Falscher Aal grün

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unica

Mitglied
Erst wollte er es nicht wahrhaben. Aber in letzter Zeit fühlte er sich hundsmiserabel. Wie permanent durch die Schlafmangel gedreht. Er saß nicht mehr so fest im Sattel seit na ja etwa letzten Februar. Liebte seine Frau nicht mehr abgöttisch. Der Reiz der Zweisamkeit nutzte sich ab. Wo blieben die nackten Nächte? Bei Musik am Morgen träumte er vom Schlussstrich und mehreren Affären gleichzeitig. Verschmähte nicht mehr die zarten Profile seiner jungen Kolleginnen. Wollte einfach mal eine nehmen so zwischendurch. Dazwischen funkten die häuslichen Kleinkriege. Handgreiflichkeiten im Kaffeesatz. Gehässigkeiten zur Nacht. Liebestöter. Killing me softly. Er bemerkte kleine Macken an seiner Frau, die ihm arg zusetzten. Zum Beispiel dieser Grünfimmel. Immer Basilikum und Dill auf dem Küchenfensterbrett und Suppengrün im Kühlschrank. Das Haarshampoo im Bad richtet sich nach dem Olivgrünton der Fliesen. Der Füllfederhalter mit grünen Patronen, die grüne Brause, das Waldmeistergelee und selbst gemalte grüne Bilder.
Oh je.
In der Waschanlage, im Tunnel der Reinigungsbürsten schwante ihm plötzlich was nicht mehr so richtig lief in seinem Leben. Der Verlust seiner Selbstdistanz. Seine Urteilskraft. Alles wirkte nicht mehr richtig. Er unterschied die Bekloppten nicht mehr von den Normalen, Stephen King nicht mehr von Salman Rushdie, Grün nicht mehr von Blau, das Paradies nicht mehr vom letzten Dreck. Auf sein Äußeres achtete er überhaupt nicht mehr, obwohl es seine Position als Galerist mit glatt zurück gekämmten Haaren und dem treffsicheren T-shirt erforderte. Er ignorierte die Schlafkörnchen in seiner Lidspalte. Um gegen seine Erkenntnis der Autowaschstraße anzugehen, erstellte er in seinem Filofax Listen mit gut und böse, links und rechts, heiß und kalt und so weiter. Über bunte Farben hinwegzukommen war zumindest ein Versuch. Wie das Schreiben. Das einzige Drehmoment seiner stillen Minuten. Aber ohne Erfolg. An den Buchstaben hangelte er sich voran und kam doch kein Stückchen vorwärts. Die Wörter halfen ihm zwar zu überleben, aber sie begannen ihre eigene ihm unbekannte Melodie zu spielen. Er verstand nichts mehr. Eines Morgens erreichte ihn die Blockade. Klassischer Writer’s Block. Mister Super-Horror-King wurde immerhin regelmäßig damit fertig.

Aber er, der Möchtegernschreiber starrte auf die Möchtegernblume im Bad. Eine künstliche Gladiole. Auf ewig Green. Immergrün. Unecht...
Der Verlust der Wörter führte einige Tage später, wieder an einem Morgen, dazu, dass er sich bewusst von ihnen löste. Andere zu erfinden. Ihre unbekannte Melodie zu singen, zu schreien, zu flüstern, zu steuern. Die Sprache nicht mehr als Bibel anzuerkennen. Sollen die in der Galerie mit ihren Bildern doch machen was sie wollen. Hier ging es um Buchstaben und Silben.
Gegen Mittag desselben Tages war er sicher, dass er eine Möglichkeit gefunden hatte, sein aus dem Lot geratenes Leben zu Papier zu bringen. Er begann die Wörter auf der Zunge balancierend abzuschmecken, zu kosten, zu gieren und zu schlucken. Verdauung als Befreiung.
Natürlich war das, was seine Frau ihm dann kochte wieder eine Lüge. Falscher Aal grün. Gekochte Schweinerippchen mit einem Sud aus gehacktem Dill und Petersilie.
Zu riechen bis hin zum Weissensee.
 

unica

Mitglied
Erst wollte er es nicht wahrhaben. Aber in letzter Zeit fühlte er sich hundsmiserabel. Wie permanent durch die Schlafmangel gedreht. Er saß nicht mehr so fest im Sattel seit na ja etwa letzten Februar. Liebte seine Frau nicht mehr abgöttisch. Der Reiz der Zweisamkeit nutzte sich ab. Wo blieben die nackten Nächte? Bei Musik am Morgen träumte er vom Schlussstrich und mehreren Affären gleichzeitig. Verschmähte nicht mehr die zarten Profile seiner jungen Kolleginnen. Wollte einfach mal eine nehmen so zwischendurch. Dazwischen funkten die häuslichen Kleinkriege. Handgreiflichkeiten im Kaffeesatz. Gehässigkeiten zur Nacht. Liebestöter. Killing me softly. Er bemerkte kleine Macken an seiner Frau, die ihm arg zusetzten. Zum Beispiel dieser Grünfimmel. Immer Basilikum und Dill auf dem Küchenfensterbrett und Suppengrün im Kühlschrank. Das Haarshampoo im Bad richtet sich nach dem Olivgrünton der Fliesen. Der Füllfederhalter mit grünen Patronen, die grüne Brause, das Waldmeistergelee und selbst gemalte grüne Bilder.
Oh je.
In der Waschanlage, im Tunnel der Reinigungsbürsten schwante ihm plötzlich was nicht mehr so richtig lief in seinem Leben. Der Verlust seiner Selbstdistanz. Seine Urteilskraft. Alles wirkte nicht mehr richtig. Er unterschied die Bekloppten nicht mehr von den Normalen, Stephen King nicht mehr von Salman Rushdie, Grün nicht mehr von Blau, das Paradies nicht mehr vom letzten Dreck. Auf sein Äußeres achtete er überhaupt nicht mehr, obwohl es seine Position als Galerist mit glatt zurück gekämmten Haaren und dem treffsicheren T-shirt erforderte. Er ignorierte die Schlafkörnchen in seiner Lidspalte. Um gegen seine Erkenntnis der Autowaschstraße anzugehen, erstellte er in seinem Filofax Listen mit gut und böse, links und rechts, heiß und kalt und so weiter. Über bunte Farben hinwegzukommen war zumindest ein Versuch. Wie das Schreiben. Das einzige Drehmoment seiner stillen Minuten. Aber ohne Erfolg. An den Buchstaben hangelte er sich voran und kam doch kein Stückchen vorwärts. Die Wörter halfen ihm zwar zu überleben, aber sie begannen ihre eigene ihm unbekannte Melodie zu spielen. Er verstand nichts mehr. Eines Morgens erreichte ihn die Blockade. Klassischer Writer’s Block. Mister Super-Horror-King wurde immerhin regelmäßig damit fertig.

Aber er, der Möchtegernschreiber starrte auf die Möchtegernblume im Bad. Eine künstliche Gladiole. Auf ewig Green. Immergrün. Unecht...
Der Verlust der Wörter führte einige Tage später, wieder an einem Morgen, dazu, dass er sich bewusst von ihnen löste. Andere zu erfinden. Ihre unbekannte Melodie zu singen, zu schreien, zu flüstern, zu steuern. Die Sprache nicht mehr als Bibel anzuerkennen. Sollen die in der Galerie mit ihren Bildern doch machen was sie wollen. Hier ging es um Buchstaben und Silben.

Gegen Mittag desselben Tages war er sicher, dass er eine Möglichkeit gefunden hatte, sein aus dem Lot geratenes Leben zu Papier zu bringen. Er begann die Wörter auf der Zunge balancierend abzuschmecken, zu kosten, zu gieren und zu schlucken. Verdauung als Befreiung.

Natürlich war das, was seine Frau ihm dann kochte wieder eine Lüge. Falscher Aal grün. Gekochte Schweinerippchen mit einem Sud aus gehacktem Dill und Petersilie.

Zu riechen bis hin zum Weissensee.
 
B

bluefin

Gast
im gegensatz zu dem prot brauchst du keine angst haben, @unica, dass dir die worte im hals stecken bleiben. wenn man jemandem, der schreibt, überhaupt ein wirkliches kompliment machen kann, dann das, er habe zu einer eigenen sprache gefunden.

das mach ich dir hiermit. du schaffst es, die totale langeweile zu begrünen. wenn ich einen hut hätt, würd ich ihn jetzt ziehen.

nur die aale solltest du vielleicht woanders verorten. die gibt's im weissensee meines wissens nicht - dafür liegt er zu hoch und ist viel zu tief, falls du den in kärnten gemeint haben solltest (einen anderen, nennenswerten weiß ich nicht). und die selbstfindung via filzschreiber, die find ich nicht so ganz prickelnd. wer dabei ist, am alltag zugrunde zu gehen, schreibt keine bilanz mehr, sondern verbrennt das kassenbuch gleich: entweder, oder.

vielleicht geht die geschichte ja noch weiter, und der spät-yuppie verbrennt sich den mund doch noch an der suppe der erkenntnis...

liebe grüße aus münchen

bluefin
 



 
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