Gefangen...

AlterMann

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Ich weis nicht mehr genau in welchem Zeitraum sich die folgende Geschichte abgespielt hat. Auf alle Fälle war es als ich gerade so richtig mit meiner Arbeit im Wasserprojekt in Jinotega (Nicaragua) begonnen hatte. Oder anders gesagt, als das Projekt gerade an so richtig zu laufen begann.
Langsam lernte ich die Menschen in der Stadt kennen und ich bemerkte, die Menschen beobachteten mich sehr genau. Es war nicht alltäglich dass ein Ausländer nach Jinotega, einer Kleinstadt im Norden Nicaraguas kam. Weniger noch dass er hier für die nächsten Jahre leben wollte. Denn Jinotega lag ja mitten im Kriegsgebiet. Hier gab es außer einem Schweizer der in der Schreinerei der Bürgermeisterei arbeitete sonst keine Ausländer. Halt doch, da war noch eine junge Frau, die aber nicht in der Stadt lebte, sondern auf einer verstaatlichten Kaffeeplantage, „La Fundadora“ die auf dem halbem Weg zwischen Jinotega und Matagalpa lag. Sie lebte dort wohl auch mit ihrem Mann, einem Einheimischen und einem Kind das sie wohl gemeinsam hatten. Sonst gab es keine Ausländer im ganzen Departement Jinotega!
Es wurde von der Regierung nicht gerne gesehen dass sich Ausländer in der Kriegsregion aufhielten. Aber um die Gelder für die verschiedenen Projekte nicht zu verlieren duldete man es notgedrungen. Denn diese Gelder der verschiedenen Projekte waren wegen der überall herrschenden Korruption oft daran gebunden dass ein Vertreter der ausführenden Vereine oder der Geldgeber vor Ort war. Da es nun mal nicht viele Menschen in Deutschland gab die bereit waren sich längerfristig mitten in ein Kriegsgebiet zu begeben um dort auch zu arbeiten, musste die Regierung es halt, wenn auch widerwillig akzeptieren dass diese Ausländer da waren wenn sie, die Regierung, das Geld haben wollte. Denn jeder noch so kleine Projektfortschritt wurde politisch ausgebeutet. Zudem brauchte man bei der galoppierenden Inflation und der unglaublichen Devisenknappheit der Regierung, im wahrsten Sinne des Wortes, einfach jeden Dollar.
Nur um einmal zu verdeutlichen wie knapp die Regierung mit Devisen war eine kleine Anekdote. Ich war einmal in Managua auf der Zentralbank, denn nur dort durfte man ein Dollarkonto führen, um Geld vom Projektkonto abzuheben auf dem eigentlich hätten 8000 US Dollar hätten sein müssen um es im Wasserprojekt zu investieren. Unter tausend Ausreden verzögerte man die Auszahlung um fast zwei Wochen. Als ich dann wieder kam, ( und man muss bedenken ich musste dann, wenn ich nach Managua und zurück fuhr jeweils etwa 200 km mitten durch das Kriegsgebiet fahren), um das Geld so wie es abgemacht war abzuholen gab man mir fünfzehn US Dollar. Ich hätte aber 400 US Doller gebraucht. Aber es waren einfach keine Devisen da! Und das war nicht bei irgendeiner Bank, sondern wie gesagt bei der National Bank in Managua. Es war einfach kein Geld da. Noch nicht einmal Cordoba, die nationale Währung konnte man bekommen, denn die wurden gerade umgedruckt. Das heißt es wurden von Hand mit einem Stempel eine Anzahl Nullen hinter die Nummer des Geldscheines gedruckt. So wurden aus fünf Cordoba eben 5.000 oder 50.000 Cordoba. Also mit der nationalen Währung konnte man auch nicht arbeiten!
Nachdem mir das zweimal passiert war dass ich ohne Geld wieder zurück nach Jinotega musste und wie gesagt ich musste jedesmal mitten durch das Kriegsgebiet fahren, fing ich an zu überlegen wie ich es machen konnte dass ich immer Geld für das Projekt zur Verfügung hatte.
Aber Ende August sollte mein Chef aus Deutschland wiederkommen und dann wenn er hier war wollte ich es mit ihm besprechen. Bis er kam waren mir fast alle Arbeiter die im Projekt arbeiteten weggelaufen, da ich ihnen ja halt nur unregelmäßig ihren Lohn auszahlen konnte. Ich bekam ja meistens von der Bank kein Geld oder wenn doch, nur lächerlich geringfügige Summen ausgezahlt. Das was ich bekam reichte oft noch nicht mal um meine eigene Wohnung in einem kleinen Hotel in der Stadt zu bezahlen. Und essen konnte ich zu Anfang auch nicht regelmäßig! Es musste eine Lösung her mit der ich arbeiten konnte. Also stellte ich für eine Weile das Projekt still und wenn man mich fragte sagte ich dass ich „Planungsarbeiten“ am machen sei und ich im Moment halt nicht arbeiten konnte bis mein Chef aus Deutschland hier sei. Das funktionierte, bis er endlich, Ende September, nach Nicaragua kam.
Jetzt aber war es eng geworden. Der Bürgermeister Homero drängte mich endlich mit der Arbeit zu beginnen. Die örtliche und regionale Regierungsparteivertretung stand ständig hinter mir und waren auch am drängeln. Die Polizei, das Heer, der Stadtrat alle wollten dass ich jetzt sofort mit der Arbeit wieder beginnen sollte. Aber wie, ich hatte doch kein Geld zur Verfügung mit dem ich hätte arbeiten können? Als mein Chef endlich in Nicaragua war beredten wir das Problem und suchten eine Lösung. Wir fuhren zur Friedrich-Ebert Stiftung die das Projekt ja betreute, zur deutschen Botschaft, zum Finanzministerien usw. Keiner konnte oder wollte uns helfen. Jetzt war guter Rat teuer. Was sollte ich machen. So wie bisher konnte das Projekt nicht weitergeführt werden sonst wäre es zu Ende gewesen bevor es richtig begonnen hätte. Vor seiner Abfahrt meinte mein Chef abschießend zu dem Thema Geld. „Lass dir was einfallen!“ Das war alles! Und schon war er wieder auf dem Weg nach Deutschland.
Ich ging dann abends in ein Restaurant um etwas zu essen. Dort traf ich zufällig einen nicaraguanischen Mann den ich aus der FES kannte und der schon viel Erfahrung mit allen Arten von Projekten in Nicaragua und Honduras hatte. Wir saßen zusammen und sprachen über alles mögliche. Ein besonderes Thema war natürlich die Politische Situation im Land und so kamen wir auch auf das Geld zu sprechen. Und jetzt konnte man die große Erfahrung meines Freundes in der Projektarbeit sehen. Sein Rat war einfach. Ich solle ein Konto in Costa Rica bei der dortigen National Bank eröffnen oder in Panama bei einer deutschen Privatbank die aber unbedingt mit und für die Deutsche Bank in Panama arbeitete. Der einzige Nachteil wäre wohl der dass ich dann monatlich immer nach Panama reisen müsste und an der Grenze in Nicaragua wohl immer eine kleine Bestechung für den Zollbeamten zahlen müsste. Aber das wären dann im allerhöchsten Falle einhundertfünfzig US$ plus die Reisekosten die ich gehabt hatte um das Geld nach Nicaragua zu bringen. Das heißt insgesamt etwa dreihundert US$. Ich überlegte hin und her und wusste nicht so recht was ich tun sollte.Die Anregung meines Chefs, ich solle mir etwas einfallen lassen brachte mich ja auch nicht wirklich weiter. Ich fuhr nach Costa Rica und rief von dort aus meinen Chef in Deutschland an. Von Nicaragua aus konnte ich nicht anrufen, das Gespräch wäre abgehört worden. Ich erklärte ihm was mir alles gesagt worden war und erbat seine Meinung. Er meinte nur „ja gut mach es so, eröffne ein Konto in Panama bei der Banco Germanico und dann solle ich aber auch sofort hinterher ein Konto auf meinen Namen bei einer Privatbank eröffnen. Dann sollte das Geld das ich für die Arbeit brauchte von der Banco Germanico monatlich auf dieses andere Konto überwiesen werden. Das wäre aus technischen Gründen für die Abrechnung der Gelder so notwendig. Ich fand das zwar etwas verwirrend aber gut er musste ja für die Abrechnungen gerade stehen. Ich akzeptierte den Vorschlag. Er selbst wolle morgen früh nach Panama reisen und dort sollten wir uns in zwei Tagen in der Banco Germanica um sechzehn Uhr treffen. Also flog ich nach Panama Ich wunderte mich zwar warum es ihm so wichtig war auch so kurzfristig für eine Kontoeröffnung nach Panama zu kommen aber es war mir eigentlich egal, wenn er kommen wollte solle er einfach kommen. Es war mir schon klar dass wenn er morgen Nachmittag in Panama sein wollte er noch in der Nacht losfliegen musste um rechtzeitig hier zu sein. Diese Dringlichkeit seiner Gegenwart erstaunte mich zwar wirklich, war mir aber schlussendlich gleichgültig. Also flog ich weiter nach Panama. Ich machte mir einen schönen Tag und genoss den Tag. Dann am Nachmittag als mein Chef mich im Hotel anrief fuhr ich mit einem Taxi zur Bank. Dort in der Lobby wartete er schon auf mich. Er hatte scheinbar schon alles telefonisch vorbereitet und so gingen wir direkt zu jemanden um dort das Konto zu eröffnen. Er unterschrieb und ich gab meine Unterschrift als zweiter Bevollmächtigter. Alles klar, wir verabschiedeten uns von dem Menschen der Bank und ich suchte mir ein Hotel für die Nacht und wollte morgen früh den Rückflug nach Nicaragua buchen. Mein Chef wollte morgen früh in die Vereinigten Staaten und von dort aus zurück nach Deutschland fliegen. Aber wie sich viele Monate später herausstellen unterlief dem Menschen von der Bank bei den Unterschriften der Bevollmächtigten für dieses Konto ein Fehler. Es war meine Daten die als 1. Handlungsbevollmächtigter in Nicaragua für das Konto eingetragen wurden, nicht die von meinem Chef. Einfach weil ich ja noch ein zweites Konto in Panama eröffnet hatte. So kam es dass ich einmal fast 1,6-facher Millionär geworden wäre und dann doch auf das viele Geld verzichtet hatte! Aber das ist eine andere Geschichte.
Was ich nicht wusste war dass mein Chef dann ohne mein Wissen auch noch ein Konto eröffnet hatte. Das Konto das wir gemeinsam eröffnet hatten war auf den Namen „Proyecto de Rehabilitacion del Sistema de Agua portable Jinotega“ eröffnet worden. Das zweite Konto von dem ich bis dahin ja nichts wusste hieß einfach “Wasserprojekt Jinotega“
Jetzt war aus meiner damaligen Sicht aber alles klar. Ich nahm mir noch dreitausend US$ mit und hatte auch schon das Geld für den Zöllner bereit. In jeder Tasche hatte ich fünfzig Dollar um halt meinen Obolus, bis einhundertfünfzig Dollar maximal, für den Zöllner passend zu haben. In meinem Koffer hatte ich noch zweitausendsechshundert Dollar in kleinen Scheinen. Denn die kleinen Scheine konnte ich in Nicaragua besser und unauffälliger wechseln. Im Flughafen in Managua ging ich mir eine gelbe Karte holen die man ausfüllen musste wenn man wieder in das Land einreiste. Ich faltete die gelbe Karte so wie man mir geraten hatte, in der Mitte zusammen und legte zwischen die beiden Seiten einen fünfzig Dollar Scheine. Jetzt war ich natürlich sehr nervös. Wenn es schief gehen würde wäre ich 2 Minuten später im Gefängnis. Aber alles klappte wunderbar. Der Beamte nahm den gelben Schein und legte ihn ohne ihn auseinander zu falten unter dem Tisch in eine gesonderte Ablage. Scheinbar war das gefaltete Dokument schon genug Aussage über den Inhalt. Ich bekam sofort und ohne ein Wort zu verlieren meinen Einreise Stempel und fertig! Es gab keine Revision des Gepäcks, nichts. Einfach so ich war wieder in Nicaragua! Es funktionierte offensichtlich alles ohne Probleme. Gegen Ende des Projektes wurde ich von einigen Zollbeamten sogar schon mit Namen begrüßt wenn ich von meinen Reisen zur Bank in Panama zurückkam!
Jetzt aber zu meinem Ausgangspunkt zurück. Ich war wieder in Jinotega und konnte endlich arbeiten. Da ich ja vorher aus Geldmangel viel freie Zeit gehabt hatte war alles gut vorbereitet. Sofort begann das Projekt. Zuerst noch mit wirklich durchschlagendem Erfolg. Innerhalb einer Woche konnte ich in Zusammenarbeit mit den Bewohnern in einem Stadtviertel alle verrotteten und zugesetzten Eisenrohre gegen neue PVC Leitungen austauschen. Als wir fertig waren und das Wasser wieder angeschlossen wurde bemerkten die Menschen sofort eine ganz deutliche Verbesserung in ihrer Wasserversorgung und der Qualität des Wassers. Hier von diesem Stadtviertel das ja direkt von den Wasserpumpen am Fluss versorgt wurde, arbeitete ich mich so nach und nach in die umliegenden Bezirke vor. Alle Rohre die größer als zwei Zoll waren wurden entfernt oder stillgelegt. An jeder Straßenkreuzung wurde in jede Richtung ein Absperrventil eingebaut. Die Anschlüsse an denen die Wasserpumpen einspeisten wurden so verlegt dass immer ein in etwa gleichgroßes Gebiet von den einzelnen Pumpen versorgt werden konnte. Ich achtete dabei peinlich genau darauf die Leistungsfähigkeit der einzelnen Pumpen nicht zu überschreiten, eher noch etwa 10 bis 15 % und der maximalen Leistung zu bleiben. Dann wurden so nach und nach alle Pumpen auf einen einheitlichen Typ mit etwas mehr Leistungsfähigkeit ausgewechselt. Die neuen Haushaltswasserzähler die aus Deutschland geschickt wurden, wurden in speziell von uns selbst hergestellten in den Boden vor dem Haus eingelassenen Betonkästen eingebaut. Die Rohre wurden jetzt in mindestens 1,40 Meter Tiefe in einem Sandbett verlegt. Es gab jetzt kaum noch Wasserverluste durch gebrochene Rohren oder undichte Stellen. Jetzt schon konnte man durch die bessere Verteilung des Wassers in der Stadt und in den schon angeschlossenen Außenbezirken, ohne dass ein einziger Tropfen Wasser mehr produziert worden war, deutliche Verbesserungen bemerken. Unter der Bevölkerung war das natürlich auch bekannt. Und so kamen alle und wollten die Nächsten sein. Aber jetzt begannen die Schwierigkeiten. Sie waren nicht technischer Art sondern eher „menschlicher Art“. Alle Welt wollte jetzt für alles mögliche Geld. Z.B. wenn jetzt ein ½ Zoll Wasserrohr zur Versorgung des Nachbars durch das eigene Grundstück verlegt werden musste und wenn es auch nur ein Meter war, sollte das beispielsweise eintausend US$ kosten usw. Es begann nun ein Rennen um das Geld des Wasserprojektes das unglaublich war! Auch kamen jetzt alle die die aus irgendeiner Machtposition heraus die Hand aufhielten um für ihr „wohlwollende und unverzichtbare Hilfe“ bezahlt zu werden. Das mit den Privatgrundstücken ließ ich im Stadtrat klären. Es kam einfach eine Verordnung heraus die mir bei der Verlegung der Rohre freie Hand gab ohne dass etwas bezahlt werden musste. Das war leicht zu lösen gewesen. Probleme machten mir die Leute in irgendwelchen politischen Positionen die bestochen werden wollten! Das war ein wirkliches Problem! Das wurde von Woche zu Woche schwerer zu lösen. Denn mittlerweile kam es ja teilweise schon zu einer Art Boykott. Schlussendlich blieb mir nichts anderes übrig als das Problem im Innenministerium in Managua klären zu lassen. Der damalige Innenminister Thomas Borge nahm sich der Sache an und wortwörtlich war sofort Ruhe. Aber damit hatte ich mir viele Feinde gemacht! Aber fürs erste war Ruhe! Die Probleme mit dem Bürgermeister (Alcalde), den kleinen Bürgermeistern (Alcalditos) der einzelnen Stadtviertel, dem Stadtrat den Behörden waren alle wie von Zauberhand plötzlich verschwunden.
Ich konnte jetzt wirklich ungehindert arbeiten. Und ich kam wirklich unglaublich gut voran! Ich wurde zum Vorzeigeprojekt des Innenministers. Das sollte sich noch fast dreißig Jahre später, als ich aus Nicaragua zurück nach Deutschland ausreisen wollte, und sogar selbst nach dem Tot des ehemaligen Innenministers noch positiv auf mich auswirken. Aber das ist auch eine andere Geschichte. Also später, zu einem anderen Zeitpunkt mehr davon!
Ja so langsam wuchs das Projekt und gedieh prächtig. Ich hatte wirklich gutes Personal gefunden und das Projekt war jetzt fast ein Selbstläufer. Isolde unsere damalige leitende Ingenieurin war begeistert und leistete hervorragende Arbeit im technischen Teil. Meine Frau machte die Verwaltung und einen Teil der nötigen Kontrollen. Und das machte sie hervorragend! Und ganz ehrlich gesagt, ohne sie wäre das Projekt gar nicht so weit gekommen! Es wäre noch nicht einmal richtig angelaufen dann wäre es schon am Ende gewesen. Denn sie war es ja die spanisch sprach und mit aller Welt verhandelte, mein eigenes spanisch war ja noch lange nicht verhandlungsreif!
Und ich, ich war einfach stolz dass es mir gelungen war einen so großen Betrieb aufzubauen, denn wir hatten ja über einen längeren Zeitraum mehr als 200 Menschen in Arbeit. Es schien mir irgendwie unwirklich dass es mir gelungen war trotz der bescheidenen Geldmittel, der ungeheuren Inflation und der vielen anderen Schwierigkeiten soweit zu kommen. Ich konnte es einfach nicht fassen dass ich es war der das alles erreicht hatte! Zum ersten mal in meinem Leben hatte ich etwas richtig Gutes gemacht und zu einem vorläufigen Ende gebracht.
Jetzt wuchs aber auch mein Aufgabenbereich. Es kamen Menschen aus anderen Orten in der Umgebung die um die Hilfe des Projektes baten. Überall war es das Wasser das fehlte. Und es war unglaublich was die Menschen leisteten um an Wasser zu kommen. So hatten die Menschen in einem kleinen Dorf in fast 6 Jahren nur mit Schaufeln und Brechstangen einen fast zweihundert Meter tiefen Brunnen gegraben der etwa zwei Meter im Durchmesser hatte, gegraben, von Hand! Das muss man sich einmal vorstellen. Nur mit Schaufel, Pickel und Rammstange. Diese Leistung, es war einfach unglaublich! Diese Menschen hatten soviel Anstrengendes geleistet nur um Wasser in ihren kleinen Ort zu bekommen. Ich nahm mir vor diesem Ort sobald es mir möglich war zuerst zu helfen. Zuerst wollte ich ein Provisorium machen um dann später mit handfesten Plänen zurück zu kommen. In einer Senke die etwa 380 Meter vom Fluss weg lag und die etwas tiefer lag als der Fluss etwa einen Kilometer flussaufwärts wollte ich Wasser in einer größeren Menge in dieser natürlichen Senke aufstauen um von dort aus in einer späteren Phase das Wasser mit Schwerkraft zum Dorf bringen und dann mit einer elektrischen Pumpe das Wasser in dem Dorf verteilen. Das war die Idee die ich erst einmal hatte. Ich bat den Leiter des Dorfes dass er einen etwa 2 km langen und 80 Zentimeter tiefen Graben ausheben lassen sollte der zur diese Mulde die mir als Sammelbecken dienen sollte führte. Die Mulde sollte völlig von Gras, Gebüsch und Bäumen gesäubert werden und mit Steinen ausgelegt werden. Wenn sie damit fertig seien sollten sie mir in Jinotega Bescheid sagen, dann würden wir weitersehen.
Ich besorgte mir mit vielen Schwierigkeiten Landkarten vom nationalen Landesvermessungsbüro in Managua, von der nationalen Wasserbehörde einfach alles was ich an Information über das Dorf, die Stadt Jinotega und die Region bekommen konnte. Das war an sich schon sehr schwierig denn es war ja Krieg und es herrschte eine unglaubliche Paranoia vor „amerikanischen Spionen“ und einer „amerikanischen Invasion“. Und da kam ich, ein Ausländer, daher und wollte Einblick in Informationen die für die nationale Sicherheit so wichtig waren! Vor allem das Militär machte Schwierigkeiten. Aber es gelang, ich bekam fast alles was ich an Landkarten brauchte. Dann nahm ich das letzte Inventar das wir im Lager des Projektes gemacht hatten und schaute nach welches Material ich noch aus dem Projekt in Jinotega hatte das nicht gebraucht worden war. Ich überlegte hin und her wie ich später das Wasser in das Dorf bekommen konnte. Aber auch das ist wieder eine andere Geschichte die ich später erzählen werde.

Aber jetzt bin ich schon wieder abgeschweift, Also wieder zurück zu der eigentlichen Geschichte. Bei einer solchen „Projekterkundung“ außerhalb der Stadt kam es wie es irgendwann kommen musste. Ich geriet in eine Militärkontrolle, die aber nicht vom Heer war sondern von den Rebellen. Ich hatte sie für reguläres Militär gehalten da sie ja Uniformen anhatten. Das hatten die Rebellen ja normalerweise nicht. Also hielt ich an! Und als ich erkannte dass es nicht das Heer war das mich da angehalten hatte war es schon zu spät. Ich war Gefangener der Contra, der Rebellen!
Auch hier hatte ich wieder unglaubliches Glück dass ich nicht sofort erschossen wurde. Der Anführer dieser Aktion war „el Charro“, den ich damals ja noch nicht kannte. Wohl aber kannte ich ohne es zu wissen seine Familie sehr gut. Ich rief ihm zu dass die Deutsche Botschaft für mich viel Geld bezahlen würde, so dass ich für ihn lebend wertvoller sei als tot. Das wirkte wohl, er rief drei Leute zu sich und befahl ihnen dass sie mich zu einem nur ihnen bekannten Treffpunkt in den Bergen bringen sollten. Und ab ging's! Und so ging ich mit meinen Aufpassern los. Wir liefen den ganzen Nachmittag und auch noch bis es schon eine ganze Weile dunkel war. Dann kamen wir irgendwo an. Ich wurde mit den auf dem Rücken gefesselten Armen einfach zu Boden geworfen, meine Fesseln wurden kontrolliert und anders angebracht. Meine Wächter setzten sich in meiner Nähe hin und warteten. Keiner sagte etwas, keiner bewegte sich, sie schienen alle zu schlafen. Ich konnte nicht weg. Meine Beine waren jetzt auch gefesselt worden und meine auf dem Rücken gebundenen Arme waren mit meinen leicht nach hinten gebeugten Schienbeinen zusammen gebunden. Also wenn ich versuchte mich zu strecken zog ich meine Arme nach unten und eine Schlinge die ich um den Hals hatte zu. Also musste ich mit leicht gebeugten Knien so unbeweglich wie möglich liegen bleiben! Irgendwann bin ich dann wohl ein bisschen eingenickt. Als ich wach wurde lag ich immer noch gefesselt am Boden aber der Sonnenaufgang stand kurz bevor und von meinen Wächtern lagen zwei am Boden und waren wohl am schlafen während der dritte an einen Baum gelehnt dasaß und, mit dem Gewehr in der Hand zu mir herüberschaute. Also ging es heute weiter. Wir waren noch nicht an dem „Treffpunkt“ angekommen. Die Schmerzen in meinem Herzen hatten sich während der Nacht gebessert und ich konnte frei atmen ohne diese Schmerzen zu spüren. Dann weckte mein Wächter auch die anderen beiden auf und innerhalb von weniger als einer Minute waren wir wieder unterwegs. Man hatte mir die Füße befreit und meine gefesselten Hände waren jetzt vor meinem Körper.
Und wieder ging es natürlich zu Fuß stundenlang durch die Berge. Jetzt aber bewegten wir uns waagerecht an den Bergen entlang und mussten so keine einzige Steigung überwältigen. Es war wegen meiner gefesselten Hände nicht einfach bei dem Marsch an den Berghängen entlang immer das Gleichgewicht zu halten und mit meinen Wächtern Schritt zu halten. Denn man trat ja immer mit jedem Füßen auf einer unterschiedlichen Höhe auf. Aber irgendwie schaffte ich es! Am späten Nachmittag fing mein Herz wieder an zu schmerzen. Wir waren jetzt seit dem Morgengrauen bis jetzt ohne auch nur einmal anzuhalten stramm marschiert, jetzt würde es wohl in etwas einer Stunde wieder dunkel sein! Ich war körperlich am Ende! Es ging einfach nicht mehr! Mein Herz schmerzte mich wieder stark. Ich blieb auf einmal ganz abrupt stehen und sagte dass ich mich weigere auch nur einen Schritt weiterzugehen da ich nicht mehr dazu in der Lage sei!
Das stellte sich sofort als Fehler heraus. Denn wenn ich sie aufhalten würde war ich ja mehr eine Last als ein „finanzielles Versprechen!“ Also sagte man mir nur dass sie sich von mir nicht aufhalten lassen würden. Da man aber jetzt sowieso lagern wollte sei es im Moment kein Problem wenn ich nicht mithalten könne. Aber wenn das morgen noch so sei …! Er schwieg bedeutungsvoll und schaute auf seine Waffe, ich wusste was er gemeint hatte. Wenn ich nicht mehr mithalten könnte würde man sich meiner einfach entledigen, sie würden mich erschießen und das war es dann! Wir waren irgendwo, tief in dem Wald in den Bergen, wo mit Sicherheit sobald niemand vorbeikommen würde. Bis dann vielleicht irgendwann meine Leiche gefunden würde wären nur noch Knochen übrig.
Das „animierte“ mich in gewisser Weise, so dass ich mir vornahm morgen, genauso wie heute, so lange ich konnte schön brav hinter diesen Männern herzulaufen und mich nicht zu beklagen.
Ach diese Nacht konnte ich kaum schlafen. Erschöpft genug war ich ohne Zweifel aber ich hatte nur einen einzigen Gedanken im Kopf, „wie komme ich hier weg?“. Aber wieder war ich mit den Händen auf dem Rücken und der Schlinge um den Hals und den gefesselten Beinen leicht nach hinten gebeugt gebunden. So war nicht daran zu denken wegzukommen und auch das schlafen war so unmöglich. Immer wenn man dann ein bisschen eingenickt war und man die Beine ausstrecken wollte zog man sich die Schlinge um den Hals selbst zu und wurde unweigerlich wach. Zudem der harte Boden auf dem ich lag, meine Angst vor Schlangen, ja und hauptsächlich natürlich die Sorgen wie das denn nun alles enden würde.
Dann am nächsten Morgen ging es weiter. Ich merkte jetzt deutlich wie meine Kräfte nachließen und es war eigentlich nur noch die Angst die mich noch auf den Beinen hielt. Dann aber, in einem Moment kamen wir an einen Platz wo schon etwa 50 oder 60 Leute auf uns zu warten schienen. Es gab ein großes Hallo als man sich begrüßte. Der Chef, der Gruppe, „el Charro“, war noch nicht wieder da. Aber sein Stellvertreter der Reiher. (la Garca) Ich wurde an einen Baum gebunden und man gab mir endlich etwas vernünftiges zu essen. Bisher hatte man mir nur 'Posol' gegeben. Posol ist eine aus leicht angekochtem und dann gemahlenem Mais hergestellte Maisbrühe. Noch Salz rein und dann wird das steifflüssige Getränk gegessen oder besser gesagt aus einem Plastikkanister getrunken. Jetzt war es Fleisch von irgendeinem Tier das erlegt worden war. Das erste feste Essen nach fast drei Tagen! Vielleicht war es auch eine gestohlene Kuh, ich weis es nicht. Bei unserer Ankunft hier waren meine Arme und Beine mit Kabelbindern zusammen gebunden worden. Aber ich hatte keine Schlinge um den Hals! Aber auch hier war an weglaufen nicht zu denken. Ich war mittendrin in dieser Gruppe von irregulären Rebellen an einen Stamm gebunden und hätte mich höchsten im einem Kreis von vier oder fünf Metern um diesen Stamm bewegen können. Aber da mir ja auch die Füße stramm zusammengebunden waren blieb ich schön sitzen und schaute mich um. Ich war hier offensichtlich in einem festen Lager der Rebellen. Die Moral in der Truppe war gut und ihr körperlicher Zustand war offensichtlich ebenso gut. Sie hatte natürlich jeder sein Gewehr, meist russische Fabrikate wie Kalaschnikow und Pistolen Makarow. Ich sah auch Panzerfäuste und leichte Granatwerfer und drei Kisten aus Holz mit Handgranaten und Mörsergranaten die scheinbar gerade vor unserer Ankunft geöffnet worden waren.
Ich hatte ziemlich große Blasen an den Füssen und war völlig erschöpft. Ich zog vorsichtig die Schuhe aus und stelle sie neben mich auf den Boden. Noch einen Tag Marsch in den Bergen an den steilen Hängen entlang, den hätte ich wirklich nicht mehr überstehen können.
Also versuchte ich erst einmal wieder so einigermaßen zu Kräften zu kommen. Ich legte mich auf dem Rücken lang ausgestreckt auf den Boden und versuchte zu vergessen was da um mich herum ablief und wo ich war. Dann muss ich eingeschlafen sein. Denn als man mich weckte war es schon fast dunkel. Als ich nach meinen Schuhen griff um sie anzuziehen waren sie einfach weg. Jemand hatte sie mir gestohlen!
Dann brachte man mich zu einem 'Gefängnis'. Es war einfach ein kleiner quadratischer Kasten von etwa 3 x 3 Metern der gitterförmig aus dickem Bambus gebaut worden war. Oben auf dem „Dachgitter“ waren lange dünne Bambusstöcke mit dickem Draht angebunden. An den Enden dieser Stöcke hingen kleine Metallteile, leere Blechdosen und alles was Lärm machen konnte. Hier am Bambus Gefängnis schnitt man mir die Kabelbinder ab und beförderte mich mit einem kräftigen Schubs durch die kleine Türe nach drinnen in den Käfig.
Ich schaute mich erst einmal in meinem 'Gefängnis' um. Die einzelnen Gitteröffnungen waren etwa zwanzig Zentimeter Breit und ebenso hoch. Der Bambus war mit sechzehner Stacheldraht mit jeweils zwei sich kreuzenden Drähten zusammen gerödelt. Ohne Werkzeug gab es hier kein wegkommen. Zudem hatte man mir noch eine Wache vor mein Gefängnis gestellt. Außerdem hatte ich noch diese „eingebaute Alarmanlage“ von Dosen oben an meinem Gefängnis. Denn jedesmal wenn ich an dem Bambusgitter rüttelte oder auch einfach nur fest dagegen stieß hörte man laut und deutlich das Rappeln und Klappern der Dosen die an meinem Dach an den langen, dünnen langen Bambusstöcken angebunden waren.
Der Ort wo das Gefängnis gebaut worden war befand sich etwa vierzig oder fünfzig Meter von der Gruppe entfernt am Waldrand. Mein Wächter saß etwa fünf oder sechs Meter von mir entfernt an einen Baumstamm gelehnt und schaute ab und zu mal herüber zu mir. Das war, auch in der Nacht gut zu erkennen, da mir seine glühende Zigarette ganz klar seinen Standpunkt zeigte. Manchmal schien er auch einzunicken denn dann lag seine Hand mit der Zigarette wohl auf dem Boden. Immer wenn er sich dann verbrannte schimpfte er leise und zog wieder an seiner Zigarette. So konnte ich, wenn er rauchte, immer ziemlich deutlich erkennen wo er sich befand und was er gerade machte.
Dann irgendwann in der Nacht kam im Lager Aufregung auf. Eine der äußeren Wachen war wohl mit einer Nachricht in das Lager gekommen. Es war als ob ein Zauberblitz in das Lager eingeschlagen hätte. Innerhalb von 60 Sekunden waren alle und alles verschwunden. Man sah und hörte nichts mehr von all den Leuten. Es war mit einem mal ganz ruhig und still! Mir war schon klar dass sie alle in unmittelbarer Nähe des Lagers waren, aber es war Nacht und man konnte nichts sehen. Dann etwa zehn bis fünfzehn Minuten später kam ein Trupp Leute an. Aber es gab wohl keinen Grund zu weiterer Aufregung. Es war ihr Anführer „el Charro“ der mit seinen Leuten zurück kam. Nach der Begrüßung wurde es schnell wieder still und jetzt schienen alle zu schlafen. Jetzt war scheinbar auch mein Wächter eingeschlafen denn ich konnte deutlich sein leises Schnarchen in meiner Nähe hören. Jetzt schlief ich auch vor Erschöpfung blitzschnell ein. Ich vergaß dass ich auf dem harten Boden lag, ich vergaß die Nachtkühle und meine Angst vor Schlangen. Ich war einfach, völlig erschöpft ganz schnell eingeschlafen!
Dann am nächsten Morgen als ich wach wurde war im Lager ein eifriges Hin und Her. Jetzt war jemand da der die Befehle gab und alle waren in Bewegung. Ich blieb den ganzen Tag über unbeachtet in meinem Bambusgefängnis hocken, denn aufrecht stehen konnte ich nicht. Dazu war es einfach zu niedrig gebaut. Ich schaute mir aber, während des Tages, sehr genau jede einzelne Stelle an den Bambusstäben an. Vor allem schaute ich ob der dicke Draht mit dem die Gitterstäbe aneinander gerödelt waren irgendwo eine Schwachstelle hatte. Aber ich fand nichts! Der oder diejenigen die das Gefängnis gebaut hatte hatten wirklich gut Arbeit geleistet. Die vier Drähte an jeder Bindestelle waren alle so angebracht dass sie pro Knoten wenigsten einmal auf zwei verschiedenen Bambusstücken waren mit dem Wulst in der Mitte. So konnte man die Gitterstäbe auch nicht ein kleines bisschen hin und herschieben. Nein hier brauchte ich gar nicht weiter zu suchen. Das einzige was mir noch blieb war mir den vergrabenen Teil der senkrechten Stäbe zu untersuchen. Aber das konnte ich, ohne bemerkt zu werden nur in der Nacht! Und die Flucht musste dann gelingen. Denn wenn man am Morgen feststellen würde dass ich versucht hatte zu entkommen würde man mich nicht am Leben lassen.
Jetzt wurde es später Nachmittag. Ich wunderte mich ein wenig dass sich noch absolut niemand um mich gekümmert hatte. Man hatte mir zwar zweimal am Tag das Essen, irgendeine Maisbrühe in einer halben, aufgeschnittenen Plastikflasche und das Wasser in einer alten Coca-Cola Flasche aus Plastik, ohne ein Wort durch das Gitter gereicht und sonst hatte sich bis jetzt niemand um mich gekümmert. Warum auch, ich war ihnen ja sicher?!
Ich hatte aber die ganze Zeit über ununterbrochen Angst. Das ständige Nachdenken am Tag über eine Flucht, half mir meine Angst etwas zurückzudrängen. Aber in der Nacht hatte ich keinerlei Ablenkung und oft überfiel mich dann die Furcht vor dem was da noch kommen konnte. Ich hatte ja schon so einige Geschichten gehört von dem was die Rebellen so mit Cooperantes del Gobierno (jemand der für die Regierung arbeitet) gemacht hatte wenn sie welche gefangen hatten. Und ich wusste, es gab „offiziell“ keine Verhandlungen zwischen irgendwelchen Rebellen und der Deutschen Regierung. Das war alles nicht sehr aufbauend. Ich musste weg hier, koste es was es wolle! Was mich bis jetzt am Leben gehalten hatte war die Geldgier meiner Begleiter! Ich konnte nicht warten und auf die Deutsche Botschaft vertrauen, von denen würde sich wohl niemand hierher in die Berge wagen. Sie wussten, sie wären einfach ein zu verlockendes Geschenk gewesen. Also war mir schon klar dass ich hier ziemlich alleine war. Ich musste etwas tun, sonst würde mir niemand helfen. Ich war alleine auf mich gestellt das war mir schon völlig klar!
Mein Wächter war gewechselt worden und der Neue war scheinbar Nichtraucher. Nachdem es dunkel war konnte ich nicht ausmachen wo er war. Ich lauschte angestrengt in die Nacht um etwas von ihm zu hören. Nichts, es war einfach bis auf das unheimlich laute Zirpen der Grillen und das Krabbeln anderer Insekten und Kleintiere nichts zu hören. Also rief ich meinen Wächter! Dann, nach einigem Rufen kam er aus der Dunkelheit auf mich zu. Jetzt wusste ich wenigstens die Richtung in der war. Als er vor mir stand meinte ich erkennen zu können dass er verschlafen war. Ich bat ihn nur um etwas Wasser was er mit einem kräftigen Fluch beantwortete und der Drohung wenn ich ihn nochmals wegen einer solchen Dummheit rufen würde wäre ich ein toter Mann. Aber ich wusste jetzt in etwa die Richtung in der er saß und konnte so die Entfernung schätzen in der er saß. Denn ich konnte zumindest einen Teil seiner Schritte hören und zählen. Es waren neun Schritte die ich hören konnte, also war er möglicherweise fünf bis sechs Meter von mir entfernt irgendwo dort im Dunkel.
Er hatte auch möglicherweise dort wo er sich hingesetzt hatte geschlafen. Denn dass er irgendwo auf dem Waldboden gesessen hatte war an seiner Hose zu erkennen, seine Hose war am Hinterteil deutlich dunkler weil sie durch den nassen Waldboden feucht geworden war. Das konnte ich erkennen als er wieder von mir weg ins Dunkel ging.
Es musste also jetzt sein! Ich musste jetzt, heute Nacht noch, weg von hier! Denn morgen wer weiß was dann passieren würde. Vielleicht gäbe es keinen Handel mit der Botschaft und dann wäre das mein sofortiges Ende! Jeder Tag und vor allem der Kommende, war für mich hundertmal gefährlicher als die Nacht! Wenn es mir auch möglicherweise nicht gelingen sollte, ich wollte es wenigstens versucht haben hier weg zu kommen.
Ich ging in die hintere rechte Ecke meines Gefängnisses und tastete an den einzelnen Stangen die senkrecht im Boden vergraben waren um zu fühlen ob sie über dem Boden feucht, oder vielleicht angefault waren oder sonst irgendwie verändert waren. Diese senkrechten Pfosten waren nicht eingerammt sondern eingegraben worden. Wenn ich Glück hatte war der Boden dort noch weich und ich würde ihn vielleicht mit den Händen entfernen können. Denn wir waren hier ja in einen Jahrtausende alten Wald. Der Boden war also im Laufe der Jahrhunderte durch das abfallende Laub usw. aufgebaut worden. Wo Steine oder Felsen war hätten sie ja die Pfosten nicht eingraben oder einrammen können.
Dann erfühlte ich eine Veränderung an einer waagerechten Stange die fast halb im Boden vergraben war konnte ich verspüren dass der Draht angerostet war und auch nicht doppelt gerödelt worden war. Es war nur ein einziger Draht der zwar gekreuzt war aber nur einmal an der Außenseite gerödelt worden war. Das musste meine Stelle sein! Hier wollte ich es versuchen hier raus zu kommen. Ich versuchte meinen Wächter zu hören und jetzt glaubte ich nach angestrengtem in die Richtung hören wo er sein musste, ein schnarchendes Geräusch zu hören. Möglicherweise schlief er? Ganz sicher war ich mir aber nicht!
Ich fing an im knien um dem halb in der Erde verborgenen waagerechten Bambusstab herum in der weichen Erde zu graben und sie abzutragen. Es ging relativ schnell denn die Erde war wirklich ganz weich und kaum verdichtet. Ich kam schnell tiefer und bald lag ich auf der Brust und reichte kaum noch mit den Armen bis zum Boden des von mir gegrabenen Loches. Ich musste das Loch etwas verbreitern um meinen Oberkörper ein wenig in das Loch beugen zu können um weiterzugraben. Dann spürte ich ein Bambusholz. Es war waagerecht! Wenn das jetzt noch mit Draht an die senkrechten Pfosten angerödelt war war ich im Arsch! Dann käme ich hier nicht raus. Denn den Draht hätte ich ohne Werkzeug nicht lösen können. Jetzt war ich am schwitzen vor Angst. Während der ganzen Buddelei war ich eigentlich ziemlich ruhig geblieben da ich ja alle ganz leise machen musste und es so außer meiner inneren Spannung keine große körperlichen Anstrengungen gab. Aber jetzt sollte ich möglicherweise einsehen müssen dass ich die halbe Nacht umsonst gegraben hatte und ich hier trotz aller Anstrengung in dieser Nacht nicht hier rauskam? Ich tat das einzige was mir noch blieb und wollte versuchen dieses waagerechten Bambus freizulegen um zu sehen ob er mit Draht an die senkrechten Pfosten angebunden war. Wenn ja dann war hier Schluss! Einfach von der Zeit her hätte es nicht mehr gereicht eine andere Stelle zu suchen um neu mit dem graben anzufangen Ich brauchte nicht lange zu graben um Sicherheit zu haben. Es war einfach nur ein etwa fünfzig oder sechzig Zentimeter langes dickeres Bambusstück das wohl, weil es beim Bau des Gefängnisses übrig geblieben war, einfach mit verbuddelt worden war. Es war, genauso wie aller Bambus an meinem Gefängnis, gesägt worden und nicht wie es normal war, mit einer Machete passend gemacht worden.
Ganz langsam und vorsichtig hob ich das Stück Holz aus der Grube und versuchte mit aller Kraft das Gitter dort wo ich gegraben hatte ganz langsam nach oben aus der Erde zu ziehen. Es rührte sich nichts! Einmal hatte ich es wohl etwas zu heftig versucht und die leeren Blechdosen die an meinem Gefängnis, die Alarmanlage schepperte leise. Aber niemand schien etwas gehört zu haben. Also konnte ich die Idee dass ich unter den Stäben nach draußen durchkroch wohl vergessen. Die Blechdosen würden mich dann wohl wirklich verraten wenn ich beim Durchkriechen an das Gitter anstoßen würde. Also blieb mir nur der Weg durch die kleine Zellentüre nach draußen. Ich hatte jetzt nicht mehr viel Zeit. Ich musste jetzt hier raus, denn wenn man morgen früh bemerken würde dass ich versucht hatte auszubrechen und das war durch die ganze Erde die ich bewegt hatte ganz leicht festzustellen, würde ich wohl einfach aus Bequemlichkeit erschossen werden. Ich band das Stück Bambus das ich ausgegraben hatte mit einigen Halmen von dem dort sehr reichlich wachsenden Gras „Zacate Estrella“ von außen über dem Zellenausgang an. Nun füllte ich wieder das Loch das ich gegraben hatte auf. Dann klopfte ich an meine 'Türe' und rief, nicht sehr laut, nach dem Wächter. Nach einer Weile kam er aus der Dunkelheit auf mich zu . Er war wütend und hatte wohl gerade gut geschlafen. Durch seine Wut, die Schläfrigkeit und seine schlechte Laune war er ganz auf mich fixiert und bemerkte nicht dass in meiner Zelle und über der Zellentüre etwas verändert worden war. Auf spanisch fragte er mich voller Wut, „was willst du verfluchter Deutscher?“ Ich sagte ihm dass ich dringend mit ihrem Anführer „el Charro“ reden müsste es sei sehr wichtig und die Sicherheit dieses Lagers und das Leben von allen sich hier befindenden Personen hinge davon ab. Es sei ganz dringend! Mir sei gerade etwas eingefallen was er unbedingt wissen müsse!
Da der Befehl seines Kommandeurs ja lautete dass wenn ich etwas wichtiges zu sagen hatte seinen Anführer „el Charro“ sofort informiert werden wolle öffnete er, wenn auch widerwillig das kleine Gittertor meines Gefängnisses. Er löste mit einem Schlüssel die Kette die das Türgitter fest an mein Gefängnis band. Dann, als ich auf den Knien halb durch die kleine Öffnung gekrochen war trat er mich fest in die Seite. Es schmerzte höllisch und als ich mich aufrappelte zog ich mich an den Gittern meines Gefängnisses nach oben bis ich stand. Mein Wächter hatte sich gegen den Wind gedreht und zündete sich zwischen den hohlen Händen und seinem Körper als Windschutz benutzend, gerade eine Zigarette an.
Das war meine Chance, die würde ich nie wieder bekommen. Ich griff auf das Dach meines Gefängnisses und hob das Bambus Stück das ich dort angebunden hatte und schlug einfach mit aller Kraft zu. Ich traf ihn wohl voll am Hinterkopf weil er sich gerade aufrichten wollte, da seine Zigarette jetzt angezündet war. Ohne auch nur den allergeringsten Laut von sich zu geben fiel er nach vorne auf sein Gesicht und blieb unbeweglich liegen.
Es war mir im Moment völlig egal ob er tot war oder nur ohnmächtig! Ich nahm eigentlich sogar an dass er tot war, denn ich hatte mit dem doch recht dicken Stück Bambus wirklich mit aller Kraft auf seinen Hinterkopf geschlagen. Im Lager rührte sich noch nichts. Ganz vorsichtig ging ich so schnell wie es ohne Schuhe möglich war um mein Gefängnis herum und trat in den dichten Wald. Hier war es, wenn das überhaupt möglich war, noch dunkler als draußen auf der Lichtung. Ich tastete mich einfach vorwärts, einfach nur weg vom Lager.
So kam ich immer tiefer in den Bergwald und konnte bald nur noch erahnen wo das Lager war. Der Mond hatte etwas links von mir gestanden als ich aus dem Lager weglief. Also achtete ich darauf dass er sich immer an der gleichen Position blieb während ich weiterging. Dann kam ich irgendwo an eine Lichtung im Wald. Ich wusste jetzt bald würde es hell werden und dann hatte ich keine Chance den Soldaten zu entgehen. Ich musste mir jetzt was einfallen lassen!
Und da bot sich mir auf einmal eine Möglichkeit an. Oder zumindest war es das Einzige das mir einfiel. Mitten auf einer Lichtung stand eine kleine Gruppe wilder Bananenstauden. Normalerweise auf den Bananenplantagen lag unter den Stauden immer eine sehr dicke Schicht von alten, abgefallenen Bananenblättern. Die ist notwendig, zum guten wachsen und gedeihen der Pflanze, da diese dicke Schicht um die Pflanze herum auch in Trockenzeiten den Boden feucht hielt. Im Verlauf der Jahre wird das dann eine sehr dicke Schicht fauler Blätter die dann unter der Staude liegt. Auf den Plantagen wird das dann schon mal weggeräumt. Aber hier, mitten im Urwald wo die Bananenstauden nicht gepflegt wurden musste diese Schicht noch deutlich dicker und mächtiger sein. Ich dachte wenn ich mich einfach unter die Schichte der Verfaulten Blätter legen konnte wäre ich völlig unsichtbar und es wäre wohl nur sehr schwer mich zu finden. Ich müsste nur darauf achten dass die trockenen Blätter obenauf zu liegen kämen. Dann wäre ich unsichtbar! Dann könnte man sogar über mich drüber laufen und es würde mich kaum belästigen.
Aber viel Zeit hatte ich nicht mehr.
Ich fing an zu suchen wo ich eine Stelle, um die Staude herum finden konnte die dick und zusammenhängend genug war dass ich sie einfach wie einen Deckel nach oben aufklappen konnte. Dann fand ich eine Stelle die wenn ich versuchte sie zu öffnen scheinbar lang genug war dass ich mich fast ausgestreckt in die entstandene Mulde legen konnte. Ich lies die Stelle halb offen und ging zum Wald und suchte auf dem Boden nach einigen etwa fünfzig bis sechzig Zentimetern langen Holzstöcken. Abbrechen konnte ich sie ja nicht, das wäre sofort bemerkt worden wenn jemand auf der Such nach mir hier vorbeikommen wurde. Endlich hatte ich 5 Hölzer zusammen. So schnell als möglich ging ich wieder zurück zu der Bananenstaude hob die vorbereitete Blätterschicht auf und legte mich in diese Grube. Die fünf Hölzer die ich gesammelt hatte legte ich etwa zehn Zentimeter höher waagerecht über meinen Kopf so war mein Kopf frei und ich konnte durch eine kleine Öffnung atmen. Dann klappte ich die faulen Blätter wieder wie ein Deckel herunter und war jetzt für jeden unsichtbar. Dann musste ich nur noch ganz still liegenbleiben und hoffen dass wenn meine Verfolger hier vor bei kommen sollten sie mich nicht bemerken würden.
Und es dauerte keine Stunde da waren sie da. Dass sie so spät erst kamen bedeutete wohl dass mein Wächter dem ich das Stück Bambusholz übergezogen hatte tot war. Wenn er Alarm geschlagen hatte wären sie schon sehr viel früher gekommen um mich zu suchen! Ich konnte sie deutlich durch die Erschütterungen der Erde in meinem Versteck spüren. Hören konnte ich fast nichts denn durch mein kleines Atemloch drang nur sehr wenig von den Geräuschen der Welt da draußen. Niemand schien zu ahnen dass ich ganz in ihrer Nähe hier verborgen war. Es mussten wenigstens zwei Stunden vergangen sein denn das Licht das durch mein kleines Atemloch fiel war deutlich heller geworden. Es war unglaublich schwierig still liegen zu bleiben. Nicht wegen dem Liegenbleiben an sich, … sondern wegen der vielen Insekten. Sehen konnte ich sie nicht, aber fühlen! Ich war mehr als einmal drauf und dran einfach aus meinem Versteck heraus zu springen und mich von den Insekten zu säubern. Aber irgendwie hielt ich einfach aus Angst durch. Denn ich wusste dass sie jetzt nicht mehr versuchen würden mich zu Geld zu machen sondern dass sie mich, wenn ich Glück hatte wohl eher einfach erschießen würden wenn sie meiner habhaft werden sollten. Ich schlief irgendwann sogar eine Weile ein. Als ich wach wurde war es draußen wohl wieder Nacht denn mein Atemloch war stockdunkel und hören konnte ich auch absolut nichts. Ich blieb noch eine Weile liegen und achtete auf irgendwelche Erschütterungen des Bodens, aber nichts, ich konnte nichts fühlen!
Also begann ich vorsichtig mich aus meinem Blättergrab zu befreien. Dann war ich frei! Ich stand in der schwülen Nacht und fragte mich, was nun? Das Lager dürfte sich wohl nicht mehr dort befinden wo es gewesen war. Die hatten sich aus Sicherheitsgründen bestimmt weiter nach oben in die Berge zurückgezogen. Ich musste einfach nur bergab gehen um so mit Sicherheit von den Rebellengruppen weg zu kommen und dann irgendwann auf einen Weg oder eine Straße zu treffen. Aber das mit den „einfach nur“ war gar nicht so einfach. Ich hatte ja keine Schuhe und zudem noch eine höllische Angst vor Schlangen, Skorpionen und ähnlichem Viehzeug das es ja hier reichlich gab. Also ging ich sehr langsam und ängstlich weiter. Meinen Blasen an den Füßen ging es erstaunlich gut. So kam ich zwar langsam und unter tausenden von Schrecken wegen jedem Stück Holz das meine Füße berührten und das ich für eine Schlange hielt, ganz langsam voran. Es wurde schon hell am Himmel als ich auf einen schmalen unbefestigten Weg stieß der sich auf einer Höhe durch den Wald schlängelte. Ich war durch meine Angst vor Schlangen, langsam, ohne es eigentlich so recht zu bemerken, die ganze Nacht gelaufen. Einfach ziellos, ich hatte nur darauf geachtet dass ich immer bergab lief und den Mond an einer Seite hatte. Sonst hatte ich keine Richtung gehabt! Es musste nur bergab gehen und der Mond musste auf meiner linken Seite sein! So lief ich zwar einen großen Bogen aber das war ja für meine Flucht nur von Vorteil. Auch hier auf dem Weg angekommen versuchte ich die „grobe Richtung bergab und Mond-wo-er-gestanden-hatte-links“ einzuhalten. Aber ich war jetzt an die Richtung gebunden in die der Weg verlief. Ich wandte mich nach rechts und ging auf dem Weg in diese Richtung, die mich so wie ich glaubte bergab führte. Ich weis nicht nach welcher Zeit ich auf eine Carreta stieß. Es war ein von zwei Ochsen gezogener zweirädriger Wagen der nur mit einigen Kohlköpfen und Yucca beladen war. Der Bauer der vor den Ochsen herging um die Ochsen zu führen war doch einigermaßen erstaunt hier, mitten im Wald so plötzlich einen so schmutzigen „Gringo“ der dazu noch barfuß auf dem Weg stand zu sehen. Aber kurz und gut, er nahm mich auf seinem Ochsenkarren mit bis zu seinem Haus. Wobei man sich den Begriff Haus nicht mit europäischen Verständnis und Vorstellung verbinden kann. Es war einfach nur eine Holzhütte die aus zwei kleinen Räumen bestand und etwa zehn Meter von dem Weg weg stand. So wie in allen Hütten der Bauern war auch hier die Küche ein offenes Feuer auf dem ein Pott Kaffee stand und der übliche Comal (tönerne Schale zum Tortilla backen) hing an der Wand. Der Topf mit den Bohnen war weiter nach hinten vom Feuer weg geschoben um die Bohnen einfach nur warm zu halten.
Ich musste mich auf eine Bank setzen die an der Wand stand und mir wurden Tortillas und eine warme Bohnensuppe vorgesetzt. Ich aß nicht ich fraß! und das waren ungeheure Mengen von frisch gebackenen Tortillas und rote Bohnen. Die erste Tasse Kaffee die ich trank war so stark dass mir unverzüglich das Herz schmerzte. Aber ich war zufrieden. Wenn der Schmerz nicht stärker werden würde konnte ich es aushalten. Ich war einfach froh wieder auf dem Weg nach Hause zu sein. Dann etwas später kam mein Retter mit zwei, mit Albardas (Arbeits- und Packsattel) gesattelten Pferden. Er begleitete mich bis zu dem nächsten größeren Ort und setzte mich vor dem Ort ab, denn er wollte nicht von den politischen Fanatikern im Dorf mit mir, einem Gringo, gesehen werden! Den Rest des Weges ging ich also alleine. Und von hier aus kam ich dann am übernächsten Tag wieder nach Jinotega.
 



 
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