Geldgier

Petra

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Es war wieder Dienstag und wie jede Woche stand Marco vor der Tür seiner Großtante. Ein nervtötender Trott, den er heute ein für alle mal beenden würde. Als er klingelte, vergewis-serte er sich zum 100. Mal, ob er das kleine Tütchen Gift in seine Hosentasche gesteckt hatte, er war nervös und wartete. Viel zu lange musste er immer vor dieser Tür warten, bis seine Großtante ihm endlich aufmachte.
"Hallo Tante, wie geht es dir heute?" fragte er wie gewohnt freundlich als sie ihm endlich öffnete. Doch insgeheim ärgerte er sich über die Demütigung, dass sie ihm nicht einmal einen Wohnungsschlüssel anvertraute. Heute würde sie dafür bezahlen müssen und zwar nicht nur mit einem 100er, wie er ihn allwöchentlich bei seinem Besuch bekam, sondern mit ihrem ganzen Vermögen und ihrem Leben! "Wenn nur alles klappt", zerbrach Marco sich den Kopf und nahm im Wohnzimmer platz.
"Triffst du dich noch mit dieser Frau?" Marco zuckte jäh zusammen, als hätte Margarete ihn bei seinen bösen Gedanken ertappt. "Nein nie wieder seit damals" log er und strich sich wut-entbrannt über die ständige Einmischung in sein Leben, über die Hosentasche, die das Gift trug. Schließlich hätte das Verhältnis mit seiner Kollegin niemanden geschadet, wenn seine Frau nicht hinter ihm hergeschnüffelt hätte. Er war ein guter Ehemann gewesen.
"Sabine hätte sich wegen dieses unbedeutenden Ausrutschers niemals von mir scheiden lassen dürfen, das wird uns beide in den finanziellen Ruin treiben", führte er weiter aus.
"Ich finde du übertreibst und schließlich unterstütze ich dich jede Woche mit 100 DM. Sabine war eben sehr enttäuscht vorn dir."
"Du kannst dir ja gar nicht vorstellen wie sehr ich sparen muss. Bei deinem Vermögen hast du gut reden. Im Übrigen finde ich es sehr leichtsinnig von dir, so viel Geld in der Wohnung zu lassen, ich könnte dir einen Tresor einbauen."
"Da mach' dir mal keine Sorgen, es geht nichts verloren, du wirst schon früh genug alles be-kommen."
Marco sprang vom Sofa auf. Der Gedanke an das viele Geld machte ihn wütend. Er versuchte aber, sich nichts anmerken zu lassen. Wie oft hatte er schon vergeblich danach gesucht. Ir-gendwann gehörte es ja sowieso ihm. Er war der Haupterbe. Aber das Leben war so unge-recht, er wollte das Vermögen jetzt. Dann stünde ihm die Welt offen. Er könnte verreisen, ein neues Auto kaufen, ach er hatte so viele Ideen und noch so viel Zeit, denn er war erst 38. Großtante Margarete dagegen hatte mit 77 nichts mehr vom Leben zu erwarten, außer dem ollen alten Nachbarn, der jeden Tag auf einen Plausch vorbeikam. Ein paar Jahre mehr oder weniger würden für sie keinen Unterschied machen.
Marco hatte die Nase voll. Es kam ihm fast so vor als würde sich seine Tante über ihn lustig machen und sich darüber amüsieren, dass er auf das Geld warten musste. Ihr würde das La-chen schon vergehen und zwar jetzt.
Marco ging in die Küche und kam mit zwei vollen Tassen Kaffee zurück, von denen eine das tödliche Gift enthielt. Er stellte sie vor Margarete auf den Tisch. Als sie den ersten Schluck nahm, starrte Marco sie an. Er fragte sich, wieviel sie wohl trinken musste, damit das Gift wirken würde. Wie lange würde es dauern, bis er irgendwelche Symptome feststellen könnte und was genau würde eigentlich mit ihr passieren? Fast hatte er Angst vor seiner eigenen mörderischen Tat, sein Herz pochte wild. "Würdest du mir bitte noch mehr Milch holen?" wurde er unverhofft aus seinen mörderischen Überlegungen gerissen.
Ihre Marotten machten ihn krank, vor allem jetzt. Konnte sie nicht endlich tot umfallen?
Als er mit der Milch zurück kam sah seine Großtante noch so rosig aus wie sonst und fragte "hast du noch etwas vor?, du wirkst so nervös."
Offensichtlich hatte sie etwas gemerkt. Marco musste sie unbedingt dazu bringen, schnell auszutrinken. Vielleicht ließ das Gift in seiner Wirkung nach einiger Zeit nach?
"Ich bin so aufgeregt, weil ich noch eine Überraschung für dich habe", log er. "Ich lade dich zu etwas ein, aber wir müssen uns beeilen, um pünktlich zu sein".
Er stürzte hastig seinen Kaffee hinunter und drängte Margarete, auch schnell auszutrinken. Dabei schaute er sie erwartungsvoll an und tatsächlich trank sie endlich aus.
Eine halbe Stunde später war die kleine Wohnung der alten Dame voller Menschen: Polizisten, ein Arzt und Sanitäter gingen geschäftig umher, 2 Männer transportierten die Lei-che ab und der alte Nachbar Margaretes saß fassungslos da und sah allem zu.
Er tätschelte Margaretes Hand, die neben ihm saß und eine Beruhigungsspritze bekam. Jetzt, da ihr kriminalistischer Instinkt sich als richtig erwiesen hatte, waren sie zwar froh, dass er Margaretes Leben gerettet hatte, aber auch erschüttert, dass ein Mordanschlag auf sie verübt worden war. Schon seit geraumer Zeit hatte die alte Dame bemerkt, dass Marco heimlich ihre Wohnung nach Geld durchstöberte, wenn er sich unbeobachtet glaubte. Er war nie auf den Gedanken gekommern, dass er darauf herumlief, auf den Geldscheinen, die mit Klebe-band unter dem Wohnzimmerteppich befestigt waren.
Nur zum Zeitvertreib und weil sie so gerne gemeinsam Kriminalromane lasen, hatten Marga-rete und ihr Nachbar sich ausgemalt, dass Marco für Geld sogar einen Mord begehen könnte. Sie dachten sich verschiedene Maßnahmen aus, wie Margarete sich davor schützen könnte. So hatte sie sich angewöhnt, immer ein Tränengasspray griffbereit in der Strickjackentasche zu haben, wenn Marco zu besuch kam, ein Fenster offen zu lassen, damit ihr Nachbar sie hören könnte und die Tassen und Gläser zu vertauschen, wann immer Marco Kaffee kochte oder Getränke brachte. Sie hatte sich sogar besonders clever verhalten, denn ihr erster Schluck Kaffee war nur vorgetäuscht. Aber das hatte Marco nicht bemerkt und es war ihm zum Ver-hängnis geworden. Auf einmal war er Leichenblass geworden, hatte nach Luft gerungen und dann lag er auch schon reglos auf dem Teppich.
Alles war in Sekundenschnelle geschehen, Margarete hatte vor Schreck laut aufgeschrien, ihr aufmerksamer Nachbar war so schnell er konnte zu ihr geeilt und hatte geistesgegenwärtig Polizei und Rettungswagen gerufen. Der Arzt war nach wenigen Minuten eingetroffen. Aber für Marco kam jede Hilfe zu spät.


(Übernommen aus der 'Alten Leselupe'.
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