Im Banne der Nacht

Kaetzchen

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Das Erste was er wahrnahm war ein erdiger Geruch. Mit einem tiefen Atemzug versuchte er seine Benommenheit zu vertreiben, was ihm nicht recht gelingen wollte. Um der schwarzen Dunkelheit zu entfliehen, öffnete er seine Augen, doch die kalte Finsternis krallte sich weiterhin an ihm fest.
Ein heftiges Zittern erfasste seinen Körper. Wie ein Blinder tastete er nach seiner Bettdecke, fand sie aber nicht. Vielleicht war sie aus dem Bett gerutscht? Als er sich aufrichtete knallte sein Kopf gegen etwas Hartes und er fiel zurück auf sein Kissen. Er wimmerte leise, aber sonst war kein Geräusch zu vernehmen. Mit noch offenem Mund lauschte er in die Stille, doch diese gab keinen Ton von sich - nicht einmal das Ticken seines Weckers war zu hören. Wo war er? Mit der Hand begann er seine Umgebung zu erkunden. Über ihm war eine Art Holzdecke, auch an der Seite und hinter seinem Kopf fühlte er raues Holz. Hatte ihn jemand in eine große Kiste eingesperrt? Vorsichtig richtete er sich wieder auf und stemmte sich gegen die Decke. Sie saß fest. Langsam kroch die Angst auf ihn zu. Vielleicht war alles nur ein Traum? Er legte sich wieder hin und beschloss weiter zu schlafen. Doch die Angst ließ ihn nicht mehr los und schien seine Gedanken unkontrolliert Horrorgeschichten erfinden zu lassen. Er wünschte sich so sehr zurück in sein Bett. Tränen perlten auf seiner Wange und sammelten sich auf seinem Kissen zu einem feuchten Fleck. Irgendwann weinte er sich dann doch in den Schlaf.

Er lag wieder zu Hause in seinem Bett und seine Kissen umarmten und wärmten ihn liebevoll. Mit offenen Augen versuchte er angespannt durch den vom matten Mondlicht durchsichtigen, seidigen Vorhang der Nacht zu blicken. Als die Scheinwerfer eines am Haus vorbeifahrenden Autos die Dunkelgardine für einen Augenblick zur Seite schoben, sah er Schattendämonen an der Wand. Sie krochen mit ihrem Anführer, dem Fürst der Finsternis, auf ihn zu. Die wilde Horde war froh als sich der Vorhang wieder schloss, denn sie konnten kein Licht vertragen. Der Fürst warf seinen blauschwarzen Mantel über den Jungen und versuchte ihn mit todeskalten Händen aus dem Bett zu zerren. Doch die Bettdecke hielt ihren Bewohner fest und zog ihn in ihre schützende Tiefe. Dabei konnte das Kind noch nach seiner Taschenlampe greifen, die es sogleich anknipste. Nun hatte die Bettdecke ein beleuchtetes Fenster, welches den Herren blendete. Schnell schickte er seine Dämonen es mit ihren Körpern abzudecken. Das Kind kam auf die Idee, die Lampe unter der Bettdecke hervor zu schieben und direkt auf den Herrscher zu richten. Dieser und sein Gefolge wurden durch das Aufblitzen des Lichtkegels an die Wand geschleudert und hingen dort wie plattgewalzt.
Aber aus der Lichtbahn lösten sich viele kleine Flämmchen und tanzten durch das Zimmer. Das Größte von ihnen - mit blauem Gesicht und weißen Mützchen - war die Irrlichtmutter. Sie winkte dem Jungen zu, ihr zu folgen, und versprach ihm, einen Weg zum Lichtgott zu zeigen. Doch der Junge war vorsichtig, denn er wußte, dass sie die Menschen ins Moor führte. Da sie aber eine Seelenfresserin war, schwankte alsbald die körperliche Hülle des Kindes willenlos hinter ihr her.
Als sie durch den Wald liefen, türmte sich plötzlich der Boden auf. Ein riesiges Erdungeheuer erhob sich, so groß, wie die ihn umgebenen Bäume. Er brüllte: „ Gib dem Jungen seine Seele zurück, sonst lösche ich dein Lebenslicht mit meiner Erde aus.“ Die Irrlichtmutter wagte nicht zu widersprechen und sogleich fühlte sich der Junge lebendig. Aber der erdige Typ hatte es auf ihn abgesehen, legte sich wie ein großer Krater um den Jungen und zog ihn in die Tiefe. Je mehr das Kind mit ihm kämpfte, desto mehr Erdbrocken rissen von dem Ungeheuer ab und bedeckten es. Unaufhaltsam fraß das Erdmonster sein Opfer auf und ließ ihm keine Luft mehr zum Atmen. Die Klaue der Todesangst packte den Jungen am Hals und drückte immer fester zu. Der Verzweifelte strampelte, stieß mit dem Fuß gegen etwas Hartes und erwachte durch den dumpfen Ton.

Er nahm einen erdigen Geruch war und versuchte mit einem tiefen Atemzug seine Benommenheit zu vertreiben. Froh, dem Ungeheuer entkommen zu sein, freute er sich auf den Morgen und öffnete zuversichtlich seine Augen. Doch noch immer war da nur schwarze Dunkelheit und er war von Holzwänden eingeschlossen. All seine Hoffnung auf Rettung schwand. Laut und hemmungslos begann er zu weinen.
Da tanzte ein Licht durch die Blindheit der Nacht und legte einen hellen Glanz auf sein Gesicht. Der große helle Stern flüsterte ihm beruhigende Worte zu und streichelte ihm mit seinem Lichtfinger die Wange.
Noch einmal schluchzte der Junge auf und fragte bebend den Stern: „ Wo bin ich?“ Die flüsternde Stimme befreite ihn mit einem Satz aus seiner Horrowelt und holte ihn in die Wirklichkeit zurück.

„Wir übernachten im Baumhaus.“
 



 
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