Hellersdorf

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HFleiss

Gast
Hellersdorf

In Westberlin bin ich in Häusern gewesen, die mindestens zwanzig Jahre lang nicht renoviert worden waren, nicht das Treppenhaus, nicht die Wohnungen. Trotzdem hatte ich das Gefühl, mich in einem kürzlich sanierten Haus zu befinden.

In Ostberlin, in Hellersdorf dagegen, als ich 1998 in mein Haus am Wuhletal einzog (es war als eines der letzten Gebäude, ein „Plattenbau“, Anfang 1990 in letzter Sekunde fertiggestellt worden, als die Bauleute resigniert ihre Krane abräumten und niemand protestierte), hatte ich beim Öffnen der beschädigten Haustür das gegenteilige Gefühl: Dieses Haus steht schon fünfzig Jahre, und seitdem hat es keinen Maler gesehen. Schon roch es nach gelebtem Leben. Die Wände graffitibeschmiert, Treppenstufen, obwohl aus Gestein, beschädigt, meine Vormieter waren ungelenke Farbfetistischen. Das Haus war, bereits am Reißtisch, volkseigen.Volkseigentum, heute abschätzig Staatseigentum genannt - gehörte es allen und folglich niemandem? Bevor es den Händen des Staates (also des Volkes) entrissen und in die der Miethaie gelegt wurde, sanierte man es, vom Keller bis zum Dach, sogar die Eingeweide, die Versorgungsrohre, wurden erneuert – das Haus hatte also einen realsozialistischen Gebrauchswert von acht Jahren. Ein niedergerissenes, niedergetrampeltes Vorzeigesymbol, dieses aus dem märkischen Boden gestampfte Hellersdorf, Vorzeigesymbol für die Vergänglichkeit – eben nicht nur meines Hauses, sondern eines Lebensentwurfs.

Manchmal, im Herbst, wenn ich morgens ins Zimmer kam, die Gardine zurückzog, um zu lüften, und das Fenster weit öffnete, stiegen die Nebel aus dem Wuhletal auf und legten sich wie feuchte Schleier über die Wäldchen, die Wiesen und die Dächer, ein Schwanenpaar flog drüberhin. Dann wusste ich es: Mein Haus weinte. Seines Gesichts beraubt, von Nebeln verhüllt, weinte es.
 



 
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