Frau Achselscheuer

pleistoneun

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Frau Achselscheuer war unter den restlichen beiden Brüdern die einzige Tochter und auch die jüngste. Ihr Leben war von vorn bis hinten traumatisch. Unmittelbar nach der Geburt wurden ihr beide Babynieren entfernt, damit die Geburt bezahlt werden konnte. In großer Armut und ständigem Durst wuchs sie bei ihren kinderfeindlichen Eltern auf. Ihr Leben drehte sie vorwiegend um Durststillung, denn ohne Nieren rann das Wasser ungefiltert durch ihren Körper. Ärzte gaben ihr den Namen "Dränagenkind". Mit 14 Jahren bekam sie einen künstlichen Zufluss und Geld von einem Verehrer, der in dem örtlichen Krankenhaus innere Chirurgie betrieb. Sie sollte sich damit flüssig halten. In den vielen Stunden, an denen sie aus öffentlichen Brunnen und Kläranlagen trank, dachte sie oft an ihre beiden Brüder, von denen sie nur wusste, dass sie erfolgreiche Männer irgendwo beim Militär waren. Die ungewollte Bekanntschaft zu dem zudringlichen Kinder-Arzt und Helfer verhalf Frau Achselscheuer eine Lehrstelle als Wäscherin bei der hiesigen Krankenanstalt anzunehmen. Als man aber bemerkte, dass sie die feuchte Raumluft während des Dienstes trank, wurde sie für Wochen in eine dunkle Kammer gesperrt und vergessen. In dieser Zeit trank sie komfortabel im Bett liegend von den nassen Wänden. Am Tag ihrer Rücküberstellung in die Wäscherei musste sie feststellen, dass ihr die lichtlose Kammer das Augenlicht gestohlen hatte. Auf diesen Schock hin ließ Frau Achselscheuer den vollen Korb mit der Wäsche stehen und stolperte über die Stufen und durch die Gänge ins Büro des Kinderarztes, denn der hatte ihr das alles ja eingebrockt. Nach kurzer Diskussion hatte man sich schnell geeinigt, dass sie für einen kleinen Mehrlohn ihre Augen spenden würde, sie könne sie ja sowieso nicht mehr brauchen. Da nun mehr Platzangebot in ihren Kopf war, passierte etwas Großartiges. Ihr Gehirn konnte sich weiter ausdehnen. Die Intelligenz nahm sprunghaft zu. Ihre Genialität veranlasste Frau Achselscheuer dazu, gedankliche Abhandlungen über fehlgeleitete Orientierungen vernachlässigter Menschengruppen zu verfassen und Vorträge vor den größten Experten auf diesem Gebiet zu halten. Im Jahre 1971 erst kam es auf einem Weltkongress in Algerien zu einem neuerlichen Treffen mit dem Kinderarzt von früher, der sich mittlerweile auch zum Erwachsenenarzt hochgearbeitet hatte. Das Wüstenklima trocknete Frau Achselscheuer ungeheuerlich aus und so kam es, dass nach einem nur dreieinhalb minütigem Gespräch Frau Achselscheuer ihr wertvolles Gehirn für eine Flasche Wasser an den Erwachsenenarzt verscheuerte. Ohne Gehirn fehlte ihr etwas die Orientierung in der Wüste. Frau Achselberger wird diesen Tag nicht überleben, weil auch der letzte Schluck Wasser aus ihrer Flasche leergetrunken wurde. Niemand wird sich an sie erinnern, man wird nicht einmal wissen, wo sie begraben liegt. Feiner Wüstensand legt sich über ihr Gesicht und füllt ihre Augenhöhlen. Langsam legen sich die Körner ist jede Pore, fließt der Sand über Hände und Beine. Frau Achselscheuer wird von der Wüste verschluckt und es wird so aussehen, als hätte es sie niemals gegeben.
 



 
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