Heimlich

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Heimlich

Langsam nehme ich die Sonntagszeitung von meinen Oberschenkeln, wedle Luft herum, werfe sie dann zum tisch. Knapp am Ziel vorbei segelt sie auf den Boden, auf dem sie zum blauen Teppich einen reizvollen Kontrast bildet, der mich sogleich einnimmt und zum Aufstehen bewegt. Ziellos schaue ich mich um, denke, ich könnte mal wieder aufräumen, zum Weihnachtsfest, neu geordnet das alte Jahr verlassen. Schon stehe ich vor der Sonntagszeitung, bücke mich und lasse meine Finger in der Luft hängen mit der Frage im Kopf, warum ich den zufällig entstandenen Kontrast auflösen möchte? Also richte ich mich auf, gehe zum Fenster, das mir einen Ausblick auf den unentschlossen zwischen den Jahreszeiten stehenden Garten präsentiert. Verschwommen tauchen alte Szenen und Bilder auf, die sich vermischen, wieder verschwinden. Damals, denke ich, bemerke den roten Kater der Nachbarn, der über das brach liegende Beet schleicht, stehen bleibt, die Bäume inspiziert, weiter wandelt auf seiner Bahn, die er seit Jahren täglich durchstreift. Keine Gefahr für die Vögel, er ist alt, möchte nicht mehr klettern. Ob ich alt bin, überlege ich, lächle vor mich hin und weiß, auch ich möchte nicht mehr klettern. Die Karriereleiter ist morsch geworden. Da mal gearbeitet, dort, heute hier, wie ich wohl bleiben werde, zu alt zum Wechseln. Einfach bleiben und leben, Tag für Tag und froh sein, dass es so ist, wie es ist.
Der Kater ist aus dem Garten verschwunden, ich löse mich vom Fenster, lasse mich am Tisch nieder, auf dem Papiere liegen. Mit einem Ruck springe ich auf, gehe in die Küche, in der ich die Filtertüte die Kaffeemaschine stecke, zwei Löffelchen Pulver reinschaufle, Wasser eingieße, den Knopf drücke, der rot aufleuchtet. Hella freute sich, wenn ich Kaffee machte. In der ersten Phase unserer Beziehung. Später wollte sie ihn nicht mehr, dann mich nicht mehr; so lebten wir noch vier Jahre nebeneinander her, gehen spazieren, unterhalten uns, froh darüber, dass wir uns kennen. Mehr nicht. Das genügt. Lächelnd gieße ich den Kaffee in die Tasse, rühre um und kehre in die Stube zurück. Am Tisch nehme ich eines der Papiere zur Hand, auf dem die ersten Notizen der Geschichte "Ganz liternatürlich" stehen, die ich nie beendete. Alles ist in den Anfängen irgendwie stecken geblieben. Jede Geschichte, jede Handlung, jeder Plan und das Leben ist geflossen, zufällig, alles so, wie es wollte. jede Veränderung birg Gefahren in sich, glaube ich, weil es immer so war.
Löcher in die Luft starren zucke ich die Achseln, gedankenverloren in den Papieren kramend, die sich auf der Tischplatte ansammelten. Entwürfe anderer Welten. Rechnungen und Mahnungen. Plötzlich bleibt mir ein Foto an den Fingern haften, ich löse mich von den treibenden Gedanken, betrachte es. Im Hintergrund eine Hecke, darin ein fluchtbereites Rotkehlchen, davor ich, vor vielleicht vier oder fünf Jahren, quietschvergnügt in einer gelben, knallengen Badehose. Das soll ich sein, schießt mir durch den Kopf. Damit, fällt mir ein, bewarb ich mich als Mann des Jahres der Großen Kreisstadt Lönberg. Kommentarlos wurde es nach Monaten zurückgeschickt. Anschließend zweifelte ich mal wieder an mir, zog mich zurück, müde geworden. Lustlos lasse ich das Foto fallen, greife in den Papierstapel, den ich hoch werfe und fasziniert beobachte, wie die Papiere bodenwärts schweben, hin zum blauen Teppich. Neue Kontraste entstehen. Mit der Kaffeetasse in der linken Hand springe ich auf, haste durch die Küche ins Badezimmer, in dem ich mich vor dem Spiegel aufstelle. Vor mir steht eine graue, knittrig verzagte, in sich zusammengesackte Gestalt, einer Mumie gleich, die mir zulächelt, mir winkt. Erschreckt trete ich einen kleinen Schritt zurück, halte inne und werfe den nächsten Blick auf den ungebetenen Gast, dem ich rasch ausweiche, bis ich auf den Rand der Dusche stoße, über den ich stolpere. Suchend greifen beide Hände um sich, krallen sich in den Vorhang, der aus den Ringen springt und sich über mich legt. Sehr langsam, vom Schreck getroffen, richte ich mich auf, schiebe den Stoff zu Seite, schon spüre ich die wallenden Schmerzen in meine Schulter und den Rücken stechen. Quälend langsam erhebe ich mich und schleiche in die Küche. Vorsichtig schaue ich mich um. Niemand da, selbst die Mumiengestalt nicht. Allein auf der Fläche, seit Jahren. Endlich gehe ich weiter, in den Flur, ziehe mir den hellen Mantel über, suche dann meine Straßenschuhe, die ich endlich in einem der Schränke finde. Zur Flucht bereit, ziehe ich mich in die Stube zurück, lasse mich am Tisch nieder. Zeit vergeht, insgeheim warte ich auf etwas, ein Klingeln, eine Stimme, eine Bewegung, atme ein und aus, schneller, immer schneller, plötzlich röchelt ein dunkles Lachen aus mir, ich schmettere meine Faust auf den Tisch und mache mich endlich ans Werk. Intuitiv verrücke ich die Stühle, stelle das Sofa mitten in den Raum, die Beine nach oben. Darauf platziere ich den Tisch, verteile die Stühle, die ich stelle oder lege, ohne zu überlegen. Nach Stunden bin ich einverstanden mit der Veränderung. "Klettern möchte ich nicht mehr", manifestiere ich laut, lege mich dann müde und zufrieden auf den Kühlschrank, der jetzt unter der Dusche liegt und fühle mich wohl in dieser, meiner neuen Welt, meinem ersten gelungenen Entwurf.

Martin Kirchhoff
 

petrasmiles

Mitglied
Hallo Martin,

eine schöne Geschichte, die vor allem von Satz zu Satz neugieriger macht.
Dein Protagonist scheint sich bisher als Gast in seinem Leben aufgeführt zu haben und vor diesem Hintergrund erscheint es als erlösender Höhepunkt, dass er die Möbel unkonventionell 'stapelt'.
Aber ich hoffe doch, dass dieses Selbstbestimmungs-Coming Out - oder viel mehr Coming In - bequemere Liegestätten ermöglicht, als den Kühlschrank.
Die Nähe des kreativen Schubs zum Irrsinn, den müssen wir wohl akzeptieren, aber ich wünsche Deinem Protagonisten noch viele Metamorphosen hin zum in sich ruhenden Silberrücken, der eine bequeme Manifestation seines Selbst im Außen gefunden hat.

Liebe Grüße
Petra

P.S. Den 'tisch' in der zweiten Zeile noch groß schreiben :)
 
Heimlich

Langsam nehme ich die Sonntagszeitung von meinen Oberschenkeln, wedle Luft herum, werfe sie dann zum Tisch. Knapp am Ziel vorbei segelt sie auf den Boden, auf dem sie zum blauen Teppich einen reizvollen Kontrast bildet, der mich sogleich einnimmt und zum Aufstehen bewegt. Ziellos schaue ich mich um, denke, ich könnte mal wieder aufräumen, zum Weihnachtsfest, neu geordnet das alte Jahr verlassen. Schon stehe ich vor der Sonntagszeitung, bücke mich und lasse meine Finger in der Luft hängen mit der Frage im Kopf, warum ich den zufällig entstandenen Kontrast auflösen möchte? Also richte ich mich auf, gehe zum Fenster, das mir einen Ausblick auf den unentschlossen zwischen den Jahreszeiten stehenden Garten präsentiert. Verschwommen tauchen alte Szenen und Bilder auf, die sich vermischen, wieder verschwinden. Damals, denke ich, bemerke den roten Kater der Nachbarn, der über das brach liegende Beet schleicht, stehen bleibt, die Bäume inspiziert, weiter wandelt auf seiner Bahn, die er seit Jahren täglich durchstreift. Keine Gefahr für die Vögel, er ist alt, möchte nicht mehr klettern. Ob ich alt bin, überlege ich, lächle vor mich hin und weiß, auch ich möchte nicht mehr klettern. Die Karriereleiter ist morsch geworden. Da mal gearbeitet, dort, heute hier, wie ich wohl bleiben werde, zu alt zum Wechseln. Einfach bleiben und leben, Tag für Tag und froh sein, dass es so ist, wie es ist.
Der Kater ist aus dem Garten verschwunden, ich löse mich vom Fenster, lasse mich am Tisch nieder, auf dem Papiere liegen. Mit einem Ruck springe ich auf, gehe in die Küche, in der ich die Filtertüte die Kaffeemaschine stecke, zwei Löffelchen Pulver reinschaufle, Wasser eingieße, den Knopf drücke, der rot aufleuchtet. Hella freute sich, wenn ich Kaffee machte. In der ersten Phase unserer Beziehung. Später wollte sie ihn nicht mehr, dann mich nicht mehr; so lebten wir noch vier Jahre nebeneinander her, gehen spazieren, unterhalten uns, froh darüber, dass wir uns kennen. Mehr nicht. Das genügt. Lächelnd gieße ich den Kaffee in die Tasse, rühre um und kehre in die Stube zurück. Am Tisch nehme ich eines der Papiere zur Hand, auf dem die ersten Notizen der Geschichte "Ganz liternatürlich" stehen, die ich nie beendete. Alles ist in den Anfängen irgendwie stecken geblieben. Jede Geschichte, jede Handlung, jeder Plan und das Leben ist geflossen, zufällig, alles so, wie es wollte. jede Veränderung birg Gefahren in sich, glaube ich, weil es immer so war.
Löcher in die Luft starren zucke ich die Achseln, gedankenverloren in den Papieren kramend, die sich auf der Tischplatte ansammelten. Entwürfe anderer Welten. Rechnungen und Mahnungen. Plötzlich bleibt mir ein Foto an den Fingern haften, ich löse mich von den treibenden Gedanken, betrachte es. Im Hintergrund eine Hecke, darin ein fluchtbereites Rotkehlchen, davor ich, vor vielleicht vier oder fünf Jahren, quietschvergnügt in einer gelben, knallengen Badehose. Das soll ich sein, schießt mir durch den Kopf. Damit, fällt mir ein, bewarb ich mich als Mann des Jahres der Großen Kreisstadt Lönberg. Kommentarlos wurde es nach Monaten zurückgeschickt. Anschließend zweifelte ich mal wieder an mir, zog mich zurück, müde geworden. Lustlos lasse ich das Foto fallen, greife in den Papierstapel, den ich hoch werfe und fasziniert beobachte, wie die Papiere bodenwärts schweben, hin zum blauen Teppich. Neue Kontraste entstehen. Mit der Kaffeetasse in der linken Hand springe ich auf, haste durch die Küche ins Badezimmer, in dem ich mich vor dem Spiegel aufstelle. Vor mir steht eine graue, knittrig verzagte, in sich zusammengesackte Gestalt, einer Mumie gleich, die mir zulächelt, mir winkt. Erschreckt trete ich einen kleinen Schritt zurück, halte inne und werfe den nächsten Blick auf den ungebetenen Gast, dem ich rasch ausweiche, bis ich auf den Rand der Dusche stoße, über den ich stolpere. Suchend greifen beide Hände um sich, krallen sich in den Vorhang, der aus den Ringen springt und sich über mich legt. Sehr langsam, vom Schreck getroffen, richte ich mich auf, schiebe den Stoff zu Seite, schon spüre ich die wallenden Schmerzen in meine Schulter und den Rücken stechen. Quälend langsam erhebe ich mich und schleiche in die Küche. Vorsichtig schaue ich mich um. Niemand da, selbst die Mumiengestalt nicht. Allein auf der Fläche, seit Jahren. Endlich gehe ich weiter, in den Flur, ziehe mir den hellen Mantel über, suche dann meine Straßenschuhe, die ich endlich in einem der Schränke finde. Zur Flucht bereit, ziehe ich mich in die Stube zurück, lasse mich am Tisch nieder. Zeit vergeht, insgeheim warte ich auf etwas, ein Klingeln, eine Stimme, eine Bewegung, atme ein und aus, schneller, immer schneller, plötzlich röchelt ein dunkles Lachen aus mir, ich schmettere meine Faust auf den Tisch und mache mich endlich ans Werk. Intuitiv verrücke ich die Stühle, stelle das Sofa mitten in den Raum, die Beine nach oben. Darauf platziere ich den Tisch, verteile die Stühle, die ich stelle oder lege, ohne zu überlegen. Nach Stunden bin ich einverstanden mit der Veränderung. "Klettern möchte ich nicht mehr", manifestiere ich laut, lege mich dann müde und zufrieden auf den Kühlschrank, der jetzt unter der Dusche liegt und fühle mich wohl in dieser, meiner neuen Welt, meinem ersten gelungenen Entwurf.

Martin Kirchhoff
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Martin Kichhoff,

vielleicht kannst Du noch einige Absätze in den Text einbauen, dann wirkt er besser! Auch der Lesegenuss wäre erhöht.

LG DS
 



 
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