Ich bin ein Mann

sailor

Mitglied
Ich bin ein Mann

Ich bin ungebildet
Und ich bin dumm
Und ich bin nur ein billiger Malocher
Und ich bin tätowiert
Und trage Ringe im Gesicht
Und ich ernähre mich von Fastfood
Und ich rülpse und furze
Und ich saufe jedes Wochenende
Und ich schlage meine Frau
Und mein Sohn trägt Glatze
Und Springerstiefel
Ja, ich wohne in einer Sozialwohnung
Und ich rieche nach Schweiß
Und meine Zähne sind gelb
Und ich war und bleibe für dich ein Asozialer
Aber gestern
Gestern hattest du das alles vergessen
Hattest vergessen
Dass ich nicht so kultiviert war wie du
Dass ich nicht so redete wie du
Dass ich nicht so sauber war wie du
Du hattest sogar vergessen, dass ich keine Steuerkarte hatte
Gestern
Als es deiner Firma dreckig ging
Und als ich mit meinen Kollegen antrat
Sie zu retten
Gestern als wir arbeiteten wie verrückt
Dort auf der Schwarzbaustelle
Den Termin einzuhalten
Als ich dir zeigte was ein richtiger Arbeiter ist
Als ich deinen Versprechungen glaubte
Da waren wir Kumpels
Und du besorgtest Bier und Brötchen
Und lobtest meinen Einsatz und Fleiß
Heute
Heute jedoch nachdem deine Firma wieder schwarze Zahlen schreibt
Willst du davon nichts mehr wissen
Und kehrst wieder den feinen Pinkel hervor
Ich werde wieder zum Säufer
Ich werde wieder zum Sonderschüler
Ich werde wieder zum Asozialen
Und du willst mich um meinen gerechten Lohn betrügen
Doch das wirst du nicht schaffen
Und ich zweifle nicht daran
Denn ich bin ein Mann
Ein an-die-Hauswände-Pisser
Mucki-Buden-Besucher
Fußball-Hooligan
Ballermann 6-Urlauber
Und was du sonst noch willst
Denn das ist ja alles nicht was einen Mann ausmacht
Ein Mann ist Kraft
Und ich weiß meine Kraft einzusetzen
Ein Mann ist Ehre
Und ich habe welche
Ein Mann ist Gewalt
Und ich werde Gewalt anwenden
Ein Mann ist ein Wort
Und ich halte mein Wort
Und deshalb
Verlange ich
Meinen Anteil
Am Wohlstand
Den ich dir half zu erringen
Einen angemessenen Anteil
So groß wie der deine
Denn du bist kein Mann
Du hälst nicht dein Wort
Du bist ein Schlipsträger
Ein Sesselfurzer
Ein Weichscheißer
Ein Opernhaus-Besucher
Ein Golfspieler
Und was weiß ich...
Aber eines Tages
Eines Tages
Bist du genau wie ich
Tot
 
F

fangor

Gast
o nein.


Nunja, jedem seinen Spass..
solange es nur Worte sind..
Aber ein Gedicht ist dies wirklich nicht,
vielleicht eine Glosse oder sowas, aber ich denke, du meinst das wirklich so, wies da steht...*g*
 
Helft mir in der Interpretation !!!

Hallo Sailor,

ich weiß nicht, es ist viel Agressivität drin, auch etwas, das mich doch sehr stört (Haß?) - und doch hat es etwas, was mich mitreißt. Ja, ich glaube, jetzt habe ich's: es ist wie eine pornographische Darstellung in der Art, daß sie einen erschreckt und gleichzeitig anmacht. (Es ist der "Hammerschlag"-Rhytmus vielleicht).


Mannohmann

Birgit
 

sailor

Mitglied
Hallo zusammen,

@ fangor: Was ist denn ein Gedicht? Und wieso Glosse? Siehst Du irgendwo Spott oder Ironie in dem Gedicht?


@Birgit: Aggressivität ist gut erkannt. Es macht mich aggressiv, wie unsere Gesellschaft immer mehr in zwei Klassen zerfällt und sich die Vorurteile gegenseitig immer mehr verhärten. Das artet - auch gut erkannt - teilweise sogar in regelrechten Hass aufeinander aus. Den Rhytmus habe ich bewusst so gewählt weil er das Stakkato der Ressentiments gut unterstützt. Es ist doch so: Man braucht bei vielen Leuten doch nur ein Stichwort zu geben (Fußball, Sozialwohnung, Manager, Opernhaus etc.) und schon prasseln die Vorurteile nur so aus ihnen heraus. Dabei sind wir doch eigentlich alle aufeinander angewiesen und wir sind alle nur eines: Menschen!

Gruß und ahoi
sailor
 
Hallo Sailor,

das wäre wohl eine Diskussion wert, ob und wie unsere Gesellschaft in zwei Klassen zerfällt und hier Vorurteile erhärtet werden.

Auf der einen Seite ist wohl die Arbeiterklasse am Aussterben, zumindest in dem Sinne, wie sie sich vorher von der bürgerlichen Gesellschaft unterschieden hat. Erst jetzt hörte ich von einem Bericht, der besagt, daß wir zunehmend zu einer Luxusgesellschaft tendieren in der Art, daß sich immer mehr Menschen "Luxus" leisten können (Reisen, auch auf Kredit, Sportarten wie Golf usw.). Ich denke, es ist auch eine Realität, daß die Menschen, die sich noch niemals im Leben einen Auslands-Urlaub leisten konnten, im Gegensatz zu früher, verschwindend gering ist. Natürlich gibt es Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger; wobei ich dennoch denke, daß bei der überwiegenden Anzahl (Betonung liegt hier auf überwiegend) die Möglichkeit gegeben und vielerorts auch genutzt wird, sich das Leben angenehm gestalten zu können (z.B. mit Urlaub u.dgl.). bzw. daß Arbeitslosigkeit/Sozialhilfe nur eine Übergangsperiode in einem Leben ist. (wäre natürlich auch wünschenswert) Ich spreche hier nicht von keinem hohen Roß aus, sondern von teils eigener Erfahrung wie auch im Umgang mit den Erfahrungsberichten Anderer.

Ich weiß jetzt natürlich nicht, woher du kommst, Sailor - in den Neuen Bundesländern sieht die Lage natürlich entschieden anders aus, obwohl hier auch aus o.g. Motiven (besser leben) der Großteil der Jungen in den Westen geht und sich hier größtenteils auch verwirklicht und die Rentner, die bleiben, mit einer doch guten Rente auch entsprechend angenehm leben können.

Natürlich gibt es auch noch die Kluft vom normalem Leben zum exzessiven Reichtum (den es aber schon immer gegeben hat) - aber das hast du doch sicherlich nicht mit deiner Zwei-Klassen-Gesellschaft gemeint.

Birgit
 

sailor

Mitglied
Hallo Birgit,

wo lebst Du?

Glaub doch nicht den Berichten von denen Du gehört hast, die sind zum größten Teil geschönt.
Die Arbeiterklasse ist nicht am Aussterben, sie will nur die gleichen Chancen und Möglichkeiten haben und wahrnehmen wie das Bürgertum. Meistens geschieht das aber auf Kreide.
Ohne Kredit kann sich doch heutzutage fast niemand mehr etwas leisten.
Dazu gibt es auch eine interessante website:
http://mailer.uni-marburg.de/~naeser/schuld98.htm

Ich wohne in NRW und auch hier ist die Kluft zwischen den Klassen deutlich spürbar.
Gerade hier in Düsseldorf kann man es ganz deutlich sehen: Während sich Angestellte und Beamte der Landesregierung auf der Kö tummeln, wissen viele Geschiedene, Alleinerziehende, Rentner und Arbeitslose nicht, wie sie die Tage bis zur nächsten Überweisung überbrücken sollen.
Ich kenne genügend Leute, die sich bei Leihfirmen für DM 10.-/Std. verdingen müssen oder auf Hilfe vom Sozialamt angewiesen sind. Von denen kann sich keiner einen Auslandsurlaub leisten! Und was die Rentner angeht: Welcher normale Rentner könnte denn von seiner gesetzlichen Rente, welche Witwe von der Witwenrente „angenehm leben“? Das geht doch nur über Zusatzversicherungen, die sie sich während eines langen Arbeitslebens angespart haben.

Die „extrem Reichen“ habe ich tatsächlich nicht gemeint – das ist sowieso eine Klasse für sich.

Gruß und ahoi
sailor

@janleo: Was soll das?
 
Hallo Sailor,

vielen, vielen Dank für deine ausführliche Antwort.

Du hast vollkommen recht, wenn du sagst, daß die Arbeiterklasse die gleichen Chancen und Möglichkeiten wahrnehmen will wie das Bürgertum und daß das meistens "auf Kreide" geschieht. Nun, das habe ich auch gemeint. Ob jetzt der Arbeiter seinen Dispo überzieht oder der Angestellte, wo ist hier der Unterschied, frage ich dich? Der Angestelle kann sich genau so übernehmen wie der Arbeiter und seinen Kredit nicht mehr zurückzahlen (lt. Schuldenberatungstellen sind immer mehr Besserverdienende aus gehob. Angestelltenverhältnissen darunter). Also, dies ist kein Argument eines immer größer werdenden Klassenunterschiedes.

Du frägst mich, wo ich lebe. Gut, speziell in München ist die Arbeitslosigkeit sehr gering, München boomt wie verrückt (noch). Jetzt frage ich dich aber, wie es geschehen kann, wenn ich z.B. in der Kantine einer Luxusherberge von einfachen Azubis hörte, in welchen expotischen Ländern sie überall in Urlaub gewesen sind oder gedenken hinzufahren (das können doch nicht alles Söhne und Töchter von Millioniären sein).

Gut, ich kenne persönlich, muß ich gestehen, keine deutschen Fließbandarbeiter. Ich habe Arbeiter hier kennengelernt aus der Türkei, Griechenland etc. Aber hier sind meistens von vorneherein ganz andere Prioritäten gesetzt. Sie arbeiten (mit Neben-Putzjobs oft noch), um sich in der Heimat oder für die Kinder etwas Eigenes anzuschaffen, es ist wie eine Überbrückungsphase, es ist eigentlich eben die große Chance.

Also kann dies wohl auch nicht die Norm sein.

Und die Rentner? Es ist eine erwiesene Tatsache, daß die größten Konsumenten nicht die Jungen, sondern die Alten/Älteren sind.

Weißt du, wenn man die Zustände in wirtschaftlich armen Ländern kennt, wenn man erfährt, mit welchen alltäglichen Probleme die Leute dort zu kämpfen haben und sieht sich dann die Situation im in der EU reichsten Land an, dann stellt sich doch eine ganz andere Perspektive...

Übrigens: Auch ich war einmal alleinerziehend und in einer überaus wirtschaftlich mißlichen Lage. Dennoch bin ich nicht verhungert, mußte auch nicht auf Kneipen-/Kino-/Theaterbesuche etc. verzichten, weil es eben in Deutschland auch noch einige Möglichkeiten gibt, wenn man die Phantasie und auch den Willen hierfür aufbringt und nicht immer nur auf seine Staatsrechte pocht.

Das mit den Leiharbeitsfirmen, das ist natürlich Ausbeutung pur, da gebe ich dir recht. Wir müssen später weiterdiskutieren, es ist ein wichtiges und auch interessantes Thema, jetzt muß ich leider auf einen Termin.

Liebe Grüße
 

sailor

Mitglied
Hallo Birgit,

Ich geb Dir z.T. Recht, was meine Argumentation angeht: Die war nicht unbedingt relevant für die größer werdenden Klassenunterschiede in unserem Land, aber ursprünglich ging unsere Diskussion ja um die Vorurteile, die die verschiedenen Klassen gegeneinander haben. Dazu gibt es auch ein paar Beispiele:
Der Stadtteil, in dem ich wohne, liegt am Rande eines sogenannten „bevorzugten Wohngebietes“ (alte, gewachsene Dorfstruktur, gemischt mit neuen Ein- und Zweifamilienhäusern).
Direkt dahinter, getrennt durch eine Hauptverkehrsstraße, liegt ein Neubauviertel mit bis zu zwölf Etagen hohen Häusern, die - eine Sünde der siebziger Jahre - in Betonbauweise errichtet wurden. Hier leben ca. 28.000 Menschen in Sozialwohnungen.
Es gibt in unserem Viertel zwei Gymnasien. So, jetzt kommt’s. In dem einem, dem „guten“, wirst du nur Söhne und Töchter von besserverdienenden Bewohnern des „guten“ Stadtteils finden, in dem anderen fast nur Kinder aus dem „Ghetto“.
Während die einen Klassenfahrten nach Berchtesgarden oder Westerland unternehmen, fahren die anderen in die Jugendherberge in die nahe Eifel. Während die eine Schule, gesponsort durch die Elternschaft, sich einen neuen Computerraum zulegt, muss die andere darum kämpfen, dass die Fenster repariert werden, damit es nicht mehr hinein regnet.
Die Schüler des einen reden von den Schülern des anderen nur als „Assis“ oder „Gesocks“.
Ich weiß nicht, wie in den Arbeiterfamilien über die sog. „Bessergestellten“ geredet wird, aber wenn ich bei uns in der Firma schon mal mit den Arbeitern rede (ich scheue mich als einer der wenigen Angestellten unseres Betriebes nicht davor, mich mit Anzug und Krawatte unter die Blaumänner zu setzen, ich komme selbst aus sehr, sehr ärmlichen Verhältnissen), dann höre ich oft, wie von „Sesselfurzern“, „Weichscheissern“ „Warmduschern“ usw. die Rede ist. Genau so werden sie es wohl auch zu Hause an ihre Kinder weitergeben.

So werden schon bei den Kinder die Vorurteile aufgebaut! Das zieht sich dann durch das ganze Leben so weiter.
Meiner Meinung nach denken viele Leute der einen Klasse, dass sie durch den Besitz von viel Geld auch automatisch bessere Menschen sind, und viele der anderen, dass sie die „harten Kerls“ sind, ohne die gar nichts läuft.
Das macht mich dann immer unglaublich wütend und aggressiv. Aus dieser Stimmung heraus ist auch das Gedicht entstanden.
Oder sind das nur wieder Vorurteile meinerseits?

Ich freue mich auf weitere Stellungnahmen

Gruß und ahoi
sailor
 



 
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