Erste Einladung - Feuertaufe

Erste Einladung - Feuertaufe

Gauben Se nich, dat man mich als frischgebackenen Jäger zwischenzeitlich ma auf ne Einzel- oder Gesellschaftsjagd eingeladen hätte. Beziehungen waren scheinbar doch allet. Ich hab an kein Wunder mehr geglaubt. Bis Anfang Oktober tat sich nix.
Freitagabend kam ich müde vonne Maloche, da überreichte mir Berta ne Karte. Vorne drauf war en tollet, winterlichet Jagdmotiv abgedruckt. Meine Müdigkeit war mit einem Schlag verflogen!
Hatte doch endlich jemand Erbarmen mit mir armen – mit Jungjäger Willi Püttmann?
Herrlich, mein Kunde, der Jagdpächter Kuhlenkamp, der gute Mann, hatte mich nich vergessen. Nee, wie aufmerksam von ihm. Seine Einladung erlöste mich von all meinen quälenden Gedanken. Ich verschlang neugierig die Zeilen:
„Lieber Püttmann, letztes Jahr vortrefflich getrieben, brauche Sie wieder dringend als Treiber. 3. November, Hubertusjagd ...“ Ich las wohl nich richtig! „So eine Schei...!
Berta, dat iss ne Einladung als Treiber! Dat iss ja un-glaub-lich! Ich soll da wieder nur als Treiber über die matschigen Felder ackern. Hat sich denn die ganze Jagdwelt gegen mich verchworen? Wieso hatte sich dat mit meiner bestanden Jägerprüfung noch nich in Nordrhein-Westfalen rumgesprochen? Die Prüflinge, die bestanden hatten, standen doch alle dick mit Bild und Namen inne Tageszeitung drin. Meine Zeit noch ma, dat konnte doch jeder im Ruhrgebiet lesen! So wat Wichtiget überliest man doch nich!“ Et gibt Tage, da wärsse besser morgens im Bett geblieben.
Berta, die Oberschlaue, konnte sich wieder ma dat Sticheln nich verkneifen:
„Ja, wenn man nich selbst inne Pötte kommt und son bissken aktiv dafür sorgt, dat man als Jäger bekannt wird und sich auch nich ernsthaft irgendwo um einen Begehungsschein bemüht, wird Herr Püttmann wohl immer nur am Däumchen lutschen.“ Ich wetzte mein Gewaff.
„Berta, mach mich bloß nich fuchtig!“ Ich war geladen. Anstatt die Weiber in so harten Phasen eines Mannes Ruhe geben, machen se dich noch an! Die lernen nie dazu! Nie!

Nein, ich ließ den Kopp nich hängen. Den Jagdpächter Kuhlenkamp rief ich an und bedankte mich im Laufe des Gesprächs mindestens dreimal für die Einladung. Nix hab ich ihm von meiner bestandenen Jägerprüfung erzählt. Ich wollte mir auf keinen Fall in letzter Minute ne Abfuhr einhandeln. Vielleicht hatte er bereits genügend Schützen und brauchte nur noch pflichtbewusste dornenresistente, gnadenlose Treiber. Die Hauptsache war doch, dat ich überhaupt wieder ma bei ner Jagd gefragt war. Egal, ob als Jäger oder Treiber. Ja, man wird mit der Zeit demütig, bescheiden und dankbar.

Am Vorabend von Hubertus packte ich äußerst penibel meinen Jagdrucksack, putzte den Drilling, legte meine Jagdklamotten parat und ging früh inne Kiste.
Am nächsten Tag war ich schon um Fünf auf den Läufen, überprüfte noch zweimal den Flüsterrucksack auf Vollständigkeit und düste diesmal ganz bewusst mit ner Taxe zum Treff. Zur Gaststätte „Fuchsbau“.
Ich stieg aus dem Wagen, hievte den schweren Rucksack auf den Rücken, schulterte den Drilling und marschierte zum Jagdpächter.
Der schrie schon von weitem:
„Püttmann, wie sehen Sie denn aus? Wie son richtiger Waidmann, wollen sie mich aufn Arm nehmen, oder haben Sie wirklich die Jägerprüfung abgelegt?“
„Waidmannsheil, so isset, Herr Kuhlenkamp, und Waidmannsdank für Ihre freundliche Einladung. Ich gehe auch selbstverständlich gerne als Treiber mit durch die Büsche.“
Dann überreichte ich ihm als Gastgeschenk ein kleinet Ölgemälde vom Heiligen Hubertus. Dat Bild lag jahrelang bei unser Oma aufm Dachboden. Dat Motiv fand ich immer son bissken kitschig. Hoffentlich war dat kein echter van Portvliet oder Rembrandt, dat hatte ich inne Eile nich überprüft.
Kuhlenkamp kloppte mir wie verrückt aufe Schultern, freute sich riesig, nahm mich in den Arm und brüllte über den Hof:
„Hee, alle ma herkommen, der Püttmann hat die Jägerprüfung im Rucksack! Waidmannsheil, lieber Wilhelm Püttmann, willkommen inne Jägerschaft. Schon ma wat geschossen, Püttmann?“
„Nee, Herr Kuhlenkamp, dat iss meine erste Einladung, zwar als Treiber, aber immerhin ...“
Kuhlenkamp ließ mich nicht ausreden:
„Heute Feuertaufe, Püttmann, Sie gehen als Durchgehschütze mit durch dat erste Treiben.
Beim zweiten und dritten Treiben werden Sie als Schütze angestellt.
Sie schießen bei mir ihr erstet Stück Schalenwild, iss dat klar?“
„Jau“, sachte ich, „wenn mir Hubertus dat gnädig gewähren tut, bin ich dabei, Waidmannsdank.“
Ich kannte die meisten Treiber und Schützen noch vom letzten Jahr. Die Treiber nannten mich „Treiberverräter“, gratulierten mir aber trotzdem zur bestandenen Jägerprüfung.
Mein lieber Freund Adolf war auch wieder mit vonne Partie und führte als Duchgehschütze die Treiberwehr. Dat ließ er sich als ehemaliger Obertreiber nich nehmen.

Diana, meine liebestolle Heilerin vonne letzten Treibjagd, erspähte mich und hatte mich sofort beim Wickel. Sie knutschte mich freudig ab und freute sich wahnsinnig über meine bestandene Jägerprüfung. Sie wich nich mehr von meiner Seite. Dat war mir eigentlich son bissken peinlich, aber wat sollte ich denn machen? Außerdem hasse ja son Glück nich alle Tage. Also genoss ich ihre Reize und betörenden Worte und wehrte mich nich. Dat wäre übrigens auch sehr unhöflich gewesen!
Dann erblickte mich mein Freund, der betagte Baron Hannibal.
„Wilhelm, was hören meine alten Lauscher, Jägerprüfung inne Tasche? Waidmannsheil mein Lieber. Wilhelm, du bist ein Kerl so recht nach meinem Herzen. Du begleitest mich in zwei Wochen ins Wittgensteiner Land und in die Eifel – auf Rotwild und Sauen. Bin nicht mehr gut auf den Läufen, benötige ab fünf Kilo Beute fremde Hilfe.“
Dann äugte er auf meine Waffe.
„Potz Blitz, was sehen meine trüben Lichter, außergewöhnlich formidabler Drilling, heute unbezahlbar. Vorkriegsdrilling, deutsche Wertarbeit, kolossal, kolossal. Sicher Erbstück?“

In meinem Kopp drehte sich allet, ich schnallte diese plötzliche Wendung zu meinem Jagdglück immer noch nich. Ich stammelte: „Waidmannsdank, Hanniball, ich komme gerne mit.“
Dann begann die Treibjagd. Dat Wetter spielte mit, die Stimmung und die Organisation waren bestens. Wir erlebten einen tollen Jagdtag.
Meine persönliche Strecke haute mich fast um! Nee, nee, nich wie Sie jetz denken! Im ersten Treiben als Durchgehschütze hatte ich überhaupt keinen Anblick. Im zweiten Treiben verfehlte ich ein Karnickel und überschoss auch noch en Fuchs, verdorri noch ma!
Im dritten Treiben ballerte ich kurz vor dem Abblasen der Jagd noch zwei Löcher inne Luft, Ringeltaube verfehlt! Ich wurde fast verrückt. Vor Scham wäre ich am liebsten inne Erde versunken.

Beim ersten Einsatz als Jäger hatte ich so ein verdammtet Pech, versagte beim Schießen total, und wurde deshalb auch leider nicht Anwärter auf den Titel „Jagdkönig“.
Willi Püttmann, kein Jagdkönig! Einfach nich zu fassen! Ich fühlte mich elend, wat sollte der Jagdpächter und die süße Diana nur von mir denken?
Um meine Wut über die miesen Schießkünste abzureagieren, legte ich mich noch ma richtig int Zeug.
Ich half den Treibern beim Aufbrechen der geschossenen Tiere, schmückte mit Eichenzweigen den Streckenplatz, legte brauchtumsgerecht die Strecke, brach Schützenbrüche, kümmerte mich um die Fackeln und schleppte Holz für dat wärmende Feuerchen.
Man beobachtete mich sehr genau und lobte meinen Einsatz. Ein Jagdpächter aus Schleswig-Holstein drückte mir mit ein paar netten Worten seine Visitenkarten inne Hand.
Ich möge mich bei ihm melden. Etliche Treib- und Drückjagden stünden bis Januar an. Ich würde dort gebraucht.
Meiner Berta musste ich jetz unbedingt von den Einladungen berichten. Ich hielt dat nich mehr aus. Ich rief sie völlig aufgewühlt an.
„Berta, mein Mauseschwänzchen, wat meinze, wat hier los iss? Dein Williken wäre fast Jagdkönig geworden, et waren da allerdings en paar Schützen, die noch besser geschossen haben als ich.“
Ich wollte und konnte ihr einfach nich beichten, dat ihr stolzer Platzhirsch nur ein armseliger Schlumpschütze war.
Ich erzählte ihr sehr ausführlich vonne Jagdstrecke und dem tollen Empfang.
„Berta, stell dir ma vor, ich hab schon zwei Einladungen, sogar auf Hoch- und Niederwild in ganz Deutschland. Einladungen über Einladungen. Ich fass et nich!“
Berta hörte sich dat allet ruhig an, sie gönnte mir mein Glück, da war ich mir fast sicher.
Leider konnte sie et in den Stunden meiner höchsten Seligkeit wieder nich lassen, mich zu ermahnen:
„Willi, Waidmannsheil, dat iss ja allet gut und schön, aber denk daran, dasse auch noch ne Familie hass und Verantwortung für deine Klempnerbude. Wo willze denn die Zeit für deine Einladungen hernehmen, du biss noch nich auf Rente. Son Adeligen bisse auch nich, dasse jeden Tag aufe Jagd latschen kannz. Vernachlässige mich nich und dat Geschäft auch nich, sonst hau ich ab. Der Betrieb geht pleite, wenne immer nur jagdlich unterwegs biss. Meine Mutter hatte dich damals schon durchschaut und mich vor dir gewarnt. Und wat dat allet kosten tut! Ich darf gar nich dran denken, wat du heute wieder abdrücken muss. Und denk an deine Gesundheit, sauf nich so viel.“
Dat reichte! Mit der Frau werd ich noch ma verrückt. Glauben Se mir!
Ich knallte den Hörer auf. So, dat wolln wir doch ma sehn! Ich goss mir vor lauter Wut zwei Gläser Korn hinter die Binde. Berta bewies wieder ma ihr einzigartiget Talent, meine Gefühle von einer Sekunde zur anderen zu zerstören.
Die holde Diana hatte längst dat Gespräch richtig gedeutet, sah meine Leidensmiene und baute dat seelisch geknickte arme „Willilein“ ruck zuck wieder auf. Darin war sie einsame Spitze.
Wat hörte ich denn da vorne am Feuer? „Schnepfe gefunden!“
Förster N. hatte mit seinem Hund eine beschossene Waldschnepfe nachgesucht und gefunden. Eine Schnepfe sticht alle Kreaturen bei der Bestimmung des Jagdkönigs.
Ein gewisser Werner B. aus Wuppertal wurde mit dieser „Königin der Jagd“, der Schnepfe, Jagdkönig. Et war rührend, wie sich dieser Mann freute. Ich gönnte ihm dat wirklich von Herzen. Auch die Rechnung für die vielen königlichen Weihen. Zweihundertsiebzig Euro!

Nach meinem ersten Jagdeinsatz sah ich schmerzlich ein, dat ich noch verdammt viel lernen musste. Ich erkannte glasklar – Willi, Jäger bisse nach der Prüfung nur aufm Papier. Du biss noch längst kein richtiger Waidmann.
Mir fehlte der jagdliche Schliff. Ich war ein Stümper ohne jede praktische Jagderfahrung. Ich schwor mir: „Willi, bleib am Ball, irgendwann wirsse ma en guten Jäger!“
 



 
Oben Unten