Gestatten, mein Name ist Hubert

toll.er

Mitglied
Hubert, der Auftragskiller

Er hob seinen Blick, sah sie an und rülpste ihr den dünnen Bohnenkaffeeduft ins Gesicht. Sie sah an seinem hohlen und blankrasierten Schädel mit den blutunterlaufenen Glupschaugen, der Kartoffelnase und den angefressenen Ohrläppchen vorbei aus dem Fenster.
"Du Saftsack, deine Zeit ist abgelaufen."

Langsam hob sie den schwarz glänzenden Revolver, zielte und hielt inne. Sie konnte sich ihre Munition sparen. Noch schaute er sie ungläubig an, da kam durch das geschlossene Fenster der Hubert angeschossen. Die Scheiben splitterten, der alte Holzrahmen ächzte, sein spitzer Schnabel stieß durch den Saftsack hindurch, wie ein Solinger Qualitätsmesser durch weiche Butter.
Der Saftsack verschied mit einem gehauchten: "UFFF."

Der Flugsaurier Hubert zog seinen spitzen Schnabel aus dem Saftsack heraus, wischte ihn an der bunten Übergardine ab, verbeugte sich vor ihr und sprach mit tiefer Stimme:
"Hier ist doch bei Müller-Meisenheim?"

Sie schüttelte den lockigen Kopf.
"Nein, die wohnen eine Etage tiefer. Aber ist schon recht so. Bei mir sollten sie gestern kommen. Ich wollte die Angelegenheit schon selbst in die Hände nehmen."

Dabei deutete sie auf den glänzenden Revolver, den sie noch in ihrer rechten Hand hielt.

Mit einer gemurmelten Entschuldigung und dem Versprechen, einen kleinen Nachlass wegen der Verspätung zu gewähren, verließ der Flugsaurier Hubert das Zimmer durch das zerbröselte Fenster. Einige Glasscherben fielen zu Boden.
Sie schaute sich um.
"Na, diese Sauerei mache ich nicht weg. Ich ziehe einfach aus!"

------------------------------------------

Auf Hubert, den Auftragskiller wartete der nächste Auftrag. Müller-Meisenheim. Eine Etage tiefer. Zum Glück ganz in der Nähe. Denn er war gewaltig in Verzug. Er hatte die Entfernungen unterschätzt. Wieder einmal. Und die Reihenfolge auf der Liste war ihm auch durcheinander gekommen.

--------------------------------------

Kommissar Hawelcka stand mit seiner Assistentin Veronika Lenzen vor der Leiche. Er schüttelte den Kopf. Aus seinen fettigen Haaren rieselten die Schuppen. Dann kratzte er sich seinen 5-Tagebart, unter dem das eine oder andere Ekzem wucherte.
"Wie sich die Tatorte doch gleichen. Unten in der Wohnung von Müller-Meisenheim hängt ein unappetitlicher Kerl halb auf dem Tisch. Tot natürlich. Nun, nicht natürlich. Aber tot eben. Alles blutig drumherum. Und es scheint eindeutig ein sehr spitzer Gegenstand von hinten durch den Körper gedrungen zu sein.
Hier - wie auch unten in der Wohnung von Müller-Meisenheim - sind die Fensterscheiben zerbrochen und der Holzrahmen ramponiert. Und in beiden Wohnungen sind die Übergardinen mit Blut verschmiert. Das scheint mit auf ein und denselben Täter hinzuweisen."

Seine Assistentin brummte leise vor sich hin:
"Das stimmt Chef. Und aus beiden Wohnungen sind die gemeldeten Lebensabschnittsgefährtinnen verschwunden. Und wenn man es richtig bedenkt, gestern die beiden Leichen in der Robert-Koch-Straße Nr 17a und in der Sperlingsgasse 95, die beiden Leichen waren auch männlich, ungepflegt und unappetitlich. Und auch die beiden waren irgendwie von hinten durchdolcht. Die Fensterscheiben waren kaputt, die Rahmen der Fenster ramponiert, die Übergardinen blutverschmiert. Und auch keine Spur von den Lebensabschnittsgefährtinnen. Hm."

Nach einer kleinen Pause fügte sie hinzu:
"Chef, ich glaube, wir haben es mit einem Serienmörder zu tun."

Kommissar Hawelcka nickte.
"Ja, wenn ich mir das ganz genau überlege, liegst du da nicht falsch. Aber lass uns nicht voreilig urteilen. Allerdings … vor fünf Jahren, da hatten wir zwei ähnliche Fälle. Allerdings waren die Opfer appetitliche und ansehnliche Frauen. Blond, soweit ich mich erinnern kann. Und da gab es noch einen dritten Fall. Der war aber nicht blond. Jedenfalls nicht naturblond. Hm. Und in allen drei Fällen war der Lebensabschnittsgefährte auch verschwunden. Wir haben einen schweren Brocken Arbeit vor uns liegen. Lass uns anfangen."

Da kam ein weiterer Assistent von Kommissar Hawelcka herein. Der kleine aber fixe Norbert Hochwasser. Er hielt eine durchsichtige Plastiktüte hoch.

"Chef, wir haben unten in der Wohnung von Müller-Meisenheim einen Zettel auf der Fensterbank gefunden. Da stehen ganz viele Adressen drauf. Auch diese Adresse hier, und die von Müller-Meisenheim und noch viele andere. Ganz viele Adressen sind durchgestrichen. Zwei kann man aber noch ganz gut lesen. Eine lautet 'Möpsel, 3. Stock links, Robert-Koch-Straße Nr 17a' und eine andere 'Konstantinus, Eigenheim, Flachdach, eingeschossig, Sperlingsgasse 95'."

Kommissar Hawelcka schaute seine beiden Assistenten an und sagte triumphierend:
"Na, was habe ich gesagt!"

Hochwasser hob noch einmal die Hand.
"Chef, hier ist aber noch etwas auf dem Zettel. Die nächste nicht durchgestrichene Adresse hier ist merkwürdig. Da fühlt man sich fast verarscht: 'Kasimir Hawelcka 7. Stock, Hinterhof, Am Bunker 13'. Chef, wohnen Sei nicht da?"

Kommissar Hawelcka griff nach der durchsichtigen Plastiktüte mit dem Zettel und schaute genau hin. "Tatsächlich! Meine Adresse!"

Seine Assistentin griff nach seiner Hand und versuchte ihn zu trösten.
"Ach Chef, bestimmt nur ein schlechter Scherz. Sie passen ja gar nicht in das Opfermuster. Weder sind sie weiblich noch blond wie die früheren Fälle, noch sind sie ungepflegt und unappetitlich."
Sie schaute ihn an und ergänzte vorsichtig:
"Jedenfalls nicht so richtig ....."


..................

Hubert war stocksauer. Auf sich. Er fluchte herum und zertrampelte das Gras um sich herum.
"Scheiße! Scheiße!! Scheiße! Und noch mal Scheiße! Und oben drauf auch noch Scheiße!!
Wo ist der Zettel? Der beschissene Zettel?
Wo könnte ich den verloren haben??
Manno, wie soll ich denn jetzt meine weiteren Aufträge ausführen? Wenn ich jetzt zur Chefin fliege und der sage:
'Du Chefin, ich habe den Zettel mit den Adressen verloren', dann schmeißt die mich doch raus!!! Die schmeißt mich echt raus!!! So eine Scheiße aber auch!!!"


--------------------------------------------

Als Kommissar Hawelcka und seine Assistenten das Haus verließen, hielt sie ein Uniformierter auf, neben dem ein kleiner dicker Knabe mit lockigem Haar stand.

"Ähhm, Herr Kommissar Hawelcka, ähh, dieser ähmm Junge hier möchte gern eine Aussage machen. Ich wollte ihn ja fortschicken, aber er hat nicht locker gelassen. Und da wir ja alle wissen, dass sie Kinder mögen ..."

Gönnerhaft klopfte Kommissar Hawelcka dem Uniformierten auf die Schulter.
"Schon recht, schon recht. Wir als Freunde und Helfer wollen es uns doch nicht mit dem Nachwuchs verderben, nicht wahr?" wobei die letzten Worte an den Knaben gerichtet waren.
"Nun, mein Junge, wie heißt du denn, wie alt bist du denn, wo wohnst du denn und was willst du mir denn sagen."

Der Knabe schaute mit glänzenden Augen zu ihm auf.
"Du bist der berühmte Kommissar Hawelcka? Das ist ja toll. Da werden meine Freunde aber staunen."
Der Knabe fing sich aber schnell und antwortete präzise:
"Mein Name ist Robert Hobbendorf, genannt Dickie - na, sie können sich schon denken, warum ich so genannt werde - ich bin 12 Jahre alt, habe ein mittelmäßiges Übergewicht, und meine Eltern und ich wohnen im Haus gegenüber. Und ich habe vor etwa 2 Stunden gesehen, wie ein kleiner kurzschwänziger Flugsaurier durch das Fenster da oben" wobei er auf das Fenster der Wohnung Müller-Meisenheim zeigte, " zuflog. Es hat gekracht und gescheppert, und ein paar Glassplitter sind auf die Straße geflogen. Natürlich weiß ich, dass, wenn der Flugsaurier von außen in die Scheibe fliegt, die Splitter nach innen fallen, aber ein paar sind auf die Straße gefallen." Dabei zeigte er auf eine Stelle auf dem Bürgersteig. Dort lagen tatsächlich einige Glassplitter.
"Und nach ganz kurzer Zeit, ich habe bis 10 gezählt, kam der Flugsaurier wieder rausgeflogen, wobei er mit einem Flügel am Fensterrahmen hängen geblieben ist. Ich hatte schon fast gedacht, jetzt stürzt er ab, aber so ein Flugsaurier ist ganz schön geschickt."

Kommissar Hawelcka klopfte auch dem Buben anerkennend auf die Schulter.
"Das hast du gut beobachtet. Und vielleicht hilft uns das ja, den Täter zu finden."

Dann stieg er mit seinen Assistenten in die bereitstehende Limousine bayrischen Ursprungs. Nachdem sie die Türen geschlossen hatten, lachte Veronika Lenzen hell und mehrfach kurz auf.
"Ja, die Jugend von heute! Eine Phantasie hat die! Ein Flugsaurier! Wie lustig."

Kommissar Hawelcka stimmte in ihr kurzes Lachen ein.
"Ja, lustig. Ich konnte auch kaum an mich halten. Flugsaurier! Ein kleiner kurzschwänziger Flugsaurier!! Aber man will es sich ja nicht mit der Jugend verderben. So, und jetzt ab durch die Mitte und ins Präsidium."


----------------------------------------------------------

Kommissar Hawelcka hatte seine Assistenten in sein Dienstzimmer gerufen. Die Kuckucksuhr an der Wand schlug Fünf. Veronika Lenzen wollte auf den Dienstschluss aufmerksam machen, aber Hochwasser flüsterte ihr zischend ins Ohr:
"Wir sind hier nicht bei 'Dienst ist Dienst' oder 'Schnaps ist Schnaps'. Wir machen durch bis morgenfrüh - bis wir den Täter haben! Oder wollen Sie sich Ihre Karriere versauen?"

Veronika Lenzen verstummte.
Dann sagte Hochwasser zu Kommissar Hawelcka:
"Chef, ich habe da eine Idee. Auf der Liste, die wir gefunden haben, steht doch Ihre Adresse als nächste. Könnten wir das nicht als Köder benutzen? Also ich meine, sollten wir nicht sogar? Sind wir dazu nicht verpflichtet? Sie setzen sich in ihre Wohnung. In die Küche. Mit dem Rücken zum Fenster. und wir passen auf!!"

Stille im Dienstzimmer von Kommissar Hawelcka. Jetzt schlugen die Glocken der gegenüber liegenden Marienkirche Fünf. Die Kuckucksuhr ging ein wenig vor. Nach dem fünften Stundenschlag antwortete Kommissar Hawelcka:
"Dieser Vorschlag, verehrter Hochwasser, verdient meine Hochachtung! Ich glaube, Sie stehen kurz vor einem weiteren Sprung auf der Karriereleiter. Genau das ist es, was wir hier brauchen. Kreative Gedanken! Kreative Leute! Genau so machen wir es!
Ich werde die nächsten Tage an meinem Küchentisch verbringen - dienstlich natürlich, die Genehmigung haben wir ruckzuck - mit dem Rücken zum Fenster, und ihr alle passt auf!
G e n a u s o machen wir das! Und ZACK, schon haben wir den Serienmörder!"

------------------------------------------

Und so geschah es dann auch. Allerdings sitzt Kommissar Hawelcka heute noch an seinem Küchentisch. Mit dem Rücken zum Fenster. Dienstlich.

Denn der Auftragskiller Hubert hatte sich nicht zu seiner Chefin getraut, nachdem er die Liste mit den Auftragsadressen verloren hatte. Bei Nacht und Nebel flog er davon. Nur die notwendigsten Gepäckstücke nahm er mit. Der Flugsaurier Hubert soll in einem Wildpark in der Nähe von Paslam einen Aushilfsjob als Parkanimator angenommen haben - sehr zum Vergnügen der Kinder. Zuvor hatte er sich natürlich einem plastischen Chirurgen anvertraut, der sein ganzes Können an Hubert ausprobieren durfte. Wenn man Hubert heute so anschaut, käme niemand auf die Idee, dass es sich bei dem Gänsegeier Walli um den damaligen Serienkiller Hubert handeln könnte. So sehr waren die Operationen des Chirurgen gelungen.

Kommissar Hawelcka wird zurzeit auf Staatskosten von "Essen auf zwei Rädern" versorgt. Er und seine Assistenten geben die Hoffnung nicht auf.
 



 
Oben Unten