Er gehört zu mir

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fuuly

Mitglied
Es wird Zeit. Henk nestelt an seiner Krawatte herum, verflixt, er weiß nicht mehr wie der Knoten geht. Seine Frau kann ihm auch nicht helfen, sie muss selbst sehen wie sie in die viel zu eng gewordenen Feiertagsklamotten reinkommt. Die beiden müssen zu einer Taufe und haben den Sonntagmorgen, na sagen wir, etwas vertrödelt. Jetzt muss es schnell gehen, man will schließlich nicht in der Kirche erscheinen, wenn alle schon da sind und es womöglich schon angefangen hat. Da recken sie die Köpfe herum und können so missbilligend aus der Wäsche gucken, dass einem gerade mal das ohnehin nicht stark ausgeprägte Bedürfnis nach Gottesdienst noch mehr verleidet wird.
Dieses moderne Kirchengebaren ist schon lange nicht mehr nach Henks Geschmack. Ständig wird etwas Neues ausprobiert. Letztens hatten sie ein Pferd vorm Altar, na gut es war ein kleines Ponychen, aber also dennoch ein Pferd. Das sollte, wie man hörte, einen Esel darstellen, den sie umständehalber nicht auftreiben konnten und der den Einzug des Heilandes nach Jerusalem symbolisieren sollte. Die Zeiten wo man auch schon mal abschalten konnte auf der Kirchenbank oder ein kurzes, geruhsames Nickerchen nicht ausgeschlossen war, sind ehedem vorbei.
Die Taufzeremonie wurde vom Pfarrer mitten in den regulären Gottesdienst gelegt. Es hieß, so sei es in den frühen Gemeinden gewesen. Die Gemeinschaft sollte sich um den neuen Erdenbürger herum versammeln, der dann quäkend mit kaltem Wasser übergossen wird. Henk dachte aber, dass es dem Schlitzohr nur darum ginge, dann ein paar Zuhörer mehr an seiner langatmigen Predigt teilhaben zu lassen. Der jüngste Spross seines Bruders war also mit Taufkleid, umklammert von der Patentante, vor dem Altar aufgebaut, als auch die komplette Familie, Vater Mutter und die älteren Geschwister sich im Halbkreis herum aufstellten, um der kirchlichen Namensgebung beizuwohnen
Die Worte des Pfarrers, der gerade den Namen des Täuflings nennt, hallen durch den Raum: „…mein Sohn, ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein!“ — „Nein“, entfährt es dem dreijährigen Bruder, „der ist uns!“
 

ThomasQu

Mitglied
Hallo fuuly,

das Lob hast du dir ja schon bei flammarion abgeholt, vor mir gibt es Gemecker, zumindest ein bisschen. (-:

sie muss selbst sehen wie sie in die viel zu eng gewordenen Feiertagsklamotten reinkommt. Die beiden müssen zu einer Taufe und haben den Sonntagmorgen, na sagen wir, etwas vertrödelt. Jetzt muss es schnell gehen, …

Die Wortwiederholung!

Das kleine Ponychen ist doppelt gemoppelt und das aber also danach klingt sperrig.

Der jüngste Spross seines Bruders war also mit Taufkleid, umklammert von der Patentante, vor dem Altar aufgebaut, als auch die komplette Familie, Vater Mutter und die älteren Geschwister sich im Halbkreis herum aufstellten, um der kirchlichen Namensgebung beizuwohnen (Punkt)

Der Satz ist sehr lang, klingt irgendwie eckig und nicht so richtig stimmig.

Das war es schon.

Grüße, Th.
 

fuuly

Mitglied
Danke flammarion für den „Honig“. Das Schöne hier bei der Leselupe ist, ich bin ja erst ein paar Tage dabei, dass Menschen aus Fleisch und Blut die Texte lesen. Da kommt gewiss ein Algorithmus, wie anderswo nicht gegen an.
Thomas, deine kritischen Anmerkungen sind genau das, was ich brauche. Der Wechsel im Ausdruck sollte einem schon selbst ins Auge fallen, ehe man darauf gestoßen wird. Tja, und die langen Sätze sind leider eine Marotte gegen die ich ständig ankämpfe. Bleibt das Pferd. Irgendwie dachte ich an so ein Miniexemplar. Ich werde es umbauen.
Danke nochmal an euch, auch für die Bewertungen.
Grüße
Ulrich
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
ja

und wenn du dann schon mal beim überarbeiten bist, dann betrachte auch den satz, wo der säugling quäkend mit wasser bedacht wird. das liest sich hier nämlich so, als ob der pfarrer quäkt und nicht das kind.
lg
 

fuuly

Mitglied
Es wird Zeit. Henk nestelt an seiner Krawatte herum, verflixt, er weiß nicht mehr wie der Knoten geht. Seine Frau kann ihm auch nicht helfen. Sie muss selbst sehen wie sie in die viel zu eng gewordenen Feiertagsklamotten reinkommt. Die beiden sind eingeladen zu einer Taufe und haben den Sonntagmorgen, na sagen wir, etwas vertrödelt.
So rasen die Minuten jetzt unaufhaltsam dahin. Henk hasst es, in der Kirche zu erscheinen, wenn alle bereits da sind und es womöglich schon angefangen hat. Da recken sie die Köpfe herum und können so missbilligend aus der Wäsche gucken, dass einem gerade mal das ohnehin nicht stark ausgeprägte Bedürfnis nach Gottesdienst noch mehr verleidet wird.
Auch dieses moderne Kirchengebaren ist schon lange nicht mehr nach Henks Geschmack. Ständig wird etwas Neues ausprobiert. Letztens hatten sie ein Pferd vorm Altar, na gut es war ein kleines Pony, aber dennoch ein Pferd, auch wenn es von weitem eher einer Dänischen Dogge ähnelte. Das sollte, wie man hörte, einen Esel darstellen, den sie umständehalber nicht auftreiben konnten, um damit symbolisch den Einzug des Heilandes nach Jerusalem zu feiern. Die Zeiten wo man auf der Kirchenbank auch schon mal abschalten konnte oder ein kurzes, geruhsames Nickerchen nicht ausgeschlossen war, sind ehedem vorbei.
Die Taufzeremonie wurde vom Pfarrer mitten in den regulären Gottesdienst gelegt. Es hieß, so sei es in den frühen Gemeinden gewesen. Die Gemeinschaft sollte sich um den neuen Erdenbürger herum versammeln und teilhaben an der Zeremonie. Henk dachte aber, dass es dem Schlitzohr nur darum ginge, dann ein paar Zuhörer mehr an seiner langatmigen Predigt teilhaben zu lassen. Der jüngste Spross seines Bruders war also herausgeputzt im Taufkleid, umklammert von der Patentante, vor dem Altar aufgebaut. Daneben die komplette Familie, Vater, Mutter und die älteren Geschwister im Halbkreis herum aufgestellt, um der kirchlichen Namensgebung beizuwohnen.
Die Worte des Pfarrers, der gerade den Namen des Täuflings nennt, hallen durch den Raum: „…mein Sohn, ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein!“ — „Nein“, entfährt es dem dreijährigen Bruder, „der ist uns!“
 

jon

Mitglied
Teammitglied
Die Version vom 22.5. hat mir sprachlich sehr gut gefallen. Zzwschen
… an seiner langatmigen Predigt teilhaben zu lassen. ABSATZ! Der jüngste Spross seines Bruders war also herausgeputzt im Taufkleid, …
sollte meiner Meinung nach noch ein Absatz hin.

Und jetzt das "Aber": Die wirklich hübschen Betrachtungen zur "modernen Kirche“ haben mit dem (zwar spaßigen aber doch) simplen Kinder-Mund-Witz am Ende nichts, aber auch gar nichts zu tun.
 

fuuly

Mitglied
Danke jon, freut mich, dass dir der Text gefallen hat. Deine kritischen Anmerkungen sind mir sehr willkommen. Absätze, und wie schon an anderer Stelle erwähnt, die langen Sätze muss ich mehr beachten.
Was dein „Aber“ angeht, da wäre sicher eine Ergänzung nötig. Es kommt nicht klar heraus, denke ich, dass sich hier eine Großvater-Enkel-Ebene mit der jeweils unterschiedlichen Epoche gegenübersteht. Dem Protagonisten, der ja offensichtlich der „guten alten Zeit“ nachtrauert, wird bei dem Einwurf des Kindes schlagartig klar, dass seine eigene Kinderzeit auch eine Schattenseite hatte. Prügelstrafe und Schlagstock waren nicht abgeschafft, dazu die Androhung von martialischen Strafen, wenn sie in der Kirche nicht ruhig und still auf ihrem Platz saßen. Mich hat der Film „Freistatt“ neulich wieder einmal daran erinnert, was auch die ach so sanftmütige (evangelische) Kirche an Züchtigungsmethoden für Kinder und Jugendliche bereithielt. Der spontane Ausspruch des Kindes spiegelt die Freiheit und Offenheit einer anderen Zeit wider.
Ich versuch‘s mal mit einer Ergänzung und müsste dann auch das Wort Spross gegen Enkel austauschen.
Ergänzungstext
<<<Bei den Kirchenbesuchern sorgte der Zwischenruf für heiteres Gelächter und Henk musste sich eingestehen, auf den kleinen Burschen ein wenig stolz zu sein. Was die Kinder heutzutage doch so pfiffig sind. Das hätte er sich damals mal getrauen sollen, einer Respektsperson zu widersprechen. Da saßen sie kleinlaut und verdruckst auf ihren Bänken. Es gab die Prügelstrafe noch und reichlich martialische Drohungen, sollten sie nicht fügsam sein. Verzagt schaute er damals nach dem Christus, wie der, von Nägeln durchbohrt, am Kreuz hing. Der Pfarrer würde gewiss auch die frechen Kinder an die Wand nageln.
So wuchsen sie heran und wurden zu braven Duckmäusern und angepassten Untertanen.
„Die Zeiten haben sich geändert“, murmelt Henk, „und das ist besser so.“ Seine Frau mustert ihn von der Seite: „Was grummelst du da?“ „Ich hoffe, sie haben nachher Schweinebraten“, antwortet er leise.>>>
 

jon

Mitglied
Teammitglied
@fuuly
Verstehe … Ja, dann würde die Fortfürhung passen.
(Hinweis: Absätze in Dialogen beachten! – Grob gesagt: Wenn der Redner wechselt, einen Absatz machen!)
 

fuuly

Mitglied
Er gehört zu mir!
Es wird Zeit. Henk nestelt an seiner Krawatte herum, verflixt, er weiß nicht mehr wie der Knoten geht. Seine Frau kann ihm auch nicht helfen. Sie muss selbst sehen wie sie in die viel zu eng gewordenen Feiertagsklamotten reinkommt. Die beiden sind eingeladen zu einer Taufe und haben den Sonntagmorgen, na sagen wir, etwas vertrödelt.
So rasen die Minuten jetzt unaufhaltsam dahin. Henk hasst es, in der Kirche zu erscheinen, wenn alle bereits da sind und es womöglich schon angefangen hat. Da recken sie die Köpfe herum und können so missbilligend aus der Wäsche gucken, dass einem gerade mal das ohnehin nicht stark ausgeprägte Bedürfnis nach Gottesdienst noch mehr verleidet wird.
Auch dieses moderne Kirchengebaren ist schon lange nicht mehr nach Henks Geschmack. Ständig wird etwas Neues ausprobiert. Letztens hatten sie ein Pferd vorm Altar, na gut es war ein kleines Pony, aber dennoch ein Pferd, auch wenn es von weitem eher einer Dänischen Dogge ähnelte. Das sollte, wie man hörte, einen Esel darstellen, den sie umständehalber nicht auftreiben konnten, um damit symbolisch den Einzug des Heilandes nach Jerusalem zu feiern. Die Zeiten wo man auf der Kirchenbank auch schon mal abschalten konnte oder ein kurzes, geruhsames Nickerchen nicht ausgeschlossen war, sind ehedem vorbei.
Die Taufzeremonie wurde vom Pfarrer mitten in den regulären Gottesdienst gelegt. Es hieß, so sei es in den frühen Gemeinden gewesen. Die Gemeinschaft sollte sich um den neuen Erdenbürger herum versammeln und teilhaben an der Zeremonie. Henk dachte aber, dass es dem Schlitzohr nur darum ginge, dann ein paar Zuhörer mehr an seiner langatmigen Predigt teilhaben zu lassen. Der jüngste Enkel seines Bruders war also herausgeputzt im Taufkleid, umklammert von der Patentante, vor dem Altar aufgebaut. Daneben die komplette Familie, Vater, Mutter und die älteren Geschwister im Halbkreis herum aufgestellt, um der kirchlichen Namensgebung beizuwohnen.
Die Worte des Pfarrers, der gerade den Namen des Täuflings nennt, hallen durch den Raum: „…mein Sohn, ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein!“ —
„Nein“, entfährt es dem dreijährigen Bruder, „der ist uns!“
Bei den Kirchenbesuchern sorgte der Zwischenruf für heiteres Gelächter und Henk musste sich eingestehen, auf den kleinen Burschen ein wenig stolz zu sein. Was die Kinder heutzutage doch so pfiffig sind. Das hätte er sich damals mal getrauen sollen, einer Respektsperson zu widersprechen. Da saßen sie kleinlaut und verdruckst auf ihren Bänken. Es gab die Prügelstrafe noch und reichlich martialische Drohungen, sollten sie nicht fügsam sein. Verzagt schaute er damals nach dem Christus, wie der, von Nägeln durchbohrt, am Kreuz hing. Der Pfarrer würde gewiss auch die frechen Kinder an die Wand nageln.
So wuchsen sie heran und wurden zu braven Duckmäusern und angepassten Untertanen.
„Die Zeiten haben sich geändert“, murmelt Henk, „und das ist besser so.“ Seine Frau mustert ihn von der Seite:
„Was grummelst du da?“
„Ich hoffe, sie haben nachher Schweinebraten“, antwortet er leise.
 



 
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