In einer Fragestunde

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Ralf Langer

Mitglied
In einer Fragestunde

Wo war dir deine Freistatt,
abgetrotzt der Moiren Weben,
wo rannen dir die Tränen
nicht nur als Verrat
am Tag, am Traum – und Sehnen

immer wieder nach dem Ort:
vielleicht ein Teich mit Schwänen,
eine Bank, du wirfst die Krumen
teichwärts, um dann dort
all den Speerstunden zu lehren

was Glück bedeuten kann – im Labyrinth
warst du der Stier oder der Faden,
in einer Welt aus Hand und Haben,
wo von den Wänden Nessun Dorma klingt; -
wie war es dort, würd ich dich gern noch fragen.
 
O

orlando

Gast
Hallo Ralf,
ein so wunderbares Gedicht, dass mir fast die Tränen kommen.

Wo war dir deine Freistatt,
abgetrotzt der Moiren Weben,
wo rannen dir die Tränen
nicht nur als Verrat
am Tag, am Traum – und Sehnen
Wie es schon anfängt! Mit den Göttinnen zu beginnen, noch dazu in der Doppeldeutigkeit zum geflammten Muster der Webarbeit (Moiré), finde ich mehr als nur gelungen. -
Die geistige Freistatt, als etwas dem Schicksal abgetrotztes, als Ort der Anrührung, als Ort der Kunst.
immer wieder nach dem Ort:
vielleicht ein Teich mit Schwänen,
eine Bank, du wirfst die Krumen
teichwärts, um dann dort
all den Speerstunden zu lehren
Ach, die Zuflucht, mit "meinen" Schwänen, der Sieg über das Alltägliche - und dieses stille Glück. Das einzig Mögliche vielleicht (im Hintergrund sehe ich Herrn Nietzsche lächeln).
was Glück bedeuten kann – im Labyrinth
warst du der Stier oder der Faden,
in einer Welt aus Hand und Haben,
wo von den Wänden Nessun Dorma klingt; -
Die Suche - vielleicht ein Finden. Nessun Dorma:
Niemand schlafe! Niemand schlafe!
Auch du, Prinzessin,
in deinem kalten Zimmer
siehst die Sterne, die beben
vor Liebe und Hoffnung!
Aber mein Geheimnis ist verschlossen in mir,
niemand wird meinen Namen erfahren!
...

[Irgendwie wird das ein etwas tollpatschiger Kommentar. - Aber ich fühle mich halt so persönlich angesprochen und betroffen. Entschuldige also.]

Von den Reimen und Halbreimen her wirkt dein Gedicht unbemüht- spielerisch auf mich; ich glaube, dieser gefällige Eindruck ist dir hier zum ersten (gereimten) Mal gelungen.
Für mich ein perfektes Teilchen, das ich nur bewundern kann.
Danke. Es erscheint genau im rechten Augenblick.
Liebe Grüße
orlando
 

Ralf Langer

Mitglied
Hallo Orlando,

herzlichen Dank für die - wie ich finde - überhaupt nicht tolpatschige Auseinandersetzung mit meinem Stück.

Ganz im Gegenteil: Wenn ich ehrlich sein darf,
es freut mich besonders, daß du schreibst, die Reime und Halbreime weisen "leichtigkeit" auf.



Die Idee zu diesem Stück und auch der Schaffensprozess liegen schon acht bis zwölf Wochen zurück. Erst hatte ich eine reimlose Form gewählt.Aber ich entschied mich dann doch davor dem Inhalt eine FORM zur Seite zu stellen, gedacht als Gerüst, daß dem Stück melodischen und metrischen Halt verleiht.

Ich sagte ja schon einmal an anderer Stelle, daß ich mich hin auf dem Weg zur FORM befinde. Aber solange ich nur auf dem Weg bin, erscheint mir die FORm oft wie ein Stück schweres Gepäck,
das ich auch hier nicht zur Gänze bewältigen konnte.

Um so mehr freut mich deine Aussage, zeigt es mir doch, das ich einen weiteren Schritt in die Richtung nahm, die ich mir auch vorgenommen hatte.

Der Nietzschianische Gedanke: Das einzig mögliche "Vielleicht" gefällt mir sehr.

Dies Stück enststand, wie so viele in letzter Zeit, aufgrund einer nachträglichen Auseinandersetzung mit meinem verstorbenen Vater.
Dieser Generation Mensch, die sich immer in die Pflicht nahm.
Von der ich nicht weiß, wie sie Muße, Kunst, Nachdenken etc überhaupt wahrnahmen.
Von hier aus entwickelte sich der Text in seine jetzige Gestalt.

lg
Ralf
 

rogathe

Mitglied
Hallo Ralf,
bei den "Speerstunden" hat's mich rausgehaun - nicht nur deswegen, weil ich zunächst "Sperrstunden" las.
Wen lehrt LI? und was: Speerwurf?

:confused:

rogathe
 

Ralf Langer

Mitglied
Hallo rogathe,

Sperrstunden - Speerstunden

beides ist gemeint. Das Wort war bei diesem Stück schnell da,
beides Synomyme für eine Form von Schmerz und Wunde und Verlußt von wie soll ich sagen : vielleicht das was ich unter Lebensqualität verstehe.

Speerstunden, Lanzenstunden, Stunden die Wunden reißen,
Sperrstunde : da denke ich mir die freie zeit dahinter, die muße,
das einfache sein, das dahinter zugesperrt verweilt.

So wird die Sperrstunde zur Speerstunde.

lg
Ralf
 

Vera-Lena

Mitglied
Lieber Ralf,

einen kleinen grammatikalischen Fehler hast Du in diesem wunderbaren Text:

um [blue]die[/blue] Speerstunden zu lehren muss es heißen.

Mir tut es Leid, dass das Lyri all diese Fragen stellen muss und das "Du" nicht besser kannte. (Jeder wird das anders lesen.)

Aber das, was es wusste, hast Du auch aus meiner Sicht anmutig transportiert.

Es muss ein starkes "Du" sein oder gewesen sein, wenn es fähig war, auch in schweren Stunden vom Glücklichsein zu sprechen. So empfinde ich jedenfalls diese Textstelle am Teich.

Mir gefällt auch das, worum es dem Autor laut Überschrift am meisten ging, diese letzte Strophe mit all den Fragen, dem Wunsch mehr zu wissen über diesen Menschen.

"Warst Du der Stier oder der Faden" eine zentrale Frage. Ich stelle mir einen Gobelin vor, auf dem auch ein Stier abgebildet ist. Für mich bedeutet diese Frage: Hattest Du die Kraft, Dinge zu lenken oder hast Du Dich verstrickt und eingeengt gefühlt.

Das "nessum dorma" unterstreicht für mein Empfinden, warum der Autor das Lyrdu für sein Empfinden zu wenig gekannt hat, denn das "Du" selbst wollte es nicht anders, es wollte sich niemals gänzlich preisgeben.

Soweit meine Interpretation zu diesem gelungenen lyrischen Text.

Liebe Grüße
Vera-Lena
 

ENachtigall

Mitglied
in einer Welt aus Hand und Haben
Dieses ist mein Highlight in dem Gedicht, weil es die Kluft zwischen dem, der (nach-)fragt und dem, der nicht mehr ist, auf den Punkt bringt: in der Form, wie im zitierten Vers die Handhabung "Hand und Haben" begegnet.

Zudem bezeichnet das Gedicht den merkwürdigen Umstand, dass Erwartung und Einfühlung im Eltern/Kind Verhältnis - egal in welcher Richtung - weitaus schwieriger sind, als sonst zwischenmenschlich oder generationsversetzt (Kind/Großeltern); weshalb für alle Seiten die Pflege dieser Kontakte für die emotionale Gesundheit zu Lebzeiten von unsagbarer Bedeutung ist.

Ein wirklich interessantes und schätzenswertes Gedicht.

Grüße von Elke
 

Ralf Langer

Mitglied
In einer Fragestunde

Wo war dir deine Freistatt,
abgetrotzt der Moiren Weben,
wo rannen dir die Tränen
nicht nur als Verrat
am Tag, am Traum – und Sehnen

immer wieder nach dem Ort:
vielleicht ein Teich mit Schwänen,
eine Bank, du wirfst die Krumen
teichwärts, um dann dort
all die Speerstunden zu lehren

was Glück bedeuten kann – im Labyrinth
warst du der Stier oder der Faden,
in einer Welt aus Hand und Haben,
wo von den Wänden Nessun Dorma klingt; -
wie war es dort, würd ich dich gern noch fragen.
 

Ralf Langer

Mitglied
Hallo Vera Lena,

herzlichen Dank für deinen Kommentar zu meinem Stück.

Ja lyrdu war eine starke Persönlichkeit. Respektsperson und Angstperson in einem, der "Erzeuger" eben.
Ein Mensch der aus seiner Gefühlswelt immer ein Geheimnis machte.
In diesem Labyrinth des Lebens, ich weiß nicht wie er es sah, das Grab gibt keine Antworten, ich hoffe er war auch Faden und hatte auf eine mir unbekannte Art Freude.

Das Nessun Dorma, "niemand darf schlafen" denke ich mir als eine Art Credo.

Lg
ralf
 

Ralf Langer

Mitglied
Hallo Elke,

herzlichen Dank auch dir:
Ja, "Hand und Haben" - ein wenig Fromm "Haben und Sein"
als Lebenseinstellung schimmert durch.

wobei "Hand und Haben" etwas ganz anderes ist, eine Lebensauffassung die ich, der Sohn, nie teilen konnte.

Deine Aussage trifft bei mir den emotionalen Kern der Beziehung.

Herzlichen Gruß
und frohe Weihnachten

Ralf
 

ENachtigall

Mitglied
Danke, Ralf, für die Antwort.
wobei "Hand und Haben" etwas ganz anderes ist, eine Lebensauffassung
Als Lebensauffassung ist mir die Redewendung völlig fremd und ich habe keinen Schimmer, was sich dahinter verbirgt.
Wenn Du in weniger turbulenten Zeiten darauf zurückkommen möchtest, lege ich meine Neugier Schlittschuhlaufen - oder es erklärt sich von selbst. Das passiert mir erfreulich häufig.

Auch Dir alles Gute; für das geschäftige und das familiäre Fest.

Lg

Elke
 

Vera-Lena

Mitglied
Lieber Ralf,

wenn ich es moch einmal mit einer Interpretation versuchen darf.....

Hand und Haben hatte ich gelesen als etwas Kaufmännisches; die Hand handelt, arbeitet und das Lyri gelangt dadurch zu seinem Besitz.

Was Du jetzt genau mit dem nessum dorma als Credo meinst, habe ich nicht verstanden. Meinst Du, dass der Autor sich keine Ruhe gönnen möchte, bevor er weiß, wer der Verstorbene in seinem Innersten war?

Liebe Grüße
und auch Dir ein frohes Weihnachtsfest!

Vera-Lena
 

Ralf Langer

Mitglied
hallo vera,

nessun dorma:
ich veruchs mal anders zu erklären, mit Borchert
"nachts schlafen die ratten doch"

in den augen von lyrdu - so interpretiert es zumindest das lyrich ist " niemand darf schlafen" eine einstellung, eine aufforderung zur ständigen wachsamkeit.
ruhe ist gefährlich, sie ist lyrdu nbicht gegeben, oder eben frei nach borchert:
"auch nachts schlafen die ratten nicht"



lg
ralf

hallo elke,
ich werde dir das gerne zu einem späteren zeitpunkt ausbreiten.
ich habe zur "redewendung" "hand und haben" eine spezielle geprägte einstellung, durch erich fromms werk " haben und sein". dieses werk stellt explizit zwei lebensentwürfe gegeneinander.
dazu aber zu einem anderen zeitpunkt mehr

lg
ralf
 

ENachtigall

Mitglied
Das habe ich vorzeiten gelesen und erinnere mich gut. Mir fehlt nur zur konkreten Vorstellung die prägende Erfahrung mit dem im Gedicht Besagten, die die in Zusammenhang gebrachten Worte "aufläd".

Dennoch - auch trotz dieser "offenen Stellen" - bleibt der Text für mich gleichbleibend gut.
 

Ralf Langer

Mitglied
hallo elke,

ich habe es auch vor urzeiten gelsen. damals war mein vater etwa in dem alter in dem ich heute bin. also ende vierzig.

manchmal frage ich mich, wenn ich es heute nochmals läse, ob es auf den heutigen "ralf" den gleichen eindruck hinterliesse.
(ich denke eher nicht)

so, muß wieder an den tresen

ralf
 

Vera-Lena

Mitglied
Danke, lieber Ralf, für Deine Antwort!

Jetzt verstehe ich es besser, wenn Du sagst, dass sich das nessum dorma auf das Lyrdu bezieht, das sich um eine ständige Wachsamkeit bemühte, vielleicht auch anderen anriet.

Liebe Grüße
Vera-Lena
 

Trasla

Mitglied
Ich hab das Gedicht lange umschlichen, am Anfang hat es mich nicht so angesprochen. Ich hatte aber das Gefühl, dass irgendwie mehr drin liegt, als ich verstehe, und hab deshalb lieber nicht geschrieben oder gewertet.

Beim Wachsamen warten auf Kommentare zu meinen Werken bin ich immer mal wieder hier gelandet, habs gelesen und bin wieder verschwunde. Irgendwie ist es gerade umgeschwungen, ich hab es noch drei mal gelesen, und musste gerade fast weinen.

Ich hab immer noch das Gefühl, viel nicht zu erfassen, aber es hat mich gerade ganz intensiv an eigene Verluste erinnert. Aber es ist keine Trauerstimmung mehr eine Melancholie des Ungesagten.

Auch wenn das nicht unbedingt gut tut, danke für diesen emotionalen Moment!
 



 
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