Fluchtpunkte, 1. Akt

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uweboe

Mitglied
Fluchtpunkte

Eine Komödie


Personen

Jürgen-Martin Sures ... Ein vielseitiger Mensch
Sures' Manager ... (der nie mit seinem Namen angesprochen wird)
Peter und Paul ... Zwei Intellektuelle
Chervinski ... Ein Kunstförderer
Klara ... Die Sekretärin des Theaters
Kaiser-Oppel ... Ein reicher Mann
Bertrand Bruyant ... Redakteur einer Kunstzeitschrift mit Sitz in Paris
Fre ... Conférencier
Chor der Götter ... Alter Mann 1, Alter Mann 2 (wahrscheinlich Griechen)
Göttin ... Eine wunderbare Göttin (die mit ihren Bemerkungen "über der Sache steht")
Besucher 1 und 2 ... Event-Teilnehmer
Besucher 3 und 4 ... Event-Teilnehmer




(Einfaches Bühnenbild, hier und dort stehen ein paar Stühle, irgendwo dazwischen steht ein Tisch. In der hinteren Bühnenwand ist eine Türe ersichtlich.)

I. Akt, 1. Auftritt

Peter:
Also, wenn ich es noch richtig weiß, dann dürfte sich der Fluchtpunkt wohl folgendermaßen definieren: Gib acht: Der Fluchtpunkt ist jener Punkt, in dem sich parallel laufende Linien im Unendlichen treffen.

Paul:
Imaginärer Punkt, heißt es wohl.

Peter:
Ja, gut, imaginär, stimmt, da es diesen Punkt ja real nicht geben kann, sonst wären die Parallelen ja nicht ernsthaft parallel!

Fre:
Guten Tag, meine Damen und Herren, ich bin Fre, der Conférencier. Ich werde mir erlauben, sie heute Abend ein wenig durch das Programm zu führen, um einzelne Personen oder Gegebenheiten des Stückes genauer zu beleuchten.

Chor der Götter:
(sich den Satz teilend)

Ha, sind wir Götter wohl nicht mehr gut genug?

Fre:
(zu den Göttern gewandt)

Dynamik, Innovation ... das ist es, was wir brauchen. Bitte, ihr beiden, es sollte doch möglich sein, daß ihr das endlich einmal akzeptiert! Seht euch die Menschen an, sie sehnen sich regelrecht nach Veränderung.

Chor der Götter:
(der eine Gott)

Och, das glaube ich wohl. Sie sehnen sich nach der Veränderung, daß das am ‚Neuen Markt' verlorene Geld wieder zurück kommt!

Chor der Götter:
(der andere Gott)

Aber das scheint mir genau so unwahrscheinlich, wie Flüsse, die bergauf fließen.

Fre:
Entschuldigt, können wir das vielleicht hinter der Bühne ausdiskutieren?

Chor der Götter:
(sich die Sätze teilend)

Ablenken, hm? Na, schon gut, mach' weiter!

Fre:
(auf Peter und Paul zeigend)

Das, verehrtes Publikum, sind Peter und Paul, zwei Intellektuelle, die sich gerade über ein mathematisches Problem unterhalten.

Peter:
Na, mathematisches Problem solltest du nicht sagen. Es wird besser verständlich sein, wenn du es als "Technik der Malerei" beschreibst.

Paul:
Gut, ja, dort findet es seine Anwendung, aber selbstverständlich hat es auch mit Mathematik zu tun, das sollte man gegenüber einem Laienpublikum schon auch erwähnen.

Fre:
‚Fluchtpunkte' sind ein Thema, das die beiden schon seit einiger Zeit beschäftigt; ich persönlich würde ja sagen, daß sie über dieses Thema schon länger diskutieren, als über andere, die sie in der Zeit zuvor ansprachen.

Klara:
(reinrennend)

Ist Chervinski schon da?

Alle, außer Klara:
(durcheinander)

| Fre und die Götter:
| Nein!
| Peter und Paul:
| Wer?

Klara:
Er hat ein Fax durchgeschickt und sich für vier Uhr angekündigt.

(geht)

Chor der Götter:
(sich den Satz teilend)

Faxe schickt er gewöhnlich nur, wenn er sich besonders wichtig machen will!

Fre:
Liebes, sehr verehrtes Publikum: das war Klara, die Sekretärin des Theaters hier ... und ich wünsche ihnen nun einen wunderschönen Theaterabend, hier in den legendären Mauern des Soundso-Theaters.

(lächelt)

Göttin:
(zwischen den beiden alten Göttern sich durchdrängend)

Das hat er schön gesagt. Ich mag ihn. Ich finde er sieht ganz appetitlich aus.

Paul:
Weißt du Peter, unter Fluchtpunkt stelle ich mir eigentlich keine statische Sache vor, sondern vielmehr einen Ort - also, jenen Punkt - der beständig in Bewegung ist. Ich stelle mir vor, daß dieser Punkt sich permanent - wie Sterne - von uns fortbewegt ...

Peter:
... ohne jemals zur Ruhe zu kommen. Ja, ja, diese Assoziation drängt sich gewiß auf.

Chervinski:
(reißt die hintere Bühnentür auf und rennt auf Peter und Paul zu. Wichtigtuend legt er je eine Hand auf jeweils Peter und Pauls Schulter)

Es gibt sie noch, es gibt sie noch, diese begnadeten Genies, die uns Menschen so viel Wohl durch ihre großartigen Werke bringen. Ach, wie ungerecht ist es, daß wir nicht in der Lage sein können, die unter uns lebenden Genies rechtzeitig zu erkennen und zu fördern. Immer, immer kommen wir eigentlich gerade wieder einmal zu spät. Nur ein Jährchen früher, und wir hätten ein begnadetes Wesen, das völlig in sein Schaffen vertieft, sich nur der reinen Kunst hingibt, retten können. Wir hätten ihm, da seine nähere Umgebung nicht in der Lage war sein Werk zu würdigen, wir hätten ihm erst einmal eine Werkstatt gezahlt, die seinem Schaffensdrang gerecht wird, hätten für regelmäßige Ernährung gesorgt, ihm Mut zur Arbeit gemacht, indem wir ihm regelmäßig Kunstwerke abkauften ...

Klara:
(reinrennend)

Hej, Chervinski!

Chervinski:
(wendet sich von Peter und Paul ab und baut sich vor Klara auf)

Klara! Ich bin maßlos traurig und dennoch endlos glücklich!

Klara:
Bist du verliebt?

Fre:
Erlauben sie mir an dieser Stelle einzugreifen und sie darauf hinzuweisen, daß Klara - na, ich glaube man sagt ‚unsterblich' - in Chervinski verliebt ist, Chervinski aber für solche Gefühle wenig über hat.

Chor der Götter:
(sich den Satz teilend)

Er spielt viel lieber Gott!

Chervinski:
Klara, letzte Woche habe ich im ‚Offenburger Tageblatt' ...

Chor der Götter:
(sich den Satz teilend)

... eine Tageszeitung einer großen Kreisstadt im Süden dieses Landes ...

Göttin:
Ein Provinznest!

Chervinski:
... unter den Todesanzeigen den Namen Jürgen-Martin Sures gelesen: <<... verschied er, der einzig für die Kunst gelebt hatte!>>

Klara:
War er Maler?

Chervinski:
Er war mehr, Klara, er war ein Allround-Genie!

Klara:
War er schon alt? Ist er an einem Herzinfarkt gestorben?

Chervinski:
Nein, Klara, nein! Das Tragische ist, daß er erst 30 war! Als ich letzte Woche eben diese Todesanzeige laß, verspürte ich sofort den Drang mehr von diesem Künstler zu erfahren. Ich machte mich sofort auf, in jene Stadt, in der er lebte und wirkte, um mich zu informieren, was sein Schaffensfeld war. Irgendwie habe ich ein Gespür dafür, wenn es darum geht Kunstgüter zu retten, die ansonsten ungeachtet in biederen Wohnzimmern enden würden oder gar auf irgendeinem Speicher oder in feuchten Kellern.

Kaiser-Oppel:
(klopft an der hinteren Türe an, tritt ein, begrüßt förmlich, aber schlicht, erst Klara, dann Chervinski. Peter und Paul übersieht er)

Frau?

Klara:
Klara!

Kaiser-Oppel:
Frau Klara!
Herr Chervinski!

Chervinski:
Guten Tag, Herr Kaiser-Oppel, ich bin über alle Maße erfreut, daß sie so spontan der Durchführung meines Events zustimmen und als Sponsor mitwirken werden! Mitwirken bei der Rettung des Oeuvres eines Mannes, dessen Schaffenskraft über das Maß aller unserer gewöhnlichen Vorstellungen hinaus geht, ein ...

Bertrand Bruyant:
(klopft an, tritt ein, legt beide Hände an Klaras Oberarme und begrüßt sie auf ‚Pariser Art' mit vier Küssen)

In Paris ... vier Küsse!

(an Chervinski und Kaiser-Oppel gewandt, die verlegen die Hand zum Gruß anbieten, der Gruß von B.B. aber nicht erwidert wird)

Guten Tag, meine Herrn!

Göttin:
Wer ist das? Sieht eigentlich ganz appetitlich aus!

Chor der Götter:
(sich den Satz teilend)

Bertrand Bruyant. Starredakteur von "L'art à Paris".

Fre:
Und wieder ein kurzes Intermezzo: Diese drei Herren hier haben sich spontan dazu entschlossen, das Lebenswerk des - tragischerweise - sehr jung verstorbenen Multitalentes Jürgen-Martin Sures publik zu machen, da sie es als ihre Pflicht ansehen, dem normalen Laienpublikum verständlich zu machen, wie wichtig es ist, daß künstlerischen Werken Achtung entgegengebracht werden muß, da letztendlich die künstlerische Ausübung von egal welchen Tätigkeiten der Menschheit höchstes Gut ist ...

Chor der Götter:
(beide)

... von jedem angestrebt!

Göttin:
In Kreativkursen ...

Chor der Götter:
(sich den Satz teilend)

Hat Fre schön gesagt, könnte glatt von uns sein!

Göttin:
Oder von Bruyant! Sieht wirklich sehr appetitlich aus!

Chor der Götter:
(sich die Sätze teilend)

Wer jetzt? Fre oder Bertrand?

Göttin:
Och?!

Peter:
Obwohl bei der Fluchtpunktdarstellung viel zu wenig hervor geht, wie relativ das Ganze ist! Der Betrachter wird regelrecht betrogen, da er auf dem Bild schlicht das zu sehen bekommt, was auch den Sehvorstellungen der Realität entsprechen wird.

Paul:
Du spielst auf die Größenverhältnisdarstellungen sakraler mittelalterlicher Malerei und Ikonen an?

Bertrand Bruyant:
(zu Chervinski und Kaiser-Oppel; mehr allerdings Klara anschauend)

Ich habe mir überlegt, daß wir die Dokumentation in ‚XML' anlegen. Zum Einen ist es das zukunftsträchtigere Format, zum Anderen schwebt mir vor, Fragmente der Dokumentation gegen die Wände des Veranstaltungsortes zu projizieren.

Fre:
Zur besseren Verständlichkeit sei erwähnt, daß sie sich unter der Bezeichnung ‚XML' ein Computer-Dateiformat vorzustellen haben. Für die unter ihnen, die Englisch verstehen: <<Extensible Markup Language>>.

Göttin:
(lasziv)

Extensible!

Bertrand Bruyant:
Chervinski, haben sie an eine Fotografie gedacht ?

Chervinski:
War nicht einfach, ein passables Bild zu finden. Sures schien es entweder nicht besonders zu mögen fotografiert zu werden oder er hatte eine Vorliebe für Grimassen.

Kaiser-Oppel:
(zu Bruyant gewandt)

Bei ihren Projektionen, die sie gerade eben erwähnten ... ich denke man könnte dort auch gut die Namen der Sponsoren einblenden.

Bertrand Bruyant:
Monsenieur Kaiser, aber sicher!

Kaiser-Oppel:
Kaiser-Oppel, bitte!

Bertrand Bruyant:
Chervinski, nun rücken sie schon raus; wie ist der junge, talentierte Künstler denn umgekommen.

Chervinski:
Ja, Bertrand! Es war alles andere als einfach an brauchbare Informationen heranzukommen. Sures' Familie, d.h. seine Eltern wohnen nicht in jener Stadt, in der er tätig war, soviel steht fest. Die Redaktion der Zeitung, in der die Todesanzeige erschien, sprach nur von ‚Routinearbeit' und daß sie aus Datenschutzgründen den Quittungsbeleg der Anzeigenaufgabe nicht unbedingt herausgeben dürften. Nun, was heißt denn bitteschön "unbedingt"? Na, ihr könnt euch schon vorstellen, daß es dann doch noch eine Möglichkeit gab, auf die wir uns einigten.

Kaiser-Oppel:
Ja, ja!

Chervinski:
Das war dann ein recht komischer Kauz, den ich da ausmachte ...

Kaiser-Oppel, Chervinski und Klara:
Wer?

Chervinski:
Der Auftraggeber der Todesanzeige.

Kaiser-Oppel, Chervinski und Klara:
Ah!

Chervinski:
Als ich ihn auf Sures ansprach, fragte er, ob ich denn von der Polizei sei und damit berechtigt solche Fragen zu stellen?
"Nein, nein", beruhigte ich ihn schnell, da die Sache immer spannender zu werden schien ... hätte er sonst sofort die Polizei vermutet?
Zügig erklärte ich ihm die Gründe meines Erscheinens und bat ihn um mehr Informationen über Sures. Jetzt stellte sich heraus, daß dieser Herr so eine Art - na, ihr werdets nicht glauben, aber er drückte sich tatsächlich so aus -, also er sagte, er wäre Sures' ‚Manager' gewesen, man müsse sich dies aber auf einer freundschaftlichen Ebene vorstellen. Sures selbst solle sehr zurückgezogen gelebt und sein Freundeskreis sich auf wenige Personen beschränkt haben, denen er eigentlich nur auf ein Bier in seiner Stammkneipe begegnete.

Bertrand Bruyant:
Keine Frauen?

Chervinski:
Doch, was auch sehr extravagant klingt. Sures soll eine Geliebte in Nepal gehabt haben, die er ein- bis zweimal im Jahr besuchte.

Kaiser-Oppel:
Chervinski! Und die Kunst, und die Kunst? Sie sprachen von genialer Begabung, Schaffensdrang, Multitalent ...

Chervinski:
Kommt noch, kommt noch, sie werden nicht enttäuscht sein!

Bertrand Bruyant:
(zu Klara)
Hat sie heute schon jemand zum Essen eingeladen?

Klara:
(richtet ihre Blicke sehnsüchtig auf Chervinski)
Nein!

Chervinski:
Also, die Person, die die Anzeige aufgab ...

Bertrand Bruyant:
... und die Sures' Manager gewesen sein soll ...

Chervinski:

... fasste allmählich Vertrauen zu mir und wurde merklich redseliger, als er erfuhr, daß mich Sures' Leben und Werk sehr ernsthaft interessierte ...


Chor der Götter:
(sich die Sätze teilend)

Als er so tat, als ob ihn sein Leben und Werk sehr ernsthaft interessiere ...

Kaiser-Oppel:
... und wir den Nachlaß ankaufen möchten!

Klara:
Und an was ist er jetzt gestorben? Hat ihn jemand umgebracht?

Chervinski:
Später, später!

Klara:
Aber es ist so spannend! Ich bin so erregt!

Göttin:
Ich auch ...

Chervinski:
Tatsächlich gelang es mir, Sures' Manager dahin zu bringen, daß er mir seine Werkstatt zeigte.

Kaiser-Oppel:
Und?

Bertrand Bruyant:
Haben sie Fotografien gemacht?

Chervinski:
Meine kühnsten Vorstellungen übertreffend, dicht an dicht gedrängt, reihten sich Ölbilder, Kohlezeichnungen, Siebdrucke, Radierungen und und und.

Kaiser-Oppel:
Und?

Bertrand Bruyant:
Akte?

Kaiser-Oppel:
Nackte?

Chervinski:
Aber jetzt kommt erst das Eigentliche.

Klara:
Ein Abschiedsbrief?

Bertrand Bruyant:
Haben sie ihn dabei?

Chervinski:
Nein, einen Abschiedsbrief gab es nicht. Das ist auch völlig uninteressant, darauf will ich auch überhaupt nicht hinaus. Sures ist nicht umgebracht worden, er starb an einem verfrühten Hirnschlag!

Kaiser-Oppel:
Ah!

Klara:
Oh!

Bertrand Bruyant:
Scheiße!

Chervinski:
Aber jetzt hören sie, darauf will ich überhaupt nicht hinaus.

Göttin:
Wann kommt er eigentlich auf den Punkt?

Chor der Götter:
(zur Göttin gewandt)
Bravo, bravo!

Chervinski:
Dieser Sures - so jung er war - hat so viele Werke hinterlassen, daß es schon fast unheimlich ist, wieviel Zeit dieser Mensch in sein kreatives Schaffen investierte. Und dem noch lange nicht genug! Was mich am meisten erstaunte und worauf ich eigentlich die ganze Zeit über hinaus will, ist Sures' Vielseitigkeit. Nicht genug damit, daß er Dutzende Zeichen- und Maltechniken beherrschte, er schrieb auch Gedichte, spielte Dudelsack und züchtete "Knock-Out-Mäuse".

Fre:
An dieser Stelle sei erwähnt, daß niemand weiß, mit welchem Institut Sures hier kooperierte?

Klara:
Was sind denn "Knock-Out-Mäuse"?

Fre:
Unter Knock-out-Mäusen versteht man solche Tiere, bei denen ein ganz bestimmtes Gen gezielt ausgeschaltet wurde, um dessen Wirkungen zu prüfen.

Bertrand Bruyant:
Haben sie das auch fotografiert?

Göttin:
Ist der nun besonders ausdauernd oder besonders einfallslos in seiner Satzwahl?

Kaiser-Oppel:
Also bitte, meine Herren (bemerkt, daß er Klara übergangen hatte) meine Damen und Herren ...
Ich habe verstanden! Es lohnt sich hier geradezu extraordinär zu investieren. Bruyant, nun zu ihnen: wie gedenken sie vorzugehen, um auf unser kommendes Event hinzuarbeiten?

Bertrand Bruyant:
Ich ...

Kaiser-Oppel:
Sie!

Bertrand Bruyant:
Ich denke ...

Chor der Götter:
Er denkt!

Bertrand Bruyant:
... wir werden ihm die Titelseite der nächsten Ausgabe von ‚L'art à Paris' widmen ...

Göttin:
... Chervinski, haben sie schon Foto's gemacht ...

Bertrand Bruyant:
... und dann ab Seite vier mit der Lebensgeschichte von ...

Chervinski:
... Sures ...

Kaiser-Oppel:
... Jürgen-Martin Sures ...

Bertrand Bruyant:
... beginnen.

Fre:
An dieser Stelle sei erwähnt, daß das weltberühmte Kunst-Fachblatt ‚L'art à Paris' immer auf Seite vier mit seinen Titelgeschichten beginnt.

Chor der Götter:
Keiner weiß warum!

Bertrand Bruyant:
Wir werden Sures' gesamte Lebensgeschichte im Zeitraffer dahingleiten lassen, gespickt mit Illustrationen und ...

Göttin:
... Fotografien!

Bertrand Bruyant:
Danke! (... obwohl er ja die Göttin überhaupt nicht wahrnehmen kann!)

Kaiser-Oppel:
Sehr einfallsreich!

Bertrand Bruyant:
Was sagten sie, Chervinski, schrieb er nicht auch Gedichte?

Chervinski:
Ja.

Bertrand Bruyant:
Wir werden auch auf die Gedichte eingehen ...

Kaiser-Oppel:
... bevor uns irgendein Literaturheini die Beute wegschnappt und die Rechte an sich zieht.

Bertrand Bruyant:
Wir werden auch diese Mäuse einbringen, wir ...

Chervinski:
Bevor ich es vergesse ...

Bertrand Bruyant:
... werden auch über Dudelsäcke berichten ...

Chervinski:
... Sures' Manager ...

Bertrand Bruyant:
... und Parallelen ziehen zu ...

Chervinski:
... hat sich bereit erklärt ...

Göttin und Klara:
Zu?

Chervinski:
... eine Rede während des geplanten Events zu halten!
(Stille)

Kaiser-Oppel:
Das sagen sie erst jetzt! Chervinski, das ist phänomenal! Er, sein engster Vertrauter, er, vielleicht der Einzige, der den Künstler überhaupt von seinen innersten Gefühlen her kannte. Chervinski, das ist pänomenal!

Bertrand Bruyant:
Dann könnten wir ja in der übernächsten Ausgabe ...

Chor der Götter und Göttin:
... von L'art à Paris ...

Bertrand Bruyant:
... diese Rede abdrucken !

Chor der Götter:
Irgendwie muß "L'art à Paris" schließlich gefüllt werden.

Fre:
Allerdings ab Seite 14, denn eine Titelgeschichte wird das wohl nicht mehr werden.

Bertrand Bruyant und Kaiser-Oppel:
Wer weiß, wer weiß!
(Stille)

Peter:
Gestern Nacht hatte ich geträumt, Astor Piazzolla säße auf einer Fluchtgeraden und rutschte - Tango-Nuevo spielend - immer mehr und mehr auf den Fluchtpunkt zu. Astor saß auf einer von zwei Geraden, die wie Wäscheleinen gespannt schienen - eine oben, eine unten. Er selbst saß oben und seine Mitspieler auf der unteren ...

Paul:
... Leine. Also keine Fluchtgeraden, sondern vielmehr Kurven!

Peter:
Ja, Paul, das waren bestimmt Fluchtkurven.


I. Akt, 2. Auftritt

(Im Vorraum eines großen "Veranstaltungszentrums")

Kaiser-Oppel:
Chervinski, es ist jetzt zwanzig vor acht! Um Halb wollte Sures' Manager spätestens hier sein!

Chervinski:
Künstler, Künstler-Manager. Haben sie Geduld, haben sie Vertrauen. Sie sehen doch, wie gut alles angelaufen ist. Der Zuschauerraum ist zum Bersten voll, Bruyants Artikel war ein absoluter Renner. Alle Zeichnungen und Gemälde, alle Gedichte von Sures, seine Dudelsack-Konstruktionspläne und "Knock-Out-Mäuse" ... alles unter Dach und Fach, Kaiser-Oppel. Was soll uns noch passieren? Und selbst wenn er verspätet käme, glauben sie etwa, ich könnte das nicht ins Positive wenden?

Kaiser-Oppel:
Nein, nein, Chervinski, so habe ich das nicht gemeint! Sie haben ja recht. Nur ... immerhin hält dieser "Manager" die Kernrede zu Sures' Leben und Schaffen. Keiner von uns - also auch Bruyant nicht - ist darauf vorbereitet Derartiges zu liefern, falls ...

Chervinski:
Kein "Falls"! Jetzt versuchen sie ein wenig auf andere Gedanken zu kommen.

Chor der Götter:
Wo sitzt der Chor?

Göttin:
Wo sitzen die interessanten Männer?

Fre:
Nun, mein liebes Publikum, meine herzallerliebsten Damen ... meine Herren: Wie sie kaum übersehen werden, befinden wir uns jetzt gerade auf einem Event! Ist das nicht sehr witzig für sie? Da gehen sie ins Theater und sitzen plötzlich ... sagt man nun "auf einem Event" oder "in einem Event"? Na, egal! Sagt man nun "egal" oder "gleichgültig"? Nun, wie dem auch sei, wir alle - die Veranstalter und das Publikum - warten auf den Beginn der Veranstaltung. Nur ist der Manager von ...

Göttin:
... Jürgen-Martin Sures, mein Süßer ...

Fre:
... danke ... noch nicht eingetroffen, was Kaiser-Oppel offensichtlich stark beunruhigt ...

Chor der Götter:
... Chervinski nicht minder, nur kann er seinen Ärger besser verstecken!

Göttin:
Im Publikum sitzen nur Langeweiler! Ach, aber der dort hinten sieht eigentlich ganz appetitlich aus!

Fre:
Es war sehr schwer eine Genehmigung für das öffentliche Ausstellen der "Knock-Out-Mäuse" zu bekommen, da hierfür von staatlicher Seite aus sehr strenge Sicherheitsvorkehrungen verlangt werden ...

Chor der Götter:
... der Staat selbst würde sie nicht einhalten!

Fre:
Enorm auch, daß die Veranstalter ...

Chervinski:
Chervinski!

Kaiser-Oppel:
Kaiser-Oppel!

Bertrand Bruyant:
Bertrand Bruyant!

Göttin:
... von L'art à Paris ...

Fre:
... Sures' gesamten Nachlaß präsentieren, ohne auch nur auf eine Kleinigkeit zu verzichten.

Chor der Götter:
Man zweifelt schon sehr daran, ob Menschen zur Aufnahme von so vielen Reizen überhaupt in der Lage sind.

Göttin:
... es reizt mich ...

Chor der Götter:
Du kannst mit Reizen ja auch umgehen!

Bertrand Bruyant:
Wir sollten anfangen!

Kaiser-Oppel:
Chervinski, Sures' Manager ist noch immer nicht hier.

Chervinski:
Er wird kommen. Er macht es spannend ...

Göttin:
... er verzögert den Reiz!

Bertrand Bruyant:
... und außerdem hält ja auch Chervinski eine einleitende Eröffnungsrede, so daß Sures Manager noch reichlich Zeit bleibt in Erscheinung zu treten.

Chervinski:
Ich gehe dann ...

Göttin:
Mach' deine Sache gut!

Chor der Götter:
Rede bitte nicht all' zu viel dummes Zeug daher!

Chervinski:
... mich zu sammeln, mich vorzubereiten.
(ab)

Chor der Götter:
Du wolltest nicht sagen, daß du schlicht pinkeln mußt!

Göttin:
Pipi!

Klara:
(dazustürzend)
Ist Chervinski schon da?

Bertrand Bruyant:
Klara!
(Will zum Küssen ansetzen, wird aber von Kaiser-Oppel verdrängt, der auf "pariser Art" begrüßt)

Kaiser-Oppel:
Frau ... Klara ... in Paris ... vier Küsse!

Klara:
Ist Chervinski schon da?

Kaiser-Oppel:
Aber ...

Bertrand Bruyant:
... er ...

Kaiser-Oppel:
... ist ...

Göttin:
... gerade ‚mal für kleine Jungs! (obwohl sie ja eigentlich niemand hören kann!)

Klara:
Ich habe dieses Fax im Theater empfangen, es ...

Fre:
Sehr verehrtes Publikum. Wie sie ja schon wissen, sind sie jetzt nicht im Theater, sondern ...

Klara:
... ist von Sures' Manager!

Kaiser-Oppel und Bertrand Bruyant:
Oh!

Göttin:
Sprachlos, die Herren?

Klara:
Er schreibt ...

Kaiser-Oppel:
Nun?!

Klara:
Er schreibt ...

Chor der Götter:
Ätsch, wir wissens schon!

Bertrand Bruyant:
... schreibt ...

Klara:
... schreibt, daß er leider ...

Kaiser-Oppel und Bertrand Bruyant:
Leider!!!

Klara:
... schreibt, daß er leider in letzter Minute absagen muß, da ...

Kaiser-Oppel und Bertrand Bruyant:
Da!!!

Chor der Götter:
(singend)
Da! Da! Da!
(Ziehen ein kleines elektronisches Keyboard hervor und spielen die wohl doch schon sehr bekannte Melodie des Stückes "Da, da, da ..." der Neue-Deutsche-Welle Musikgruppe "Trio")

Klara:
... da er dringende Geschäfte in Rom zu erledigen hat, die leider keinen Aufschub erlauben.
(Stille)

Bertrand Bruyant:
Das ist ein Witz!

Chor der Götter:
Wenn es so wäre, wäre er gut!

Klara:
Nein ...

Kaiser-Oppel:
Nein?!

Klara:
Nein, es ist wahr. Hier lesen sie selbst.
(reicht Kaiser-Oppel das Fax)

(Peter und Paul vorüberziehend)

Peter:
Ich habe gehört, daß es ein modernes Theaterstück mit dem Titel "Fluchtpunkte" geben soll. Hast du davon schon gehört?

Paul:
Oh, ja ... ich glaube, daß ich vor kurzem davon gehört habe ... wie hieß doch gleich der Autor?

Peter:
War es nicht ... ?

Paul:
Na, es fällt mir jetzt nicht ein ...

Peter:
Es war ...

(ziehen weiter)

Kaiser-Oppel:
(fällt zu Boden)

Klara:
(schreit)

Bertrand Bruyant:
Das darf nicht wahr sein! Kaiser-Oppel, stehen sie auf!

Göttin:
Denken sie an die Verluste, die sie machen werden, falls die ganze "Chose" hier ins Wasser fällt!

Kaiser-Oppel:
(zur Göttin, obwohl er sie ja eigentlich nicht wahrnehmen kann!)
Stimmt, ...
(steht auf)
... das wird zu teuer, wenn ich hier liegen bleibe.

Bertrand Bruyant:
Ich bin blamiert!

Kaiser-Oppel:
Ach, hören sie doch auf. Brüten sie lieber eine brauchbare Erklärung für das Publikum aus ...

(Man hört die Eröffnungsrede Chervinskis von Weitem)

Chervinski:
(aus der Ferne)
Hochverehrtes Publikum ...

Göttin:
Es scheint keine alternative Eröffnungsfloskel zu geben ...


I. Akt, 3. Auftritt

(Im Herzen eines "Veranstaltungszentrums")

Chervinski:
... es gibt sie noch, es gibt sie noch, diese genialen Künstler, diese begnadeten Genies, die uns Menschen so viel wohl durch ihre großartigen Werke bringen. Doch möchte ich nun nicht mehr Worte vergeuden, als bisher getan, da wir das außerordentliche Glück haben, einen Menschen unter uns zu wissen, der dem Künstler Sures so nahe stand, wie sonst kein zweiter! Ich ahne es, ich ahne es, sie platzen jetzt schon vor Neugierde! Nun, dann möchte ich sie nicht länger auf die Folter spannen und das Podium frei machen für ...

(Undeutliche Stimme aus dem Hintergrund, auf die Chervinski reagiert)

Chervinski:
... wie?

(Hintergrundstimme)

Chervinski:
... was?

(Hintergrundstimme)

Chervinski:
... nein? Nun, denn, mein hochverehrtes Publikum ...
(Es tritt eine kurze Pause ein, in der Chervinski sehr blaß erscheint! Und obwohl man kurzzeitig glauben mochte, daß Chervinski zu schwanken drohe, muß man feststellen, daß er sich urplötzlich wieder fängt, und mit gesteigerter Energie und Emotion in seiner Rede fortfährt.)
... es gibt sie noch, es gibt sie noch, diese begnadeten Genies ...
(lacht kurz auf, was fast schon hysterisch wirkt)
... nun, dann möchte ich sie nicht länger auf die Folter spannen und das Podium frei machen für ... mich!!!

Kaiser-Oppel:
(neben Bertrand Bruyant stehend, an Bertrand Bruyant gewand)
Halten sie mich fest!

Bertrand Bruyant:
(neben Klara stehend, an Klara gewand)
Halten sie mich fest!

Chor der Götter:
Hoffentlich bricht uns keiner der beiden Herren zusammen!

Klara:
(zur Göttin gewand)
Ach!

Göttin:
Eigentlich können sie mich ja überhaupt nicht wahrnehmen, aber ich finde mit "Ach" treffen sie die Situation recht gut!

Chor der Götter:
(singend und gestikulierend)
Ach, ach, ach! Da, da, da!

Chervinski:
(auf der Bühne mit seiner Rede fortfahrend)
Sie haben die Artikel von meinem lieben, lieben Freund, dem Chefredakteur von L'art à Paris - Bertrand Bruyant - verschlungen. Sie haben im Internet recherchiert, um mehr über dieses Jahrtausende-Ereignis der Kunstgeschichte zu lernen und nichts gefunden ... sie sitzen nun hier und brennen darauf mehr zu erfahren, von dem, was der von uns Gegangene, der so jung verstorbene Künstler "Jürgen-Martin Sures" uns - seiner Nachwelt - hinterlassen hat.

Chor der Götter:
Es scheint uns keine Rede auf höchstem Niveau zu sein!

Göttin:
Es ist Improvisation.

Kaiser-Oppel:
Es ist Improvisation!?

Klara:
(sehr glücklich wirkend, voller Begeisterung)
Er improvisiert ... wie ein Künstler!

Chervinski:
Und was sie nicht wissen können; und was niemand wußte ... ja, verehrtes Publikum, daß ich, ich, Otmar Chervinski, das Glück hatte diesen Menschen, diesen begnadeten Künstler, Jürgen-Martin Sures, noch zu seinen Lebzeiten kennenzulernen ...

Kaiser-Oppel:
... erstunken und erlogen ...

Bertrand Bruyant:
Genial!

Klara:
Er improvisiert!

Chervinski:
... noch zu seinen Lebzeiten kennenzulernen, um
(er stockt)
... um ...

Chor der Götter:
(singend)
Um, um, um ... aha!

Chervinski:
... um ... sehr verehrtes, hochgeschätztes Publikum ... um Zeuge eines Wunders zu werden ... ein Wunder, was ein junger Mensch zu leisten im Stande ist ... was Jürgen-Martin Sures schuf und vor allem, wie er voll Kraft, Energie und Enthusiasmus tagaus, tagein voll Energie ..

Fre:
Frauen und Männer von Morgen tragen Socken von Müller! Denn Socken von Müller sind ein Knüller!
(hält ein Schild vor sich, auf dem Socken zu sehen sind)
Ja, es wird nun Zeit für unseren Werbeblock!

Chervinski:
(wischt sich erleichtert die Stirn und winkt Bruyant heran)

Fre:
Nur Milch und Butter, ißt meine Mutter, von Heinrich Kutter! Kutter-Butter!
(hält ein Schild vor sich, auf dem Butter zu sehen ist)

(Man sieht, wie Bruyant auf die Bühne schleicht und mit Chervinski tuschelt.)

Chor der Götter:
Früher war das wenigstens noch Eis von Langnese ...

Göttin:
Das war im Kino und nicht im Theater ... ähm, Event!

Kaiser-Oppel:
(mehr zu sich selbst)
Phantastisch, phantastisch! Ein Viertel der Ausgaben tragen wir alleine durch diese Werbeeinlagen.

Fre:
Eis und Schnee im Winter werden entsorgt mit Schneefräsen der Firma Günther!
(hält ein Schild vor sich, auf dem eine Schneefräse zu sehen ist, geht ab)

Chervinski:
(nun völlig ruhig und professionell)
Unser hochgeschätzter Künstler, Jürgen-Martin Sures, starb zu früh. Das Leben hat einen Fehler gemacht und diesen Menschen von uns genommen und damit die Schaffenskraft, die Vitalität und Genialität eines Kreativen zerstört, so daß sich fast schon die Idee aufdrängt, daß die Götter aus Neid diesen Menschen zerdrückten, um sich das Monopol des Zeugens zu sichern!

(Chor der Götter und Göttin sehen sich erstaunt an)

Chervinski:
Doch, als ob Sures dies ahnte - dies perverse Machtspiel der Götter - behielt er bei, das zu tun, was ihm jahrelang ein Bedürfnis zu sein schien ... nein, sie können es nicht wissen, da er nie und nirgendwo sich hierzu äußerte! Nie? Und nirgendwo?
Nein, meine lieben Kunstliebhaberinnen und Kunstliebhaber! Nein! Jürgen-Martin Sures offenbarte mir, ja mir, seine innersten Wünsche und Visionen, ja mir, Otmar Chervinski.
Doch sicherlich haben sie dafür Verständnis, daß ich nicht in der Lage bin - hier in der Situation des Todes eines guten Freundes -, daß ich nicht in der Lage bin, ohne daß meine Gefühle davon unberührt blieben, daß ich nicht in der Lage bin ...
(stockt und spielt den mitfühlenden Menschen, obwohl er es bei Weitem nicht ist!)
... daß ich - und hier bitte ich um ihr Verständnis - nicht in der Lage bin, ihnen diese sehr intime Offenbarung meines Freundes Sures darzulegen!
(schluchzt)
Verzeihung!
Aus diesem Grunde bat ich den ihnen allen bekannten und von ihnen geschätzten Chefredakteur von L'art à Paris, Bertrand Bruyant, um die Unterstützung, mich, in dieser schweren Situation zu begleiten und mir das abzunehmen, was mir unmöglich zu erzählen ist, aber ihnen nicht vorenthalten werden darf.
Nein, jetzt spanne ich sie nicht länger auf die Folter und bitte dich, lieber Bertrand, auf die Bühne ...
(zeigt mit den Armen in eine Richtung ... Bertrand erscheint jedoch von der anderen Seite)

Bertrand Bruyant:
Bonsoir et bienvenu, Mesdames et Monsenieurs! Ich bin beschämt die Ehre zu haben, ihnen das zu übermitteln, was eigentlich Teil des Lebens von ... Ottkar ... sein sollte ... !
(Bruyant redet "imaginär" weiter)

Göttin:
Wir wissen es jetzt!

Chor der Götter:
Was, bitteschön, weißt du jetzt?

Göttin:
Daß ich ihn, "weiß Gott", nicht mehr vögeln, sondern vielmehr schlagen und schütteln möchte!

Chor der Götter:
Man beachte die Reihenfolge! Wen eigentlich?

Göttin:
Beide "wen", Chervinski und Bruyant, aber eigentlich nur Chervinski, dessen Machthunger und Habgier und was weiß ich auch immer, ihn dazu bringt sich die Gunst der Stunde ...

Chor der Götter:
Die haben wir eingeführt ... (trocken) da, da, da!

Göttin:
... sich die Gunst der Stunde, dergestalt zu Nutze zu machen, daß letztendlich er und nicht Sures im Rampenlicht stehen wird ...

Chor der Götter:
... und die Kohle kassieren ...

Göttin:
... und die Kohle kassieren, ja!

Chor der Götter:
Das riecht nach Arbeit für uns!

Göttin:
Ja, meine Herren, die Zeit der heiteren Ausgelassenheit ist vorbei, die göttlichen Pflichten rufen!

Chor der Götter:
Wenn unsere alten Ohren richtig gehört haben, sollen wir Pläne schmieden, wie man Chervinski am besten auf die Nase fallen lassen kann!?

Göttin:
Ihr alten, süßen Schlitzohren sollt keine langen Pläne schmieden, sondern das tun, was jetzt eben nötig ist!

Chor der Götter:
Ja, ja, ja!


I. Akt, 4. Auftritt

(wieder im Vorraum des besagten "Veranstaltungszentrums")

Peter:
Also, Paul, um einen Punkt im dreidimensionalen Raum auf eine zweidimensionale Fläche zu projizieren ...

Paul:
... auf einen Computerbildschirm zum Beispiel ...

Peter:
... denkt man sich eine Linie zwischen dem Punkt im Raum und dem Auge des Betrachters.

Paul:
Den Augen!

Peter:
Wir vereinfachen jetzt erst einmal und gehen von einem Auge aus.

Paul:
Sonst müßten wir die Welt durch eine rot-grün Brille betrachten ... also die projizierte!

Peter:
Ja! Doch, wie gesagt, verbinden wir den darzustellenden Punkt im Raum mit einem unserer Augen ...

Paul:
... was den zweiten Punkt einer Linie darstellt ...

Peter:
... und berechnen nun den Schnittpunkt dieser Linie mit einer dazwischenliegenden Projektionsebene ...

Fre:
Hochgeschätzte Theaterbesucher, den ersten Teil des geplanten oder sagen wir besser "improvisierten" Events hätten wir somit hinter uns gebracht, um in einer wohlverdienten Pause zu entspannen.

(Chervinski und Kaiser-Oppel ziehen vorbei, Bertrand Bruyant trottet hinterher)

Chervinski:
(zu Kaiser-Oppel)
Nun nehmen sie sich zusammen. Das Publikum ist begeistert und nimmt uns alles ab.

(ab)

Fre:
Bisher ...

Klara:
(hinzutretend)
Haben sie Chervinski gesehen?
(ab)

Fre:
(nicht auf die Frage eingehend)
Bisher scheint das Publikum die "besonderen Vorkommnisse" in keinster Weise zu erahnen. Nicht sie (deutet auf die Theaterbesucher), sondern die (deutet in eine andere Richtung und meint damit die Besucher des Events)
Die auf CD gebrannten Dokumentationen im HTML-Format sind restlos ausverkauft ... auf eine zusätzliche Projektion auf Großleinwand hat man nun doch verzichtet!
(blickt auf einen Stichwortzettel)
Die Werbeeinlagen haben die entstandenen Unkosten nicht nur gedeckt, sondern fuhren Gewinne ein ... und ...
(blickt wieder auf seinen Zettel)
eine kleine Demonstration wegen der "Knock-out-Mäuse" wurde mit Erfolg in das Gesamtgeschehen integriert!
(ab)

(Zwei aus der Menge der Eventbesucher)

Besucher 1:
Ich denke, daß ich viel besser in der Lage bin, die Vielschichtigkeit dieser Werke zu begreifen, seit ich selbst begonnen habe meiner Kreativität keine Ketten mehr anzulegen, sondern ihr freien Lauf zu lassen, um ...

Besucher 2:
... bei Dave Brassman?! ...

Besucher 1:
Bitte?

Besucher 2:
Bei Dave Brassman?! Sagten sie nicht, daß sie Aktmalerei bei Brassman lernen?

Besucher 1:
"Virtuell-konstruktive Aktmalerei"!

Besucher 2:
Bitte?

Besucher 1:
"Virtuell-konstruktive Aktmalerei". Die Unterrichtsmethode baut darauf auf zuerst den Geist und hernach den Körper auf den Akt des künstlerischen Schaffens vorzubereiten.

Besucher 2:
Reden sie nur übers Malen?

Besucher 1:
Wir vertiefen uns!

Besucher 2:
Ineinander?

Besucher 1:
Virtuell!

Besucher 2:
Ah!?

(beide ab)

(Chervinski und Kaiser-Oppel kommen zurück, Bertrand Bruyant trottet hinterher)

Kaiser-Oppel:
(zu Chervinski)
Und wir werden fünfzig Prozent der Aquarelle zurückbehalten ...

Chervinski:
... nicht verkaufen, ja, ja!

Fre:
(zu Chervinski)
Klara sucht sie!

Chervinski:
(ignoriert Fre)
Aber achtzig Prozent der kleinen Skulpturen sollten wir schon so bald wie möglich freigeben.

Kaiser-Oppel:
Zu sehr, sehr günstigen Preisen.

(ab)

Besucher 3:
So ein junger, begabter Künstler hat bestimmt ein sehr interessantes, aufregendes Leben. Ach, wie mich das fasziniert! Nicht wie die jungen Menschen von heute, die mit ihrer Zeit ja nichts mehr anzufangen wissen.

Besucher 4:
Ja!?

Besucher 3:
Glauben sie, daß er sehr arm war?

Besucher 4:
Ich ...

Besucher 3:
... entschuldigen sie, daß ich unterbreche, aber sehen sie mal hier.
(deutet in ein Programmheft)

Besucher 4:
Ja!?

Besucher 3:
Also das mit diesen Mäusen kann ich aber nicht verstehen. Ich denke, da verwechselt man etwas. Das ist doch keine Kunst!

Besucher 4:
Nein?

Besucher 3:
Nein, so was!
(deutet auf ein ausgestelltes Bild im Vorraum)
Das ist aber schön.

Besucher 4:
Ja?

Besucher 3:
Ja, ja, kein Zweifel!

(beide ab)

Fre:
Die Pause ist vorbei. Atmen sie noch ein-, zweimal tief durch und folgen sie mir unauffällig in den Saal!
(lacht, ab)
 
Hi Uwe,
du hast ein paar gute Dialoge in dein Theaterstück eingebaut. Ich habe versucht, mir das Ganze als tatsächliches STück vorzustellen. Kann mir schon denken, daß es funktioniert.
Auch wenn mir das dadada und die dazugehörige Melodei nicht unbedingt in den Kram passt, glaube ich, daß es auf der Bühne ganz gut rüberkommt.

Da das Stück noch nicht zu ende scheint, hab ich mal wieder das Problem mit dem Sinn bestimmter Chraraktere. Ich kann mir zwar vorstellen, daß jeder Figur auch ein bestimmter Sinn in dem STück zugeführt wird, aber die Gefahr besteht natürlich, daß du den Faden, aufgrund des "großen Tohuwabohus", irgendwann verlierst. An bestimmte Charaktere, die irgendwann nur noch sich selbst und nicht mehr dem Stück dienen.

Aber ich verlass mich da mal ganz auf dein Geschick.
So, bin gespannt auf eine Auflösung.

Gruss, Marcus
 

uweboe

Mitglied
Hallo Marcus,

danke fürs Durchackern des bisher unvollständigen Stückes! Ich habe den bisherigen Teil bei Euch veröffentlicht, um mir bezüglich der Weiterführung selbst "in den Hintern zu treten", d.h. endlich einmal insofern daran weiterzuarbeiten, daß die als Skript schon vorliegenden Teile endlich überarbeitet werden und eine vorläufige Endfassung bekommen.

Hast aber Recht mit "langes Stück" und "Faden verlieren" ...

Ohne viel verraten zu wollen, sei darauf hingewiesen, daß es bis dato noch zwei verschiedene Weiterführungen gibt und ich mit mir selbst noch nicht im Klaren bin, welche denn nun eigentlich die passabelste ist!?

Zudem kam jetzt aufs Jahresende auf mich sehr viel beruflicher Streß zu und so sehe ich erst über den Jahreswechsel eine Chance die abschließenden Teile zu veröffentlichen!!!

Bis denn, Grüße, Uwe
 



 
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