Großvaters Geschichte

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Art.Z.

Mitglied
Großvaters Geschichte


Mein Großvater war ein zäher Mann. Selbst im hohen Alter ging er täglich zum Feld hinaus und trieb dort sein Handwerk. Mond um Mond vergingen, er aber wurde nicht müder, nicht langsamer. Man sagte ihm nach, er habe noch kurz vor seinem Tod bei Wettrennen im Dorf viel jüngere Gegner geschlagen. Aber er war nicht nur schnell und ausdauernd; seine Kraft verließ ihn auch bis zum Tode nicht. Schwere Lasten trug er spielerisch, sein Hammerschwung ließ die Erde erzittern und im Zweikampf gab es weit und breit keinen Gegner, der dem schwungvollen Charme seiner Faust widerstehen konnte.

An kalten Winterabenden, wenn der Schnee unsere Hüte wieder umschlossen hatte und man nicht viel machen konnte, außer die Zeit möglichst gut zu überstehen, erzählte mein Großvater von seinem Leben. Wie er auf hoher See lebte und Piratenschiffe jagte. Unglaubliche Schätze aus Gold und Juwelen hatten die Banditen der Meere erbeutet und kämpften bis zum letzten Holzbein darum, sie zu verteidigen. Stinkende Ungeheuer ohne Erbarmen oder Gefühl; man konnte nur an ihrem aufrechten Gang erkennen, dass es sich um menschliche Wesen handelte. Auf riesigen Schiffen mit Kanonen so groß wie Elefanten schipperten sie, unter schwarzen Fahnen, über die sieben Weltmeere. Dann berichtete er uns von fremden Ländern und Sitten. Afrika, Asien, Amerika – alles hatte er gesehen und erlebt. Bei seinen Ausführungen wussten wir nie, wo die Wahrheit aufhört und die Zugabe seiner Phantasie die fehlenden Farben der Wirklichkeit auffrischt, aber es störte uns nicht. Solange Großvater mit seiner rauchigen, etwas heiseren Stimme unsere Abende aufwärmte, war es uns egal.

So saßen wir eines Abends, es war kurz vor Weihnachten, im Halbkreis und warteten, bis Großvater seine Vorführung begann. Er begann nicht, bis alle still waren, räusperte sich noch einmal laut, um auch den letzten Störenfrieden zu bedeuten, dass er anfangen wollte.

„Kinder, heute erzähle ich euch eine wahre Geschichte. Sie begab sich vor vielen, vielen Jahren, als ich noch ein junger, kräftiger Mann war – ja, das war ich mal, auch wenn ich nicht mehr so aussehe.“ Er lachte ein kurzes, trockenes Lachen, nahm einen Schluck Wasser und fuhr fort.

„In einem fernen Land, hinter vielen Ozeanen und Meeren, auf einer Insel, deren Landschaften damals zu den schönsten dieser Erde gehörten – fruchtbar und prachtvoll war ihre Natur. Milch und Honig flossen zwar nicht dort, aber jeder laktoseintolerante Diabetiker hätte seine wahre Freude an ihr gehabt. Dort also war ich angestellt als Bauarbeiter für ein seltsames und einzigartiges Gebilde.

Wir bauten kein Haus und keine Brücke – nein. Es war auch keine Straße oder sonst etwas, was man hier oder sonst wo auf der Welt kennt. Ich wusste zuerst auch nicht, was es werden sollte. Erst später, nachdem unser Bauwerk fertig war, erfuhr ich, wofür wir uns so ins Zeug gelegt hatten. Schwere Steinbrocken schleppten wir kilometerweit auf ausgeklügelten Rollen- und Hebelsystemen. Es war aber trotzdem verdammt schwer. Jeden Abend lag ich im Bett und hörte mein Kreuz sein Jammerlied trällern. Doch wir waren eine bunte Truppe und es wurde nie langweilig bei der Arbeit. Die Steinbrocken mussten wir zu einer besonderen Stelle tragen. Ein Schamane deutete uns den Weg. Besondere Energien und ...“ - „Was ist ein Schamane“, unterbrach Sissi, meine kleine Schwester.

„Ein Schamane ist ein Zauberer, der mit Geistern reden kann und bunt geschmückt laute, seltsame Geräusche von sich gibt. Unseren Schamanen hatten wir aus Sibirien eingeflogen - ein besonders lauter wars. Geschrien und getanzt hat er, mit Stöckchen herumgefuchtelt und bunte Perlen auf den Boden geschmissen. Wenn du mich fragst, war das alles Humbug – ich will gar nicht daran denken, wie viel Geld sie diesem Scharlatan in das Lederhöschen gesteckt haben. Es hätte mehr gebracht, wenn sie uns – den Arbeitern – mehr zu essen und zu saufen gegeben hätten. Aber gut, ich schweife wieder ab.“ Großvater richtete sich nochmal im Sessel, sein Gesicht trug die unendliche Zufriedenheit von jemandem, der weiß, dass er im unmittelbaren Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht. Diese Momente gehörten ihm und er kostete sie richtig aus.

„So, wo war ich stehen geblieben? Achja, der Schamane. Besondere Schwingungen und Energien sollte er aufspüren, für eine geeignete Stelle, um die Felsbrocken zu platzieren. Also schleppten wir nach seiner Pfeife zu einer Ebene, tief im Landesinneren, wo weit und breit kein Baum stand und kein Hügel aus dem Boden ragte. Und dann stellten wir diese riesen Dinger auf, senkrecht, mit der Spitze zum Himmel ragend. Dafür mussten wir Gruben ausheben und die Steine rein legen, damit sie nicht wieder umkippten. Und wenn zwei Steine nebeneinander standen, kam erst der scheußlichste Teil der Arbeit. Ein mindestens genauso großer Brocken, wie die zwei, die da schon im rechten Winkel die Wolken streiften, musste waagrecht auf die zwei anderen gehievt werden. Ein scheiß Job war das ...“

Großvater hatte manchmal eine derbe Ausdrucksweise, aber nur bei Dingen, die ihm wirklich ans Herz gingen. Er merkte es aber meistens – da Kinder im Raum waren – und entschuldigte sich für seinen Fauxpas. Er erzähle weiter. „Also haben wir mit Brettern immer höhere Podeste gebildet, auf die wir dann diese Brocken hoben, und so ging das immer höher, bis zur richtigen Höhe. Glaubt mal nicht, dass das alles glatt über die Bühne lief. Einmal, ich glaube es war ein besonders nebliger Tag, da hatten wir einen langen, schweren Stein schon auf zwei Meter Höhe und musste ihn von einem Podest auf einen anderen ziehen. Dabei riss uns leider ein Seil und Ecki hat\'s erwischt. Platsch, und schon lag der Stein, da wo er grade gestanden war. Nur noch ein feuchter Fleck blieb übrig. Irgendein Kasper scherzte laut: Gut, dann klebt das Ding besser und wir brauchen es nicht mehr so einschmieren. Ein böser Scherz, aber er hatte auch recht. Bevor die Steine oben drauf gelegt wurde, schmierte man sie mit einer Mischung aus Lehm, Stroh, Baumharz und noch zwei, drei Bestandteilen, an die ich mich nicht mehr erinnern kann, ein. Jedenfalls klebten die Brocken verdammt gut – tausend Jahre sollten sie oben bleiben, wie unser Schamane das so sagte. So stellten wir Stein um Stein auf, schliefen, schufteten, es gingen viele Männer, neue kamen und unser Steinhäufchen wurde immer größer. In einem Kreis stellten wir die Dreierpacks auf. In der Mitte standen auch welche, andere lagen einfach flach. Unser Schamane hatte einen seltsamen Stil und eine seltsame Ordnung, wenn man überhaupt von einer Ordnung reden kann. Manche Tage lag er einfach im Schatten, scheinbar besoffen wie ein elender Hund und spielte mit seinen Murmeln. Dann schoss er plötzlich hoch, lief zu einem der Steine und begann um sie zu hopsen, beklopfte und betatschte sie, streichelte und schlug auf sie ein. Dann legte er sich wieder hin und ließ seine Kugeln wieder dopsen. So ging das sehr, sehr lange und als dann der letzte Stein obenauf lag und wir unsere Arbeit beendet hatte, schritt der Schamane in die Mitte der Steine und gab uns zu verstehen, dass wir uns entfernen sollten. Alle gingen ein paar Meter zurück und er begann abermals einen seltsam anmutenden Tanz. Murmeln klapperten, er schmiss Stöcke durch die Luft und sein Lederhöschen schwang von links nach rechts. Was drunter ebenfalls von links nach rechts schwang, erzähl ich euch lieber nicht, aber wir waren dieses Theater schon gewöhnt, viele schauten dennoch nicht gerne hin. Er sang und schrie, wippte und wappte, ohne dass etwas passierte. Doch dann leuchtete etwas auf. Ein Stein strahlte ein weißes Licht aus, dann begann der daneben zu scheinen, in einem hellen grün, dann ein waagerechter in rot. Einer nach dem anderen entflammte in allen Farben des Regenbogens. Rot, orange, gelb, grün, hellblau, blau, violett. Der Schamane blieb stehen und regte sich nicht. Sein Mund stand weit offen, seine Augen waren weit aufgerissen und man sah nur noch das Weiß der Augäpfel, mit roten Äderchen durchfahren, am unteren Ende gelblich verfärbt – seine Leber musste offensichtlich seinem ansehnlichem Alkoholkonsum Tribut zollen. Er brummte leise in einer monotonen, tiefen Tonlage. Der Wind frischte auf. Dunkle Wolken standen am Himmel und alles um uns wurde dunkel, nur die Steine leuchteten immer heller. Viele der Männer bekreuzigten sich und traten weiter zurück. Saja, der Feigling lief gar davon, mit großen Schritten machte er Land gut, wir hörten noch lange sein Geschrei. Doch dann starrten wieder alle auf das Schauspiel der bunten Farben und der vielen Lichter. Nach ein paar Minuten wurde das Leuchten etwas schwächer und wir sahen, wie sich etwas in der Mitte der Steine bewegte. Der Schamane stand da, doch er war nicht allein. Zwei andere Männer waren an seiner Seite, in Kapuzenroben gehüllt. Sie hielten ein Schild in den Händen. In runden, deutlichen Ziffern stand darauf ein Datum geschrieben.“

Großvater beugte sich nach vorne, verengte seine Augen und spitzte seinen Mund. Er schwieg.

„Was stand auf der Tafel“, fragte Sissi ungeduldig. Großvater wartete noch einen Augenblick, räusperte sich abermals und verkündete mit tiefer, düsterer Stimme: „Auf der Tafel stand 21.12.2012.“ Mehr sagte er nicht. Alle waren still, als ob sie überlegen würde, was dieses Datum zu bedeuten hatte. „Aber das ist ja in drei Tagen“, sagte ich unentschlossen. „Was wird an diesem Datum passieren?“, fragte Sissi nervös. Großvaters Miene regte sich immer noch keinen Millimeter. Er schaute abwechselnd mich, dann wieder Sissi an, bis er sich schließlich wieder in seine Ausgangserzählposition begab und mit ruhiger, etwas belustigter Stimme sagte: „ Bis dahin solltet ihr eure Weihnachtsgeschenke gekauft haben, sonst hetzt ihr wieder am letzten Tag durch die Fußgängerzone und kauft mir wieder so nen Schrott wie letztes Jahr.“
 

Vera-Lena

Mitglied
Hallo Art.Z.

Du hast eine nette Art gefunden, Dich über das ganze TamTam um den 21. 12. 2012 lustig zu machen.

Bisher kam das Netteste, was ich bis jetzt darüber gehört habe aus dem Mund meiner Tochter:"Vielleicht hatten die Mayas
keine Lust mehr, an dem Kalender weiter zu schreiben."

Inzwischen haben Forscher herausgefunden, das die Mayas nach diesem Termin mit ihren Aufzeichnungen wieder von vorn angefangen haben. Also, kein Grund zur Aufregung.

Die Spinnereien des Großvaters hast Du anschaulich geschildert und die Pointe gefällt mir auch.

Liebe Grüße
Vera-Lena
 
U

USch

Gast
Hallo Art.Z.,
eine schöne Geschichte, die ich gern gelesen habe.
Ein paar kleine Verbesserungsvorschläge und kleine Fehlerkorrekturen im Folgenden. Änderungen rot hervorgehoben:

So saßen wir eines Abends, es war kurz vor Weihnachten, im Halbkreis und warteten, bis Großvater seine Vorführung begann. Er [red][strike]begann nicht[/strike][/red][blue] wegen Wdh. würde ich hier wartete schreiben[/blue], bis alle still waren, räusperte sich noch einmal laut, um auch den letzten Störenfrieden zu bedeuten, dass er anfangen wollte.
fruchtbar und prachtvoll war ihre Natur. Milch und Honig flossen zwar nicht dort, aber jeder laktoseintolerante Diabetiker hätte seine wahre Freude an ihr gehabt.
[blue]Ich finde, dass der Ausdruck laktoseintolerant nicht so gut zu dem Vokabular der Gesamtgeschichte paßt, zumal auch Kinder zuhören.[/blue]

Er merkte es aber meistens [red]– da Kinder im Raum waren –[/red] und entschuldigte und entschuldigte sich für seinen Fauxpas. Er erzähl[red]t[/red]e weiter. „Also haben wir mit Brettern immer höhere Podeste gebildet, auf die wir dann diese Brocken hoben,
[blue]Statt der Gedankenstriche würde ich Kommatas setzen.[/blue]

Einmal, ich glaube es war ein besonders nebliger Tag, da hatten wir einen langen, schweren Stein schon auf zwei Meter Höhe und musste[red]n[/red] ihn von einem Podest auf einen anderen ziehen. Dabei riss uns leider ein Seil und Ecki hat[strike][red]\[/red][/strike]'s erwischt.

Bevor die Steine oben drauf gelegt wurde[red]n[/red], schmierte man sie mit einer Mischung aus Lehm,

Alle waren still, als ob sie überlegen würde[red]n[/red], was dieses Datum zu bedeuten hatte

Ich hoffe, ich konnte dir etwas helfen.
LG und viel Spass und Erfolg hier in der LL
Uwe
 

petrasmiles

Mitglied
Lieber Art.Z.,

auch ich finde diese Geschichte großartig erzählt und man möchte vielen Kindern einen solchen geschichtenerzählenden Großvater wünschen.

Neben der 'Laktoseintoleranz' gibt es noch ein paar mehr 'formulierungsverliebte' Stellen, die vom Eigentlichen eher ablenken, z.B.
dem schwungvollen Charme seiner Faust
kämpften bis zum letzten Holzbein darum
seine Leber musste offensichtlich seinem ansehnlichem Alkoholkonsum Tribut zollen
Es wirkt eher wie flapsige Einschübe, die aber den Zauber der Situation brechen.

Und hier meinst Du im zweiten Absatz wohl eher die Hütte statt der
.

Liebe Grüße
Petra
 

Hagen

Mitglied
Hallo Art.Z.!
Deine Geschichte habe ich gerne gelesen, schon alleine wegen der vielen netten Details, die dem Normalleser überhaupt nicht auffallen. Und wenn doch, dann versucht er sie 'auszumüllen', entschuldige, glattzubügeln, dass ein blödes 'Schuldeutsch' rauskommt.
Mach bitte weiter so.
Ic habe zwar erst gedacht, Du sprichst von 'Stonehedge' aber Deine Pointe ist besser!
Chapeau.

Beste Grüße
yours Hagen

_______
Nichts endet wie geplant.
 

Art.Z.

Mitglied
Großvaters Geschichte


Mein Großvater war ein zäher Mann. Selbst im hohen Alter ging er täglich zum Feld hinaus und trieb dort sein Handwerk. Mond um Mond vergingen, er aber wurde nicht müder, nicht langsamer. Man sagte ihm nach, er habe noch kurz vor seinem Tod bei Wettrennen im Dorf viel jüngere Gegner geschlagen. Aber er war nicht nur schnell und ausdauernd; seine Kraft verließ ihn auch bis zum Tode nicht. Schwere Lasten trug er spielerisch, sein Hammerschwung ließ die Erde erzittern und im Zweikampf gab es weit und breit keinen Gegner, der dem schwungvollen Charme seiner Faust widerstehen konnte.

An kalten Winterabenden, wenn der Schnee unsere Hütte wieder umschlossen hatte und man nicht viel machen konnte, außer die Zeit möglichst gut zu überstehen, erzählte mein Großvater von seinem Leben. Wie er auf hoher See lebte und Piratenschiffe jagte. Unglaubliche Schätze aus Gold und Juwelen hatten die Banditen der Meere erbeutet und kämpften bis zum letzten Holzbein darum, sie zu verteidigen. Stinkende Ungeheuer ohne Erbarmen oder Gefühl; man konnte nur an ihrem aufrechten Gang erkennen, dass es sich um menschliche Wesen handelte. Auf riesigen Schiffen mit Kanonen so groß wie Elefanten schipperten sie, unter schwarzen Fahnen, über die sieben Weltmeere. Dann berichtete er uns von fremden Ländern und Sitten. Afrika, Asien, Amerika – alles hatte er gesehen und erlebt. Bei seinen Ausführungen wussten wir nie, wo die Wahrheit aufhört und die Zugabe seiner Phantasie die fehlenden Farben der Wirklichkeit auffrischt, aber es störte uns nicht. Solange Großvater mit seiner rauchigen, etwas heiseren Stimme unsere Abende aufwärmte, war es uns egal.

So saßen wir eines Abends, es war kurz vor Weihnachten, im Halbkreis und warteten, bis Großvater seine Vorführung begann. Er wartete, bis alle still waren, räusperte sich noch einmal laut, um auch den letzten Störenfrieden zu bedeuten, dass er anfangen wollte.

„Kinder, heute erzähle ich euch eine wahre Geschichte. Sie begab sich vor vielen, vielen Jahren, als ich noch ein junger, kräftiger Mann war – ja, das war ich mal, auch wenn ich nicht mehr so aussehe.“ Er lachte ein kurzes, trockenes Lachen, nahm einen Schluck Wasser und fuhr fort.

„In einem fernen Land, hinter vielen Ozeanen und Meeren, auf einer Insel, deren Landschaften damals zu den schönsten dieser Erde gehörten – fruchtbar und prachtvoll war ihre Natur. Milch und Honig flossen zwar nicht dort, aber jeder laktoseintolerante Diabetiker hätte seine wahre Freude an ihr gehabt. Dort also war ich angestellt als Bauarbeiter für ein seltsames und einzigartiges Gebilde.

Wir bauten kein Haus und keine Brücke – nein. Es war auch keine Straße oder sonst etwas, was man hier oder sonst wo auf der Welt kennt. Ich wusste zuerst auch nicht, was es werden sollte. Erst später, nachdem unser Bauwerk fertig war, erfuhr ich, wofür wir uns so ins Zeug gelegt hatten. Schwere Steinbrocken schleppten wir kilometerweit auf ausgeklügelten Rollen- und Hebelsystemen. Es war aber trotzdem verdammt schwer. Jeden Abend lag ich im Bett und hörte mein Kreuz sein Jammerlied trällern. Doch wir waren eine bunte Truppe und es wurde nie langweilig bei der Arbeit. Die Steinbrocken mussten wir zu einer besonderen Stelle tragen. Ein Schamane deutete uns den Weg. Besondere Energien und ...“ - „Was ist ein Schamane“, unterbrach Sissi, meine kleine Schwester.

„Ein Schamane ist ein Zauberer, der mit Geistern reden kann und bunt geschmückt laute, seltsame Geräusche von sich gibt. Unseren Schamanen hatten wir aus Sibirien eingeflogen - ein besonders lauter wars. Geschrien und getanzt hat er, mit Stöckchen herumgefuchtelt und bunte Perlen auf den Boden geschmissen. Wenn du mich fragst, war das alles Humbug – ich will gar nicht daran denken, wie viel Geld sie diesem Scharlatan in das Lederhöschen gesteckt haben. Es hätte mehr gebracht, wenn sie uns – den Arbeitern – mehr zu essen und zu saufen gegeben hätten. Aber gut, ich schweife wieder ab.“ Großvater richtete sich nochmal im Sessel, sein Gesicht trug die unendliche Zufriedenheit von jemandem, der weiß, dass er im unmittelbaren Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht. Diese Momente gehörten ihm und er kostete sie richtig aus.

„So, wo war ich stehen geblieben? Achja, der Schamane. Besondere Schwingungen und Energien sollte er aufspüren, für eine geeignete Stelle, um die Felsbrocken zu platzieren. Also schleppten wir nach seiner Pfeife zu einer Ebene, tief im Landesinneren, wo weit und breit kein Baum stand und kein Hügel aus dem Boden ragte. Und dann stellten wir diese riesen Dinger auf, senkrecht, mit der Spitze zum Himmel ragend. Dafür mussten wir Gruben ausheben und die Steine rein legen, damit sie nicht wieder umkippten. Und wenn zwei Steine nebeneinander standen, kam erst der scheußlichste Teil der Arbeit. Ein mindestens genauso großer Brocken, wie die zwei, die da schon im rechten Winkel die Wolken streiften, musste waagrecht auf die zwei anderen gehievt werden. Ein scheiß Job war das ...“

Großvater hatte manchmal eine derbe Ausdrucksweise, aber nur bei Dingen, die ihm wirklich ans Herz gingen. Er merkte es aber meistens, da Kinder im Raum waren, und entschuldigte sich für seinen Fauxpas. Er erzählte weiter. „Also haben wir mit Brettern immer höhere Podeste gebildet, auf die wir dann diese Brocken hoben, und so ging das immer höher, bis zur richtigen Höhe. Glaubt mal nicht, dass das alles glatt über die Bühne lief. Einmal, ich glaube es war ein besonders nebliger Tag, da hatten wir einen langen, schweren Stein schon auf zwei Meter Höhe und mussten ihn von einem Podest auf einen anderen ziehen. Dabei riss uns leider ein Seil und Ecki hat\'s erwischt. Platsch, und schon lag der Stein, da wo er grade gestanden war. Nur noch ein feuchter Fleck blieb übrig. Irgendein Kasper scherzte laut: Gut, dann klebt das Ding besser und wir brauchen es nicht mehr so einschmieren. Ein böser Scherz, aber er hatte auch recht. Bevor die Steine oben drauf gelegt wurden, schmierte man sie mit einer Mischung aus Lehm, Stroh, Baumharz und noch zwei, drei Bestandteilen, an die ich mich nicht mehr erinnern kann, ein. Jedenfalls klebten die Brocken verdammt gut – tausend Jahre sollten sie oben bleiben, wie unser Schamane das so sagte. So stellten wir Stein um Stein auf, schliefen, schufteten, es gingen viele Männer, neue kamen und unser Steinhäufchen wurde immer größer. In einem Kreis stellten wir die Dreierpacks auf. In der Mitte standen auch welche, andere lagen einfach flach. Unser Schamane hatte einen seltsamen Stil und eine seltsame Ordnung, wenn man überhaupt von einer Ordnung reden kann. Manche Tage lag er einfach im Schatten, scheinbar besoffen wie ein elender Hund und spielte mit seinen Murmeln. Dann schoss er plötzlich hoch, lief zu einem der Steine und begann um sie zu hopsen, beklopfte und betatschte sie, streichelte und schlug auf sie ein. Dann legte er sich wieder hin und ließ seine Kugeln wieder dopsen. So ging das sehr, sehr lange und als dann der letzte Stein obenauf lag und wir unsere Arbeit beendet hatte, schritt der Schamane in die Mitte der Steine und gab uns zu verstehen, dass wir uns entfernen sollten. Alle gingen ein paar Meter zurück und er begann abermals einen seltsam anmutenden Tanz. Murmeln klapperten, er schmiss Stöcke durch die Luft und sein Lederhöschen schwang von links nach rechts. Was drunter ebenfalls von links nach rechts schwang, erzähl ich euch lieber nicht, aber wir waren dieses Theater schon gewöhnt, viele schauten dennoch nicht gerne hin. Er sang und schrie, wippte und wappte, ohne dass etwas passierte. Doch dann leuchtete etwas auf. Ein Stein strahlte ein weißes Licht aus, dann begann der daneben zu scheinen, in einem hellen grün, dann ein waagerechter in rot. Einer nach dem anderen entflammte in allen Farben des Regenbogens. Rot, orange, gelb, grün, hellblau, blau, violett. Der Schamane blieb stehen und regte sich nicht. Sein Mund stand weit offen, seine Augen waren weit aufgerissen und man sah nur noch das Weiß der Augäpfel, mit roten Äderchen durchfahren, am unteren Ende gelblich verfärbt – seine Leber musste offensichtlich seinem ansehnlichem Alkoholkonsum Tribut zollen. Er brummte leise in einer monotonen, tiefen Tonlage. Der Wind frischte auf. Dunkle Wolken standen am Himmel und alles um uns wurde dunkel, nur die Steine leuchteten immer heller. Viele der Männer bekreuzigten sich und traten weiter zurück. Saja, der Feigling lief gar davon, mit großen Schritten machte er Land gut, wir hörten noch lange sein Geschrei. Doch dann starrten wieder alle auf das Schauspiel der bunten Farben und der vielen Lichter. Nach ein paar Minuten wurde das Leuchten etwas schwächer und wir sahen, wie sich etwas in der Mitte der Steine bewegte. Der Schamane stand da, doch er war nicht allein. Zwei andere Männer waren an seiner Seite, in Kapuzenroben gehüllt. Sie hielten ein Schild in den Händen. In runden, deutlichen Ziffern stand darauf ein Datum geschrieben.“

Großvater beugte sich nach vorne, verengte seine Augen und spitzte seinen Mund. Er schwieg.

„Was stand auf der Tafel“, fragte Sissi ungeduldig. Großvater wartete noch einen Augenblick, räusperte sich abermals und verkündete mit tiefer, düsterer Stimme: „Auf der Tafel stand 21.12.2012.“ Mehr sagte er nicht. Alle waren still, als ob sie überlegen würden, was dieses Datum zu bedeuten hatte. „Aber das ist ja in drei Tagen“, sagte ich unentschlossen. „Was wird an diesem Datum passieren?“, fragte Sissi nervös. Großvaters Miene regte sich immer noch keinen Millimeter. Er schaute abwechselnd mich, dann wieder Sissi an, bis er sich schließlich wieder in seine Ausgangserzählposition begab und mit ruhiger, etwas belustigter Stimme sagte: „ Bis dahin solltet ihr eure Weihnachtsgeschenke gekauft haben, sonst hetzt ihr wieder am letzten Tag durch die Fußgängerzone und kauft mir wieder so nen Schrott wie letztes Jahr.“
 

Art.Z.

Mitglied
Vielen Dank, fürs Lesen und Kommentieren.

Ich habe die Korrekturvorschläge gerne übernommen.

@USch: Danke für deine Mühen.

Was die formulierungsverliebten Stellen angeht, weiß ich nicht so recht, wie ich das verbessern soll. Soll ich einfach einfach das Einfache hinschreiben?
 

petrasmiles

Mitglied
Lieber Art.Z.,

ich glaube es würde reichen diesen Halbsatz zu streichen - wenn Du meinem Argument zustimmst.

– seine Leber musste offensichtlich seinem ansehnlichem Alkoholkonsum Tribut zollen
Ich denke halt, man sollte die eigenen Intentionen nicht torpedieren, indem witzige oder übersteigernde Formulierungen von der Hauptsache ablenken. Du erzeugst ja atemlose Spannung bei den Zuhörern.
Die anderen beiden Sachen sind witzig und passen zum Charakter der jeweiligen Absätze.
Ich wollte Dich nur darauf aufmerksam machen, dass man auch überformulieren kann.

Liebe Grüße
Petra
 

Art.Z.

Mitglied
Großvaters Geschichte


Mein Großvater war ein zäher Mann. Selbst im hohen Alter ging er täglich zum Feld hinaus und trieb dort sein Handwerk. Mond um Mond vergingen, er aber wurde nicht müder, nicht langsamer. Man sagte ihm nach, er habe noch kurz vor seinem Tod bei Wettrennen im Dorf viel jüngere Gegner geschlagen. Aber er war nicht nur schnell und ausdauernd; seine Kraft verließ ihn auch bis zum Tode nicht. Schwere Lasten trug er spielerisch, sein Hammerschwung ließ die Erde erzittern und im Zweikampf gab es weit und breit keinen Gegner, der dem schwungvollen Charme seiner Faust widerstehen konnte.

An kalten Winterabenden, wenn der Schnee unsere Hütte wieder umschlossen hatte und man nicht viel machen konnte, außer die Zeit möglichst gut zu überstehen, erzählte mein Großvater von seinem Leben. Wie er auf hoher See lebte und Piratenschiffe jagte. Unglaubliche Schätze aus Gold und Juwelen hatten die Banditen der Meere erbeutet und kämpften bis zum letzten Holzbein darum, sie zu verteidigen. Stinkende Ungeheuer ohne Erbarmen oder Gefühl; man konnte nur an ihrem aufrechten Gang erkennen, dass es sich um menschliche Wesen handelte. Auf riesigen Schiffen mit Kanonen so groß wie Elefanten schipperten sie, unter schwarzen Fahnen, über die sieben Weltmeere. Dann berichtete er uns von fremden Ländern und Sitten. Afrika, Asien, Amerika – alles hatte er gesehen und erlebt. Bei seinen Ausführungen wussten wir nie, wo die Wahrheit aufhört und die Zugabe seiner Phantasie die fehlenden Farben der Wirklichkeit auffrischt, aber es störte uns nicht. Solange Großvater mit seiner rauchigen, etwas heiseren Stimme unsere Abende aufwärmte, war es uns egal.

So saßen wir eines Abends, es war kurz vor Weihnachten, im Halbkreis und warteten, bis Großvater seine Vorführung begann. Er wartete, bis alle still waren, räusperte sich noch einmal laut, um auch den letzten Störenfrieden zu bedeuten, dass er anfangen wollte.

„Kinder, heute erzähle ich euch eine wahre Geschichte. Sie begab sich vor vielen, vielen Jahren, als ich noch ein junger, kräftiger Mann war – ja, das war ich mal, auch wenn ich nicht mehr so aussehe.“ Er lachte ein kurzes, trockenes Lachen, nahm einen Schluck Wasser und fuhr fort.

„In einem fernen Land, hinter vielen Ozeanen und Meeren, auf einer Insel, deren Landschaften damals zu den schönsten dieser Erde gehörten – fruchtbar und prachtvoll war ihre Natur. Milch und Honig flossen zwar nicht dort, aber jeder laktoseintolerante Diabetiker hätte seine wahre Freude an ihr gehabt. Dort also war ich angestellt als Bauarbeiter für ein seltsames und einzigartiges Gebilde.

Wir bauten kein Haus und keine Brücke – nein. Es war auch keine Straße oder sonst etwas, was man hier oder sonst wo auf der Welt kennt. Ich wusste zuerst auch nicht, was es werden sollte. Erst später, nachdem unser Bauwerk fertig war, erfuhr ich, wofür wir uns so ins Zeug gelegt hatten. Schwere Steinbrocken schleppten wir kilometerweit auf ausgeklügelten Rollen- und Hebelsystemen. Es war aber trotzdem verdammt schwer. Jeden Abend lag ich im Bett und hörte mein Kreuz sein Jammerlied trällern. Doch wir waren eine bunte Truppe und es wurde nie langweilig bei der Arbeit. Die Steinbrocken mussten wir zu einer besonderen Stelle tragen. Ein Schamane deutete uns den Weg. Besondere Energien und ...“ - „Was ist ein Schamane“, unterbrach Sissi, meine kleine Schwester.

„Ein Schamane ist ein Zauberer, der mit Geistern reden kann und bunt geschmückt laute, seltsame Geräusche von sich gibt. Unseren Schamanen hatten wir aus Sibirien eingeflogen - ein besonders lauter wars. Geschrien und getanzt hat er, mit Stöckchen herumgefuchtelt und bunte Perlen auf den Boden geschmissen. Wenn du mich fragst, war das alles Humbug – ich will gar nicht daran denken, wie viel Geld sie diesem Scharlatan in das Lederhöschen gesteckt haben. Es hätte mehr gebracht, wenn sie uns – den Arbeitern – mehr zu essen und zu saufen gegeben hätten. Aber gut, ich schweife wieder ab.“ Großvater richtete sich nochmal im Sessel, sein Gesicht trug die unendliche Zufriedenheit von jemandem, der weiß, dass er im unmittelbaren Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht. Diese Momente gehörten ihm und er kostete sie richtig aus.

„So, wo war ich stehen geblieben? Achja, der Schamane. Besondere Schwingungen und Energien sollte er aufspüren, für eine geeignete Stelle, um die Felsbrocken zu platzieren. Also schleppten wir nach seiner Pfeife zu einer Ebene, tief im Landesinneren, wo weit und breit kein Baum stand und kein Hügel aus dem Boden ragte. Und dann stellten wir diese riesen Dinger auf, senkrecht, mit der Spitze zum Himmel ragend. Dafür mussten wir Gruben ausheben und die Steine rein legen, damit sie nicht wieder umkippten. Und wenn zwei Steine nebeneinander standen, kam erst der scheußlichste Teil der Arbeit. Ein mindestens genauso großer Brocken, wie die zwei, die da schon im rechten Winkel die Wolken streiften, musste waagrecht auf die zwei anderen gehievt werden. Ein scheiß Job war das ...“

Großvater hatte manchmal eine derbe Ausdrucksweise, aber nur bei Dingen, die ihm wirklich ans Herz gingen. Er merkte es aber meistens, da Kinder im Raum waren, und entschuldigte sich für seinen Fauxpas. Er erzählte weiter. „Also haben wir mit Brettern immer höhere Podeste gebildet, auf die wir dann diese Brocken hoben, und so ging das immer höher, bis zur richtigen Höhe. Glaubt mal nicht, dass das alles glatt über die Bühne lief. Einmal, ich glaube es war ein besonders nebliger Tag, da hatten wir einen langen, schweren Stein schon auf zwei Meter Höhe und mussten ihn von einem Podest auf einen anderen ziehen. Dabei riss uns leider ein Seil und Ecki hat\'s erwischt. Platsch, und schon lag der Stein, da wo er grade gestanden war. Nur noch ein feuchter Fleck blieb übrig. Irgendein Kasper scherzte laut: Gut, dann klebt das Ding besser und wir brauchen es nicht mehr so einschmieren. Ein böser Scherz, aber er hatte auch recht. Bevor die Steine oben drauf gelegt wurden, schmierte man sie mit einer Mischung aus Lehm, Stroh, Baumharz und noch zwei, drei Bestandteilen, an die ich mich nicht mehr erinnern kann, ein. Jedenfalls klebten die Brocken verdammt gut – tausend Jahre sollten sie oben bleiben, wie unser Schamane das so sagte. So stellten wir Stein um Stein auf, schliefen, schufteten, es gingen viele Männer, neue kamen und unser Steinhäufchen wurde immer größer. In einem Kreis stellten wir die Dreierpacks auf. In der Mitte standen auch welche, andere lagen einfach flach. Unser Schamane hatte einen seltsamen Stil und eine seltsame Ordnung, wenn man überhaupt von einer Ordnung reden kann. Manche Tage lag er einfach im Schatten, scheinbar besoffen wie ein elender Hund und spielte mit seinen Murmeln. Dann schoss er plötzlich hoch, lief zu einem der Steine und begann, um sie zu hopsen, beklopfte und betatschte sie, streichelte und schlug auf sie ein. Dann legte er sich wieder hin und ließ seine Kugeln wieder dopsen. So ging das sehr, sehr lange und als dann der letzte Stein obenauf lag und wir unsere Arbeit beendet hatte, schritt der Schamane in die Mitte der Steine und gab uns zu verstehen, dass wir uns entfernen sollten. Alle gingen ein paar Meter zurück und er begann abermals einen seltsam anmutenden Tanz. Murmeln klapperten, er schmiss Stöcke durch die Luft und sein Lederhöschen schwang von links nach rechts. Was drunter ebenfalls von links nach rechts schwang, erzähl ich euch lieber nicht, aber wir waren dieses Theater schon gewöhnt, viele schauten dennoch nicht gerne hin. Er sang und schrie, wippte und wappte, ohne dass etwas passierte. Doch dann leuchtete etwas auf. Ein Stein strahlte ein weißes Licht aus, dann begann der daneben zu scheinen, in einem hellen grün, dann ein waagerechter in rot. Einer nach dem anderen entflammte in allen Farben des Regenbogens. Rot, orange, gelb, grün, hellblau, blau, violett. Der Schamane blieb stehen und regte sich nicht. Sein Mund stand weit offen, seine Augen waren weit aufgerissen und man sah nur noch das Weiß der Augäpfel, mit roten Äderchen durchfahren, am unteren Ende gelblich verfärbt. Er brummte leise in einer monotonen, tiefen Tonlage. Der Wind frischte auf. Dunkle Wolken standen am Himmel und alles um uns wurde dunkel, nur die Steine leuchteten immer heller. Viele der Männer bekreuzigten sich und traten weiter zurück. Saja, der Feigling lief gar davon, mit großen Schritten machte er Boden gut, wir hörten noch lange sein Geschrei. Doch dann starrten wieder alle auf das Schauspiel der bunten Farben und der vielen Lichter. Nach ein paar Minuten wurde das Leuchten etwas schwächer und wir sahen, wie sich etwas in der Mitte der Steine bewegte. Der Schamane stand da, doch er war nicht allein. Zwei andere Männer waren an seiner Seite, in Kapuzenroben gehüllt. Sie hielten ein Schild in den Händen. In runden, deutlichen Ziffern stand darauf ein Datum geschrieben.“

Großvater beugte sich nach vorne, verengte seine Augen und spitzte seinen Mund. Er schwieg.

„Was stand auf der Tafel“, fragte Sissi ungeduldig. Großvater wartete noch einen Augenblick, räusperte sich abermals und verkündete mit tiefer, düsterer Stimme: „Auf der Tafel stand 21.12.2012.“ Mehr sagte er nicht. Alle waren still, als ob sie überlegen würden, was dieses Datum zu bedeuten hatte. „Aber das ist ja in drei Tagen“, sagte ich unentschlossen. „Was wird an diesem Datum passieren?" Großvaters Miene regte sich immer noch keinen Millimeter. Er schaute abwechselnd mich, dann wieder Sissi an, bis er sich schließlich wieder in seine Ausgangserzählposition begab und mit ruhiger, etwas belustigter Stimme sagte: „Bis dahin solltet ihr eure Weihnachtsgeschenke gekauft haben, sonst hetzt ihr wieder am letzten Tag durch die Fußgängerzone und kauft mir so einen Unfug wie letztes Jahr.“
 



 
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