Es ist alles super eitel oder: Gryphie goes Anathema.

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San Martin

Mitglied
Das Menschen-leben ist eyn Lidschlag in der Zeith
Je fester unser Griff / so schneller wird's entschwinden.
Wir sind nur Schattenspihl / die Träume eynes Blinden /
eyn schwaches Kertzenlicht in der Unendlichkeith

Es blühn uns außer Schmertz nur Noth vnd grimmes Leyd
anstatt Unsterblichkeidt solln wir nur Elend finden
Was nutzt es darob dann / sich leblang hart zu schinden /
hält uns der Knochenmann das Todtenkleid bereit?

Das Aug, das itzund blitzt / ist bald eyn Fraß der Raben
Wer itzund sie verscheucht / wird sie am Ende laben /
Diß ist das Urgesetz vnd immerwährnde Regel

Es ist eyn Narr / wer denckt / er sey in seynem Boot
allzeit der Steuermann / das Ruder hält der Tod.
Eyn kalter Wind kommt auff / vnd bläht die bleichen Segel.

***

Anmerkung: das obige Sonett basiert auf dem Lied "Shroud of False" ( http://www.darklyrics.com/lyrics/anathema/alternative4.html) der Musikgruppe Anathema. Es wird die Bombastform und die verhunzte Orthographie des Andreas Gryphius parodiert. Ansonsten: Vanitas! Vanitatum Vanitas!
 
S

Sandra

Gast
Hallo San Martin

Beeindruckend, auch ohne erklärende Anmerkung hat mich dein Gedicht sehr schnell in seinen Bann gezogen.
Teils am Rande des "Richtig" (itz= das veraltete jetzt), dann konsequent, regelmäßig falsch, wobei jedoch durch die falsche Rechtschreibung das Auge (wie bei vnd) oder die Betonung (wie bei Unendlichkeith) auf eine schöne Art hervorgehoben u. überzeichnet wird.

Das Sonett vom Inhalt - sehr gelungen (ich konnte den Zeilen einiges abgewinnen und sehe das Gedicht nicht unbedingt in Humor) - stolperte ich jedoch über eine Silbe hier:

sich leblang [strike]hart[/strike] zu schinden /

Lies es mal ohne, es liest sich flüssiger.

Kleinigkeit: Steuermann statt Steuersmann??

Sehr gelungen und gerne gelesen!!
LG
Sandra
 

Vera-Lena

Mitglied
Hallo San Martin,

das klingt für mich inhaltlich dann doch eher philosophisch, und die übernommene Sprache des Gryphius wirkt auf mich nicht irgendwie komisch.

Das "hart" muss für mein Gefühl drin bleiben, damit die 12 Silben stimmen.

(Hier klicken) funktioniert leider nicht, deshalb kann ich mir das Original nicht anschauen.

Es wirkt auf mich gar nicht wie eine Parodie, deshalb bin ich jetzt ein wenig ratlos.

Es gefällt mir gut, so wie es da steht.

Liebe Grüße von Vera-Lena
 

Vera-Lena

Mitglied
Hallo San Martin,

jetzt habe ich den ursprünglichen Text gefunden:"Es ist alles eitel" von Gryphius.

Ich finde Du hast das gut nachempfunden, wenn das jetzt Dein Werk ist, und Du für die genannte Gruppe diesen Text geschrieben hast.

Alle Achtung!
Vera-Lena
 

MarenS

Mitglied
...gut gemacht...schön überspitzt. Ein schönes Sonett, ziemlich klassisch.

Das "hart" ist zwingend notwendig...sonst stimmt die Silbenzahl nicht...und es spricht sich mit "Loch"!

Durchaus sehr erfreulich....lächel

Grüße von MarenS
 

San Martin

Mitglied
Huch, ich bin offiziell überrascht von diesem Zuspruch. Heißt das Forum "Humor und Satire", weil auch die Kommentare satirisch gemeint sind? ;) Erst einmal danke für die lieben Kommentare; damit hätte ich überhaupt nicht gerechnet. Schließlich ist das Sonett eine Parodie auf Gryphius' Zentnerwörter und seine Vanitas-Gedanken.

@Sandra: Das "hart" ist in der Tat unerlässlich für den Alexandriner, und Gryphie, der alte Formfanatiker, hätte nicht die Form verletzt, wenn nicht unbedingt nötig UND aus tieferen Motiven beabsichtigt. ;)
Das "Steuersmann" war wohl übertrieben. Ich werde es nach deinem Vorschlag ersetzen, danke.

@Vera-Lena: Wir haben uns missverstanden. Zur Entstehungsgeschichte, etwas weiter ausgeholt: Hier ( http://www.darklyrics.com/lyrics/anathema/alternative4.html, "Shroud of False" ) findet sich der Text des Liedes, das mich schon immer an Gryphius erinnert hat. Und da es noch dazu das (pianolastige, wunderschöne) Intro zum Lieblingsalbum meiner Lieblingsmetalband (Anathema) ist (für die ich gern Texte schreiben würde, aber es natürlich nie getan habe ;)), habe ich es in einem deutschen Gedicht verarbeitet, das ich inzwischen auf der Leselupe veröffentlicht habe:

http://www.leselupe.de/lw/showthread.php?threadid=63429

U.a. dadurch bekam ich die Idee, ein Gryphiussonett zu schreiben, welches so klingt, als wäre Gryphie ein Anathema-Fan gewesen. :)
 

Willibald

Mitglied
U.a. dadurch bekam ich die Idee, ein Gryphiussonett zu schreiben, welches so klingt, als wäre Gryphie ein Anathema-Fan gewesen
.

Tja, das Gryphius-Gedicht der Vanitas-Eitelkeit hat nur ganz am Schluss einen klagenden Aufschwung in so etwas wie Transzendenz, den Trosthimmel christlicher Überzeugung:

Es ist alles eitel (1634)

Du siehst / wohin du siehst nur Eitelkeit auf Erden.
Was dieser heute baut / reisst jener morgen ein:
Wo ietzund Städte stehn / wird eine Wiese seyn /
Auf der ein Schäfers-Kind wird spielen mit den Herden.

Was ietzund prächtig blüht / soll bald zertreten werden.
Was jetzt so pocht und trotzt ist morgen Asch und Bein.
Nichts ist / das ewig sey / kein Ertz / kein Marmorstein.
Jetzt lacht das Glück uns an/ bald donnern die Beschwerden.

Der hohen Thaten Ruhm muß wie ein Traum vergehn.
Soll denn das Spiel der Zeit / der leichte Mensch bestehn?
Ach! Was ist alles dies / was wir für köstlich achten /

Als schlechte Nichtigkeit / als Schatten / Staub und Wind;
Als eine Wiesen-Blum / die man nicht wieder findt.
[blue]Noch will was Ewig ist kein einzig Mensch betrachten.[/blue]

Das hier bleibt ganz in der Vanitas-Verzweiflung stecken, also wäre der Anathema-Gryphius-Griffel-Schreiber nicht unbedingt ein Parodist
des Andreas Gryphius gewesen. Oder?

Andreas Gryphius
Menschliches Elende


Was sind wir Menschen doch! Ein Wohnhaus grimmer Schmerzen.
Ein Ball des falschen Glücks, ein Irrlicht dieser Zeit,
Ein Schauplatz herber Angst, besetzt mit scharfem Leid.
Ein bald verschmelzter Schnee und abgebrannte Kerzen.

Dies Leben fleucht davon wie ein Geschwätz und Scherzen.
Die vor uns abgelegt des schwachen Leibes Kleid
Und in das Totenbuch der großen Sterblichkeit
Längst eingeschrieben sind, sind uns aus Sinn und Herzen.

Gleich wie ein eitel Traum leicht aus der Acht hinfällt
Und wie ein Strom verscheußt, den keine Macht aufhält,
So muß auch unser Nam, Lob, Ehr und Ruhm verschwinden.

Was itzund Atem holt, muß mit der Luft entfliehn;
Was nach uns kommen wird, wird uns ins Grab nachziehn.
Was sag ich? wir vergehn, wie Rauch von starken Winden.

(1637)

http://www.mymetrosphere.com/images/4D/Yeon_Choi.gif
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Wenn es schon aus dem Grab hervorgeholt wird (aufgeweckt? Ostern? Auferstehung?), oder ist es - wie heißt das noch in den Krimis, wenn sie eine Leiche evozieren, ja, das ist dann eine Obduktion oder dient dazu usw. - dann muß es eigentlich auf den Nachbarfriedhof umziehen: auf oder unter den Grabsteinhaufen die Festen Formen.

Jetzt müßte man natürlich schauen, ob da originale Gryphius-Zeilen verwurstet worden sind, oder ob es eine Travestie ist, oder ob es völlig neu, nur im Schreibstil des Barock usw.

So gesehen, ein tolles Stück. Wäre am richtigen Ort ein pfundiges Gegengewicht zu den ewigen Limericks.
 

Willibald

Mitglied
Nun denn, unter Fachsimplern:

Wir sind uns vermutlich einig, dass Parodie nicht unbedingt den verspottenden, komisierenden Texttypus zur Behandlung eines Originaltextes/Prätextes meinen muss.

Die Vorsilbe "para" bedeutet - das ist hier hilfreich - nicht nur "gegen", sondern auch "neben", so dass es nicht nur um eine spöttische (An-)Verwandlung gehen muss. Vielmehr ist auch zu prüfen, ob eine "parodia in honore" vorliegt. Oder die oft leicht humoristisch gefärbte Schreibweise, in der sich postmoderne Literatur gerne die Zeit vertreibt.

Das hiesige parodistische Gedicht hebt sprachlich auf die barocke Syntax, Semantik, Metrik ab. Wie ein Vergleich mit dem selbstgenannten Referenztext ("Es ist alles eitel") oder mit "Menschliches Elende" zeigt, ist dieses poetische Inventar erkennbar durchgespielt.

Was dem Autor vielleicht nur bedingt klar ist. Bei Gryphius finden sich Sonette, die allenfalls implizit aus der "memento-mori"-Botschaft auf eine Transzendenz-Welt als eigentlicher Wertewelt verweisen und entsprechend kaum die explizite Botschaft von zu empfehlender Transzendenzorientierung und Triebaskese präsentieren. So ist denn der parodierende Text mit dem "Tod am Steuerruder" auf einer Fahrt-Linie mit der verzweifelten Weltbeschreibung in "Menschliches Elende".

Übrigens, der Spaßvogel in Barockgedichten samt seiner Lust zu spielerischem Umgang mit ästhetischen Normen erhebt sich recht fröhlich aus der Gruft, eine ars moriendi und scribendi und delectandi honoriger Art. Der Sohn von Andreas Gryphius habe das Wort und der G.G. der Telgte-Treffen habe Spaß, wo immer er vielleicht mitliest:

Ungereimtes Sonnett

Ob gleich Cloridalis auf ihre Marmor-Kugeln,
Die, wie ein ieder sagt, der Himmel selbst gewölbt,
Und auf ihr Angesicht, das Sternen gleichet, trozt,
Ob schon, wie sie vermeynt, des Paris goldner Apfel

Vor sie allein gemacht, ob gleich viel altes Silber
In ihrem Kasten ruht, doch ists ein eitler Wurf,
Den sie nach mir gethan; ich bin gleichwie ein Felß,
Und lieb ein kluges Buch mehr als der Venus Gürtel.

Die Liebe reimet sich so wenig mit Minerven,
Als eine Sterbe-Kunst zu Karten und zu Würffeln,
Das Braut-Bett in die Gruft, Schalmeyen zu der Orgel,

Ein Mägdchen und ein Greiß, als Pferde zu den Eseln,
Als Meßing zum Smaragd, als Rosen zu den Disteln,
Als diese Verse selbst, ja fast noch weniger.

https://www.welt.de/img/kultur/literarischewelt/mobile139463772/1792508577-ci102l-w1024/ONLINE-2.jpg

https://www.leselupe.de/lw/titel-loved---short-story-55593.htm
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
kleiner Scherz: "Es ist alles super" ist das Lied im Legomovie.
 

Willibald

Mitglied
Jou, jou, "Hier ist alles super"

und San Martin hat diesen Titel gewählt:

Es ist alles super eitel oder: Gryphie goes Anathema.

Bodenständige Grüße nach Görlitz fern von Legoland
 

Willibald

Mitglied
Ba-Rock, Purpur-Rock

Galle und Wermut

Ba-Rock, Purpur-Rock

Komm Mißgunst/ setze dich auff deinen Schlangen-Thron/
Bring alle Furien aus Platons Sitz zusammen/
Spey Nebel/ Rauch und Dampff und ungeheure Flammen
Mit Gall und Wermut aus. Verknüpffe Schimpff und Hohn.
Schütt' auff den Purpur-Rock der Musen Gifft und Geiffer/
Bedränge den Parnaß/ und greiff den Lorber-Hayn
Des schönen Helicons mit den verwegnen Schaaren
Der frechen Thorheit an. Was Kunst und Witz bewahren/
Das wird vor dieser Wutt mehr als zu sicher seyn.


Zeitzeuge Hans Aßmann Freiherr von Abschatz, (* 4. Februar 1646 in Breslau; † 22. April 1699 in Liegnitz).
Seine Güter: Wirrwitz, Lederhose, Zobel, Petschkendorf, Ober-Bärschdorf und Nieder-Göllschau.

https://blogdot955dreamsdotcom.files.wordpress.com/2012/11/barock_ill_final_neck_tattoo.jpg
 



 
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