Fortgelaufen

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Unser Nachbar scheint kein sehr glücklicher Mensch zu sein. Vor Jahren ist ihm die Frau fortgelaufen. Er hat aber nie darüber gesprochen. Wenn jemand fragte, hat er nur bestätigt, dass sie nicht mehr da ist. Und wenn jemand wissen wollte, warum sie weg ist, hat er nur die Achseln gezuckt.
Vor einem Jahr ist sein Sohn fortgelaufen, doch den haben sie ihm wiedergebracht, also die Polizei. Das war schon eine große Suche und hat ein paar Tage gedauert, er war abgetaucht, mit 16 Jahren. Anscheinend hat es Streit gegeben, doch was Genaues weiß niemand und erzählt hat er auch nichts. Nach ein paar Wochen kam der Sohn ins Internat. Warum, hat niemand mehr überhaupt gefragt, nur getuschelt haben alle, hinter vorgehaltener Hand natürlich. Etwas kann ja nicht mit ihm stimmen, wenn erst die Frau wegläuft und dann der Sohn, das ist doch komisch.

Und jetzt ist noch sein Hund fortgelaufen. Gestern hat er bei uns geklingelt und gefragt, ob wir seinen Hund gesehen hätten. Ganz traurig soll er ausgesehen haben, hat mein Sohn gesagt, der an der Tür war. Vielleicht hätte ich ja Mitleid mit ihm, doch wenn einem erst die Frau und dann das Kind wegläuft und er noch nicht mal drüber reden will, dann kann ja etwas nicht stimmen. Da sollte man misstrauisch sein und nicht Mitleid haben, das vernebelt doch nur die Sinne.

Mich jedenfalls wundert gar nicht, dass ihm jetzt auch noch der Hund fortgelaufen ist.
 
G

Gelöschtes Mitglied 14278

Gast
Hallo Silbere Delfine,
Und jetzt ist noch sein Hund fortgelaufen. Gestern hat er bei uns geklingelt.
Der Hund? Hier solltest Du den Bezug klarstellen.

Für mich gibt es insgesamt zu viele Wortwiederholungen. Ich meine, die Geschichte muss nicht überwiegend im Perfekt erzählt werden, dann könntest Du die vielen „hat“ vermeiden. Auch „dann“ und „doch“ kommen zu häufig vor. Bei einem Satz wie
Vielleicht hätte ich ja Mitleid mit ihm, doch wenn einem erst die Frau und dann das Kind wegläuft und er noch nicht mal drüber reden will, dann kann ja etwas nicht stimmen.
z. B. ist das zweite „dann" wirklich entbehrlich.

Nur meine unmaßgebliche Meinung, die Du wahrscheinlich nicht teilen wirst.

Gruß Ciconia
 
Hallo Ciconia,

ich setze mal voraus, dass der Leser weiß, dass ein Hund nicht klingeln kann :).

Ich dachte, ich hätte die Füllwörter überarbeitet, da muss ich nochmal schauen.

Die Geschichte ist absichtlich im Perfekt erzählt. Es soll ja der Eindruck einer neugierigen, tratschenden, vorverurteilenden Nachbarin vermittelt werden. Wenn jemand einem anderen etwas erzählt, dann redet er (hier sie natürlich) selten in der "richtigen" Vergangenheit (Präteritum). Im geschriebenen Satz würde das natürlich besser aussehen, aber genau darum sollte es hier nicht gehen.

LG SilberneDelfine
 
Unser Nachbar scheint kein sehr glücklicher Mensch zu sein. Vor Jahren ist ihm die Frau fortgelaufen. Er hat aber nie darüber gesprochen. Wenn jemand fragte, hat er nur bestätigt, dass sie nicht mehr da ist. Und wenn jemand wissen wollte, warum sie weg ist, hat er nur die Achseln gezuckt.
Vor einem Jahr ist sein Sohn fortgelaufen, doch den haben sie ihm wiedergebracht, also die Polizei. Das war schon eine große Suche und hat ein paar Tage gedauert, er war abgetaucht, mit 16 Jahren. Anscheinend hat es Streit gegeben, doch was Genaues weiß niemand und erzählt hat er auch nichts. Nach ein paar Wochen kam der Sohn ins Internat. Warum, hat niemand mehr überhaupt gefragt, nur getuschelt haben alle, hinter vorgehaltener Hand natürlich. Etwas kann ja nicht mit ihm stimmen, wenn erst die Frau wegläuft und dann der Sohn, das ist doch komisch.

Und jetzt ist noch sein Hund fortgelaufen. Gestern hat er bei uns geklingelt und gefragt, ob wir seinen Hund gesehen hätten. Ganz traurig soll er ausgesehen haben, hat mein Sohn gesagt, der an der Tür war. Vielleicht hätte ich ja Mitleid mit ihm, doch wenn einem erst die Frau und dann das Kind wegläuft und er noch nicht mal drüber reden will, kann ja etwas nicht stimmen. Da sollte man misstrauisch sein und nicht Mitleid haben, das vernebelt doch nur die Sinne.

Mich jedenfalls wundert gar nicht, dass ihm jetzt auch noch der Hund fortgelaufen ist.
 
Unser Nachbar scheint kein sehr glücklicher Mensch zu sein. Vor Jahren ist ihm die Frau fortgelaufen. Er hat aber nie darüber gesprochen. Wenn jemand fragte, hat er nur bestätigt, dass sie nicht mehr da ist. Und wenn jemand wissen wollte, warum sie weg ist, hat er nur die Achseln gezuckt.
Vor einem Jahr ist sein Sohn fortgelaufen, doch den haben sie ihm wiedergebracht, also die Polizei. Das war schon eine große Suche und hat ein paar Tage gedauert, er war abgetaucht, mit 16 Jahren. Anscheinend hat es Streit gegeben, doch was Genaues weiß niemand und erzählt hat er auch nichts. Nach ein paar Wochen kam der Sohn ins Internat. Warum, hat niemand mehr überhaupt gefragt, nur getuschelt haben alle, hinter vorgehaltener Hand natürlich. Etwas kann ja nicht mit ihm stimmen, wenn erst die Frau wegläuft und dann der Sohn, das ist doch komisch.

Und jetzt ist noch sein Hund fortgelaufen. Gestern hat er bei uns geklingelt und gefragt, ob wir seinen Hund gesehen hätten. Ganz traurig soll er ausgesehen haben, hat mein Sohn gesagt, der an der Tür war. Vielleicht hätte ich ja Mitleid mit ihm, doch wenn einem erst die Frau und später das Kind wegläuft und er noch nicht mal drüber reden will, kann ja etwas nicht stimmen. Da sollte man misstrauisch sein und nicht Mitleid haben, das vernebelt doch nur die Sinne.

Mich jedenfalls wundert gar nicht, dass ihm jetzt auch noch der Hund fortgelaufen ist.
 
G

Gelöschtes Mitglied 14278

Gast
Hallo Silberne Delfine,
Es soll ja der Eindruck einer neugierigen, tratschenden Nachbarin vermittelt werden
Diesen Eindruck vermittelst Du dem Leser in der vorliegenden Form aber nicht. Du könntest vielleicht eine kurze Einführung erfinden, in der Du die Tratsche vorstellst, so in der Art: „Gestern kam meine Nachbarin wieder mit einer ihrer Geschichten …“

Dass der Hund nicht klingelt, ist dem Leser zwar klar – dennoch sollte hier sprachlich einwandfrei dargestellt sein, wer klingelt. In der jetzigen Form wirkt es auf mich unfreiwillig komisch.

Gruß Ciconia
 
.Diesen Eindruck vermittelst Du dem Leser in der vorliegenden Form aber nicht.
Ich warte mal ab, was andere Leser eventuell noch dazu sagen, denn etwas subtil sollte es natürlich auch sein und der Leser nicht mit dem Holzhammer drauf gestoßen werden.
 
Interessante Debatte, zu der ich gern etwas beitrage. Sowohl Autorin als auch Kommentatorin bringen etwas vor, dem ich mich anschließen kann. (Tucholsky: Jeder hat ja so recht.) Ja, die Zeitform des Perfekts würde ich hier bei der von der Verfasserin mitgeteilten Intention auch bevorzugen. Andererseits: Dass hier eine Ratschkathel sich ausmärt, ist mir bei erstem, vielleicht flüchtigem Lesen gar nicht recht bewusst geworden. Infofern könnte da noch etwas verstärkt werden. Aber wie?

Vielleicht so: Anfangs direkte Ansprache des Lesers wie in einem Hausflur oder an einer Straßenecke unter Bekannten. Etwa: Also, wissen Sie, das muss ich Ihnen jetzt doch mal erzählen ... Und analog dazu am Schluss: Das bleibt aber alles unter uns, ja?

Oder ist das jetzt wieder zu holzhammerig?

Freundliche kollegiale Grüße
Arno Abendschön
 
Hallo Arno,

danke für deinen Kommentar.

Ich ärgere mich jetzt ein wenig über mich selbst, dass ich eigentlich zu früh verraten habe, um was es mir hier geht. Es wäre für mich interessanter gewesen, erst Leserinterpretationen abzuwarten, um zu sehen, wie der Text wirkt.

.Andererseits: Dass hier eine Ratschkathel sich ausmärt, ist mir bei erstem, vielleicht flüchtigem Lesen gar nicht recht bewusst geworden. Infofern könnte da noch etwas verstärkt werden. Aber wie?

Vielleicht so: Anfangs direkte Ansprache des Lesers wie in einem Hausflur oder an einer Straßenecke unter Bekannten. Etwa: Also, wissen Sie, das muss ich Ihnen jetzt doch mal erzählen ... Und analog dazu am Schluss: Das bleibt aber alles unter uns, ja?

Oder ist das jetzt wieder zu holzhammerig?
Jeiiiin.... Da bin ich mir nicht ganz schlüssig. Denn zunächst sollte sich der Leser mit der Erzählerin identifizieren können; das tut er nicht, wenn sie von Anfang an unsympathisch wirkt (eben wie eine Tratschtante, die Vorurteile über jemanden wegen Begebenheiten hat, über die sie gar nichts weiß).
Und am Ende des Textes sollte der Leser sich dann entscheiden, ob er die Meinung der Erzählerin teilt oder sich eigene Gedanken macht, warum dem Nachbarn alle fortgelaufen sind - vielleicht tut der Nachbar dem einen oder anderen auch leid - oder sich angewidert von dem Getratsche und dem vorgefertigten Urteil der Erzählerin abwendet.

Naja, das hab ich jetzt verpasst, da ich schon zuviel verraten habe. Aber ich lasse den Text mal so stehen.

LG und einen schönen Tag
SilberneDelfine
 

steyrer

Mitglied
Hallo!

Hm … es geht also um Vorverurteilung bei minimalem Erkenntnisstand. Das Geschlecht geht aus dem Text nicht hervor, aber du sagst selbst in einer Antwort, dass es eine Frau ist. Eine als „neugierige, tratschende, vorverurteilende Nachbarin“ beschriebene Icherzählerin ist (wenigstens nach heutigen fortschrittlichen literarischen Konventionen) vermutlich sehr traditionell eingestellt.

Sollte sich diese Frau da nicht erst einmal mit der anderen Frau befassen, die einfach so wegläuft und ihren armen Sohn im Stich lässt? :)

Schöne Grüße
steyrer
 
Hallo steyrer,

.Sollte sich diese Frau da nicht erst einmal mit der anderen Frau befassen, die einfach so wegläuft und ihren armen Sohn im Stich lässt? :)
Warum? :) Wieso ist das interessanter als die andere Frage, warum alle fortlaufen?
Und vor allem: Wieso muss das die Erzählerin mehr interessieren?
Als die Geschichte einsetzt, sind ja sowohl Frau als auch Sohn schon weg. Also ist das sowieso nicht relevant.
(Stimmt übrigens, dass das Geschlecht des Erzählers nicht aus der Erzählung hervor geht. Aber das haben wir gleich).

LG SilberneDelfine
 
Unser Nachbar scheint kein sehr glücklicher Mensch zu sein. Vor Jahren ist ihm die Frau fortgelaufen. Er hat aber nie darüber gesprochen. Wenn jemand fragte, hat er nur bestätigt, dass sie nicht mehr da ist. Und wenn jemand wissen wollte, warum sie weg ist, hat er nur die Achseln gezuckt.
Vor einem Jahr ist sein Sohn fortgelaufen, doch den haben sie ihm wiedergebracht, also die Polizei. Das war schon eine große Suche und hat ein paar Tage gedauert, er war abgetaucht, mit 16 Jahren. Anscheinend hat es Streit gegeben, doch was Genaues weiß niemand und erzählt hat er auch nichts. Nach ein paar Wochen kam der Sohn ins Internat. Warum, hat niemand mehr überhaupt gefragt, nur getuschelt haben alle, hinter vorgehaltener Hand natürlich. Etwas kann ja nicht mit ihm stimmen, wenn erst die Frau wegläuft und dann der Sohn, das ist doch komisch.

Und jetzt ist noch sein Hund fortgelaufen. Gestern hat er bei uns geklingelt und gefragt, ob wir seinen Hund gesehen hätten. Ganz traurig soll er ausgesehen haben, hat mein Mann gesagt, der an der Tür war. Vielleicht hätte ich ja Mitleid mit ihm, doch wenn einem erst die Frau und später das Kind wegläuft und er noch nicht mal drüber reden will, kann ja etwas nicht stimmen. Da sollte man misstrauisch sein und nicht Mitleid haben, das vernebelt doch nur die Sinne.

Mich jedenfalls wundert gar nicht, dass ihm jetzt auch noch der Hund fortgelaufen ist.
 

steyrer

Mitglied
Warum? :) Wieso ist das interessanter als die andere Frage, warum alle fortlaufen?
Und vor allem: Wieso muss das die Erzählerin mehr interessieren?
Als die Geschichte einsetzt, sind ja sowohl Frau als auch Sohn schon weg. Also ist das sowieso nicht relevant.
Hm … Erwartest du da wirklich eine Antwort darauf?

Egal, lass das Geschlecht der Hauptfigur besser weiterhin im Unklaren, denn so kann sich wenigstens jeder denken, was er will. So schlecht ist dieser Monolog ja nicht.

Grüße
steyrer
 
Hallo steyrer,

mir ist gestern erst nachträglich klar geworden, dass du die Frage in deinem Kommentar davor schon beantwortet hast ("traditionell eingestellt"). Das hatte ich übersehen, bin aber trotzdem nicht der Meinung, dass die Ich-Erzählerin sich mit der fortgelaufenen Frau und ihrem Charakter beschäftigen müsste. Es geht nicht darum, dass sie (ich hatte eine Erzählerin im Kopf, deswegen lasse ich das im Text jetzt auch so) grundsätzlich über alle und alles tratscht (auch wenn das durchaus ein Charakterzug von ihr ist).

LG SilberneDelfine
 

steyrer

Mitglied
Ist schon in Ordnung! Meine Anmerkung betrifft sowieso nur eine Kleinigkeit, die vermutlich reine Ansichtssache ist.

Grüße
steyrer
 



 
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