege den Ärger ausbaden, wir sind ja weit weg von El Vulcano, lassen wir doch andere den Dreck erledigen. Aber nicht mehr mit mir, es reicht! Ich geh jetzt da runter und frage mal, ob sie noch alle Sinne beisammen haben. Ich hab keine Lust mehr mich für andere runtermachen zu lassen. Diese feigen Schweine! Brüllen Sie doch die an, die es betrifft!“

Büttner wurde plötzlich ruhig. Sie zog ihr Kleid zurecht und bemerkte, wie er ihr in den Ausschnitt starrte.
„Ja, da brauchen Sie jetzt aber nicht zu glotzen, ich hab die Schnauze voll!“ setzte sie nach.
Sie wollte sich herumdrehen und zur Tür hinausgehen, als er sie zum Bleiben aufforderte.
„Moment mal, hiergeblieben!“ Das konnte er nicht durchgehen lassen, sie einfach so gehen zu lassen.
„El Vulcano?“ fragte er erstaunt und blickte sie entgeistert an.
„Schauen Sie in den Spiegel, dann sehen Sie ihn.“
Nun wollte sie endgültig raus aus diesem Gefecht, aber er ließ sie nicht gehen.
„So viel Feuer in Ihnen kenne ich gar nicht, Sie sind doch sonst auch so ein Duckmäuser wie all die anderen. Setzen Sie sich mal zu mir, Schätzchen.“

Er nickte ihr mit gespielter Freundlichkeit zu und wies nun mit einer gönnerhaften Geste auf die Ledercouch in der Ecke seines Büros, goss ihr einen Kaffee ein und forderte sie auf, sich hinzusetzen. Anja fand seine plötzlich gespielte väterliche Art einfach widerlich. Sie wollte einfach nur verschwinden, nahm aber trotzdem widerwillig Platz, was blieb ihr auch anderes übrig. Sie nippte am Kaffee und begann zu erzählen, in der Reihenfolge wie es ihr in den Sinn kam. Wie man ihn nennen würde, was sie von ihm und alle anderen in der Firma von ihm hielten und dass am liebsten alle weglaufen würden, aber das nicht könnten, weil die persönlichen Verhältnisse das nicht zuließen. Es war schonungslos und sie ließ nichts aus.

All ihre Angst war verflogen. Sie redete nur noch, obwohl sie wusste, dass sie das Kopf und Kragen kosten konnte, was sie da ausplauderte, aber sie erzählte weiter, die aufgestaute Wut in ihr ließ keine andere Möglichkeit zu. Es war befreiend und ihre Angst wich nun einem Gefühl von Selbstbewusstsein. Endlich nannte mal jemand die Dinge beim Namen und das war ausgerechnet sie, die kleine Sekretärin. Sie redete so lange, bis alles aus ihr herausgesprudelt war und es brachte sie auch nicht aus der Fassung, dass er ihr weiter auf den Busen gaffte. Sie fühlte sich seltsamerweise richtig gut.

El Vulcano lehnte sich zurück und zog an einer Zigarette. Plötzlich war Totenstille im Raum. Er sah sie eine Weile schweigend an.
„Nun schmeiße ich den Laden hier schon etliche Jahre, aber niemals hatte jemand die Chuzpe, mir Paroli zu bieten. Irgendwie habe ich auf diesen Tag gewartet, aber er kam nie. Jetzt ist er da.“
Anja schaute ihn mit festem Blick an. „Wer will schon einen Vulkan brennen sehen?“ entgegnete sie ihm. Er lächelte.
„Sie sind die einzige hier, die ihre Meinung endlich mal offen vertritt, das gefällt mir.“

Dann begann er zu erzählen, in einem solch ruhigen Tonfall, wie sie ihn in diesem Zimmer noch nie erlebt hatte. Sie hörte, wie er davon sprach, die Firma aufgebaut zu haben und egal um was es gegangen sei, immer hätten die Mitarbeiter gekuscht, Ausflüchte bei Fehlern gesucht und bei jeder Kleinigkeit den Schwanz eingezogen. Kaum hätte er die ehrliche Meinung seiner Belegschaft gehört und eines Tages sei ihm bewusst geworden, wie weit verbreitet dieses Verhalten in der Bevölkerung sei. Alle würden hinter vorgehaltener Hand jammern, aber nie jemand aufstehen und eine bewusste Veränderung dessen herbeiführen, was ihn zutiefst stört. Niemand sei bereit, Fehler einzugestehen. Dann sei ihm in den Sinn gekommen, das Ganze als Experiment zu sehen und zu testen, wie weit man gehen kann, bis eine Revolte ausbrechen würde. Aber es geschah nichts. Und so musste er seine Rolle als Kotzbrocken immer weiter spielen, obwohl ihm dies auf Dauer völlig gegen den Strich ging. Der heutige Tag sei ein kleiner Lichtblick für ihn.
„Sie feuern mich also nicht?“
Er grinste breit.
„Aber nicht doch, Sie sind die einzige Mitarbeiterin, bei der ich nun weiß was sie denkt. Machen Sie weiter so und nächstes Mal beantworten Sie solche E-Mails einfach und sagen denen da unten, sie sollen sich gefälligst selbst hier heraufbemühen. Mal sehen, ob die sich auch so schlagen wie Sie.“
Büttner kicherte.
Anja nickte und dachte nach. Verdammt, der alte Sack hatte recht. Gedanken schossen durch ihren Kopf. In der Schule ihrer Tochter fehlten Geldmittel an allen Ecken und Enden, ihre Freundin musste sich mit Billigjobs über Wasser halten und sich anhören, sie solle froh sein, überhaupt arbeiten zu dürfen und wenn Anja zum Arzt ging, musste sie trotz ihrer geleisteten Beiträge jedes Mal aus ihrer Tasche Zuzahlungen leisten. Wenn sie weiter nachdachte, würde ihr noch viel mehr einfallen, was faul war. Hier in der Firma war es doch nicht anders. Alle jammerten, aber keiner traute sich den Mund aufzumachen.
„Herr Büttner, kann ich heute früher Feierabend machen und Überstunden abbummeln?“
Er lachte auf. „Sie haben wohl heute genug von mir, wie?“
„In der Schule meiner Tochter schimmelt die Turnhalle, es fehlt an Lehrmitteln und Lehrern. Seit langem wird diskutiert, aber nichts passiert. Ich denke heute ist ein guter Tag, den Herren in den oberen Etagen der Stadt einen Besuch abzustatten.“
Büttner nickte zustimmend und hob den Daumen hoch. Endlich bewegte sich etwas.

Anja genoss ihr neues Gefühl von Stärke. Hoffentlich hielt es lange an, denn es gab noch viel zu tun.
 

Mellieha

Mitglied
Hallo Uwe,

danke fürs Feedback!
Ich habe eben noch ein paar kleine Schreibfehler beseitigt und hoffe, dass ich nicht zu "betriebsblind" bin und grobe Fehler übersehen habe.

Grüße
Tina
 
Hi!

Ich finde du hast einen "pfeffrigen" Stil...

Gefällt mir gut!!!

Auch inhaltlich - Hoffe nur, sie hat es geschafft diese neue innere Einstellung noch ein Stück weit mitzunehmen...

PS: Hast du persönliche Erfahrungen in diese Richtung?

LG
 

Mellieha

Mitglied
Hallo Gonzo,

danke für die Blumen. :)

Ob ich persönliche Erfahrungen habe? Mir selbst ist diese Geschichte nicht passiert. Die Idee kam mir, weil mir immer wieder auffällt, wie sehr sich Bedingungen gerade bei Arbeitsverhältnisen ins Negative verändern, sich Betroffene dann darüber beklagen, aber weder Energie noch Mut haben, dagegenzustehen. Oder sie lassen sich von "Drohgebärden" klein machen und so dreht sich die Spirale immer weiter nach unten. Dass Arbeitgeber sich immer mehr "herausnehmen", hat meiner Meinung auch damit zu tun, dass wir uns insgesamt immer mehr bieten lassen, man sieht es ja auch an der Politik. Da wird immer mehr Unfug beschlossen und die große Mehrheit lässt sich das gefallen, anstatt auf die Straße zu gehen. Ich erwische mich auch ab und an dabei. :)

Umfangreiches Thema, wenn man genauer darüber nachdenkt. Eigentlich geht es ja auch darum, was man sich selbst wert ist.

Ob Anja ihr Vorhaben durchhält? Ich drücke ihr und allen anderen in solchen Situationen fest die Daumen. :)

Grüße
 



 
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