Endstation
„Haste mal einen Zehner? Siehst aus als könntest du locker einen entbehren!“
Eine forsche, leicht sarkastisch formulierte Bitte, subtile Gewalt.
Wie paralysiert steht er da und starrt sein Gegenüber an.
Aus dem Nichts ist der Penner plötzlich vor ihm auf dem Bahnsteig aufgetaucht. Das spärliche Haar des Mannes ist speckig und reicht ihm bis auf die Schultern, ein leicht süßlicher Geruch geht von ihm aus.
Es war spät geworden, schon weit nach Mitternacht, trotzdem
hat er statt einem Taxi die U-Bahn genommen, an Tagen wie diesem braucht er das. Nach der ganzen Speichelleckerei, in einer künstlichen Welt bei großkotzigen Investoren und ihrer langweiligen Lasterhaftigkeit, schafft er es nicht auf direktem Weg in sein repräsentatives hypermodernes Loft.
Dann giert es ihn nach der Dominanz vom Dreck in abgenutzten Waggons, dem kurzzeitigen, zufallsbedingten Aufeinandertreffen verschiedenster Individuen und der Option an jeder beliebigen Haltestelle in die Anonymität der Nacht aussteigen zu können. Wie hier an dieser Endstation.
Angewidert will er einen Schritt zurück machen und erstarrt dabei mitten in der Bewegung, jemand ist direkt hinter ihm, Zeit für physische Furcht, eine tierische Reaktion vom Mensch übernommen. Doch Furcht bedeutet ständige Verwirrung und hat zu lange sein Leben verdüstert. Er hat gelernt sie zu dirigieren, denn Verwirrung ist das Letzte was er in seinem straff durchorganisierten Leben gebrauchen kann. Einem bruchstückhaften Dasein, im Unternehmen risikofreudig und erfolgreich, sexuell kompromisslos ausgerichtet auf Lust und Vergnügen, zwischenmenschlich introvertiert und misstrauisch.
Ein Leben in Fragmenten.
Doch genau in diesem Augenblick kann er spüren, wie lebendige, geballte Energie ihn durchflutet, ein berauschendes Gefühl, so als öffne sich die Tür zu einer anderen Dimension. Scheinbar arglos geht er auf das Spiel ein und klopft suchend mit der freien Hand die Tasche seines Kaschmirmantels ab.
Natürlich weiß er genau wo seine Brieftasche steckt.
Sicher und gut gefüllt und in der rechten Gesäßtasche seiner maßgeschneiderten Hose. Er sucht stattdessen das hochwertige Designermesser, eine wunderschöne Arbeit, mit Griffschalen aus Wüsteneisenholz, gebogenem Messer und traditioneller Einlegearbeit. Ein Messer für richtige Männerhände, durch ein Back-Lock arretiert die Klinge zuverlässig. Eine Investition seiner letzten Flamme, die unter manch anderem auch sein Faible für Waffen nicht geteilt, aber geduldet hatte, schließlich wäre er eine gute Partie für sie gewesen. Natürlich ha er das Messer nach Trennung behalten, was sollte sie auch damit? Als die Gebissruine einen Schritt auf ihn zu macht, strömt ihm eine Welle unerträglichen Gestankes entgegen, doch er rührte sich nicht von der Stelle, denn wer oder was sich auch immer hinter ihm befindet, scheint vom selben Kaliber zu sein.
Kurz musste er an die Beretta in seinem Nachttisch denken.
Sie hat ein Kaliber von 9mm, doch da nutzen sie ihm jetzt wenig.
Wie zufällig macht er einen Schritt zur Seite, endlich hat er den zweiten Penner aus seinem Rücken. Es ist eine Frau, das weibliche Pedant zu der Gebissruine. Sie hat eine Haut wie Pergament und tiefe dunkle Ringe unter den überraschend schönen wasserblauen Augen. Sie ist nicht besonders groß und kräftig,
wirkt aber nicht weniger bedrohlich, denn er kann ihre Hände nicht sehen.
Sie stecken in den verdächtig ausgebeulten, übergroßen Taschen ihres schmierigen Mantels. Um Zeit zu gewinnen, stellt er ganz langsam seine lederne Businesstasche mit dem Zahlenschloss neben sich auf dem Boden ab.
Sie wird ihm sowieso nichts nützen.
Dummerweise hat er darin seine neuste Errungenschaft verstaut, brandneu,
noch nicht einmal ausgepackt, einen Schlagring aus Metall mit verstärktem Knöchelbereich und angebrachten Spitzen.
„Ein paar Groschen würden es auch tun, haben verdammt viel Pech gehabt in der letzten Zeit!“, schnieft da die Alte mit einem Blick auf die beiden Schlafsäcke, die zusammengeknüllt in einer Nische des Bahnsteiges liegen.
Es ist verdammt kalt hier unten, kalt wie in einer Gruft, wahrhaftig Endstation, schießt es ihm zynisch durch den Kopf, gefüllt mit Aggression und Hass ist kein Platz in ihm für Mitleid.
Endlich ertastet er den kalten harten Stahl seines Supermessers.
Die Alte zieht aus ihrer rechten Manteltasche eine zerlöcherte Wollmütze und stülpt sie umständlich auf ihr graues Haar.
Wie von selbst scheint das Messer in seine Hand zu gleiten.
Grelles, intervallartig aufblitzendes Licht und kreischende Bremsen dringen in sein Bewusstsein, jähes Ende einer todbringenden Symbiose.
Das kalte Antlitz nackter Gewalt blickt ihm für einen kurzen Moment aus der Fensterspiegelung des Bahnwaggons entgegen, bevor das Licht darin erlischt.
„Haste mal einen Zehner? Siehst aus als könntest du locker einen entbehren!“
Eine forsche, leicht sarkastisch formulierte Bitte, subtile Gewalt.
Wie paralysiert steht er da und starrt sein Gegenüber an.
Aus dem Nichts ist der Penner plötzlich vor ihm auf dem Bahnsteig aufgetaucht. Das spärliche Haar des Mannes ist speckig und reicht ihm bis auf die Schultern, ein leicht süßlicher Geruch geht von ihm aus.
Es war spät geworden, schon weit nach Mitternacht, trotzdem
hat er statt einem Taxi die U-Bahn genommen, an Tagen wie diesem braucht er das. Nach der ganzen Speichelleckerei, in einer künstlichen Welt bei großkotzigen Investoren und ihrer langweiligen Lasterhaftigkeit, schafft er es nicht auf direktem Weg in sein repräsentatives hypermodernes Loft.
Dann giert es ihn nach der Dominanz vom Dreck in abgenutzten Waggons, dem kurzzeitigen, zufallsbedingten Aufeinandertreffen verschiedenster Individuen und der Option an jeder beliebigen Haltestelle in die Anonymität der Nacht aussteigen zu können. Wie hier an dieser Endstation.
Angewidert will er einen Schritt zurück machen und erstarrt dabei mitten in der Bewegung, jemand ist direkt hinter ihm, Zeit für physische Furcht, eine tierische Reaktion vom Mensch übernommen. Doch Furcht bedeutet ständige Verwirrung und hat zu lange sein Leben verdüstert. Er hat gelernt sie zu dirigieren, denn Verwirrung ist das Letzte was er in seinem straff durchorganisierten Leben gebrauchen kann. Einem bruchstückhaften Dasein, im Unternehmen risikofreudig und erfolgreich, sexuell kompromisslos ausgerichtet auf Lust und Vergnügen, zwischenmenschlich introvertiert und misstrauisch.
Ein Leben in Fragmenten.
Doch genau in diesem Augenblick kann er spüren, wie lebendige, geballte Energie ihn durchflutet, ein berauschendes Gefühl, so als öffne sich die Tür zu einer anderen Dimension. Scheinbar arglos geht er auf das Spiel ein und klopft suchend mit der freien Hand die Tasche seines Kaschmirmantels ab.
Natürlich weiß er genau wo seine Brieftasche steckt.
Sicher und gut gefüllt und in der rechten Gesäßtasche seiner maßgeschneiderten Hose. Er sucht stattdessen das hochwertige Designermesser, eine wunderschöne Arbeit, mit Griffschalen aus Wüsteneisenholz, gebogenem Messer und traditioneller Einlegearbeit. Ein Messer für richtige Männerhände, durch ein Back-Lock arretiert die Klinge zuverlässig. Eine Investition seiner letzten Flamme, die unter manch anderem auch sein Faible für Waffen nicht geteilt, aber geduldet hatte, schließlich wäre er eine gute Partie für sie gewesen. Natürlich ha er das Messer nach Trennung behalten, was sollte sie auch damit? Als die Gebissruine einen Schritt auf ihn zu macht, strömt ihm eine Welle unerträglichen Gestankes entgegen, doch er rührte sich nicht von der Stelle, denn wer oder was sich auch immer hinter ihm befindet, scheint vom selben Kaliber zu sein.
Kurz musste er an die Beretta in seinem Nachttisch denken.
Sie hat ein Kaliber von 9mm, doch da nutzen sie ihm jetzt wenig.
Wie zufällig macht er einen Schritt zur Seite, endlich hat er den zweiten Penner aus seinem Rücken. Es ist eine Frau, das weibliche Pedant zu der Gebissruine. Sie hat eine Haut wie Pergament und tiefe dunkle Ringe unter den überraschend schönen wasserblauen Augen. Sie ist nicht besonders groß und kräftig,
wirkt aber nicht weniger bedrohlich, denn er kann ihre Hände nicht sehen.
Sie stecken in den verdächtig ausgebeulten, übergroßen Taschen ihres schmierigen Mantels. Um Zeit zu gewinnen, stellt er ganz langsam seine lederne Businesstasche mit dem Zahlenschloss neben sich auf dem Boden ab.
Sie wird ihm sowieso nichts nützen.
Dummerweise hat er darin seine neuste Errungenschaft verstaut, brandneu,
noch nicht einmal ausgepackt, einen Schlagring aus Metall mit verstärktem Knöchelbereich und angebrachten Spitzen.
„Ein paar Groschen würden es auch tun, haben verdammt viel Pech gehabt in der letzten Zeit!“, schnieft da die Alte mit einem Blick auf die beiden Schlafsäcke, die zusammengeknüllt in einer Nische des Bahnsteiges liegen.
Es ist verdammt kalt hier unten, kalt wie in einer Gruft, wahrhaftig Endstation, schießt es ihm zynisch durch den Kopf, gefüllt mit Aggression und Hass ist kein Platz in ihm für Mitleid.
Endlich ertastet er den kalten harten Stahl seines Supermessers.
Die Alte zieht aus ihrer rechten Manteltasche eine zerlöcherte Wollmütze und stülpt sie umständlich auf ihr graues Haar.
Wie von selbst scheint das Messer in seine Hand zu gleiten.
Grelles, intervallartig aufblitzendes Licht und kreischende Bremsen dringen in sein Bewusstsein, jähes Ende einer todbringenden Symbiose.
Das kalte Antlitz nackter Gewalt blickt ihm für einen kurzen Moment aus der Fensterspiegelung des Bahnwaggons entgegen, bevor das Licht darin erlischt.