Im Dunkeln so hell

Astrid

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Endlich hört der Kühlschrank auf zu brummen. Die Stille schmerzt fast in meinen Ohren. Ich habe mich in die Küche zurückgezogen, weil unter mir der Fernseher sehr laut läuft. Ab Sechs spätestens geht das los. Jeden Abend. Ich möchte lesen. Sitze am Fenster und spüre an meinem rechten Arm die Wärme der Heizung. Der Fernsehsprecher hallt durch die Rohre. Doch hier ist es erträglicher als nebenan. Es ist Sonnabend. Von meinem Fenster aus sehe ich nur wenige Meter entfernt die Fensterreihen des nächsten Wohnblocks. Zu nah. Der bläuliche Schein der Mattscheibe leuchtet in fast jeder Wohnung. Ob der Name Mattscheibe etwas damit zu tun hat, dass ich matt werde, wenn ich zu lange davor sitze?
Ich schalte die Deckenlampe aus. Sitze im Dunkeln. Ich sitze gern so. Der Schein des Vollmondes gesellt sich zu mir. Ab und an wirft der Lichtkegel eines Autoscheinwerfers ein Muster an die Decke. Mein Buch liegt aufgeschlagen auf den Knien. Der Fernseher unter mir wird noch lauter gedreht. Auf der Straße knirscht das Eis unter Autoreifen. Ab und an heult ein gequälter Motor auf. Wie mögen die Menschen hinter den erleuchteten Fenstern leben, welchen Film sehen sie sich gerade an? Unterhalten sie sich, sind vielleicht Freunde zu Besuch oder sorgt sich eine Mutter am Bett ihres kranken Kindes? Oder sitzt jemand mit einem aufgeschlagenen Buch auf den Knien..

In der dritten Etage steht ein Mann auf dem Balkon und raucht. Schneeflocken tanzen vor meinem Fenster. Es sieht aus, als würden sie von unten nach oben fliegen. Ich sehe ihnen eine Weile zu.
Auf dem Tisch liegt eine Streichholzschachtel. Mit einem kleinen Zischen entflamme ich ein Hölzchen und halte es an den Docht der roten Kerzen auf dem silbrigen kleinen Tablett. An der letzten verbrenne ich mir den Finger.
Ich nehme das Buch von meinen Knien, ziehe den Teller mit den Kerzen dicht zu mir heran und tauche ein in die geheimnisvollen und spannenden Zeilen.
Die Lichter hinter den Fenstern gegenüber gehen aus. Der Vollmond zieht weiter. Meine Augen brennen vom Schatten, den die heruntergebrannten Kerzen auf mein Buch werfen. Der Fernseher unter mir schweigt. Nur der Kühlschrank brummt wieder.
 



 
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