Es war sein Wunsch 4

4

Als Lu wieder zuhause ankam, fühlte er sich gut. Es kam ihm ewig lang vor, mit jemandem gesprochen zu haben, der mehr Erfahrungen im Leben gesammelt hatte, als irgendwelche degenerierten Punker oder sich dumm gesoffene Rocker, die nun den Großteil seiner Band, seines Publikums und seiner Umgebung ausmachten.
Lus Kontaktfreudigkeit hielt sich in Grenzen, er war immer ein wenig schüchtern, wenn es um das Kennenlernen neuer Menschen ging. Und auch war ein Grund für seine eher eingeschränkte Kontaktfreudigkeit, das einfach nervige Phänomen "Kontakt-Pflege".
Wieso sollte er schon wöchentlich mit einer neu kennengelernten Person in Kontakt treten, geschweige denn, jeden Tag? Um über seinen Einkauf beim Supermarkt zu reden, oder was gerade gekocht wird? Nein das war ihm entschieden zu viel technischer Aufwand für viel zu wenig faktischen Informationsaustausch.
Außerdem waren ihm diejenigen Menschen ein viel zu großer Dorn im Auge, welche sich darüber aufregten, dass man sich nicht melde, was ihn dazu motivierte, diese Menschen mit noch mehr Elan zu ignorieren und links liegen zu lassen.
Jedenfalls hatte ihn das ausnahmweise anspruchsvolle Gespräch mit dem bärtigen Mann, der sich ihm anschließend mit dem Namen Robert vorgestellt hatte, optimistisch gestimmt.
Er erklomm leichtfüßig die wenigen Stufen bis zur zweiten Etage des Studentenwohnheimes, öffnete die Tür zu seiner karg eingerichteten 1-Zimmer-Wohnung und ließ den Blick kurz über die dürftig verteilten Möbel huschen.
Ein Tisch, ein Stuhl, ein Bett.
Mehr war nicht da. Die Einbauküche, die direkt neben der Zimmertür lag, war noch nicht mal eine Erwähnung wert und Lu suchte das Gefühl der Rastlosigkeit heim.
Er wollte nicht hier sein.
Schon der Anblick seines Zimmers stimmte ihn zumeist traurig, aber am heutige Tag wurde es ihm auf eine unangenehme Art und Weise bewusst, die ihn schon fast hastig seine Beine in die Hände nehmen ließ und ihn zu einer recht übereilten Flucht vor der Isolation seiner Wohnung verleitete.
Erst als er im Laufschritt, Hals über Kopf aus der gewaltsam aufgestoßenen Haustür trat, ließ ihn das schleichende Gefühl der Einsamkeit wieder aufatmen.

"Ich bin allein.." hörte er sich mit veränderter Stimme murmeln.
Langsam gewann Lu wieder die Kontrolle über seinen Körper zurück und betastete hastig sein Gesicht, um die Träne fortzuwischen, die sich aus seinen, normalerweise sehr wein-festen, Augen gequetscht hatte. Er war verwundert. Einen Gefühlsausbruch, der ihn schier panisch weglaufen ließ, hatte er noch nicht gehabt. Als Kleinkind war er oft verschreckt gewesen und ist dann laut schreiend weggelaufen, aber er war doch kein kleines Kind mehr!
Planlos verharrte er in der auf ihn herunterscheinenden Mittagssonne und betrachtete gedankenverloren die vorbeifahrenden Autos. Als er sich wieder langsam in Bewegung setzen wollte, hatte er noch immer nicht den blassesten Schimmer, was er tun sollte. Nach einer Weile des Überlegens entschied er sich einfach dazu, in die erstbeste Richtung zu laufen, damit er nicht so hindernishaft auf dem Gehweg stand.
Während er den Boden vor sich betrachtete, welcher immer wieder unter seinen gehenden Füßen verschwand, erinnerte er sich vage an das bärtige, wettergegerbte Gesicht von Robert, welches seinen Kopf mit einem schallenden Lachen erfüllte. Es hörte sich dumpf und spöttisch an und Lu schüttelte seinen Kopf, um das riesige haarige Gesicht aus seinem Kopf zu verscheuchen.
Als er aufblickte, stand ein Supermarkt vor ihm. Verwirrt schaute Lu in das Schaufenster hinein und erkannte zu seiner Überraschung eine Flasche mit dunklem Rum vor seiner Nase stehen, unter dem ein Schild mit der Aufschrift "Sonderangebot!" prangte.
"Es muss wohl sein.." murmelte Lu mit resignierender Stimme und ging in den Supermarkt hinein, um sein letztes Kleingeld in sehr billigen Alkoholfusel zu investieren.
Kaum war er wieder an der frischen Luft, ließ er den Aufschluss der Flasche knacken und flößte sich einen ordentlichen Schluck Rum ein. Er spürte den Alkohol langsam seine Kehle herunterfließen und Lu erschauderte, als sich die Wärme in seinem Bauch verbreitete.
Er erinnerte sich, dass seine bisher einzig eingenommenen Mahlzeiten geschätzte 100 mg Nikotin gegen den Hunger und ein Cappuccino mit Rum gewesen waren. Im Stillen mahnte er sich, es nicht zu übertreiben, aber die piepsige Stimme der Vernunft verstummte alsbald und machte dem unvermeintlichen Gedanken an einen Kaffeecocktail platz, dessen schlechter Geschmack sich, auf eine vertraute Art, in seinem Mund eingenistet hatte.
Zumindest hatte er jetzt einen Zielort, den er anpeilen konnte, dachte sich Lu innerlich und machte sich gemählich daran, in Richtung des Kaffees zu starksen, in dem ihm dieser schmackhaft unschmackhafte Cappuccino serviert worden war und in der kleinen aufkommenden Hoffnung, Robert zufällig dort anzutreffen.
 



 
Oben Unten